Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.10.2015, Az. 3 StR 63/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2015, 3860

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 63/15
vom
15. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

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Der 3.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 15.
Oktober 2015 beschlossen:
1. Der [X.] beabsichtigt zu entscheiden:

Der Tatrichter übt sein Ermessen bei der Entscheidung über die
Strafrahmenverschiebung nach §§
21, 49 Abs.
1 StGB grund-sätzlich nicht rechtsfehlerhaft aus, wenn er im Rahmen einer Gesamtwürdigung der schuldmindernden Umstände die Versa-gung der Strafmilderung allein auf den Umstand stützt, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des [X.] auf von diesem verschuldeter Trunkenheit beruht.

2. Der [X.] fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob deren Rechtsprechung dem entgegensteht und ob -
sollte dies der Fall sein -
daran festgehalten wird.

Gründe:
[X.] Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit sachlichrechtlichen Beanstandungen.
Nach den Feststellungen des [X.]s tötete der bislang sowohl in [X.] als auch in seiner [X.] Heimat strafrechtlich nicht in Er-scheinung getretene Angeklagte seinen Mitbewohner nach gemeinsamem [X.] durch massive Gewalteinwirkung gegen den Brust-
und Bauchbe-reich sowie durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand gegen den 1
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Kopf. Den Anlass für die mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgenommenen [X.] hat das Schwurgericht ebenso wenig feststellen können wie den ge-nauen Grad der Alkoholisierung des Angeklagten. Es ist sachverständig bera-ten davon ausgegangen, dass der Angeklagte aufgrund einer mittelgradigen [X.] bei erhalten gebliebener Unrechtseinsicht nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war.
Das [X.] hat die Strafe aus dem Strafrahmen des §
212 Abs.
1 StGB entnommen. Für einen benannten minder schweren Fall des Totschlags (§
213 Alternative
1 StGB) hat es keinen Anhaltspunkt gefunden. Einen sonsti-gen minder schweren Fall (§
213 Alternative
2 StGB) hat es sowohl unter Be-rücksichtigung allein der allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte als auch unter Hinzuziehung des wegen der Alkoholisierung des Angeklagten zum [X.] nicht ausschließbaren vertypten Milderungsgrundes des §
21 StGB abgelehnt und auch von einer Strafrahmenverschiebung nach §§
21, 49 Abs.
1 StGB abgesehen. Im Rahmen der konkreten Strafzumessung, die auf die [X.] zur Frage des Vorliegens eines
unbenannten minder schweren Fal-les gemäß §
213 StGB Bezug nimmt, hat das [X.] sodann zugunsten des Angeklagten dessen durch die Alkoholisierung als konstellativem Faktor beeinflusste affektive Aufladung in der [X.] mildernd berücksichtigt.
I[X.] Der [X.] beabsichtigt, die Revision des Angeklagten zu verwerfen. Die Überzeugung des [X.]s von der [X.]chaft des Angeklagten sowie vom Ausschluss einer über das Maß eines mittleren [X.]sches hinausgehen-den Alkoholisierung beruht auf einer rechtlich nicht zu beanstandenden Be-weiswürdigung. Der [X.] hält auch die Strafzumessung für rechtsfehlerfrei. Anlass zu dem Anfrageverfahren gibt die Strafrahmenwahl des Tatrichters.

