Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.12.2013, Az. B 11 AL 5/13 B

11. Senat | REWIS RS 2013, 190

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Revisionszulassung - Verfahrensfehler - Verletzung des rechtlichen Gehörs - erheblicher Grund zur Aufhebung des Termins der mündlichen Verhandlung - Verhandlungsunfähigkeit


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 11. Dezember 2012 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme der [X.]ewilligung von Arbeitslosenhilfe ([X.]) für verschiedene Zeiträume im Jahre 2004 sowie die damit verbundene Erstattungsforderung der [X.]eklagten in Höhe von 3809,62 Euro.

2

Der Widerspruch und die Klage sind ohne Erfolg geblieben. Im [X.]erufungsverfahren hat das [X.] ([X.]) dem Kläger, der zunächst durch die Rechtsanwälte S. und E. vertreten worden ist, mit [X.]eschluss vom 4.11.2010 Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt und Rechtsanwalt [X.] beigeordnet. Mit Schreiben vom [X.] hat Rechtsanwalt [X.], der ein Aufklärungsschreiben sowie Anfragen des [X.] nicht beantwortet hatte, dem [X.] mitgeteilt, es seien sämtliche Mandate "durch den Kläger gekündigt worden" und er beantrage Kostenerstattung. Nach Erstattung der von [X.] geltend gemachten Kosten hat das [X.] den Kläger mit Verfügung vom 5.11.2012 zum Verhandlungstermin am 11.12.2012 geladen. Nach einem schriftlichen Antrag des [X.] vom 8.11.2012 auf "gerichtliche Fachanwaltsbeiordnung" sowie Ruhen des Verfahrens hat der Vorsitzende des zuständigen Senats des [X.] den Kläger darauf hingewiesen, es bestehe unter den gegebenen Umständen (PKH-[X.]ewilligung, [X.]eiordnung, Kündigung sämtlicher Mandate) "kein Anlass zum Tätigwerden des Senats im Hinblick auf eine Vertretung des [X.]" und kein Anlass für eine "[X.] des Verfahrens". Nachdem der Kläger in einem Schreiben vom 13.11.2012 ua auf bereits vorgelegte ärztliche Atteste, eine sich daraus ergebende Reise- und Verhandlungsunfähigkeit sowie auf die "vertragswidrige völlige Untätigkeit" des Rechtsanwalts [X.] hingewiesen hatte, hat der Vorsitzende dem Kläger unter dem 16.11.2012 ua mitgeteilt, es bleibe bei dem anberaumten Termin vom 11.12.2012 und es könne auch im Falle seines Ausbleibens [X.]eweis erhoben, verhandelt und entschieden werden. Auf ein weiteres Schreiben des [X.] vom 23.11.2012 hat der Vorsitzende dem Kläger mit Schreiben vom 29.11.2012 erneut mitgeteilt, es bestehe kein Anlass, den anberaumten Termin aufzuheben.

3

Das [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 11.12.2012, in der für den Kläger niemand erschienen ist, die [X.]erufung des [X.] gegen die erstinstanzliche Entscheidung durch Urteil zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das [X.] ua ausgeführt, der Senat habe trotz Abwesenheit des [X.] entscheiden können, weil auf diese Möglichkeit in der Terminsmitteilung hingewiesen worden sei. In der Sache sei die [X.]erufung unbegründet, weil die Gewährung von [X.] für die streitigen Zeiträume von Anfang an rechtswidrig gewesen und die Rücknahme der Leistungsgewährung verfahrensfehlerfrei erfolgt sei.

4

Mit der [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG), § 62 Sozialgerichtsgesetz ([X.]), § 202 [X.] iVm § 227 Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO). Das [X.] habe den Antrag auf Terminsverlegung abgelehnt, obwohl erhebliche Gründe iS des § 227 Abs 1 S 1 ZPO geltend gemacht worden seien und vorgelegen hätten. Da ihm die Möglichkeit genommen worden sei, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, sei davon auszugehen, dass die Verletzung des rechtlichen Gehörs die ergangene Entscheidung beeinflusst habe.

5

II. [X.] ist zulässig. Ihre [X.]egründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 [X.].

6

In der [X.]eschwerdebegründung wird ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.] schlüssig bezeichnet. Der [X.]eschwerdeführer hat die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen - insbesondere den wesentlichen Ablauf des [X.]erufungsverfahrens, die Anträge des [X.] auf erneute [X.]eiordnung eines Rechtsanwalts und auf Aufhebung bzw Verlegung des anberaumten [X.] - substantiiert dargelegt (vgl [X.] § 160a [X.]). [X.] ist auch, dass die angefochtene Entscheidung des [X.] auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer [X.]eeinflussung des Urteils besteht (vgl [X.] § 160a [X.]6).

