Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10.07.2013, Az. VII B 11/13

7. Senat | REWIS RS 2013, 4262

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Gegenstand

Postzustellungsurkunde liefert Beweis für die Übergabe des Schriftstücks - Erschütterung nur durch Gegenbeweis


Leitsatz

1. NV: Der Inhalt einer Postzustellungsurkunde liefert den vollen Beweis für die in ihr bezeugten Tatsachen, auch für die Übergabe des Schriftstücks an die in der Zustellungsurkunde genannte Person .

2. NV: Der Beweis der Zustellungsurkunde kann nur durch einen Gegenbeweis erschüttert werden, mit der die Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsachen hinreichend belegt wird .

3. NV: Zur Führung des Gegenbeweises ist es nicht ausreichend, wenn lediglich der Zugang des Schriftstücks bestritten und behauptet wird, man könne sich an die Übergabe eines Schriftstücks durch einen Zusteller der Post nicht erinnern .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) nach § 69 der Abgabenordnung ([X.]) für rückständige Umsatzsteuern einer Kommanditgesellschaft ([X.]) als Geschäftsführer der Komplementärin der [X.] in Haftung genommen. Den ersten Haftungsbescheid vom 3. Februar 2009 nahm das [X.] gemäß § 130 Abs. 1 [X.] zurück. Am 31. März 2009 erließ das [X.] einen neuen Haftungsbescheid, in dem es die Ermessensausübung näher begründete. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger erst mit Schreiben vom 2. Juni 2010 Einspruch ein; gleichzeitig beantragte er vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor, den Haftungsbescheid erst in der mündlichen Verhandlung am 10. Mai 2010, bei der es um die Anfechtung einer vom [X.] erlassenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung ging, erhalten zu haben. Unter Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwarf das [X.] den Einspruch als unzulässig. Die daraufhin erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) urteilte, die Bekanntgabe des [X.] sei nach § 122 Abs. 5 [X.] i.V.m. § 3 des [X.] am 4. April 2009 durch Zustellung mittels Postzustellungsurkunde erfolgt. Den erforderlichen Gegenbeweis durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der [X.] bezeugten Tatsachen habe der Kläger nicht führen können. Sein bloßes Bestreiten des Zugangs reiche hierfür nicht aus. Die Angaben in der Postzustellungsurkunde seien zur Identifizierung des Schriftstücks ausreichend. Neben der Steuernummer enthalte die Kennzeichnung die Bezugnahme auf den Haftungsbescheid vom 31. März 2009 über Umsatzsteuer.

2

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Da er im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen habe, sich an die Übergabe eines Schriftstücks durch einen Zusteller der Post nicht erinnern zu können, hätte das [X.] den Zusteller als Zeugen vernehmen müssen. Diese Sachaufklärung sei insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil die "persönliche Übergabe" eher einen Ausnahmefall darstelle. Darüber hinaus beruhe das Urteil nicht auf dem Gesamtergebnis des Verfahrens. In der Klageschrift seien gravierende Umstände dargelegt worden, die gegen die Rechtmäßigkeit des [X.] sprechen würden. Zur vermeintlichen Pflichtverletzung, zum Verschulden und zur fehlerhaften Betätigung des Auswahlermessens durch das [X.] sei hinreichend vorgetragen worden. Da die Sachprüfung zur Nichtigkeit des [X.] geführt hätte, könne es auf die Zustellung des [X.] nicht ankommen.

3

Das [X.] ist der Beschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

4

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ungeachtet der Mängel in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O erforderlichen Darlegung der Gründe für die Zulassung der Revision liegen die von der Beschwerde gerügten Verfahrensmängel jedenfalls nicht vor.

5

1. Entgegen der Auffassung des [X.] hätte sich dem [X.] eine Vernehmung des Zustellers als Zeugen für die Zustellung des [X.] vom 31. März 2009 nicht von Amts wegen aufdrängen müssen. Den Sachverhalt hat es hinreichend aufgeklärt. Dabei durfte es sich mit der Würdigung des Inhalts der [X.] nach § 182 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), die den vollen Beweis für die in ihr bezeugten Tatsachen erbringt (Beschluss des [X.] vom 14. Februar 2007 XI B 108/05, [X.] 2007, 1158) begnügen. Die Beweiskraft, die der Urkunde nach § 418 ZPO zukommt, erstreckt sich auch auf die Übergabe des Schriftstücks an die in der [X.] genannte Person (Senatsbeschluss vom 16. Juni 2005 VII B 138/04, [X.] 2005, 1869). Ein Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der [X.] bezeugten Tatsachen geführt werden (Senatsurteil vom 2. Juni 1987 VII R 36/84, [X.] 1988, 170, m.w.N.). Einen solchen Gegenbeweis hat der Kläger vor dem [X.] nicht ansatzweise geführt, sondern sich lediglich darauf berufen, den Haftungsbescheid nicht erhalten zu haben und sich an die Zustellung nicht erinnern zu können. Zu Recht hat das [X.] darauf hingewiesen, diesem Vorbringen könne eine erforderliche Substantiierung nicht entnommen werden. Eine weitere Sachaufklärung musste es aus seiner maßgeblichen Sicht nicht betreiben.

6

Im Übrigen hat der Kläger ausweislich des [X.] keine Beweisanträge gestellt und damit sein [X.] verloren. Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 155 [X.]O i.V.m. § 295 ZPO) hat die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen [X.] --z.[X.] auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde-- zur Folge. Eine vom [X.] unterlassene Zeugeneinvernahme kann deshalb im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der maßgeblichen Verhandlung selbst anwesende oder fachkundig vertretene Beteiligte, dem die mangelhafte Sachaufklärung erkennbar war, den [X.] nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, [X.] 2000, 597).

7

2. Soweit der Kläger rügt, das [X.] habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt und damit gegen § 96 Abs. 1 [X.]O verstoßen, liegt auch dieser Verfahrensmangel nicht vor. Aus Sicht des [X.] kam es auf die rechtliche Würdigung der vom Kläger gegen die Rechtmäßigkeit des [X.] vorgebrachten Argumente nicht mehr an, nachdem es die Verfristung des Einspruchs festgestellt hatte. Infolge der Unzulässigkeit des Einspruchs musste es sich nicht mehr mit den Fragen der Pflichtverletzung oder der Ermessensausübung befassen. Daran ändert auch nichts, dass sich der Kläger erstmalig im Beschwerdeverfahren auf die vermeintliche Nichtigkeit des [X.] beruft, ohne Nichtigkeitsgründe schlüssig zu belegen.

Meta

VII B 11/13

10.07.2013

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 6. Dezember 2012, Az: 14 K 3985/10 H, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 96 Abs 1 FGO, § 182 Abs 1 S 1 ZPO, § 418 ZPO, § 122 Abs 5 AO, § 3 VwZG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 10.07.2013, Az. VII B 11/13 (REWIS RS 2013, 4262)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4262

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