Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.12.2011, Az. 5 C 9/11

5. Senat | REWIS RS 2011, 574

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Gegenstand

Aufnahmebescheid; abweisendes rechtskräftiges Sachurteil; Durchbrechung der Rechtskraftbindung; Wiederaufgreifen des Verfahrens; Änderung der Rechtslage


Leitsatz

Wurde die Ablehnung eines Antrags auf Erteilung eines vertriebenrechtlichen Aufnahmebescheids durch rechtskräftiges Urteil bestätigt, kann eine Sachentscheidung über einen erneuten entsprechenden Antrag nur beansprucht werden, wenn die Rechtskraftbindung des Urteils nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG oder § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG überwunden wird.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Erteilung eines [X.]s.

2

Die im [X.] in [X.] geborene Klägerin beantragte erstmals [X.] ihre Aufnahme in das [X.] als Spätaussiedlerin. Das [X.] lehnte diesen Antrag ab, weil die Klägerin nicht [X.] Abstammung sei. Mit der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, ihr Großvater sei [X.] Abstammung und sie erfülle auch im Übrigen die Voraussetzungen einer Aufnahme als Spätaussiedlerin. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 7. Mai 2004 ab. Die dagegen eingelegte Berufung blieb erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht legte im Einklang mit dem erstinstanzlichen Urteil im Wesentlichen dar, die Klägerin sei nicht [X.] Volkszugehörige, weil sie nicht von einem [X.]n Volks- oder Staatsangehörigen abstamme. Auf frühere Generationen der Familie komme es insoweit nicht an.

3

Mit Schreiben vom 6. Februar 2008 beantragte die Klägerin erneut die Erteilung eines [X.]s und legte dar, nach der Entscheidung des [X.] vom 25. Januar 2008 - BVerwG 5 C 8.07 - (BVerwGE 130, 197) genüge es für das Merkmal der Abstammung, wenn - wie in ihrem Fall - ein Großelternteil [X.] Volkszugehöriger gewesen sei.

4

Das Verwaltungsgericht wies die von der Klägerin erhobene Untätigkeitsklage mit Urteil vom 5. November 2008 als unbegründet ab, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des abgeschlossenen Verfahrens über den [X.] beantragten [X.] habe und das von § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 VwVfG eingeräumte Ermessen nicht auf Null reduziert sei.

5

Mit Beschluss vom 30. September 2009 ließ das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, "soweit das angefochtene Urteil den Anspruch der Klägerin auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Wiederaufgreifen ihres Aufnahmeverfahrens betrifft". Im Übrigen wurde die Berufung nicht zugelassen. Die [X.] lehnte mit [X.] vom 29. Oktober 2009 ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 VwVfG ab.

6

Mit Beschluss vom 8. Juni 2010 wies das Oberverwaltungsgericht die Berufung als unbegründet zurück. Soweit die Klägerin mit ihrem Berufungsantrag eine erneute Sachentscheidung über die Erteilung eines [X.]s begehre und Gründe für ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne geltend mache, sei die Berufung nicht zugelassen worden. Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne bestehe nicht, weil die [X.] das ihr insoweit zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt habe.

7

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Im Wesentlichen macht sie geltend: Ihrem erneuten Antrag auf Erteilung eines [X.]s stehe nicht die Bestandskraft der früheren Versagung eines solchen [X.]s entgegen. Zu Unrecht sei das Oberverwaltungsgericht von einer fehlerfreien Ermessensentscheidung in Bezug auf das Wiederaufgreifen ausgegangen. Es sei sittenwidrig, wenn sich die Behörde auf die Bestandskraft der früheren Versagung des [X.]s berufe, obwohl feststehe, dass sie, die Klägerin, wegen der Abstammung von ihrem [X.]n Großvater [X.] Volkszugehörige sei. Die angefochtene Entscheidung beruhe auch auf Verfahrensfehlern.

