Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2022, Az. 3 StR 121/22

3. Strafsenat | REWIS RS 2022, 7128

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Gegenstand

Gerichtszuständigkeit für die Verbindung von Strafsachen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. Januar 2022, soweit es ihn [X.]etrifft,

a) dahin geändert, dass der Angeklagte des [X.]esonders schweren Rau[X.]es in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Besitz von Betäu[X.]ungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist und seine Unter[X.]ringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wird;

[X.]) aufgeho[X.]en

aa) in [X.] 4. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen;

[X.][X.]) im Ausspruch ü[X.]er die Einzelstrafe zu [X.] 1. der Urteilsgründe und ü[X.]er die Gesamtstrafe; jedoch [X.]lei[X.]en die jeweils zugehörigen Feststellungen [X.]estehen.

2. Im Umfang der Aufhe[X.]ung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen

a) hinsichtlich [X.] 4. der Urteilsgründe an das Amtsgericht - Schöffengericht - [X.],

[X.]) im Ü[X.]rigen an eine andere Strafkammer des [X.], die auch ü[X.]er die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden hat.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen eines in [X.] begangenen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ([X.] 1. der Urteilsgründe) sowie wegen einer in Ü.             begangenen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis ([X.]) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet; von der Bestimmung eines vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe hat es abgesehen.

2

Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der nicht ausgeführten Rüge formellen Rechts und der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

3

1. Die Verurteilung des Angeklagten in Bezug auf [X.] kann nicht bestehen bleiben, weil das [X.] für die Entscheidung sachlich nicht zuständig war. Dieser Mangel ist gemäß § 6 StPO vom [X.] wegen zu beachten (vgl. [X.], Beschlüsse vom 3. Mai 1990 - 4 [X.], [X.]R StPO § 4 Verbindung 3; vom 1. Dezember 2005 - 4 [X.], juris Rn. 3).

4

Die Staatsanwaltschaft [X.] hatte wegen dieser Tat Anklage zum Amtsgericht - Schöffengericht - [X.] erhoben, das sie zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet hatte. Nachdem die Vorsitzende des Schöffengerichts erfahren hatte, dass gegen den Angeklagten ein Verfahren vor dem [X.] [X.] anhängig war und Bereitschaft bestand, das Verfahren "zu übernehmen", hat sie es dorthin abgegeben. Durch Beschluss vom 19. April 2021 hat das [X.] dieses zu dem bei sich anhängigen Verfahren verbunden.

5

Dieser Verbindungsbeschluss ist unwirksam, da er nicht von dem hierfür zuständigen Gericht erlassen worden ist. Die Verbindung von Strafsachen, die nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betrifft, kann nicht durch eine Vereinbarung der beteiligten Gerichte nach § 13 Abs. 2 Satz 1 StPO vorgenommen werden. Eine solche Verbindung kann vielmehr in den Fällen, in denen - wie im vorliegenden Fall - die verschiedenen Gerichte nicht alle zu dem Bezirk des ranghöheren gehören, gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 StPO nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts - hier des [X.] - herbeigeführt werden (vgl. [X.], Urteil vom 30. August 1968 - 4 StR 335/68, [X.]St 22, 232, 234; Beschlüsse vom 21. März 2000 - 1 [X.], [X.], 435 f.; vom 7. April 2005 - 3 StR 347/04, [X.], 464 Rn. 1). Daran fehlt es. Die Sache ist insoweit nicht bei dem [X.] [X.] rechtshängig geworden. Es besteht daher hinsichtlich dieser Tat ein Verfahrenshindernis, das zwar zu einer Teilaufhebung des Urteils, nicht jedoch zur Verfahrenseinstellung führt, da die Rechtshängigkeit des Verfahrens bei dem Amtsgericht - Schöffengericht - [X.] fortbesteht, eine Einstellung dieses Verfahren beenden würde und danach kein Raum für eine Sachentscheidung, gleich durch welches Gericht, verbliebe. Das Verfahren ist daher entsprechend § 355 StPO, soweit es [X.] betrifft, an das weiterhin zuständige Amtsgericht [X.] zurückzuverweisen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. Juli 1995 - 2 StR 74/95, [X.]R StPO § 4 Verbindung 9; vom 16. April 1996 - 4 StR 80/95, - NStZ-RR 1996, 232; vom 1. Dezember 2005 - 4 [X.], juris Rn. 4; vom 11. Juli 2013 - 3 [X.], [X.], 378).

6

2. Bereits der Wegfall der Verurteilung in [X.] zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.

II.

Zum Strafausspruch gilt im Übrigen Folgendes:

7

Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen ist der Angeklagte nach Begehung der unter [X.] festgestellten Tat zwei weitere Male verurteilt worden, nämlich am 1. April 2020 durch das Amtsgericht [X.] zu einer, noch nicht vollständig gezahlten, Geldstrafe von 60 Tagessätzen und am 20. Mai 2020 durch das Amtsgericht [X.] unter anderem zu einer, zwischenzeitlich vollstreckten, Freiheitsstrafe von sechs Monaten.

