Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.10.2019, Az. 2 AZR 489/18

2. Senat | REWIS RS 2019, 2235

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 10. Januar 2018 - 5 [X.]/17 - insoweit aufgehoben, wie das [X.] seine Berufung gegen das den Feststellungsantrag abweisende Urteil des [X.] vom 14. Juni 2017 - 22 [X.]/16 - zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten zuletzt nur noch über den Zeitpunkt der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.

2

Der im Jahr 1953 geborene Kläger war bei der [X.] bzw. ihren [X.] seit 1994 als Hafenarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden nach den Angaben im Berufungsurteil der Rahmentarifvertrag für die Hafenarbeiter der [X.] Seehafenbetriebe (im [X.]) und die dazu jeweils abgeschlossenen Sonderbestimmungen Anwendung.

3

Im [X.], gültig ab 1. April 1992 idF vom 13. September 2001, abgeschlossen zwischen dem Zentralverband der [X.] Seehafenbetriebe e.V. und [X.] - [X.], heißt es ua.:

        

„§ 19 Soziale Regelungen bei betrieblichen Veränderungen

        

1. In Betrieben mit in der Regel mehr als 20 Beschäftigten, in denen grundlegende arbeitsorganisatorische Maßnahmen oder grundlegende Veränderungen der Arbeitstechnik zu nicht unerheblichen Nachteilen für wesentliche Teile der Belegschaft führen können, sind Maßnahmen nach Maßgabe der folgenden Ziffern zu ergreifen.

        

…       

                 
                 
        

5. Endet das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Maßnahme gemäß Ziff. 1, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Abfindung, deren Höhe zwischen Betriebsrat und Geschäftsleitung zu vereinbaren ist.

        

Die Beträge aus diesen Abfindungen können auf Abfindungssummen aus Sozialplänen bzw. zugesprochenen Abfindungen aus arbeitsgerichtlichen Urteilen, die im Zusammenhang mit dem Verlust des Arbeitsverhältnisses stehen, angerechnet werden.

        

6. Vereinbarungen, die bei Abschluss dieses Tarifvertrages günstigere Regelungen zum Inhalt haben, gelten weiterhin fort.

        

Unbeschadet der oben genannten Regelungen bleiben die Rechte der Betriebsräte aus dem [X.] unberührt, insbesondere sind weitergehende sowie positivere Regelungen in Betriebsvereinbarungen weiterhin zulässig.

        

…       

        

§ 21 Kündigung

        

1. Zwischen dem [X.] und dem Hafeneinzelbetrieb sowie zwischen dem Gesamthafenarbeiter und dem zuständigen Verwaltungsträger des Gesamthafenbetriebes beträgt die Kündigungsfrist für beide Seiten 4 Wochen.

        

Hat das Arbeitsverhältnis einschließlich der Ausbildungszeit bei demselben Arbeitgeber 5 Jahre bestanden, so erhöht sich diese Kündigungsfrist auf einen Monat zum Monatsende.

        

Hat das Arbeitsverhältnis einschließlich der Ausbildungszeit bei demselben Arbeitgeber 10 Jahre bestanden, so erhöht sich diese Kündigungsfrist auf 3 Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres.

        

Hat das Arbeitsverhältnis einschließlich der Ausbildungszeit 15 Jahre bei demselben Arbeitgeber bestanden, beträgt diese Kündigungsfrist 6 Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres; hat das Arbeitsverhältnis einschließlich der Ausbildungszeit 15 Jahre bei demselben Arbeitgeber bestanden und hat der Hafenarbeiter das 50. Lebensjahr vollendet, beträgt diese Kündigungsfrist 9 Monate zum Ende eines Kalenderhalbjahres.

        

Bei Anwendung von Sozialplänen regeln sich die Kündigungsfristen nach Abs. 2 dieser Ziffer.“

4

Die Beklagte legte den Terminalbetrieb zum 31. Dezember 2016 still und kündigte allen beschäftigten Arbeitnehmern - auch dem Kläger - mit Schreiben vom 24. November 2016, welches dem Kläger noch im selben Monat zuging, betriebsbedingt zu diesem Termin. Zuvor hatte im September 2016 die Einigungsstelle einen Sozialplan beschlossen. Ein auf die Feststellung der Unwirksamkeit des [X.] gerichteter Antrag des Betriebsrats ist erfolglos geblieben (vgl. [X.] 7. Mai 2019 - 1 ABR 54/17 -).

5

Der Kläger hat die Regelung über die verkürzte Kündigungsfrist in § 21 Ziff. 1 Abs. 5 [X.] für unwirksam gehalten. Daher gelte die verlängerte Kündigungsfrist des § 21 Ziff. 1 Abs. 4 [X.] zum 31. Dezember 2017, hilfsweise die Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB in der bis zum 31. Dezember 2018 geltenden Fassung (im Folgenden aF; nunmehr § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB) zum 30. Juni 2017.