8

Die [X.] verteidigt das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der [X.]eteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet. Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg (1.). Der angegriffene [X.]eschluss beruht auch in der Sache nicht auf einer Verletzung von [X.]undesrecht (2.). Die Revision ist daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO).

1. Die Verfahrensrügen genügen nicht den Darlegungserfordernissen und sind deshalb unzulässig.

Ein Verfahrensmangel ist nur dann im Sinne des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen, als auch in seiner rechtlichen Würdigung substanziiert dargetan wird (vgl. [X.]eschluss vom 19. August 1997 - [X.]VerwG 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Die Pflicht zur [X.]ezeichnung des [X.] erfordert die schlüssige Darlegung einer Verfahrensrüge (vgl. [X.]eschlüsse vom 1. Dezember 2000 - [X.]VerwG 9 [X.] 549.00 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 60 S. 17 <18> und vom 24. März 2000 - [X.]VerwG 9 [X.] 530.99 - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308 S. 15). Zwar ist es grundsätzlich zulässig, in der Revisionsbegründung hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensrügen auf das Vorbringen in der Nichtzulassungsbeschwerde [X.]ezug zu nehmen (vgl. Urteil vom 25. Oktober 1988 - [X.]VerwG 9 [X.] 37.88 - [X.]VerwGE 80, 321 <322 f.>). Der [X.]eschwerdeschrift ist jedoch eine substanziierte und schlüssige Rüge eines [X.] nicht zu entnehmen.

Im Zusammenhang mit der [X.]ehauptung einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs wird nicht konkret dargelegt, welches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen wurde oder worin ansonsten eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG liegen soll. Die [X.] ist ebenfalls nicht ausreichend begründet. Eine zulässige [X.] setzt voraus, dass die [X.]eschwerde darlegt, welche Tatsachen auf der Grundlage der insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz ermittlungsbedürftig gewesen wären (vgl. Urteil vom 22. Januar 1969 - [X.]VerwG 6 [X.] 52.65 - [X.]VerwGE 31, 212 <217>; [X.]eschlüsse vom 13. Juli 2007 - [X.]VerwG 9 [X.] 1.07 - juris und vom 28. Juli 2008 - [X.]VerwG 8 [X.] 31.08 - juris). Die Klägerin zeigt nicht auf, dass sich nach der materiellrechtlichen Auffassung des [X.] weitere Ermittlungen zu der Frage der familiären Sprachvermittlung aufdrängen mussten.

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung eines [X.] nach § 27 Abs. 1 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge ([X.]VFG). Dies folgt allerdings nicht schon daraus, dass das Oberverwaltungsgericht in dem [X.]eschluss vom 30. September 2009 die [X.]erufung nur insoweit zugelassen hat, als das erstinstanzliche Urteil den Anspruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Wiederaufgreifen ihres [X.] eingeleiteten Verfahrens auf Erteilung eines [X.] betrifft (a). Einem Anspruch auf Erteilung des erstrebten [X.]escheids steht aber die Rechtskraftbindung nach § 121 VwGO entgegen (b).

a) Die [X.]eschränkung der [X.]erufungszulassung erweist sich als unwirksam, so dass auch der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Erteilung eines [X.] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist.

Das [X.]erufungsverfahren ist grundsätzlich darauf gerichtet, die Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erneut - d.h. grundsätzlich in demselben Umfang wie in der ersten Instanz - zu überprüfen. Auch bei der Zulassungsberufung ist daher eine [X.]eschränkung nur im Hinblick auf einzelne abtrennbare Streitgegenstände oder Teile eines solchen möglich. Eine [X.]eschränkung der [X.]erufungszulassung auf einzelne Tatsachen- oder Rechtsfragen ist hingegen nicht statthaft (vgl. Urteil vom 7. Februar 1997 - [X.]VerwG 9 [X.] 11.96 - [X.] 310 § 129 VwGO Nr. 6 S. 5 und [X.]eschluss vom 27. Oktober 2010 - [X.]VerwG 5 [X.] 18.10 - juris Rn. 13 m.w.[X.]). So liegt es hier.