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1. Das [X.] ist davon ausgegangen, bei einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit wohne dem Umstand, dass diese auf einer vom Täter selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, ein schulderhöhendes Moment inne, das die Versagung der Strafrahmenmilderung nach §
213 bzw. §§
21, 49 Abs.
1 StGB rechtfertige. Eine Alkoholkrankheit oder Alkoholüberempfindlichkeit, die ein Verschulden hinsichtlich der Trunkenheit ausgeschlossen hätte, hat die [X.] rechtsfehlerfrei verneint und des-halb wegen des [X.] übermäßigen Alkoholkonsums eine Strafrah-menverschiebung abgelehnt (UA S.
48 f.).
2. Bei dieser Wertung hat sich das [X.] erkennbar auf die Ent-scheidung des [X.]s im Urteil vom 27.
März 2003 (3
StR 435/02, NJW 2003, 2394) gestützt.
Dort hat der [X.] -
in die Entscheidung nicht tragenden Erwägungen -
ausgeführt, dass eine Strafrahmenverschiebung nach §§
21, 49 Abs.
1 StGB in der Regel nicht in Betracht komme, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des [X.] auf verschuldeter Trunkenheit beruhe. Versetze sich der
Täter schuldhaft in einen [X.]sch, so liege allein darin ein Umstand, der die durch die Herabsetzung der Einsichts-
oder Steuerungsfähigkeit verminderte [X.] aufwiegen könne. Eine vorangegangene Straffälligkeit des [X.] unter Alkoholeinfluss in einem Ausmaß, dass dieser damit rechnen kann, unter Alkoholeinfluss ein der [X.] vergleichbares Delikt zu begehen, sei nicht erforderlich.
Er hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Für ein Absehen von der Strafmilderung sprächen zum einen die Überlegungen des historischen Ge-setzgebers, der ursprünglich die Strafmilderung bei verschuldeter Trunkenheit ausdrücklich ausschließen und nach Aufgabe dieses Vorhabens die schuld-5
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hafte Herbeiführung der verminderten Schuldfähigkeit jedenfalls als [X.] Umstand berücksichtigt wissen wollte. Zum anderen bestehe ein Widerspruch zu der gesetzlichen Regelung des [X.] in §
323a StGB, die das schuldhafte [X.] zwar unter der Voraussetzung ei-ner rechtswidrigen [X.]schtat aber unabhängig davon unter Strafe stelle, ob sich der Täter aus früheren Ereignissen des Risikos der Begehung von [X.] unter Alkoholeinfluss hätte bewusst sein können. Zuletzt habe der [X.] in §
7 [X.] für militärische Straftaten, Straftaten, die gegen das Kriegs-völkerrecht verstoßen, und solche, die Soldaten in Ausübung des [X.], die Strafmilderung wegen selbstverschuldeter Trunkenheit unter-schiedslos ausgeschlossen (zu den Einzelheiten vgl. [X.] aaO).
3. Diese Entscheidung des [X.]s hat in der Folgezeit Widerspruch er-fahren: Die Berufung auf die Intentionen des historischen Gesetzgebers sei nicht zulässig, da diese gerade nicht zum Inhalt der Norm geworden seien ([X.],
[X.] 2003, 527, 528; [X.],
Blutalkohol 2003, 449). Das Span-nungsverhältnis zu §
323a StGB könne im Bereich der mittleren Kriminalität dadurch aufgelöst werden, dass die Strafe wegen [X.] durch den nach §§ 21, 49 Abs.
1 StGB gemilderten Strafrahmen nach oben begrenzt werde ([X.] aaO,
529). Die durch §§ 21, 49
Abs.
1 StGB im Bereich der schwe-ren Kriminalität eröffnete erhebliche Absenkung der Strafdrohung und die darin zum Ausdruck kommende geringere Schuld könne durch das verschuldete [X.] nicht ausgeglichen werden ([X.], [X.], 1019). Dies gelte insbesondere für den Bereich der absoluten Strafdrohung. Auch wird [X.], zur Angleichung auch bei §
323a StGB vorauszusetzen, dass der Täter seine [X.]schtat vorhersehen können müsse ([X.] aaO,
450). Zuletzt könne die Sondervorschrift des §
7 [X.] als Argument für die Versagung einer Strafrahmenmilderung nicht dienen, denn sie sei allein den Besonderheiten des 9
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Wehrstrafrechts geschuldet ([X.],
[X.] 2004, 401, 404 unter Verweis auf [X.], [X.] 2003, 527, 530; Streng, NJW 2003, 2963, 2964).
4. Es kann hier dahinstehen, ob diese Kritik in Einzelpunkten gerechtfer-tigt ist. Es geht in vorliegendem Revisionsverfahren nicht um die Frage, ob eine Strafrahmenverschiebung nach den §§
21, 49 Abs.
1 StGB
