Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.09.2002, Az. 2 StR 307/02

2. Strafsenat | REWIS RS 2002, 1744

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.] September 2002in der [X.] 2 -Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 4. September 2002 gemäß § 349Abs. 4 StPO beschlossen:Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. März 2002 mit den Feststellungenaufgehoben.Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammerdes [X.] zurückverwiesen.Gründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt; von den [X.] zweier weiterer Vergewaltigungen hat es ihn freigesprochen. Seine ge-gen diese Verurteilung eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.1. Die Beweiswürdigung des [X.] hält, soweit sie die Glaubhaf-tigkeit der den Angeklagten belastenden Aussagen der Nebenklägerin betrifft,rechtlicher Überprüfung im Ergebnis nicht [X.]) Das [X.] hat zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der belasten-den Aussagen der Nebenklägerin ausgeführt, die Kammer verkenne nicht, daßin den verschiedenen Aussagen - bei zweimaligen Vernehmungen durch [X.], bei der Exploration durch die Psychologin M. -B. und in [X.] - "Abweichungen vorhanden sind, welche die zeitliche Ein-- 3 -ordnung, die Reihenfolge und auch die Anzahl der Taten sowie einzelne De-tails der Tatumstände betreffen" ([X.]); die "Erinnerungslücken" beruhenjedoch nach Ansicht des [X.] auf dem psychologisch bekannten Phä-nomen der Verdrängung traumatischer Erlebnisse ([X.]). Diese [X.] sind nicht frei von [X.]. Die Abweichungen in den im Urteil wie-dergegebenen Aussagen der Nebenklägerin betreffen nicht nur Details [X.], sondern das Kerngeschehen. Ihre Kennzeichnung als "Erinne-rungslücken" ist nicht zutreffend, denn die Nebenklägerin hat jeweils durchausdetaillierte Aussagen gemacht, die zahlreiche individualisierende [X.]; es handelte sich daher, worauf die Revision zutreffend hinweist, imwesentlichen nicht um lückenhafte, sondern um einander widersprechendeSchilderungen.So hat die Nebenklägerin etwa in ihrer polizeilichen Aussage berichtet,sie habe bei einer Gelegenheit in der Küche der Wohnung auf ihre Freundingewartet, während der Angeklagte im Wohnzimmer schlief. Durch ein von ihrverursachtes Geräusch sei er erwacht; er habe sie ins Wohnzimmer gezogenund auf der dort stehenden Couch vergewaltigt. In der Hauptverhandlung [X.] Nebenklägerin ausgesagt, sie selbst habe sich ins Wohnzimmer begeben,um dort einen Stuhl zu holen. Hierbei habe sie ein Geräusch verursacht, durchdas der Angeklagte erwacht sei. Er habe sie in die Küche gebracht und dortgezwungen, ihn manuell zu befriedigen. Ähnliche Abweichungen zeigt [X.] anderer Vorfälle, von welchen die Nebenklägerin teilweise deut-lich voneinander abweichende, aber jeweils detaillierte Schilderungen, na-mentlich der Nötigungshandlungen, gegeben hat. Der Vergleich der im [X.] Aussagen trägt die Würdigung des [X.] nicht, dieseseien "im Kern konstant" ([X.]).- 4 -Daher erscheint auch die hieran anknüpfende Erwägung nicht rechts-fehlerfrei, die "Erinnerungslücken" der Nebenklägerin beruhten auf dem "psy-chologisch bekannten Phänomen" der Verdrängung traumatischer Erlebnisse([X.]). Es mag dahinstehen, ob dieser Würdigung der von der [X.] zugrunde liegt. Voraussetzung für die grundsätzlichzulässige Erwägung, daß im Hinblick auf mögliche psychische Verdrängungs-mechanismen Lücken der Erinnerung der Glaubhaftigkeit einer Aussage nichtentgegenstehen müssen, wäre jedenfalls, daß sich gerade in der Aussage die-ser Zeugin tragfähige Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Verdrängungenfanden. Dies kann aber nicht schon daraus geschlossen werden, daß die Zeu-gin sich widersprechende detaillierte Angaben gemacht hat. So hat sie etwadie Vergewaltigung in dem Gartenhaus des Angeklagten bei allen Befragungen- wenngleich zeitlich und im Ablauf abweichend - detailliert und mit Einzelhei-ten auch zum [X.] beschrieben. Zumindest bei der [X.] die Sachverständige hat sie, gleichfalls in Einzelheiten, von einer zwei-ten Vergewaltigung in dem Gartenhaus berichtet, an welche sie sich aber inder Hauptverhandlung nicht erinnerte ([X.] 29). Aus den Urteilsgründen er-gibt sich nicht, aus welchen Gründen das vom [X.] angenommeneVerdrängungs-Phänomen gerade bezüglich dieser zweiten Tat, hinsichtlichderer das [X.] den Angeklagten freigesprochen hat, wirksam gewordenist, ohne die detaillierte Erinnerung an die erste, dem Schuldspruch zugrunde-gelegte Tat zu berühren.b) Bedenken begegnet im Gesamtzusammenhang der [X.] die Erwägung des [X.], eine Falschbelastung sei auszuschlie-ßen, weil die Nebenklägerin "eine offene und ehrliche Persönlichkeit" sei ([X.]. 31 f.). Einer solchen allgemeinen Charakterisierung eines Zeugen muß, [X.] [X.] grundsätzlich zutreffend gesehen hat, der Umstand nicht [X.] 5 -gegenstehen, daß er in einzelnen Punkten die Unwahrheit gesagt hat. [X.] als erwiesen angesehene Unwahrheiten auf tatnahe oder auf solche Um-stände beziehen, welche in engem Zusammenhang mit als glaubhaft angese-henen Bekundungen des Zeugen stehen, bedarf freilich die Annahme, daß siedie Glaubhaftigkeit anderer Bekundungen nicht in Frage stellen, einer in sichwiderspruchsfreien sorgfältigen Begründung.Das [X.] hat festgestellt, daß die Nebenklägerin mehrfach zuUnrecht ihren früheren Freund [X.] beschuldigt hat, sie vergewaltigt zu haben.Das [X.] hält diese Beschuldigungen für ebenso unwahr wie frühereSchilderungen der Nebenklägerin gegenüber Freundinnen, mit [X.] überhaupt(freiwillig) geschlechtlich verkehrt zu haben. Die Urteilsgründe führen aus, [X.] habe gegenüber dem Arzt und dem Sozialarbeiter ihrer Schuleden Zeugen [X.] fälschlich als Täter einer Vergewaltigung bezeichnet, weil sieaus Angst und Scham den Angeklagten nicht nennen wollte und sich "[X.], daß sowohl der Sozialarbeiter als auch der Arzt zur Verschwiegenheitverpflichtet waren, so daß die Gefahr einer Strafverfolgung des (Zeugen [X.])nicht bestand" ([X.] 31). Diese Erwägung bleibt unklar, denn die Verschwie-genheitspflicht des Arztes betraf sowohl den [X.] als auch den Angeklagten; derSozialarbeiter hatte andererseits in keinem von beiden Fällen eine Schweige-pflicht, derer sich die Nebenklägerin hätte bewußt sein können. Ob die ge-nannte Begründung auf einer (hypothetischen) Schlußfolgerung des Landge-richts oder auf Ergebnissen der Hauptverhandlung beruht, ergibt sich [X.] aus den Urteilsgründen nicht.Hinsichtlich früheren Geschlechtsverkehrs mit dem Zeugen [X.] hat [X.] ausgesagt, sie habe dies nur erfunden und Schwangerschafts-tests allein deshalb durchgeführt, um gegenüber ihren Freundinnen auf sexu-- 6 -elle Erlebnisse verweisen zu können. Das [X.] sieht dies bestätigtdurch die Aussage des Zeugen [X.], der sich in der Hauptverhandlung nicht zuerinnern vermochte, ob er jemals mit der - damals 13-jährigen - [X.] hatte, jedoch bestätigte, im Oktober 2000 bei der [X.] zu haben, er habe mit der Nebenklägerin nicht geschlechtlich ver-kehrt, weil diese noch zu jung gewesen sei. Welchen Anlaß die [X.], aus dem von ihr angegebenen Motiv Schwangerschaftstests zu erwer-ben, und ob beim [X.] des Zeugen [X.] die Kenntnis der Strafvor-schrift des § 176 StGB eine Rolle gespielt haben könnte, ist im Urteil nicht er-örtert.Beide Erwägungen des [X.] zeigen daher jedenfalls [X.] Würdigung, die Unwahrheit der früheren Belastung des Zeugen [X.] durchdie Nebenklägerin stehe der Glaubhaftigkeit ihrer späteren Belastung des [X.] nicht entgegen, wird durch sie nicht getragen.2. Die Erörterung des Gutachtens der Sachverständigen M. -B. ist unzureichend. Insoweit fehlt schon eine Wiedergabe des wesentlichen Gut-achtensinhalts, welche dem Senat eine Nachprüfung ermöglichen würde. [X.] beschränken sich auf eine sieben Zeilen umfassende