Die Klägerin hat vor dem Verwaltungsgericht die Verpflichtung der [X.]eklagten zur Erteilung eines [X.] und "hilfsweise" das Wiederaufgreifen des abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens über ihren [X.] gestellten Antrag auf Erteilung eines [X.] begehrt. Hinsichtlich des angestrebten [X.] hat das Oberverwaltungsgericht unterschieden zwischen einem Wiederaufgreifen im engeren Sinn (§ 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG), auf das bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Rechtsanspruch besteht, und einem im Ermessen der [X.]ehörde stehenden Wiederaufgreifen im weiteren Sinn (§ 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG). Indem das Oberverwaltungsgericht die [X.]erufung nur hinsichtlich des Anspruchs auf Wiederaufgreifen im weiteren Sinn zugelassen hat, hat es die Zulassung unzulässig auf eine Rechtsfrage beschränkt. Nach der Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts kennzeichnen Rechts- und Ermessensanspruch nur unterschiedliche und unterschiedlich weitgehende Anspruchsgrundlagen für ein und dasselbe [X.]egehren, nicht hingegen unterschiedliche Streitgegenstände oder abtrennbare Teile eines solchen Gegenstandes (vgl. Urteil vom 3. November 1994 - [X.]VerwG 3 [X.] 30.93 - [X.] 418.15 Rettungswesen Nr. 2 S. 15). Deshalb wird ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens als einheitliches [X.]egehren verstanden und sowohl unter dem Gesichtspunkt des [X.] im engeren Sinn als auch mit [X.]lick auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinn gewürdigt (vgl. Urteile vom 22. Oktober 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 15.08 - [X.]VerwGE 135, 121 Rn. 17 ff. und - [X.]VerwG 1 [X.] 26.08 - [X.]VerwGE 135, 137 Rn. 15 ff.).

Eine Umdeutung einer auf Rechtsgründe gestützten Teilzulassung in eine weniger weitgehende und zulässige [X.]erufungsbeschränkung nach [X.] ist aus Gründen der [X.] nicht möglich. Die [X.]eschränkung muss sich eindeutig aus der insoweit einschlägigen gerichtlichen Entscheidung ergeben (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1972 - [X.]VerwG 3 [X.] 82.71 - [X.]VerwGE 41, 52 <53> und vom 4. Juli 1985 - [X.]VerwG 5 [X.] 7.82 - [X.] 424.01 § 85 FlurbG Nr. 2 S. 2).

b) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung eines [X.]. Einen solchen [X.]escheid könnte sie nur beanspruchen, wenn die Rechtskraftbindung des Urteils des [X.] vom 7. Mai 2004 überwunden wird (aa). Die Voraussetzungen dafür liegen hingegen nicht vor (bb).

aa) Dem [X.]egehren steht entgegen, dass die Verpflichtungsklage der Klägerin gegen die Versagung des von ihr [X.] beantragten [X.] mit Urteil vom 7. Mai 2004 rechtskräftig abgewiesen wurde.