regelmäßig nicht in Betracht kommt, wenn die alkoholbedingt erheblich verminderte Schuldfähigkeit des [X.] auf selbstverschuldeter Trunkenheit beruht. [X.] ist vielmehr, ob der Tatrichter das ihm durch § 21 StGB eingeräumte Ermessen im konkreten Fall rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, weil er von der ihm durch die Vorschrift eröffneten Möglichkeit der Strafrahmenverschiebung keinen Ge-brauch gemacht und dies entscheidend auf das Argument gestützt hat, der [X.] habe seine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit durch verschul-dete Trunkenheit selbstverantwortlich herbeigeführt.
Einen derartigen Ermessensfehlgebrauch vermag der [X.] nicht zu er-kennen. Maßgeblich hierfür sind folgende Erwägungen, auf die bereits seine Überlegungen im Urteil vom 27. März 2003 (aaO) aufbauen:
Durch seine von ihm zu verantwortende [X.] versetzt sich der Täter in einen Zustand der -
was allgemein bekannt ist -
durch Enthemmung, Verminderung von Einsichts-
und Unterscheidungsvermögen und Verschlechte-rung von Reaktionsfähigkeit und Körperbeherrschung und die damit einherge-hende gesteigerte Gefährlichkeit gekennzeichnet ist (vgl. [X.], Urteil vom 2.
Mai 1961 -
1 [X.], [X.]St 16, 124, 125). Auch §
7 [X.] beruht auf dieser Erkenntnis (vgl. [X.]/[X.], [X.], 4. Aufl., §
7 Rn.
1 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien, wonach dadurch wirksam der Gefahr begegnet werden soll, die der militärischen Disziplin "erfahrungsgemäß" durch den Alko-holmissbrauch droht). In der verschuldeten Herbeiführung eines [X.]sches liegt 10
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somit keine wertneutrale, sozialübliche Erscheinung, sondern im Hinblick auf die allgemeine Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit des Berauschten ein selbstständiges, rechtlich [X.], [X.] Unrecht ([X.],
OWiG, 4. Aufl., §
122 Rn.
8 mwN). Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber das schuldhafte [X.] in §
323a StGB und §
122 OWiG tatbestandlich normiert. Er hat lediglich den Bereich der Strafbarkeit des schuldhaften [X.]s durch die Einfügung einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit bzw. der Bußgeldbewehrung dahin eingeschränkt, dass ein "folgenloses" [X.] nicht geahndet werden soll, während derjenige, der im [X.]sch eine rechtswidrige Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht, für die er nicht bestraft oder mit Geldbuße belegt werden kann, weil
er infolge des [X.]sches schuldun-fähig war bzw. nicht vorwerfbar gehandelt hat oder dies zumindest nicht [X.] ist, wegen der [X.] mit Strafe oder Geldbuße geahndet wird. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch zwanglos, warum das [X.] in dem einen Fall als Straftat und in dem anderen lediglich als Ordnungswidrigkeit eingestuft wird ([X.], StGB, 62. Aufl., §
323a Rn.
17). Dies beruht darauf, dass der Gesetzgeber das [X.] im Grundsatz als [X.] Unrecht bewertet, die Strafbarkeit indes je danach ausge-schlossen oder zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft hat, ob bzw. in welchem Umfang sich die gesteigerte Gefahr für die Rechtsgüter Dritter oder die Allge-meinheit, die von einem Berauschten ausgeht, tatsächlich in
einer konkreten rechtswidrigen Straftat oder Ordnungswidrigkeit niedergeschlagen hat.
Ebenso wenig lässt sich der Annahme, schon allein der schuldhafte Voll-rausch begründe das Tatunrecht ([X.], Urteil vom 2.
Mai 1961 -
1 [X.], [X.]St 16, 124, 125 f.; s. auch [X.], Beschluss vom 15.
Oktober 1956 -
GSSt 2/56, [X.]St 9, 390, 396), entgegenhalten, damit wäre ein Umstand unrechts-begründend, der nach dem Gesetzeswortlaut nur nicht ausschließbar sein 13
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müsse (so ebenfalls Fischer aaO). Denn dies verkennt, dass
der [X.]sch fest-stehen muss; nicht ausschließbar darf lediglich sein, dass der Täter infolge des [X.]sches bei Begehung der [X.]schtat schuldunfähig war bzw. nicht vorwerf-bar gehandelt hat.
Weder für die Straftat nach §
323a StGB noch für die Ordnungswidrigkeit nach §
122 OWiG ist vorausgesetzt, dass sich der Täter im Zeitpunkt des [X.]s bewusst war oder hätte bewusst sein können, dass er im [X.]sch zur Begehung von Straftaten oder ordnungswidrigem Verhalten neige ([X.], Urteil vom 12.
April 1951 -
4 [X.], [X.]St 1, 124, 125; Urteil vom 23.
November 1951 -
2 StR 491/51, [X.]St 2, 14, 18; Urteil vom 2.
Mai 1961
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1
