Bundesfinanzhof, Beschluss vom 02.12.2011, Az. VII B 98/11

7. Senat | REWIS RS 2011, 810

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Beweiskraft einer italienischen Zustellungsurkunde


Leitsatz

1. NV: Die Beweisregel des § 418 ZPO gilt --als allgemeiner Rechtsgedanke-- auch im finanzgerichtlichen Verfahren.

2. NV: Eine auf ein deutsches Zustellungsersuchen hin ausgestellte Zustellungsurkunde der ersuchten ausländischen Behörde begründet als öffentliche Urkunde vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen nach § 418 ZPO. Dies gilt selbst dann, wenn sie nicht dem Muster des Europäischen Übereinkommens über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland entspricht.

Tatbestand

1

I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) nimmt den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als Geschäftsführer einer inländischen GmbH für deren Steuerrückstände in Haftung. Da der Kläger seinen Wohnsitz im maßgeblichen [X.]eitpunkt in [X.] hatte, ersuchte das [X.] die [X.] in [X.], den an die [X.]dresse des [X.] [X.] gerichteten Haftungsbescheid zuzustellen. Laut [X.] dieser Behörde erfolgte die [X.]ustellung am 23. [X.]ugust 2005 durch die Gemeinde [X.] im Ortsteil [X.] durch persönliche [X.]ushändigung des vom [X.] ausgestellten Verwaltungsakts an den Kläger in dessen Wohnung.

2

Den Einspruch des [X.] vom 13. Oktober 2009 und den damit verbundenen [X.]ntrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist wies das [X.] zurück. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos.

3

Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Einspruch sei verspätet eingelegt worden. Die [X.]ustellung am 23. [X.]ugust 2005 sei wirksam, da die [X.] vollen Beweis des in ihr dokumentierten Vorgangs liefere. [X.]war sei der Haftungsbescheid in der Urkunde nicht ausdrücklich bezeichnet, das Schriftstück sei aber durch die Bezugnahme auf den vom [X.] ausgestellten Verwaltungsakt und das Ersuchen des [X.] hinreichend konkretisiert. [X.]uch sei der Haftungsbescheid an die richtige [X.]dresse gerichtet worden. Dass der Ortsteil [X.] eine eigene Postleitzahl besitzen solle, habe die [X.]ustellung offensichtlich nicht verhindert.

4

Der Kläger stützt seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Divergenz. Es sei ungeklärt, ob die [X.]ustellungsunterlagen beweiskräftige öffentliche Urkunden i.S. des § 418 der [X.]ivilprozessordnung ([X.]PO) darstellen könnten. [X.]ußerdem könne die [X.] des § 418 [X.]PO wegen des das finanzgerichtliche Verfahren beherrschenden Untersuchungsgrundsatzes nicht gelten. Im Übrigen seien die [X.]nforderungen an den Gegenbeweis in der Rechtsprechung widersprüchlich. Schließlich seien die Mängel der [X.]ustellung so gravierend, dass sie die Beweiswirkung der Unterlagen von vornherein erschütterten.

Entscheidungsgründe

5

II. Die Beschwerde ist --bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit-- jedenfalls unbegründet.

6

1. Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen begründen weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) noch ist eine Revisionsentscheidung zur Wahrung der Rechtsprechungseinheit geboten (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O).

7

a) Geklärt ist entgegen der Darstellung des [X.], dass die [X.] des § 418 ZPO --als allgemeiner Rechtsgedanke-- im finanzgerichtlichen Verfahren gilt. Der [X.] ([X.]) wendet die Vorschrift in ständiger Rechtsprechung an (z.B. auf die Postzustellungsurkunde: Beschluss vom 18. Januar 2011 [X.]/09, [X.]/NV 2011, 812, m.w.N.; Gräber/[X.], Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 82 Rz 40, m.w.N.). Die behauptete Abweichung vom [X.]-Urteil vom 7. Mai 1969 [X.] ([X.]E 95, 395, BStBl II 1969, 444) liegt aufgrund der neueren Rechtsprechung nicht vor.