Das Urteil vom 7. Mai 2004 entfaltet die Wirkung des § 121 Nr. 1 VwGO. Danach binden rechtskräftige Urteile die [X.]eteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Streitgegenstand einer Verpflichtungsklage ist die Rechtsbehauptung des Klägers, er habe einen Anspruch auf Erlass des beantragten Verwaltungsakts (vgl. [X.]eschluss vom 24. Oktober 2006 - [X.]VerwG 6 [X.] 47.06 - [X.] 442.066 § 24 TKG Nr. 1 Rn. 18 m.w.[X.]). Dementsprechend enthält ein eine Verpflichtungsklage abweisendes Sachurteil die Feststellung, dass zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der behauptete Anspruch nicht besteht. Diese Feststellung ist von der [X.]indungswirkung des § 121 VwGO erfasst. Mit der [X.]estimmung soll auch verhindert werden, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die durch Sachurteil entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut - mit der Gefahr unterschiedlicher Ergebnisse - zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Parteien gemacht und einer erneuten Sachprüfung zugeführt werden kann (stRspr, vgl. z.[X.]. Urteile vom 10. Mai 1994 - [X.]VerwG 9 [X.] 501.93 - [X.]VerwGE 96, 24 <25>, vom 18. September 2001 - [X.]VerwG 1 [X.] 4.01 - [X.]VerwGE 115, 111 <114> und vom 22. Oktober 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 26.08 - a.a.[X.] Rn. 13, jeweils m.w.[X.]). Soweit und solange das die Verpflichtungsklage abweisende rechtskräftige Urteil nach § 121 VwGO [X.]indungswirkung entfaltet, ist es demzufolge der Exekutive verwehrt, im Fall eines wiederholten Antrags erneut eine ablehnende Sachentscheidung zu treffen und auf diese Weise die Möglichkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes wieder zu eröffnen (vgl. [X.]VerfG, [X.] vom 23. Juni 1988 - 2 [X.]vR 260/88 - NVwZ 1989, 141 <142>). Die [X.]indungswirkung des § 121 VwGO tritt ungeachtet der tatsächlichen Rechtslage ein.

Dies entspricht der Funktion der Rechtskraft verwaltungsgerichtlicher Urteile, durch die Maßgeblichkeit und Rechtsbeständigkeit der Entscheidung über den Streitgegenstand Rechtsfrieden zu gewährleisten. Dieser Zweck, der aus dem verfassungsrechtlich geschützten Prinzip der Rechtssicherheit folgt, verbietet es, die Exekutive uneingeschränkt zu einer erneuten Entscheidung über ein [X.]egehren, das dem rechtskräftig entschiedenen Streitgegenstand entspricht, für befugt zu erachten (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 26.08 - a.a.[X.] Rn. 14; [X.]VerfG, [X.] vom 23. Juni 1988 a.a.[X.]). Dementsprechend hat der im Vorprozess unterlegene Antragsteller, solange und soweit die [X.]indungswirkung des [X.] rechtskräftigen Urteils reicht, keinen Rechtsanspruch auf eine erneute Entscheidung in der Sache (zur zeitlichen Grenze der materiellen Rechtskraft vgl. Urteil vom 18. September 2001 - [X.]VerwG 1 [X.] 7.01 - [X.]VerwGE 115, 118 <120 f.> m.w.[X.]).

Daran gemessen steht die Rechtskraftbindung des Urteils vom 7. Mai 2004 einem Anspruch der Klägerin auf Sachentscheidung über den erneuten Antrag auf Erteilung eines [X.] entgegen. Das Antragsbegehren entspricht dem Streitgegenstand, über den rechtskräftig entschieden worden ist. Da die Ablehnung des [X.] beantragten [X.] gerichtlich rechtskräftig bestätigt worden ist, kann hier dahingestellt bleiben, welche Auswirkungen es gehabt hätte, wenn die Versagung des [X.]escheids keiner gerichtlichen Überprüfung unterzogen worden und (lediglich) bestandskräftig geworden wäre.

bb) Die Klägerin kann eine Durchbrechung der [X.]indungswirkung nicht beanspruchen.

Die Wirkung des § 121 VwGO kann nur auf gesetzlicher Grundlage überwunden werden. So liegt es, wenn der [X.]etroffene nach § 51 VwVfG einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hat oder die [X.]ehörde das Verfahren im Ermessenswege wieder aufgreift oder aufgreifen muss (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 26.08 - a.a.[X.] Rn. 14). [X.]eides ist hier nicht der Fall.

aaa) Die Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG liegen nicht vor. Insbesondere ist keine Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu verzeichnen.