[X.], [X.]St 16, 124 f.; s. aber auch [X.], Beschluss vom 7.
Mai 1957 -
5 [X.], [X.]St 10, 247, 249 f.; [X.] aaO, Rn.
25;
[X.]/[X.], OWiG, 16.
Aufl., § 122 Rn.
7a; [X.], OWiG, 3.
Aufl., § 122 Rn.
2, 14).
Nach alledem ist nach Ansicht des [X.]s nicht zweifelhaft, dass allein das verantwortliche [X.] des [X.] vor der Tat für sich ein schulderhöhender Umstand ist, der im Rahmen der Ermessensausübung nach §
21 StGB Berücksichtigung zu finden hat. Die sich daran anschließende [X.], ob dieser Umstand geeignet ist, im konkreten Fall die erhebliche alkoholbe-dingte Minderung der Schuldfähigkeit im Tatzeitpunkt so weit auszugleichen, dass das Absehen von der Strafrahmenverschiebung nach §
49 Abs.
1 StGB gerechtfertigt ist, betrifft indes Wertungen, die, wie die Strafzumessung gene-rell, Sache des Tatrichters ist und vom Revisionsgericht nur auf Rechtsfehler
überprüft werden kann. Danach gilt, dass der Tatrichter zwar eine Gesamtwür-digung aller wesentlichen schuldrelevanten Gesichtspunkte vorzunehmen ([X.], Urteil vom 15.
Februar 2006 -
2 StR 419/05, [X.]R StGB § 21 Straf-14
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rahmenverschiebung 40) und einer wertenden Betrachtung zu unterziehen hat, deren revisionsgerichtliche Überprüfung sich indes darauf beschränkt, ob die dafür wesentlichen tatsächlichen Grundlagen vom Tatrichter hinreichend ermit-telt und bei der Wertung ausreichend berücksichtigt worden sind ([X.], Urteil vom 17.
August 2004 -
5 [X.], [X.]St 49, 239, 241). Ist dies indes [X.], so kann das Revisionsgericht nur beanstanden, dass das Tatgericht gesetzlich vorgegebene Wertungsmaßstäbe missachtet oder eine gerechtem Schuldausgleich nicht mehr entsprechende Strafe verhängt hat.
Einen gesetzlichen Wertungsmaßstab dahin, dass eine Strafrahmenver-schiebung nach §§
21, 49 Abs.
1 StGB dem infolge schuldhaften [X.]s in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkten Täter nur dann versagt werden darf, wenn ihm zumindest bewusst sein konnte, dass sich infolge seiner Alkoholisierung das Risiko strafbaren oder ordnungswidrigen Verhaltens signifikant erhöhen werde, vermag der [X.] -
entsprechend obiger Darlegungen -
nicht zu erkennen. Ob
dem Gesetz nicht vielmehr -
wie der
[X.] in seinem Urteil vom 27.
März 2003 erwogen hat -
ein gegenteiliger Be-wertungsmaßstab zu entnehmen ist, bedarf -
wie dargelegt -
hier keiner Ent-scheidung.
Hat der Tatrichter -
wie hier -
bei der Strafrahmenwahl
neben der [X.] erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit alle relevan-ten weiteren schuldmildernden Gesichtspunkte berücksichtigt, so liegt daher grundsätzlich kein Ermessensfehlgebrauch darin, dass er dem Angeklagten die fakultative Strafmilderung nach §§
21, 49 Abs.
1 StGB (oder die Annahme
eines minder schweren Falles) allein deswegen versagt, weil dieser sich schuldhaft durch Alkoholgenuss in den Zustand erheblich verminderter Schuld-fähigkeit versetzt hat.
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5. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass der beabsichtigten Ent-scheidung Rechtsprechung der anderen Strafsenate entgegensteht.
a) Das Urteil des [X.]s vom 27.
März 2003 ist von den anderen Straf-senaten unterschiedlich aufgenommen worden.
aa) Der 1.
Strafsenat ist der Ansicht des [X.]s zunächst gefolgt und hat die Versagung der Strafmilderung gebilligt, da die erheblich verminderte Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trunkenheit beruhte. Dies spreche auch ohne einschlägige Vorverurteilungen in der Regel gegen eine Verschie-bung des Strafrahmens ([X.], Urteil vom 19.
Oktober 2004 -
1 [X.], [X.], 151, 152; zuvor bereits Beschluss vom 5.
August 2003 -
1 [X.], bei [X.],
[X.] 2004, 425). Er hat indes in einer jüngeren Entschei-dung die Nichterörterung einer aufgrund von angenommener verminderter Schuldfähigkeit in Betracht kommenden Strafrahmenverschiebung beanstandet und dabei im Sinne der bisherigen Rechtsprechung ausgeführt, die Strafrah-menverschiebung könne "nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] unter Umständen dann abgelehnt werden, wenn der Täter schon [X.] unter Alkoholeinfluss straffällig geworden ist und deshalb wusste, dass er in einem solchen Zustand zu Straftaten neigt" ([X.], Beschluss vom 25.
