Bundespatentgericht, Urteil vom 19.10.2010, Az. 1 Ni 13/09

1. Senat | REWIS RS 2010, 2260

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Gegenstand

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung


Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das [X.] Patent 100 49 002

hat der 1. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 2010 durch [X.] als Vorsitzenden sowie [X.], [X.], [X.]. Baumgart und [X.]. Krüger

für Recht erkannt:

1. Das [X.] Patent 100 49 002 wird für nichtig erklärt.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 27. September 2000 angemeldeten [X.] Patents 100 49 002 (Streitpatent), dessen Erteilung am 22. Mai 2003 veröffentlicht wurde. Das Streitpatent trägt die Bezeichnung "[X.]". Es umfasst in seiner erteilten und vom [X.] im Einspruchsverfahren unverändert aufrechterhaltenen Fassung 11 Patentansprüche, die die Klägerin mit der Nichtigkeitsklage in vollem Umfang angreift. Die Beklagte verteidigt das Patent im erteilten Umfang, hilfsweise in den Fassungen der [X.] bis 4.

2

Patentanspruch 1 hat in der erteilten Fassung folgenden Wortlaut:

3

"[X.], zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen oder dergleichen, mit einer drehzahlgesteuerten elektrischen [X.] (1), die ein Rührwerkzeug umfaßt, welches in ein [X.] eingreift,

4

dadurch gekennzeichnet, daß die [X.] an einen [X.] (5) gekoppelt ist, der programmgesteuert Rührzeit und Rührgeschwindigkeit der [X.] (1) bestimmt, wobei ein vom [X.] ausgeführtes Datenverarbeitungsprogramm die folgenden Schritte umfaßt:

5

— Einlesen (11) von variablen Daten über Dateneingabemittel (8), die in einem vorgegebenen Toleranzbereich mindestens definieren die Kategorie der herzustellenden Rezeptur und die Größe des [X.];

6

— Einlesen (11) von konstanten Daten aus einem Datenspeicher (7), der für vorbestimmte Kategorien von Rezepturen und Größen von [X.]en Basiswerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit enthält;

7

— Ermitteln (12) der Rührzeit und der Rührgeschwindigkeit zur Herstellung der gewünschten Menge der Rezeptur durch Verknüpfung der variablen und der konstanten Daten;

8

— Umwandeln der ermittelten Rührzeit und Rührgeschwindigkeit in korrespondierende erste Strom- bzw. Spannungswerte und Ansteuern der [X.] mit diesen [X.]n;

9

— Abspeichern der während der Herstellung der Rezeptur angewendeten [X.], gemeinsam mit Identifizierungsdaten im Datenspeicher (7);

— Ausgabe der angewendeten [X.] und/oder Identifizierungsdaten in elektronischer und/oder gedruckter Form über [X.] (9)".

Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf diesen Anspruch rückbezogenen weiteren Ansprüche 2 bis 11 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Hilfsantrag 1 wird das Rührwerk als Salbenrührwerk bezeichnet, weiter sind in der zweiten Zeile die Worte "oder dergleichen" gestrichen. Dieser Patentanspruch hat folgenden Wortlaut:

"[X.], zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen, mit einer drehzahlgesteuerten elektrischen [X.] (1), die ein Rührwerkzeug umfasst, welches in ein [X.] eingreift, dadurch gekennzeichnet, dass

die [X.] an einen [X.] (5) gekoppelt ist, der programmgesteuert Rührzeit und Rührgeschwindigkeit der [X.] (1) bestimmt, wobei ein vom [X.] ausgeführtes Datenverarbeitungsprogramm die folgenden Schritte umfasst:

a) Einlesen (11) von variablen Daten über Dateneingabemittel (8), die in einem vorgegebenen Toleranzbereich mindestens definieren