Die Klägerin beruft sich insoweit ohne Erfolg auf das Urteil des [X.]undesverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2008 (a.a.[X.] Rn. 12 ff.). Dort hat das [X.]undesverwaltungsgericht das Tatbestandsmerkmal der Abstammung im Sinne von § 6 Abs. 2 [X.]VFG dahin ausgelegt, dass der Erwerb der [X.] Volkszugehörigkeit nicht auf die Abstammung von volks[X.] Eltern begrenzt ist. Es genügt die Herkunft von [X.] Großeltern, um das Abstammungsmerkmal zu erfüllen. Der Klägerin ist darin zu folgen, dass das [X.]undesverwaltungsgericht in jenem Urteil erstmals eine bis dahin umstrittene Auslegungsfrage höchstrichterlich geklärt hat. Die im Vorprozess ergangenen Urteile des Verwaltungs- und des [X.] stehen mit dieser Rechtsprechung insoweit nicht im Einklang, als in ihnen davon ausgegangen wurde, dass die Klägerin deshalb nicht [X.] Volkszugehörige sei, weil kein Elternteil [X.]r Volkszugehöriger gewesen sei.

Gleichwohl sind die Voraussetzungen einer Änderung der Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nicht erfüllt. Eine solche Änderung erfasst nur einen Wandel der normativen [X.]estimmung, nicht aber eine Änderung der [X.]. Auch eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und eine erstmalige Klärung einer Rechtsfrage durch diese Rechtsprechung stellen im Rahmen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG keine Änderung der Rechtslage dar (vgl. [X.]eschlüsse vom 25. Mai 1981 - [X.]VerwG 8 [X.] 89.80 u.a. - [X.] 316 § 51 VwVfG Nr. 9 und vom 16. Februar 1993 - [X.]VerwG 9 [X.] 241.92 - [X.] 316 § 51 VwVfG Nr. 29; Urteil vom 22. Oktober 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 15.08 - [X.]VerwGE 135, 121 Rn. 21).

bbb) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Rechtskraftbindung im Wege des [X.] des abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens auf der Grundlage des § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG überwunden wird.

Die in § 51 Abs. 5 VwVfG verankerte Ermächtigung der [X.]ehörde, nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des [X.]etroffenen ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren im Ermessenswege wiederaufzugreifen, ermöglicht auch bei rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahren die nachträgliche Kontrolle inhaltlich unrichtiger Entscheidungen. Trifft die [X.]ehörde eine positive Entscheidung zum Wiederaufgreifen (Stufe 1), wird hierdurch die Rechtskraft durchbrochen und der Weg für eine neue Sachentscheidung eröffnet. Mit der [X.]efugnis zum Wiederaufgreifen korrespondiert ein gerichtlich einklagbarer Anspruch des [X.]etroffenen auf fehlerfreie Ermessensausübung. Dabei handelt die [X.]ehörde grundsätzlich ermessensfehlerfrei, wenn sie ein Wiederaufgreifen im Hinblick auf die rechtskräftige [X.]estätigung ihrer Entscheidung in dem früheren Verwaltungsverfahren ablehnt. In diesen Fällen bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen der [X.]ehörde. Umstände, die ausnahmsweise eine erneute Sachentscheidung und damit ein Wiederaufgreifen gebieten, müssen in ihrer [X.]edeutung und ihrem Gewicht mit einem der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG geregelten zwingenden [X.]gründe vergleichbar sein. Allein der Umstand, dass der rechtskräftig bestätigte Verwaltungsakt - gemessen an den sich aus der aktuellen Rechtsprechung ergebenden Anforderungen - nicht rechtmäßig verfügt werden durfte, genügt hierfür nicht. Dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit kommt nämlich prinzipiell kein größeres Gewicht zu als dem Gebot der Rechtssicherheit, sofern dem anzuwendenden Recht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist. Mit [X.]lick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit verdichtet sich das Ermessen der [X.]ehörde zugunsten des [X.]etroffenen, wenn das Festhalten an dem rechtskräftig bestätigten Verwaltungsakt schlechthin unerträglich wäre (vgl. zum Vorstehenden Urteile vom 22. Oktober 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 15.08 - a.a.[X.] Rn. 24 und - [X.]VerwG 1 [X.] 26.08 - a.a.[X.] Rn. 19 f., jeweils m.w.[X.]). Daran gemessen ist es nicht zu beanstanden, dass die [X.]eklagte mit [X.]escheid vom 29. Oktober 2009 ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinn des abgeschlossenen Verfahrens abgelehnt hat.