März 2014
-
1 [X.], [X.], 238, 239).
bb) Der 2.
Strafsenat hat alsbald -
nach Aufhebung des Strafausspruchs auf Revision der Staatsanwaltschaft -
in einem Hinweis an den neuen Tatrichter ausgeführt, "dass er zu der in der Entscheidung des 3.
Strafsenats des Bun-desgerichtshofs vom 27.
März 2003 -
3
StR
435/02 geäußerten Rechtsauffas-sung ebenfalls neigt, wonach bei einer auf verschuldeter [X.] erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit eine Strafrahmenverschie-18
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bung nach §§
21, 49 Abs.
1 StGB in der Regel nicht in Betracht kommen sollte"
([X.], Urteil vom 9.
Juli 2003 -
2 StR 106/03, [X.]R StGB §
21 Strafrah-menverschiebung 32; vgl. auch Beschluss vom 10.
September 2003 -
2 StR 304/03, bei [X.] aaO, 426). In einer späteren Entscheidung hat er dies [X.] relativiert und eine gegen die Zubilligung der Strafrahmenverschiebung ge-richtete Revision der Staatsanwaltschaft verworfen. Zunächst sei "von der [X.] des Umstands auszugehen, dass eine alkoholische [X.] generell die Hemmschwelle gegenüber sozial auffälligem und aggressi-vem Verhalten zu senken pflegt. Deshalb meint der [X.], dass bei selbst zu verantwortender Trunkenheit in der Regel eine Strafrahmensenkung nicht
ge-boten ist. Diese kommt jedoch bei besonderen Umständen in der Person des [X.] oder in der Tat in Betracht. Wenn der Täter über keine Vorerfahrungen der Art verfügt, dass er persönlich unter Alkoholeinfluss zu rechtsgutsverletzen-dem Verhalten neigt, oder wenn sich für ihn zum Zeitpunkt der [X.] auch aus sonstigen Umständen
kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass es unter der Wirkung der konkreten Alkoholisierung zu Straftaten kommen könnte,
so stellt dies einen Umstand dar, der eine Strafrahmenmilderung rechtfertigen kann"
([X.], Urteil vom 15.
Februar 2006 -
2
StR
419/05, [X.]R
StGB §
21 Strafrahmenverschiebung 40).
cc) Der 5.
Strafsenat hat dem Anliegen des [X.]s, zu einer Änderung der Rechtsprechung zu kommen, grundsätzlich beigepflichtet, indes mit leich-ten Modifikationen an der alten Rechtsprechung festgehalten (vgl. [X.] aaO: "bisheriger
Rechtsprechung nicht widersprechend"). Zwar sei für die [X.] nicht mehr erforderlich, dass der Täter schon einmal unter Alkoholeinfluss vergleichbare Straftaten begangen hat. Auch müsse das [X.] nicht zu Vorstrafen oder einem Strafverfahren geführt haben. Die generelle Erhöhung des Risikos der Begehung strafbarer 22
-
12
-
Handlungen nach Alkoholgenuss sei aber für sich allein nicht ausreichend, um den Schuldgehalt des [X.] zu erhöhen und schon deshalb die
regelmäßige Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung bei selbstverschuldeter Trunkenheit zu rechtfertigen. Diese komme vielmehr nur in Betracht, "wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der [X.] von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung er-höht" habe ([X.], Urteil vom 17.
August 2004 -
5
[X.], [X.]St 49, 239). Die risikoerhöhenden persönlichen Verhältnisse könnten beispielsweise in der Neigung zu Aggressionen oder Gewalttätigkeiten unter Alkoholeinfluss beste-hen, die der [X.] etwa in der Alkoholaufnahme in gewaltbereiten [X.] oder gewaltgeneigten Situationen ([X.], Urteil vom 11.
Juni 2008 -
5
StR 612/07, [X.], 619, 620). Bei bislang nicht bestraften und auch sonst un-auffälligen Tätern sei das Straftatenrisiko nicht signifikant erhöht ([X.], Urteil vom 29.
Oktober 2008 -
5 [X.], [X.], 202, 203; Urteil vom 7.
Mai 2009 -
5 [X.], [X.], 496, 497). Gleiches gelte, wenn die neue Tat in eine gänzlich andere Richtung weise als die früheren unter Alkoholeinfluss [X.] Taten ([X.], Beschluss vom 13.
Januar 2010 -
5 [X.], [X.], 234, 235) oder wenn gleichartige Kriminalität schon mehr als zehn Jahre zurückliege ([X.], Beschluss vom 10.
März 2010 -
5 [X.], juris Rn.
10).
dd) Der 4.
Strafsenat hat sich der Rechtsprechung des 5.
Strafsenats angeschlossen und in Fällen, in denen der Angeklagte bislang niemals unter Alkoholeinfluss aggressiv war ([X.], Urteil vom 15.
Dezember 2005 -
4 [X.], [X.], 274) bzw. nicht wegen eines Gewaltdelikts verurteilt war ([X.], Urteil vom 23.
Februar 2006 -
4 [X.], [X.], 185, 186) eine signifikante Risikoerhöhung verneint.
23
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13
-