8

b) Geklärt ist auch, dass eine auf ein [X.] Zustellungsersuchen hin ausgestellte [X.] der ersuchten ausländischen Behörde als öffentliche Urkunde vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen nach § 418 ZPO begründet. Wie der [X.] bereits im Urteil vom 3. Mai 1963 II 72/61 ([X.] 1963, 367) ausgesprochen hat, können Zustellungen im Ausland aus völkerrechtlichen Gründen grundsätzlich nur in der nach § 14 des Verwaltungszustellungsgesetzes --im Streitfall in der Fassung des Zustellungsreformgesetzes vom 25. Juni 2001 ([X.], 1206)-- vorgesehenen Form bewirkt werden. Danach erfolgt eine Zustellung im Ausland auf Ersuchen der Behörde durch die Behörden des fremden Staates. Die Zustellung wird durch die Bescheinigung der ersuchten Behörde, dass zugestellt ist, nachgewiesen. Es kann keinen Zweifel daran geben, dass diese Bescheinigung --wie die [X.] eine öffentliche Urkunde i.S. des § 418 ZPO ist.

9

c) Die vom Kläger in den Raum gestellte Behauptung, die von der ersuchten [X.] Behörde erstellte [X.] entspreche nicht dem Muster, das nach dem [X.] über die Zustellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland vom 24. November 1977 ([X.] 1981, 535) zu verwenden ist, änderte --selbst wenn sie zuträfe-- nichts an der Beweiskraft der Bescheinigung als öffentliche Urkunde.

2. Soweit der Kläger gegen die Beweiskraft der [X.] einwendet, die richtige Adresse für die Zustellung sei nicht angegeben gewesen und aus der Urkunde ergebe sich die Identität des zugestellten Schriftstücks nicht eindeutig, macht er keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 [X.]O geltend. Vielmehr wendet er sich gegen die Würdigung des [X.], das nach den von ihm getroffenen Feststellungen zu der Überzeugung gelangt ist, der Haftungsbescheid sei durch die Angaben in der [X.] ausreichend konkretisiert und --offensichtlich-- an die richtige Adresse zugestellt worden. Die tatrichterliche Überzeugungsbildung, die Tatsachen- bzw. Sachverhaltswürdigung sowie Schlussfolgerungen tatsächlicher Art sind einer Nachprüfung durch den [X.] weitgehend entzogen. Die tatrichterliche Überzeugungsbildung der Vorinstanz (§ 96 Abs. 1 [X.]O) ist nur insoweit revisibel, als Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorliegen (ständige Rechtsprechung, Gräber/Ruban, a.a.[X.], § 118 Rz 30; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 118 [X.]O Rz 87, m.w.N.). Solche Verstöße sind jedoch im Streitfall nicht erkennbar.

Meta

VII B 98/11

02.12.2011

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 15. April 2011, Az: 8 K 3057/10, Urteil

§ 418 ZPO, § 14 VwZG, EuAuslVwZÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 02.12.2011, Az. VII B 98/11 (REWIS RS 2011, 810)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 810

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VII B 11/13 (Bundesfinanzhof)

Postzustellungsurkunde liefert Beweis für die Übergabe des Schriftstücks - Erschütterung nur durch Gegenbeweis


VIII R 50/13 (Bundesfinanzhof)

Beweiskraft der Zustellungsurkunde - Anforderungen an einen Gegenbeweis zur Erschütterung der Behauptung ordnungsgemäßer Zustellung - …


I B 104/10 (Bundesfinanzhof)

Ordnungsgemäße Ladung zur mündlichen Verhandlung durch PZU - Verletzung rechtlichen Gehörs


VII B 108/12 (Bundesfinanzhof)

Beweiskraft der Zustellungsurkunde


VI B 84/13 (Bundesfinanzhof)

Beweiskraft der Zustellungsurkunde; Erschütterung durch Gegenbeweis; Verfahrensfehler


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.