Das [X.]undesvertriebengesetz enthält keine Wertung dahin, dass bei der hier in Rede stehenden Fallgestaltung das Gebot der Rechtssicherheit hinter den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zurückzutreten hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich aus Art. 116 GG nichts Anderes. Das Festhalten an der rechtskräftig bestätigten Ablehnung eines [X.] erweist sich nicht als schlechthin unerträglich. Ob sich die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsaktes als schlechthin unerträglich darstellt, hängt von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte ab. Die Ablehnung eines [X.] des Verfahrens ist insbesondere dann schlechthin unerträglich, wenn Umstände gegeben sind, die die [X.]erufung der [X.]ehörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen lassen. Genauso verhält es sich bei offensichtlicher Fehlerhaftigkeit des rechtskräftigen Urteils, mit dem der frühere Verwaltungsakt bestätigt wurde (vgl. [X.]eschluss vom 7. Juli 2004 - [X.]VerwG 6 [X.] 24.03 - [X.]VerwGE 121, 226 <231> m.w.[X.] und Urteile vom 27. Januar 1994 - [X.]VerwG 2 [X.] 12.92 - [X.]VerwGE 95, 86 <92> sowie vom 22. Oktober 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 15.08 - a.a.[X.] Rn. 34 und - [X.]VerwG 1 [X.] 26.08 - a.a.[X.] Rn. 24). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Nach den den Senat bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen [X.]eschluss ist für einen Verstoß gegen Treu und Glauben - etwa durch eine Verletzung der der [X.]ehörde gegenüber der Klägerin obliegenden [X.]etreuungspflicht (vgl. Urteil vom 28. Juli 1976 - [X.]VerwG 8 [X.] 90.75 - juris Rn. 29) - nichts ersichtlich. Das Urteil des [X.] vom 7. Mai 2004 und der dieses bestätigende [X.]eschluss des [X.] erweisen sich auch nicht als offensichtlich fehlerhaft. Das folgt schon daraus, dass sich diese Entscheidungen - wie in dem Urteil des Senats vom 25. Januar 2008 aufgezeigt wird (a.a.[X.] Rn. 13 und 17) - hinsichtlich der angenommenen [X.]eschränkung des [X.] auf die Eltern an der Rechtsprechung auch des [X.]undesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage orientieren und auf die Gesetzesmaterialien zum Kriegsfolgenbereinigungsgesetz zu berufen vermögen ([X.]TDrucks 12/3212 S. 23).

Aus den vorstehenden Gründen stand die Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens im Ermessen der [X.]eklagten. Ausweislich der [X.]egründung des [X.]escheids vom 29. Oktober 2009 war sie sich des ihr von § 51 Abs. 5 VwVfG eingeräumten [X.] bewusst. Die Ablehnung des [X.] ist frei von [X.].

Meta

5 C 9/11

13.12.2011

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 8. Juni 2010, Az: 12 A 3328/08, Beschluss

§ 121 VwGO, § 51 Abs 1 Nr 1 VwVfG, § 51 Abs 5 VwVfG, § 48 VwVfG, § 49 VwVfG, § 6 Abs 2 BVFG, § 27 Abs 1 BVFG, Art 116 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.12.2011, Az. 5 C 9/11 (REWIS RS 2011, 574)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 574

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

7 K 14745/17

M 31 K 20.1634

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