6

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bis zum 31. Dezember 2017, äußerst hilfsweise bis zum 30. Juni 2017 fortbestand.

7

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, § 21 Ziff. 1 Abs. 5 [X.] verstoße nicht gegen höherrangiges Recht.

8

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren in dem vorgenannten Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das [X.] die Berufung des [X.] gegen das die Klage abweisende erstinstanzliche Urteil nicht zurückweisen. Ob das Arbeitsverhältnis der [X.]en bis zum 31. Dezember 2017 oder jedenfalls bis zum 30. Juni 2017 bestanden hat, kann der [X.] nicht selbst entscheiden. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

I. Die Annahme des [X.]s, das Arbeitsverhältnis der [X.]en sei mit der kurzen Kündigungsfrist des § 21 Ziff. 1 Abs. 5 [X.] beendet worden, wird von seinen tatsächlichen Feststellungen nicht getragen und erweist sich deshalb als rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht hat zum [X.]eltungsgrund des [X.] weder eigene Feststellungen getroffen noch diesbezüglichen Vortrag der [X.]en im Tatbestand seines Urteils wiedergegeben. Vielmehr ist es begründungslos von seiner Anwendbarkeit auf das Arbeitsverhältnis der [X.]en ausgegangen. Ein [X.]eltungsgrund für den [X.] ist - ohne dass es darauf ankäme - auch aus den Vorakten nicht ersichtlich.

II. [X.] ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO), da der [X.] nicht selbst entscheiden kann (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO). Zwar hat die Beklagte im Revisionsverfahren unter Bezugnahme auf den schriftlichen Arbeitsvertrag des [X.] behauptet, der [X.] finde auf das Arbeitsverhältnis der [X.]en kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Darüber hinaus habe im Kündigungszeitpunkt eine beiderseitige Tarifbindung nach § 3 [X.] bestanden. Dieser neue Sachvortrag kann aber im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung finden.

1. Nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterliegt der Beurteilung des [X.] nur dasjenige [X.]vorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Die Vorschrift des § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist zwar einschränkend dahin auszulegen, dass in bestimmtem Umfang auch Tatsachen, die erst während des Revisionsverfahrens oder nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz eingetreten sind, in die Urteilsfindung einfließen können, soweit sie unstreitig sind oder ihr Vorliegen in der Revisionsinstanz ohnehin von Amts wegen zu beachten ist und schützenswerte Belange der [X.]egenseite nicht entgegenstehen (vgl. [X.] 24. Januar 2006 - 3 [X.] - Rn. 24; [X.] 23. September 2014 - VI ZR 358/13 - Rn. 21, [X.]Z 202, 242). Tatsachen, die bereits vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz entstanden sind und von einer [X.] erst während des Revisionsverfahrens vorgetragen werden, können vom Revisionsgericht jedoch nicht berücksichtigt werden (vgl. [X.] 14. August 2019 - IV ZR 279/17 - Rn. 34; 2. März 2017 - I ZR 273/14 - Rn. 44; zu einer Revisionsbegründung, die ausschließlich auf neue Tatsachen gestützt wird, die nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht entstanden sind [X.] 16. April 2015 - 6 [X.] - Rn. 15 f.).

2. Der [X.] muss nicht darüber befinden, ob neues Vorbringen bereits zuvor bestehender Tatsachen in der Revision dann Berücksichtigung finden kann, wenn es unstreitig oder seine Richtigkeit offenkundig ist (vgl. zuletzt [X.] 7. Dezember 2016 - 4 [X.] - Rn. 32; 15. April 2014 - 3 [X.] - Rn. 51; für das Rechtsbeschwerdeverfahren vgl. [X.] 26. April 2005 - 1 [X.] - zu [X.] b der [X.]ründe, [X.]E 114, 272). Die [X.]en haben in der Revisionsinstanz die [X.]eltung des [X.] für ihr Arbeitsverhältnis nicht unstreitig gestellt.

a) Die Beklagte hat im Rahmen einer umfangreichen Argumentation ausgeführt, warum Nr. 3 des erstmalig im Revisionsverfahren vorgelegten Arbeitsvertrags, der zwischen dem Kläger und einer „[X.] [X.]mbH“ abgeschlossen wurde, nach Betriebsübergang auf ein weiteres Unternehmen, späterer Verschmelzung mit weiterem Betriebsübergang auf ein drittes Unternehmen und Umfirmierung, nunmehr eine dynamische Bezugnahme auf den [X.] für das Arbeitsverhältnis der [X.]en darstellen soll. Ferner hat die Beklagte ebenfalls erstmalig im Revisionsverfahren eine beiderseitige Tarifbindung der [X.]en nach § 3 [X.] im Kündigungszeitpunkt behauptet.

b) Diesbezüglich und auch zur Frage, ob der [X.] der für das Arbeitsverhältnis „einschlägige“ Tarifvertrag ist, handelt es sich durchweg um neuen Vortrag, dem kein Vortrag des [X.] entspricht, der ein Unstreitigstellen dieser Tatsachen nahelegen würde. Der Kläger hat sich hierzu nicht geäußert.