— die Kategorie der herzustellenden Rezeptur und

— die Größe des [X.];

b) Einlesen (11) von konstanten Daten aus einem Datenspeicher (7), der für vorbestimmte Kategorien von Rezepturen und Größen von [X.]en Basiswerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit enthält;

c) Ermitteln (12) der Rührzeit und der Rührgeschwindigkeit zur Herstellung der gewünschten Menge der Rezeptur durch Verknüpfung der variablen und der konstanten Daten;

d) Umwandeln der ermittelten Rührzeit und Rührgeschwindigkeit in korrespondierende erste Strom- bzw. Spannungswerte und Ansteuern der [X.] mit diesen [X.]n;

e) Abspeichern der während der Herstellung der Rezeptur angewendeten [X.], gemeinsam mit Identifizierungsdaten im Datenspeicher (7);

f) Ausgabe der angewendeten [X.] und/oder Identifizierungsdaten in elektronischer und/oder gedruckter Form über [X.] (9)".

Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 rückbezogenen weiteren Ansprüche 2 bis 11 wird auf die Akte verwiesen.

Hilfsantrag 2 schließt sich an den weiteren Wortlaut des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 das zusätzliche Merkmal an:

"wobei das Rührwerkzeug an die Größe des [X.] angepasst ist".

Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf diesen Anspruch rückbezogenen weiteren Ansprüche 2 bis 11 wird auf die Akte verwiesen.

Hilfsantrag 3 ist gegenüber dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 die Angabe

"zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen"

ersetzt durch

"zur Einzelanfertigung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen in Apotheken".

Weiter schließt sich im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 an den Wortlaut des Patentanspruchs gemäß Hilfsantrag 2 das zusätzliche Merkmal an:

"und eingespeicherte Vorgabewerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit in einem Programmiermodus vom Benutzer einspeicherbar sind".

Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf diesen Anspruch rückbezogenen weiteren Ansprüche 2 bis 11 wird auf die Akte verwiesen.

Hilfsantrag 4 hat folgenden Wortlaut:

"[X.], zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen, mit einer drehzahlgesteuerten elektrischen [X.] (1), die ein Rührwerkzeug umfasst, welches in ein [X.] eingreift, und weiterhin mit einer [X.] (2), durch welche die relative Lage des [X.] im [X.] während des Rührvorgangs veränderbar ist dadurch gekennzeichnet, dass

die [X.] an einen [X.] (5) gekoppelt ist, der programmgesteuert Rührzeit und Rührgeschwindigkeit der [X.] (1) bestimmt, wobei ein vom [X.] ausgeführtes Datenverarbeitungsprogramm die folgenden Schritte umfasst:

a) Einlesen (11) von variablen Daten über Dateneingabemittel (8), die in einem vorgegebenen Toleranzbereich mindestens definieren

— die Kategorie der herzustellenden Rezeptur, und

— die Größe des [X.];

b) Einlesen (11) von konstanten Daten aus einem Datenspeicher (7), der für vorbestimmte Kategorien von Rezepturen und Größen von [X.]en Basiswerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit enthält;

c) Ermitteln (12) der Rührzeit und der Rührgeschwindigkeit zur Herstellung der gewünschten Menge der Rezeptur und Ermitteln der optimalen Hubzahl und Hubgeschwindigkeit zur Herstellung der gewünschten Qualität der Rezeptur durch Verknüpfung der variablen und der konstanten Daten;

d) Umwandeln der ermittelten Rührzeit und Rührgeschwindigkeit in korrespondierende erste Strom- bzw. Spannungswerte und Ansteuern der [X.] mit diesen [X.]n;

e) Umwandeln der ermittelten Hubzahl und Hubgeschwindigkeit in korrespondierende zweite Strom- bzw. Spannungswerte und Ansteuern der [X.] mit diesen zweiten Strom- bzw. Spannungswerten;

f) Abspeichern der während der Herstellung der Rezeptur angewendeten [X.], gemeinsam mit Identifizierungsdaten im Datenspeicher (7);

g) Ausgabe der angewendeten [X.] und/oder Identifizierungsdaten in elektronischer und/oder gedruckter Form über [X.] (9)".