8

Die den Vorverurteilungen zu Grunde liegenden Tatzeiten werden nicht mitgeteilt, es liegt aber nahe, dass der Angeklagte die dem Urteil des Amtsgerichts [X.] zu Grunde liegende Tat bereits vor der Entscheidung des Amtsgerichts [X.] am 1. April 2020 begangen hatte und mithin diese Tat, die als [X.] 1. der Urteilsgründe festgestellte Tat und die vom Amtsgericht [X.] abgeurteilte Tat gesamtstrafenfähig sind (§ 55 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die Härte, die darin läge, dass die bereits vollstreckte Strafe aus dem Erkenntnis des Amtsgerichts [X.] nicht mehr einbezogen werden kann, ist dann bei der Gesamtstrafenbildung auszugleichen (vgl. [X.], Urteile vom 23. Januar 1985 - 1 StR 645/84, [X.]St 33, 131, 132 f.; vom 2. Mai 1990 - 3 StR 59/89, [X.], 436; Beschluss vom 23. Juli 2020 - 3 [X.], juris Rn. 11).

9

Zwar sind die Strafzumessungserwägungen zu [X.] 1. der Urteilsgründe für sich materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Der Ausspruch über diese Strafe kann aber gleichwohl keinen Bestand haben, da das [X.] erneut gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB davon absehen könnte, die vom Amtsgericht [X.] verhängte Geldstrafe in eine Gesamtstrafe einzubeziehen. Die sich für den Angeklagten ergebende Härte, dass die Bildung einer Gesamtstrafe dann gänzlich ausschiede, weil die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts [X.] bereits vollstreckt ist (§ 55 Abs. 1 StGB), müsste - ausnahmsweise (vgl. [X.], Urteil vom 29. Juli 1982 - 4 StR 75/82, [X.]St 31, 102, 104) - bei der Bemessung der Strafe für den verbleibenden [X.] 1. der Urteilsgründe ausgeglichen werden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. November 2010 - 4 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 20 Rn. 6; vom 2. Dezember 2015 - 4 [X.], juris Rn. 2).

III.

Die Sache ist an eine andere [X.] des [X.]s zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO), welche die Strafe für [X.] 1. der Urteilsgründe zu bemessen und die Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe zu prüfen hat. Die zugehörigen Feststellungen bleiben von den aufgezeigten [X.] unberührt, sodass sie gemäß § 353 Abs. 2 StPO aufrechterhalten werden können. Weitergehende Feststellungen, die den bislang getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.

Die nunmehr zur Entscheidung berufene [X.] wird ein besonderes Augenmerk auf das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu richten haben, aus dem sich der Grundsatz ergibt, dass dem revidierenden Angeklagten der durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 Abs. 1 StGB erlangte Vorteil nicht wieder genommen werden darf (vgl. [X.], Beschluss vom 24. November 2020 - 3 [X.], NStZ-RR 2021, 42, 43).

Sollte der Angeklagte die dem Erkenntnis des Amtsgerichts [X.] zu Grunde liegende Tat erst nach dem Urteil des Amtsgerichts [X.] begangen haben, so bildete das erste Urteil auch dann eine Zäsur, wenn das [X.] von der Einbeziehung einer Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB absehen würde (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Dezember 1983 - 1 [X.], [X.]St 32, 190, 194; Urteil vom 12. August 1998 - 3 StR 537/97, [X.]St 44, 179, 184). Da die in [X.] ausgeurteilte Freiheitsstrafe in diesem Fall nicht gesamtstrafenfähig wäre (vgl. [X.], Urteil vom 23. Juni 1988 - 4 StR 164/88, [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1

Zäsurwirkung 4), würde der Umstand nicht zu einem Härteausgleich nötigen, dass diese Strafe bereits vollstreckt ist.

Schäfer     

        

Ri[X.] Prof. Dr. Paul
befindet sich im Urlaub und     
ist deshalb gehindert zu
unterschreiben.

        

     Berg

                 

Schäfer     

                 
                          

Ri[X.] [X.] befindet
sich im Urlaub und ist deshalb
gehindert zu unterschreiben.

        
        

Anstötz     

        

Schäfer

        

Meta

3 StR 121/22

12.07.2022

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Mönchengladbach, 14. Januar 2022, Az: 21 KLs 24/20

§ 4 Abs 2 S 2 StPO, § 6 StPO, § 13 Abs 2 S 1 StPO, § 354 Abs 2 StPO, § 358 Abs 2 S 1 StPO, § 53 Abs 2 S 2 StGB, § 55 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2022, Az. 3 StR 121/22 (REWIS RS 2022, 7128)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 7128

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