III. Die Frage der Anwendbarkeit des [X.] im Arbeitsverhältnis der [X.]en kann nicht dahinstehen. Falls dieser Tarifvertrag zwischen den [X.]en gölte, hätte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aufgrund der Regelung in § 21 Ziff. 1 Abs. 5 [X.] mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende kündigen können. Die Voraussetzungen des § 21 Ziff. 1 Abs. 5 [X.] liegen vor. Die Regelung ist auch wirksam und verstößt insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 [X.][X.] oder §§ 1, 7 A[X.][X.]. Dies hat der [X.] in seiner am selben Tag ergangenen Entscheidung im Einzelnen begründet (- 2 [X.] - Rn. 17 bis Rn. 58), worauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.

1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21 Ziff. 1 Abs. 5 iVm. Abs. 2 [X.] sind erfüllt. Der nach § 112 Abs. 4 Satz 1 BetrV[X.] durch [X.] vom 14. September 2016 zustande gekommene Sozialplan ist wirksam ([X.] 7. Mai 2019 - 1 [X.] - Rn. 13 ff.). Der Kläger unterliegt dessen persönlichem [X.]eltungsbereich nach § 1 Abs. 1 des Sozialplans. Er stand bei Abschluss des Sozialplans in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten und ist von der Betriebsstilllegung betroffen. Die Regelung in § 1 Abs. 2 des Sozialplans schränkt nicht dessen [X.]eltungsbereich ein, sondern schließt Leistungen für bestimmte Arbeitnehmer aus, die dem [X.]eltungsbereich unterfallen.

2. Sollte der [X.] auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sein, erwiese sich der Hauptantrag des [X.] als unbegründet, mit dem er die Einhaltung der verlängerten tarifvertraglichen Kündigungsfrist nach § 21 Ziff. 1 Abs. 4 Halbs. 2 [X.] begehrt. Insoweit ist die Regelung in § 21 Ziff. 1 Abs. 5 iVm. Abs. 2 [X.] wirksam und verkürzt die tarifliche Kündigungsfrist auf einen Monat zum Monatsende. Es läge auch eine wirksame abweichende Regelung iSv. § 622 Abs. 4 B[X.]B vor.

IV. Für das weitere Verfahren wird das Berufungsgericht Folgendes zu beachten haben:

Das [X.] hat Feststellungen zur Anwendbarkeit des [X.] im Arbeitsverhältnis der [X.]en zu treffen. Das insoweit neue Vorbringen der Beklagten hierzu ist vom Berufungsgericht zu berücksichtigen, da die [X.]en nach dessen Rechtsauffassung keinen Anlass hatten, bestimmte Tatsachen vorzutragen, auf die es aber nach der Rechtsansicht des [X.] ankommt (vgl. [X.] 29. Januar 2014 - 6 [X.] - Rn. 66, [X.]E 147, 172). Zu dem ergänzenden Vorbringen ist den [X.]en durch die Zurückverweisung der Sache [X.]elegenheit zu geben ([X.]MP/Müller-[X.]löge 9. Aufl. § 74 Rn. 121). Dabei wird das [X.] zu berücksichtigen haben, dass - soweit dies als [X.]eltungsgrund des [X.] von der Beklagten benannt werden sollte - der undatierte, nach Angaben der Beklagten aus dem [X.] stammende Arbeitsvertrag nicht zwischen den [X.]en abgeschlossen wurde, sondern die Beklagte im Revisionsverfahren einen Betriebsübergang, eine Umfirmierung und eine Verschmelzung mit einem weiteren Betriebsübergang behauptet. Ferner bedarf Nr. 3 des Arbeitsvertrags der Auslegung, welcher Tarifvertrag damit in Bezug genommen wurde bzw. ob sich aus Nr. 4 des Arbeitsvertrags eine eigenständige Kündigungsfristenregelung ergibt. Schließlich ist den [X.]en [X.]elegenheit zu geben, zu einer Tarifbindung gemäß § 3 [X.] vorzutragen.

        

    Koch    

        

    Niemann    

        

    Schlünder    

        

        

        

    [X.]    

        

    Prinz    

                 

Meta

2 AZR 489/18

24.10.2019

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Hamburg, 14. Juni 2017, Az: 22 Ca 353/16, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.10.2019, Az. 2 AZR 489/18 (REWIS RS 2019, 2235)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2235

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.