Wegen des Wortlauts der unmittelbar oder mittelbar auf diesen Anspruch rückbezogenen weiteren Ansprüche 2 bis 10 wird auf die Akte verwiesen.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe, dass die Erfindung im Patent nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei.

Sie beantragt,

das [X.] Patent 100 49 002 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung gemäß den mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2010 übermittelten [X.] 1 - 4 (Hilfsantrag 1 in der Fassung der im Termin übergebenen Seite 1) erhält.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen und ist der Auffassung, dass die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe nicht gegeben seien.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, mit der die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit, der unvollständigen [X.] und der unzulässigen Erweiterung geltend gemacht werden (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 [X.]) ist begründet.

I.

1. [X.] betrifft ein programmgesteuertes Rührwerk, zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen oder dergleichen, mit einer drehzahlgesteuerten elektrischen Rühreinheit, die ein Rührwerkzeug umfasst, welches in ein Mischgefäß eingreift, siehe Absatz 0001 der Streitpatentschrift.

2. In der Beschreibung des Streitpatents wird als Stand der Technik von einem bekannten Rührwerk ausgegangen, bei dem es möglich ist, die Rührgeschwindigkeit und die Rührzeit manuell einzugeben, um diese Parameter an die Eigenschaften der Ausgangsstoffe und an die Menge der jeweiligen Rezeptur anzupassen, siehe Absatz 0003 der Streitpatentschrift.

3. Als nachteilig wird dabei angesehen, dass bei dem bekannten Gerät die Rührwerksparameter immer wieder neu eingegeben werden müssen. Da die individuellen Eingaben der Rührgeschwindigkeit und der Rührzeit zu einem späteren Zeitpunkt nicht reproduzierbar seien, könnten spezielle Rezepturen bei mehrmaliger Herstellung zu unterschiedlichen Zeitpunkten schwankende Qualitäten aufweisen, siehe Absatz 0003 der Streitpatentschrift.

4. Hiervon ausgehend ist als Aufgabe genannt, ein programmgesteuertes Rührwerk bereitzustellen, wobei sich die Bedienung vereinfachen und insbesondere der Aufwand zur Eingabe einzelner [X.] gegenüber den bekannten Einrichtungen verringern soll, siehe Absatz 0007 der Streitpatentschrift.

5. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent ein programmgesteuertes Rührwerk gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

[X.] Programmgesteuertes Rührwerk, zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen oder dergleichen, mit einer drehzahlgesteuerten elektrischen [X.] (1),

D2 die ein Rührwerkzeug umfasst, welches in ein [X.] eingreift,

D3 dadurch gekennzeichnet, dass die [X.] an einen [X.] (5)  gekoppelt ist,

[X.] der programmgesteuert Rührzeit und Rührgeschwindigkeit der [X.] (1) bestimmt,

D5 wobei ein vom [X.] ausgeführtes Datenverarbeitungsprogramm die folgenden Schritte umfasst:

[X.] — Einlesen (11) von variablen Daten über [X.] (8), die in einem vorgegebenen Toleranzbereich mindestens definieren

[X.].1  die Kategorie der herzustellenden Rezeptur und

[X.].2  die Größe des [X.];

[X.] — Einlesen (11) von konstanten Daten aus einem Datenspeicher (7), der Basiswerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit enthält für

[X.].1  vorbestimmte Kategorien von Rezepturen und

[X.]  Größen von [X.]en;

[X.] — Ermitteln (12) der Rührzeit und der Rührgeschwindigkeit zur Herstellung der gewünschten Menge der Rezeptur durch Verknüpfung der variablen und der konstanten Daten;

[X.] — Umwandeln der ermittelten Rührzeit und Rührgeschwindigkeit in korrespondierende erste Strom- bzw. Spannungswerte und Ansteuern der [X.] mit diesen [X.]n;

[X.] — Abspeichern der während der Herstellung der Rezeptur angewendeten [X.], gemeinsam mit Identifizierungsdaten im Datenspeicher (7);

[X.] — Ausgabe der angewendeten [X.] und/oder Identifizierungsdaten in elektronischer und/oder gedruckter Form über [X.] (9).

