Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.02.2021, Az. 9 AZR 176/20

9. Senat | REWIS RS 2021, 8706

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zusatzurlaub nach § 19 Abs 2 Spartentarifvertrag Nahverkehr Sachsen - Mitwirkungsobliegenheiten tariflicher Zusatzurlaub


Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 28. Januar 2020 - 3 [X.]/19 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Nr. 1 des Urteilstenors am Ende wie folgt ergänzt wird: „Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.“

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Gewährung von Zusatzurlaub in Anspruch.

2

Die Beklagte, ein Unternehmen des Öffentlichen Personennahverkehrs, beschäftigt den 1964 geborenen Kläger seit 1997 als Straßenbahnfahrer. Die wöchentliche Regelarbeitszeit des [X.] beträgt 40 Stunden. Aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die für den Nahverkehr [X.] geltenden Tarifverträge Anwendung.

3

Der Tarifvertrag zur Anpassung des [X.] - Manteltarifliche Vorschriften für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe vom 10. Dezember 1990 in der Fassung des 12. [X.] vom 31. Jan[X.]r 2003 (BMT-G-O) - enthält [X.]. folgende Regelungen:

        

§ 41a

        

Zusatzurlaub für [X.], Schichtarbeit und Nachtarbeit

        

…       

        
        

(3)     

Der Arbeiter, der … seine Arbeit nach einem Schichtplan (Dienstplan) zu erheblich unterschiedlichen Zeiten (in Schichtarbeit oder im häufigen unregelmäßigen Wechsel mit Abweichungen von mindestens drei Stunden) beginnt oder beendet, erhält bei einer Leistung im Kalenderjahr von mindestens …

                          

220 Nachtstunden

2 Arbeitstage …

                 

Zusatzurlaub im Urlaubsjahr.

        

…       

        
        

(5)     

Für den Arbeiter, der spätestens mit Ablauf des Urlaubsjahres, in dem der Anspruch nach … entsteht, das 50. Lebensjahr vollendet hat, erhöht sich der Zusatzurlaub um einen Arbeitstag.

        

…       

        
        

(7)     

Zusatzurlaub nach den Absätzen 1 bis 4 darf insgesamt vier - in den Fällen des Absatzes 5 fünf - Arbeitstage für das Urlaubsjahr nicht überschreiten.

        

…       

        
        

(9)     

Auf den Zusatzurlaub werden Zusatzurlaub und zusätzliche freie Tage angerechnet, die nach anderen Regelungen wegen Wechselschicht-, Schicht- oder Nachtarbeit oder wegen Arbeit an Theater und Bühnen zustehen.

        

…       

        
        

§ 42   

        

Zusatzurlaub

        

…       

        
        

(6)     

Zusatzurlaub nach diesem Tarifvertrag und nach sonstigen Bestimmungen wird nur bis zu insgesamt fünf Arbeitstagen im Urlaubsjahr gewährt. Erholungsurlaub und Zusatzurlaub ([X.]) dürfen im Urlaubsjahr zusammen 34 Arbeitstage nicht überschreiten. …“

4

Der „[X.] [X.]“ vom 19. März 2009, der am 1. Mai 2009 in [X.] trat, in der Fassung des [X.] Nr. 5 vom 19. März 2014 (TV-N [X.]) regelt [X.]. Folgendes:

        

§ 19 Erholungsurlaub, Zusatzurlaub

        

…       

        
        

(2)     

Arbeitnehmer, die ständig Wechselschicht (§ 14 Abs. 5) leisten, erhalten je Halbjahr zusätzlich einen Urlaubstag. Arbeitnehmer, die ständig Schichtarbeit (§ 14 Abs. 6) oder Tätigkeit im Fahrdienst leisten, erhalten im Urlaubsjahr einen Tag zusätzlich. Arbeitnehmer im Fahrdienst erhalten ab Vollendung des 50. Lebensjahres einen weiteren Urlaubstag.

        

(3)     

Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr erfolgt nur dann, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitsnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Falle der Übertagung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden.“

5

Der mit Wirkung zum 1. Mai 2009 in [X.] getretene „Überleitungstarifvertrag zum TV-N [X.]“ vom 27. Oktober 2009 (TVÜ-N [X.]) sieht [X.]. Folgendes vor:

        

§ 1   

        

Geltungsbereich

        

Dieser Tarifvertrag gilt für diejenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis zu einem Nahverkehrsunternehmen, das Mitglied im KAV [X.] e.V. ist, über den Tag vor der Überleitung hinaus ununterbrochen fortbesteht und die am Tag nach der Überleitung unter den Geltungsbereich des TV-N [X.] in der jeweils gültigen Fassung fallen.

        

§ 2     

        

Ablösung bisheriger Tarifverträge durch den TV-N [X.]