Wiederga-be eines von der Sachverständigen dargelegten allgemeinen "Persönlichkeits-bilds" ([X.] 30) sowie auf die Mitteilung, die Beurteilung der [X.] Nebenklägerin durch die Kammer stehe "in Einklang mit den Darlegungender Sachverständigen" ([X.] 39). Insoweit sind einige "Hypothesen" [X.], welche die Sachverständige geprüft habe, u.a. die Hypothese, die [X.] sei von dem Zeugen [X.] vergewaltigt worden, sowie die Hypothese,die Nebenklägerin könne tatsächlich stattgefundene [X.] [X.] nachträglich als Vergewaltigungen dargestellt haben. Die Auf-- 7 -zählung dieser Hypothesen mündet in die Feststellung, daß "alle Hypothesen(...) aus den bereits dargelegten Gründen, die von der [X.] vertreten werden, keine Bestätigung (finden)" ([X.] 39).Hieraus ergibt sich weder, ob und inwieweit sich die Sachverständigebei ihren Darlegungen im Rahmen des zulässigen Gutachtensauftrags gehal-ten hat, noch, ob das [X.] selbst diese Grenzen zutreffend erkannt hat.Die "dargelegten Gründe", auf welche das [X.] verweist, bestehen ü-berwiegend aus der Wiedergabe und Würdigung der Aussagen anderer Be-weispersonen; darauf, ob die Sachverständige diese Würdigungen "vertretenhat", kann es daher nicht ankommen. Mit welchen Mitteln die [X.] (hypothetische) Möglichkeit abweichender Geschehensabläufe "geprüft"und aufgrund welcher ihrem Fachgebiet eigenen Methoden sie festgestellt ha-ben könnte, daß diese Möglichkeiten auszuschließen sind, ergibt sich aus [X.] nicht. Dies betrifft insbesondere auch die Abgrenzung zwischen denkba-ren [X.] nach § 182 StGB und sexuellen Nötigungen nach § 177StGB. Gerade im Hinblick auf die festgestellten Nötigungshandlungen weisendie im Urteil wiedergegebenen verschiedenen Aussagen der Nebenklägerindeutliche Abweichungen auf; es wäre daher eine Darlegung im einzelnen er-forderlich gewesen, aufgrund welcher Erwägungen die Sachverständige unddieser folgend das [X.] jeweils zur Feststellung bestimmter Nötigungs-mittel gelangt ist, zumal die Sachverständige die Möglichkeit, es könne sich [X.] oder einzelnen der abgeurteilten Taten (nur) um [X.] haben, ausdrücklich geprüft hat.Eine psychologische Glaubwürdigkeitsbegutachtung vermag im übrigendie Beweiswürdigung durch den Tatrichter nicht zu ersetzen. Widersprücheoder Unklarheiten des Beweisergebnisses können umgekehrt nicht mit kursori-- 8 -schen Hinweisen auf vom Sachverständigen bekundete allgemeine psycholo-gische [X.] beiseite geschoben werden, welche ebensogut fürein anderes Ergebnis zitiert werden könnten. So ist namentlich ein [X.] auf das - außerordentlich vielgestaltige und in der Fachliteratur inten-siv diskutierte - Phänomen der "Verdrängung" in der Regel nicht geeignet, [X.] zu tragen; die Zitierung eher alltagspsychologischerErkenntnisse bedarf, wenn sie nicht die Gefahr praktisch beliebiger Ergebnissenach sich ziehen soll, einer sorgfältigen Überprüfung im Einzelfall. Hieran fehltes im angefochtenen Urteil. Der allgemeine Hinweis der Sachverständigen aufein "nicht selten erlebtes Verdrängungsphänomen" ([X.] 39) erklärt weder, obnoch warum dieses Phänomen hier in der vom [X.] angenommenenausschnittartigen Wirkung vorgelegen hat.Der im Urteil wiedergegebene Inhalt des Gutachtens erweist sich [X.] aus sachlich-rechtlichen Gründen als rechtsfehlerhaft. Daher kann dieBegründetheit der Verfahrensrüge, mit welcher sich die Revision gegen dieZurückweisung eines Antrags auf Vernehmung eines anderen Sachverständi-gen im Hinblick auf Mängel des Gutachtens wendet, hier dahinstehen. Derneue Tatrichter wird die Frage zu prüfen haben, ob die Beiziehung eines ande-ren Sachverständigen geboten ist.[X.] Otten Rothfuß Fischer

Meta

2 StR 307/02

04.09.2002

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.09.2002, Az. 2 StR 307/02 (REWIS RS 2002, 1744)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2002, 1744

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.