7

[X.] ist auch begründet. Der gerügte Verfahrensmangel liegt tatsächlich vor und die angefochtene Entscheidung kann auf ihm beruhen.

8

Das [X.] hat mit seiner Vorgehensweise den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör iS des § 62 [X.] und des Art 103 Abs 1 GG verletzt. Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs macht es erforderlich, den an einem gerichtlichen Verfahren [X.]eteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Zwar ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 S 1 [X.]), der [X.]eteiligte ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Termin eröffnet wird; jedoch muss ein Termin zur mündlichen Verhandlung gemäß § 202 [X.] iVm § 227 Abs 1 S 1 ZPO bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden (vgl ua [X.]eschluss des Senats vom 21.7.2005 - [X.]/11 AL 261/04 [X.] - juris, mwN). Diese Verpflichtung hat das [X.] unter den gegebenen Umständen verletzt.

9

Offen bleiben kann, ob bereits die Ladung zum Termin am 11.12.2012 unwirksam gewesen ist, weil die Terminsmitteilung nur dem Kläger selbst und nicht den noch legitimierten Rechtsanwälten S. und E. und auch nicht dem noch nicht von der [X.]eiordnung entbundenen Rechtsanwalt [X.] zugeleitet worden ist (vgl [X.]SG, [X.]eschluss vom [X.] - [X.] 13 R 115/10 [X.] - Juris). Jedenfalls haben erhebliche Gründe iS des § 227 Abs 1 S 1 ZPO vorgelegen, die dem [X.] Anlass zu einer Aufhebung des anberaumten Termins geben mussten. Der Kläger hat in nachvollziehbarer Weise auf bereits vorliegende Atteste und eine sich daraus ergebende Reise- und Verhandlungsunfähigkeit hingewiesen. Deshalb hätte das [X.], das den Kläger nicht ausdrücklich aufgefordert hat, bezüglich der ärztlichen Unterlagen seinen Vortrag zu ergänzen, den Termin im Hinblick auf die geltend gemachte Verhandlungsunfähigkeit aufheben müssen (vgl [X.]SG, [X.]eschluss vom 7.7.2011 - [X.] 14 [X.]/11 [X.] - Juris). Es ist deshalb nicht näher darauf einzugehen, dass der Kläger Umstände vorgetragen hat, die dafür sprechen, in der Mandatskündigung gegenüber Rechtsanwalt [X.] kein missbräuchliches Verhalten zu sehen, weshalb auch von einer Verpflichtung des [X.] auszugehen sein dürfte, vor Durchführung eines Termins die Frage der erneuten [X.]eiordnung eines Rechtsanwalts näher zu prüfen.

Nach der Rechtsprechung des [X.]SG ist wegen des besonderen Rechtswertes der mündlichen Verhandlung im Allgemeinen davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst hat (vgl ua [X.]SG, Urteile vom [X.] - [X.] 9 VJ 1/02 R - und vom 12.2.2003 - [X.] 9 S[X.] 5/02 R - jeweils Juris). Unabhängig davon ist nicht auszuschließen, dass die Entscheidung des [X.] anders ausgefallen wäre, wenn der Kläger Gelegenheit gehabt hätte, sich in der mündlichen Verhandlung zu den rechtlichen und tatsächlichen Aspekten des zu entscheidenden Falles zu äußern.

Der Senat macht von der bei [X.] iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.] in § 160a Abs 5 [X.] eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Das [X.] wird auch über die Kosten des [X.]eschwerdeverfahrens zu befinden haben.

Meta

B 11 AL 5/13 B

17.12.2013

Bundessozialgericht 11. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Lüneburg, 20. Januar 2009, Az: S 18 AL 63/08

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, § 227 Abs 1 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.12.2013, Az. B 11 AL 5/13 B (REWIS RS 2013, 190)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 190

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 2 U 21/18 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verletzung des rechtlichen Gehörs - Antrag auf Verlegung …


B 2 U 19/18 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verletzung des rechtlichen Gehörs - Antrag auf Verlegung …


B 1 KR 56/23 BH (Bundessozialgericht)


B 1 KR 55/23 BH (Bundessozialgericht)


B 2 U 20/18 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verletzung des rechtlichen Gehörs - Antrag auf Verlegung …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.