6. Als zuständigen Fachmann, dessen Verständnis Maßstab für die Auslegung des Streitpatents ist, sieht der Senat einen Diplomingenieur der Fachrichtung Verfahrenstechnik an, der über mehrjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von programmgesteuerten Rührwerken verfügt, und der hinsichtlich der Definition der Programmabläufe den jeweiligen Anwender zu Rate zieht. Dieser Fachmann wird den Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 folgendermaßen auffassen:

Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist gemäß Merkmal [X.] ein programmgesteuertes Rührwerk mit einer drehzahlgesteuerten elektrischen [X.]. Der weiteren Angabe des Merkmals [X.], "zur Herstellung von pharmazeutischen oder kosmetischen Rezepturen oder dergleichen", entnimmt der Fachmann, dass das beanspruchte Rührwerk so ausgebildet sein muss, dass es für diesen Zweck verwendbar ist. Daraus ergibt sich im vorliegenden Fall keine über die im Anspruch 1 weiter genannten Merkmale hinausgehende Beschränkung des Gegenstandes auf Rührwerke, die speziell für die in Absatz 0002 der Streitpatentschrift beispielhaft genannte Einzelanfertigung von Individualrezepturen in Apotheken vorbestimmt sind, vielmehr können aus Sicht des Fachmanns auch andere, z. B. für die Herstellung von Nahrungsmittelrezepturen bestimmte Rührwerke für den im Merkmal [X.] angegebenen Zweck verwendbar sein.

Die [X.] des [X.] umfasst gemäß Merkmal D2 ein Rührwerkzeug, welches in ein [X.] eingreift, und ist gemäß Merkmal D3 an einen [X.] gekoppelt.

Der [X.] bestimmt gemäß Merkmal [X.] programmgesteuert Rührzeit und Rührgeschwindigkeit der [X.] und führt dabei gemäß Merkmal D5 ein Datenverarbeitungsprogramm aus, das die in den weiteren Merkmalen [X.] bis [X.] genannten Schritte umfasst.

Davon beschreiben die Merkmale [X.] bis [X.] die zur Ansteuerung der [X.] ausgeführten Schritte. Nach Merkmal [X.] werden über [X.] variable Daten eingelesen, die in einem vorgegebenen Toleranzbereich mindestens die Kategorie der herzustellenden Rezeptur (Merkmal [X.].1) und die Größe des [X.] (Merkmal [X.].2) definieren.

Bezüglich der Kategorie herzustellenden Rezeptur werden in Absatz 0025 der Streitpatentschrift im Zusammenhang mit der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels die Rezepturarten "Normal, Emulsion, Suspension, Reaktionsgemisch, Pulver oder dergleichen" aufgezählt.

Zur Größe des [X.] ist Absatz 0030 der Streitpatentschrift zu entnehmen, dass entsprechende Rührwerke mit vorbestimmten [X.]en, sogenannten Kruken , in verschiedenen Größen bestückt sein können. Gemäß Merkmal [X.] werden konstante Daten aus einem Datenspeicher eingelesen, der gemäß den Merkmalen [X.].1 und [X.] für die bereits in den Merkmalen [X.].1 und [X.].2 genannten Parameter Rezepturkategorie und [X.]größe Basiswerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit enthält. Nach den Merkmalen [X.] und [X.] werden durch Verknüpfung der variablen und konstanten Daten die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit ermittelt, diese in korrespondierende Strom- und Spannungswerte umgewandelt und die [X.] mit diesen [X.]n angesteuert.

Die weiteren Merkmale [X.] und [X.] beschreiben das Abspeichern und Ausgeben der angewendeten [X.] gemeinsam mit Identifizierungsdaten.

II.