ee) Der [X.] selbst war nach seiner Entscheidung vom 27.
März 2003 nur mit Fallgestaltungen befasst, in denen die zur verminderten Schuldfähigkeit führende Trunkenheit vom Angeklagten jeweils nicht verschuldet war, weil die-ser entweder alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich war ([X.], Beschluss vom 16.
Januar
2008 -
3 [X.], [X.],
330) oder eine solche Kons-tellation vom Tatrichter hätte erörtert werden müssen ([X.], Urteil vom 12.
Juni 2008 -
3 [X.], [X.], 258; Beschluss vom 2.
August 2012 -
3 [X.], [X.] 2012, 687).
b) Danach könnte
die Rechtsprechung der anderen Strafsenate dahin verstanden werden, dass sie es grundsätzlich für ermessensfehlerhaft halten, wenn der Tatrichter bei sonst [X.] Würdigung eine Strafrah-menverschiebung nach §§
21, 49 Abs.
1 StGB allein mit der
Begründung ab-lehnt, die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit beruhe auf dessen Trunkenheit, die er aber durch zu verantwortendes [X.] schuldhaft selbst herbeigeführt habe, und nicht gleichzeitig festgestellt ist, dass dem Angeklagten zumindest bewusst sein konnte, dass sich infolge seiner Alkoholisierung das Risiko strafbaren Verhaltens erhöhen werde.
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14
-
II[X.] Der [X.] fragt daher bei den anderen Strafsenaten an, ob ihre Rechtsprechung in diesem Sinne zu verstehen ist und -
sollte dies der Fall sein
-
ob an dieser Rechtsprechung festgehalten wird (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG).
Becker [X.] Mayer

Gericke Spaniol
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Meta

3 StR 63/15

15.10.2015

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.10.2015, Az. 3 StR 63/15 (REWIS RS 2015, 3860)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3860

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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