Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.01.2013, Az. EnZR 16/12

Kartellsenat | REWIS RS 2013, 8605

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Gegenstand

Energiewirtschaft: Verwirkung des Rückforderungsanspruchs von überhöhten Netznutzungsentgelten


Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Kartellsenats des [X.] vom 22. Februar 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die gerichtliche Bestimmung des angemessenen [X.] für den Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 28. Oktober 2005 und Rückzahlung zu viel gezahlten Entgelts.

2

Die Klägerin, eine Stromhändlerin und -lieferantin, nutzte seit Januar 2002 das Netz der [X.] zu 1, das diese zum 1. Januar 2005 an die Beklagte zu 2 verpachtete. Grundlage der Netznutzung war ein Lieferanten-Rahmenvertrag vom 7./27. März 2003, der rückwirkend zum 1. Januar 2002 in [X.] trat und in Ziffer 9 ein einseitiges [X.] und [X.] der [X.] enthielt. Mit Schreiben vom 6. März 2003 teilte die Klägerin der [X.] zu 1 mit, dass die Zahlung der Netznutzungsentgelte unter dem Vorbehalt der vollständigen oder teilweisen Rückforderung für den Fall stehe, "dass die in Rechnung gestellten Netznutzungsentgelte unter Berücksichtigung diesbezüglicher Verwaltungs- oder Rechtsverfahren nachweislich der Höhe nach unangemessen oder aus anderen Gründen missbräuchlich sind". Mit Schreiben vom 27. März 2003 bestätigte die Beklagte zu 1, den Vorbehalt zur Kenntnis genommen zu haben. Die jeweiligen Jahresabrechnungen erfolgten zusammen mit der Abschlagsrechnung für den Monat Dezember im Januar des Folgejahres. Die Klägerin zahlte die von den [X.] - aufgrund der jeweils zum Jahresbeginn herausgegebenen [X.] - geforderten Entgelte.

3

Mit Schreiben vom 13. November bzw. 22. Dezember 2008 forderte die Klägerin von den [X.] die Rückzahlung überhöhter Netznutzungsentgelte, und zwar für die Jahre 2003 bis 2006 Beträge von 239.091,36 €, 181.544,49 €, 123.018,59 € bzw. 129.046,98 €. Die Beträge für die Jahre 2003 bis 2005 machte sie noch im Dezember 2008 im Wege des Mahnverfahrens geltend. Nach Übergang ins streitige Verfahren hat die Klägerin die Klageforderung neu berechnet und in der Berufungsinstanz auf den Zeitraum bis 28. Oktober 2005 beschränkt. Sie begehrt nunmehr von der [X.] zu 1 die Rückzahlung von 463.033,21 € nebst Zinsen, d.h. für das [X.] einen Betrag von 253.284,12 € und für das [X.] einen Betrag von 209.749,09 €, und von der [X.] zu 2 für den Zeitraum vom 1. Januar bis 28. Oktober 2005 die Rückzahlung von 105.816,48 € nebst Zinsen.

4

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

7

Die Klägerin habe einen ihr zustehenden Rückzahlungsanspruch verwirkt. Ein Recht sei verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere [X.] verstrichen sei und der Verpflichtete sich im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet habe, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde. Diese Voraussetzungen lägen vor.

8

Die Klägerin habe lediglich im März 2003 einen sehr allgemein gehaltenen Vorbehalt erklärt, diesen aber bis zu den Schreiben vom November/Dezember 2008 nicht weiterverfolgt. Sie habe auch die grundlegende Entscheidung des [X.] vom 18. Oktober 2005 oder die erste Regulierungsentscheidung gegen die Beklagte zu 2 nicht zum Anlass genommen, einen Rückforderungsanspruch geltend zu machen. Die [X.] hätten aus der Untätigkeit der Klägerin schließen können, dass diese als Tochter der [X.] wie auch deren Schwesterunternehmen ihrerseits Netzbetreiber seien und deshalb von [X.] abgesehen hätten, um nicht ihrerseits solche gegen sie und ihre Schwesterunternehmen gerichtete Ansprüche auszulösen. Aufgrund dessen sei das [X.]moment erfüllt, auch wenn die [X.] für die Jahre 2004 und 2005 erst im jeweiligen Folgejahr entstanden seien und daher bis zur Geltendmachung nur knapp zwei bzw. drei Jahre vergangen seien.

9

Die Beklagte habe sich aufgrund des Verhaltens der Klägerin berechtigterweise darauf eingestellt, von ihr nicht auf Rückzahlung in Anspruch genommen zu werden. Die Beklagte habe unwidersprochen vorgetragen, dass sie bzw. ihre Schwestergesellschaften bei frühzeitiger Geltendmachung von [X.]n durch die Klägerin ihrerseits [X.] gegen die Klägerin bzw. deren Schwestergesellschaften angemeldet hätten. Daran seien sie nun gehindert, weil ein erhebliches Verjährungsrisiko bestehe.

II.

Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass die von der [X.] verlangten Netznutzungsentgelte gemäß § 315 BGB auf ihre Billigkeit hin zu überprüfen sind. Nach der Rechtsprechung des Senats steht dem Netzbetreiber in dem hier maßgeblichen [X.]raum bei der Bestimmung des [X.] im Falle einer entsprechenden vertraglichen Gestaltung ein vertragliches oder nach § 6 Abs. 1 [X.] 1998 ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht zu, das er regelmäßig nach billigem Ermessen auszuüben hat und das hinsichtlich der Billigkeit seiner Bestimmung der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt (vgl. Senatsurteil vom 20. Juli 2010 - [X.] 23/09, [X.], 385 Rn. 17 - [X.]). Dies ist hier der Fall.

2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich auf Grundlage seiner Feststellungen eine Verwirkung des Rückzahlungsanspruchs der Klägerin nicht bejahen.

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] ist ein Recht verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere [X.] verstrichen ist ([X.]moment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 6. März 1986 - [X.], [X.]Z 97, 212, 220 f., vom 20. Oktober 1988 - [X.], [X.]Z 105, 290, 298 und vom 20. Juli 2010 - [X.] 23/09, [X.], 385 Rn. 20 - [X.], jeweils mwN). Unterliegt ein Rückforderungsanspruch der (kurzen) regelmäßigen Verjährung von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB), kann eine weitere Abkürzung dieser Verjährungsfrist durch Verwirkung nur noch unter ganz besonderen Umständen angenommen werden (vgl. Senatsurteil vom 20. Juli 2010 - [X.] 23/09, [X.], 385 Rn. 22 - [X.]; [X.], Urteil vom 11. Oktober 2012 - [X.], [X.], 3569 Rn. 20). Denn dem Gläubiger soll die [X.] grundsätzlich ungekürzt erhalten bleiben, um ihm die Möglichkeit zur Prüfung und Überlegung zu geben, ob er einen Anspruch gerichtlich geltend macht.

b) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen der Verwirkung zu Unrecht bejaht. Es hat insbesondere nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Verwirkung eines der [X.] unterliegenden Anspruchs nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden kann. Solche Umstände liegen auf Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor.

Es ist bereits ohne Belang, dass die Klägerin nur im März 2003 einen sehr allgemein gehaltenen Vorbehalt erklärt hat und diesen weder gegenüber der [X.] zu 1 noch gegenüber der [X.] zu 2 wiederholt hat. Ein solcher Vorbehalt kann lediglich dazu führen, bei dem Schuldner des [X.] gar nicht erst den Eindruck entstehen zu lassen, der Gläubiger habe von einer Überprüfung der [X.] Abstand genommen (vgl. Senatsurteil vom 20. Juli 2010 - [X.] 23/09, [X.], 385 Rn. 23 f. - [X.]). Aus seinem Unterbleiben oder einer fehlenden Wiederholung kann jedoch nicht positiv der Schluss gezogen werden, der Gläubiger wolle einen Rückforderungsanspruch nicht mehr geltend machen.

Zu große Bedeutung hat das Berufungsgericht ferner dem Umstand beigemessen, dass die Klägerin das Senatsurteil vom 18. Oktober 2005 ([X.], [X.]Z 164, 336 - Stromnetznutzungsentgelt I) und die weiteren Entscheidungen des Senats zur Überprüfbarkeit von Netznutzungsentgelten (vgl. Senatsurteile vom 7. Februar 2006 - [X.], [X.]/[X.] 1730 Rn. 13 - Stromnetznutzungsentgelt II und vom 4. März 2008 - [X.], [X.]/[X.] 2279 Rn. 21 - Stromnetznutzungsentgelt III) nicht zum Anlass für eine - umgehende - Geltendmachung von Rückzahlungsbegehren genommen hat. Auch im Hinblick auf diese Entscheidungen durfte die Klägerin grundsätzlich die mit der [X.] verbundene Überlegungsfrist voll ausschöpfen. Ein besonderer Umstand, der die Einrede der Verwirkung begründen könnte, liegt darin nicht.

Schließlich hat das Berufungsgericht auch zu Unrecht einen ganz besonderen Umstand für die Annahme einer Verwirkung darin gesehen, dass die Beklagte bei frühzeitiger Geltendmachung von [X.]n durch die Klägerin ihrerseits [X.] gegen die Klägerin bzw. deren Schwestergesellschaften angemeldet hätte und sie nunmehr an der Verfolgung eigener Ansprüche gehindert sei. Soweit das Berufungsgericht dies mit einem - nunmehr bestehenden - erheblichen Verjährungsrisiko begründet, hat es die Vorschrift des § 215 BGB unbeachtet gelassen. Dass bei der [X.] aufgrund des [X.]ablaufs ein Verlust von Beweismitteln oder Belegen eingetreten ist oder dies droht, hat sie nicht vorgetragen. Aufgrund dessen kann nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht davon ausgegangen werden, dass für die Beklagte mit der verzögerten Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs eine mit Treu und Glauben unvereinbare Härte verbunden ist.

III.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Bornkamm                               Raum                            Strohn

                      Grüneberg                          Bacher

Meta

EnZR 16/12

29.01.2013

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Urteil

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 22. Februar 2012, Az: VI-2 U (Kart) 3/11, Urteil

§ 242 BGB, § 315 BGB, § 6 Abs 1 EnWG vom 29.10.2001

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.01.2013, Az. EnZR 16/12 (REWIS RS 2013, 8605)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8605

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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