1. Der Gegenstand des Patents in der erteilten Fassung geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (§ 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 4 [X.]).

Zur Beurteilung, ob eine unzulässige Erweiterung vorliegt, ist der Gegenstand des erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen und zu prüfen, ob die erteilten Patentansprüche auf einen Gegenstand gerichtet sind, den die ursprüngliche [X.] aus Sicht des Fachmanns nicht als zur Erfindung gehörend erkennen ließ ([X.], [X.], Rdn. 25 – [X.]; [X.], 1023, 1024 – [X.]). Der hierfür maßgebliche Inhalt ist dabei nicht auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche beschränkt, vielmehr ist anhand der Gesamtheit aller ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln, was als zur angemeldeten Erfindung gehörend anzusehen ist (vgl. [X.], 910, Rdn. 46 – [X.] Dokument, m. w. N.).

Die Anmeldung offenbart als erfindungsgemäß ein programmgesteuertes Rührwerk, bei welchem die [X.] an einen [X.] gekoppelt ist (siehe Absatz 0005 der [X.] und den ursprünglichen Anspruch 1). Dieser [X.] führt ein Datenverarbeitungsprogramm aus, das unter anderem die folgenden Schritte umfasst:

A6 — Einlesen von variablen Daten über [X.],

die in einem vorgegebenen Toleranzbereich mindestens definieren

[X.]  die Kategorie der herzustellenden Rezeptur und

[X.]  die Menge der herzustellenden Rezeptur;

[X.] — Einlesen von konstanten Daten aus einem Datenspeicher, der Basiswerte für die Rührzeit und die Rührgeschwindigkeit enthält

[X.].1  für vorbestimmte Kategorien von Rezepturen und

[X.].2  je Mengeneinheit dieser Rezepturen.

In den diesen Merkmalen [X.] und [X.].2 der ursprünglich offenbarten Erfindung entsprechenden Merkmalen [X.].2 und [X.] des erteilten Anspruchs 1 ist der Parameter "[X.]" durch den Parameter "[X.]größe" ersetzt. Dementsprechend ist es im erteilten Anspruch 1 auch die "[X.]größe" und nicht die "[X.]", die gemäß dem Merkmal [X.] zur Ermittlung der Rührzeit und Rührgeschwindigkeit verwendet wird. Da aber in der Anmeldung weder die Möglichkeit offenbart ist, den Parameter "[X.]" durch den Parameter "[X.]größe" zu ersetzen, noch der Begriff "[X.]größe" in der Anmeldung als gleichbedeutend mit der "[X.]" oder als ein gegenüber der "[X.]" einschränkender Unterfall benutzt wird, stellt dies eine unzulässige Erweiterung in Form einer Abwandlung der in der Anmeldung offenbarten Lehre dar.

zusätzliche Eingabeoption, die eine weitere Optimierung der Steuerwerte ermöglicht, nicht dagegen als möglichen Ersatz für die Eingabe der [X.]. Denn nach der Beschreibung der Erfindung im Absatz 0005 und im Anspruch 1 sind mindestens Daten zur Definition der [X.] und der Rezepturkategorie einzugeben (Merkmale A6, [X.], [X.]). Dies wird auch im Zusammenhang mit der Beschreibung des Ausführungsbeispiels im Absatz 0022 ab Zeile 16 wiederholt, wo beispielhaft die Herstellung von 50 ml ([X.]) einer Suspensionssalbe (Rezepturkategorie) beschrieben und dazu ab Zeile 21 ausgeführt wird, dass zumindest die Menge der herzustellenden Suspensionssalbe einzugeben ist. Weitere Eingaben können somit lediglich zusätzlich, nicht aber an Stelle der [X.] erfolgen. Dementsprechend ist auch die Möglichkeit der Eingabe der Mischgefäßgröße in Zeile 44 des Absatzes 0018 als Abschluss einer Aufzählung möglicher vom Benutzer einzugebender variabler Daten genannt. Die Aufzählung beginnt in Zeile 38 damit, dass der Benutzer "die Menge der herzustellenden Rezeptur (beispielsweise eine Suspensionssalbe)" eingeben kann, also die [X.] und die Rezepturkategorie. Im Absatz 0010 ab Spalte 3, Zeile 2, wird dann die bereits eingeführte Option wiederholt, bei Bedarf Vorgabewerte für die Ansteuerung des Rührwerks direkt einzugeben. Erst zum Schluss wird die "Größe des verwendeten Mischgefäßes" als - weitere – zweckmäßige Eingabemöglichkeit benannt.