        

(1)     

Mit dem Tag der Überleitung gilt der Tarifvertrag Nahverkehr [X.] in der jeweils gültigen Fassung (TV-N [X.]) für alle tarifgebundenen Arbeitnehmer des Verkehrsunternehmens. Damit werden alle bisher geltenden Regelungen

                 

-       

des [X.]/BMT-G-O nebst damit verbundener Tarifverträge …

                 

jeweils in der zuletzt gültigen Fassung ersetzt. …

                          
        

§ 7     

        

Urlaub

        

…       

        
        

(2)     

Die Arbeitnehmer erhalten Zusatzurlaub für [X.], Schichtarbeit und Nachtarbeit ab dem [X.] nach Maßgabe des bisherigen [X.].“

6

[X.] leistete der Kläger 299,44 [X.], im Folgejahr 221,15 [X.]. Die Beklagte gewährte ihm neben dem tariflichen Grund-/Erholungsurlaub von 29 Tagen in den Jahren 2017 und 2018 jeweils zwei Tage Zusatzurlaub gemäß § 41a Abs. 3 BMT-G-O und jeweils einen weiteren Tag Zusatzurlaub gemäß § 41a Abs. 5 BMT-G-O.

7

Mit Schreiben vom 14. Mai 2018 forderte der Kläger die Beklagte erfolglos auf, ihm für die Jahre 2017 und 2018 jeweils einen zusätzlichen Urlaubstag für die Tätigkeit im Fahrdienst und einen weiteren Urlaubstag wegen Vollendung des 50. Lebensjahres zur gewähren.

8

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei aufgrund seiner Tätigkeit im Fahrdienst gemäß § 19 Abs. 2 TV-N [X.] verpflichtet, ihm Zusatzurlaub zu gewähren.

9

Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, ihm als Schadenersatz für nicht gewährten Zusatzurlaub zwei Tage gemäß § 19 Abs. 2 TV-N [X.] über den genommenen [X.] von 29 Tagen sowie drei Tagen sog. Nachtarbeitsurlaub hinaus für das [X.] nachzugewähren,

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihm als Schadenersatz für nicht gewährten Zusatzurlaub zwei Tage gemäß § 19 Abs. 2 TV-N [X.] über den gewährten [X.] von 29 Tagen zuzüglich drei Tagen Nachtarbeitsurlaub hinaus für das Jahr 2018 nachzugewähren, und

        

3.    

festzustellen, dass die Beklagte gemäß § 19 Abs. 2 TV-N [X.] verpflichtet ist, ihm ab dem [X.] jährlich einen Zusatzurlaub von zwei Arbeitstagen über den Grund- und Zusatzurlaub nach § 7 TVÜ-N [X.] hinaus zu gewähren, solange der Kläger im Fahrdienst beschäftigt ist und soweit die Gesamtzahl der Zusatzurlaubstage für das Jahr fünf Arbeitstage sowie der [X.] (Erholungsurlaub und Zusatzurlaub zusammen) für das Urlaubsjahr 34 Arbeitstage nicht übersteigt.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, der Anspruch des [X.] auf Zusatzurlaub bestimme sich gemäß § 7 Abs. 2 TVÜ-N [X.] auch nach dem Inkrafttreten des TV-N [X.] allein nach dem zuvor geltenden Tarifrecht. Im Übrigen sei der Anspruch für das Jahr 2017 verfallen.

Die Vorinstanzen haben der Klage - soweit der Rechtsstreit in die Revision gelangt ist - stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageziel, die Abweisung der Klage, weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der [X.]n ist nicht begründet. Das [X.] hat die Berufung der [X.]n gegen das Urteil des Arbeitsgerichts - soweit für die Revision von Bedeutung - zu Recht zurückgewiesen. Die [X.] ist gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 und 3 TV-N [X.] verpflichtet, dem Kläger aufgrund des von ihm geleisteten Fahrdiensts für die Jahre 2017 und 2018 jeweils zwei weitere Arbeitstage Zusatzurlaub zu gewähren. Aufgrund derselben Tarifbestimmung hat der Kläger Anspruch darauf, dass die [X.] ihm ab dem Jahr 2019 jährlich einen Zusatzurlaub von zwei Arbeitstagen über den Grund- und Zusatzurlaub nach § 7 [X.] iVm. § 41a Abs. 3 und 5 BMT-G-O hinaus gewährt, solange der Kläger im Fahrdienst beschäftigt ist und soweit die Gesamtzahl der Zusatzurlaubstage für das Jahr fünf Arbeitstage sowie der Gesamturlaub aus Erholungs- und Zusatzurlaub kalenderjährlich 34 Arbeitstage nicht übersteigt. Der von dem Kläger erhobene Anspruch auf Zusatzurlaub richtet sich nach den Tarifvorschriften des § 19 Abs. 2 Satz 2 und 3 TV-N [X.], die ungeachtet der Übergangsvorschrift des § 7 [X.] auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden sind. Die tatbestandlichen Voraussetzungen, an die die maßgebenden Tarifbestimmungen den Anspruch auf Zusatzurlaub wegen einer Tätigkeit im Fahrdienst knüpfen, liegen im Streitfall vor.