Auch der Absatz 0027 der [X.] (siehe die Zeilen 26 bis 30), offenbart die Möglichkeit, die [X.]größe einzulesen. Anders als im Fall der Rezepturkategorie und der [X.], die gemäß Absatz 0005 zur Ermittlung der Rührzeit und der Rührgeschwindigkeit verwendet werden, soll jedoch nach Absatz 0027 die [X.]größe zur Festlegung der vom Rührgerät auszuführenden Umdrehungszahl verwendet werden. Dies entspricht der [X.] des Anspruchs 4, wonach die [X.]größe eingelesen und daraus die Anzahl der benötigten Umdrehungen ermittelt wird. Die Anzahl der benötigten Umdrehungen stellt gegenüber der Rührzeit und der Rührgeschwindigkeit weder eine synonyme noch eine redundante Angabe dar, die sich als Produkt aus Rührzeit und Rührgeschwindigkeit aus diesen ermitteln ließe, denn der [X.] kann nach der Beschreibung auch mehrstufig mit verschiedenen Rührgeschwindigkeiten durchgeführt werden (siehe Absätze 0024 und 0025 der [X.]). Die Anzahl der benötigten Umdrehungen ist somit ein zusätzlicher Parameter zur Ansteuerung der [X.]. Dass demnach die Eingabe der [X.]größe einem anderen Zweck dienen soll als die Eingabe der Rezepturkategorie und der [X.], offenbart dem Fachmann neben der Tatsache, dass die Begriffe "[X.]" und "[X.]größe" nicht gleichbedeutend sind auch, dass die Eingabe der [X.]größe zusätzlich erfolgen soll, nicht dagegen anstelle der [X.].

Die Formulierung in den Zeilen 30 bis 32 des Absatzes 0027, "damit ist es ausreichend, wenn der Benutzer die Krukengröße über die [X.] einspeist", in Verbindung mit der gemäß Absatz 0028 vorgesehenen automatischen Erfassung über Sensoren, "so dass auch diese Dateneingabe ohne unmittelbare Tätigkeit des Benutzers automatisiert erfolgt", kann auch dahingehend verstanden werden, dass hiermit alternativ eine besonders einfache Ausführungsform vorgeschlagen wird, bei der nur die Anzahl der vom Rührwerkzeug auszuführenden Umdrehungen als einziger [X.] vorgegeben und hierzu nur die [X.]größe ( Krukengröße ) als einzige variable Größe eingelesen werden soll. Auch dies offenbart jedoch nicht, die [X.]größe anstelle der [X.] als variable Größe einzulesen und zur Ermittlung der [X.] Rührzeit und Rührgeschwindigkeit zu verwenden.

zusätzlich zum Einlesen der [X.] und der Rezepturkategorie. Der schon im Zusammenhang mit der [X.] des Absatzes 0027, Zeilen 26 bis 30, erläuterten Tatsache, dass die variable Kategorie Mischgefäßgröße einerseits und die variablen Daten [X.] und Rezepturkategorie andererseits zur Ermittlung unterschiedlicher [X.] verwendet werden sollen, entnimmt der Fachmann auch, dass der Begriff "Mischgefäßgröße" im Anspruch 4 nicht als die Menge der herzustellenden Rezeptur im Sinne des Merkmals [X.] des ursprünglichen Anspruchs 1 definierend und somit beschränkend ausgestaltend verstanden werden kann.

Ausführlicher als bereits Absatz 0028 offenbart der ursprüngliche Anspruch 13, dass einige der variablen Daten automatisch eingelesen statt von Hand eingegeben werden können. Mit der ersten Alternative der hier verwendeten Formulierung "und/oder" wird dabei klargestellt, dass sowohl die [X.] als auch die [X.]größe automatisch eingelesen werden sollen. Daraus ergibt sich eindeutig, dass die [X.]größe weder als gleichbedeutend mit der [X.] noch als diese beschränkend ausgestaltend verstanden werden kann. Diese Schlussfolgerung lässt sich auch bereits aus den in den Absätzen 0005 und 0027 bzw. den Ansprüchen 1 und 4 angegebenen, unterschiedlichen Verwendungszwecken der variablen Daten [X.] und [X.]größe entnehmen. Zwar kann die Ermittlung der Rührzeit und Rührgeschwindigkeit auf Grundlage der Rezepturkategorie und der [X.] einerseits oder auf Grundlage der Rezepturkategorie und der [X.]größe andererseits zu ähnlichen Ergebnissen führen, wenn der Benutzer des Rührwerkes stets ein hinsichtlich seiner Größe sinnvoll an die herzustellende [X.] angepasstes [X.] wählt. Diese technische Lösung war dem [X.]sgehalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen jedoch nicht zu entnehmen. Sie ergab sich für den Fachmann auch keineswegs zwangsläufig bei Beachtung des mit der Erfindung angestrebten Ziels. Vielmehr konnte der Fachmann zu dieser weitergehenderen Erkenntnis nur aufgrund eigenständiger, auf seinem allgemeinen Fachwissen basierenden Erwägungen und einer entsprechenden Abwandlung der offenbarten Lehre gelangen. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in seiner erteilten Fassung ist somit hinsichtlich des fraglichen Merkmals als unzulässige Erweiterung anzusehen (vgl. [X.], 910, Rdn. 62 – [X.] Dokument).

[X.], die Austauschbarkeit der beiden Begriffe [X.] und [X.]größe stelle schon deshalb keine Erweiterung dar, weil als zuständiger Fachmann ein Pharmazeut anzusehen sei, der zwischen den Begriffen [X.] und [X.]größe nicht unterscheide, kann nicht gefolgt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 auf speziell für die Verwendung in Apotheken vorbestimmte Rührgeräte beschränkt ist. Selbst in diesem Fall wäre der Pharmazeut zwar der Benutzer, nicht jedoch der zuständige Fachmann für die Entwicklung eines solchen Apothekenrührgerätes. Im Übrigen müsste ein Fachmann, auch wenn er die Begriffe [X.] und [X.]größe synonym benutzt (wie dies möglicherweise bei einem Pharmazeuten der Fall sein könnte), aufgrund einer Zusammenschau der zitierten Passagen der Anmeldung erkennen, dass die fraglichen Begriffe dort gerade nicht gleichbedeutend verwendet werden.

2. Auch die Gegenstände des Patents in seinen Fassungen nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 gehen über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, denn in diesen Fassungen wurden lediglich die Angaben zum Verwendungszweck geändert und zusätzliche Merkmale ergänzt. Die Merkmale [X.] und [X.] des erteilten Anspruchs 1 mit ihren Unterpunkten [X.].2 und [X.] wurden dabei jedoch übernommen, in denen jeweils die Mischgefäßgröße anstelle der ursprünglich offenbarten [X.] genannt wird. Ein Hinweis auf diese Austauschbarkeit der beiden Begriffe wurde dem Fachmann aber – wie bereits ausgeführt – an keiner Stelle in den Anmeldeunterlagen offenbart.

III.

[X.] beruht auf § 84 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Meta

1 Ni 13/09

19.10.2010

Bundespatentgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: Ni

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 19.10.2010, Az. 1 Ni 13/09 (REWIS RS 2010, 2260)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2260

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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