I. Streitgegenstand des Urteils des [X.]s und Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Zusatzurlaub, den der Kläger aufgrund seiner Tätigkeit im Fahrdient beansprucht. Das Klagebegehren (zu den für die Auslegung des [X.] maßgebenden Grundsätzen vgl. [X.] 27. Juni 2017 - 9 [X.] - Rn. 13), das ausweislich der Klageanträge zu 1. und zu 2. auf die Gewährung von Zusatzurlaub aus einem in der Vergangenheit liegenden Urlaubsjahr gerichtet ist, umfasst - über den Wortlaut des Klageantrags hinaus - nicht nur den [X.] als Schadenersatz für verfallenen Urlaub, sondern auch den ursprünglichen Urlaub als Ausfluss des primären Urlaubsanspruchs (vgl. zum Erholungsurlaub [X.] 19. März 2019 - 9 [X.]/17 - Rn. 10). Davon ist das [X.] im Ergebnis zu Recht ausgegangen, ohne dies im Einzelnen auszuführen.

II. Die von dem Kläger erhobene Klage ist zulässig. Insbesondere begegnet der Klageantrag zu 3., mit dem der Kläger im Wege der Elementenfeststellungsklage den Umfang zukünftiger Ansprüche auf Zusatzurlaub gerichtlich geklärt wissen will, keinen Bedenken. Die in § 256 Abs. 1 ZPO genannten Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger hat sein Klagebegehren zulässigerweise auf den Umfang des jährlichen Zusatzurlaubs beschränkt (sog. Elementenfeststellungsklage, vgl. hierzu [X.] 3. Dezember 2019 - 9 [X.] - Rn. 12), ohne dass dem Feststellungsbegehren der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage (vgl. hierzu [X.] 23. September 2014 - 9 [X.] 827/12 - Rn. 13) entgegensteht (vgl. im Einzelnen [X.] 10. Oktober 2010 - 9 [X.] 554/09 - Rn. 30). Da der Kläger zunächst eine nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässige Feststellungsklage erhoben hatte, war er nicht gehalten, aufgrund eines „überholenden Ereignisses“, dem im Verlauf des Berufungsverfahrens erfolgten Ablauf des Urlaubsjahres 2019, insoweit zur Leistungsklage überzugehen (vgl. [X.] 22. Februar 2012 -  4 [X.] 580/10  - Rn. 20).

III. Soweit der Rechtsstreit in die Revision gelangt ist, ist die Klage begründet.

1. Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass die [X.] verpflichtet ist, dem Kläger für die Jahre 2017 und 2018 jeweils zwei weitere Arbeitstage Zusatzurlaub zu gewähren. Anspruchsgrundlage ist § 19 Abs. 2 Satz 2 und 3 TV-N [X.], der aufgrund der Tarifbindung beider Parteien auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet.

a) Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N [X.] erhalten Arbeitnehmer, die - wie der Kläger - Tätigkeit im Fahrdienst leisten, im Urlaubsjahr einen Urlaubstag zusätzlich und ab Vollendung des 50. Lebensjahres einen weiteren Urlaubstag (§ 19 Abs. 2 Satz 3 TV-N [X.]). Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis - wie das der Parteien - vor dem 1. Mai 2009 begründet wurde und darüber hinaus fortbesteht (§ 1 [X.]) löst die Neuregelung die bisherigen Tarifverträge, wie etwa den BMT-G-O, ab (§ 2 Abs. 1 Satz 2 erster Spiegelstrich [X.]). Abweichend hierzu ist der diesen Arbeitnehmern wegen [X.], Schichtarbeit und Nachtarbeit zustehende Zusatzurlaub auch für die [X.] nach dem 1. Januar 2009 nach Maßgabe des bisherigen Tarifrechts zu bestimmen (§ 7 Abs. 2 [X.]).

b) Der vom Kläger erhobene Anspruch auf Zusatzurlaub wegen seiner Tätigkeit im Fahrdienst richtet sich nach den tariflichen Bestimmungen in § 19 Abs. 2 TV-N [X.]. Das zuvor geltende Tarifrecht kommt insoweit nicht zur Anwendung. Das [X.] hat zutreffend erkannt, dass die dem Überleitungsrecht zugehörige Bestimmung des § 7 Abs. 2 [X.] nur Ansprüche auf Zusatzurlaub für [X.], Schichtarbeit und Nachtarbeit, nicht aber solchen für die Tätigkeit im Fahrdienst erfasst. Dies ergibt die Auslegung der maßgebenden Tarifvorschriften (vgl. zu den für Tarifverträge maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen [X.] 19. Juni 2018 - 9 [X.] 564/17 - Rn. 17).

aa) Der Wortlaut des § 7 Abs. 2 [X.] spricht bereits deutlich für das Auslegungsergebnis, zu dem das [X.] gelangt ist.

(1) Die Tarifbestimmung sieht vor, dass Arbeitnehmer „Zusatzurlaub für [X.], Schichtarbeit und Nachtarbeit ab dem [X.] nach Maßgabe des bisherigen Tarifrechts“ erhalten. Zusatzurlaub für Arbeitnehmer im Fahrdienst wird vom Wortlaut des § 7 Abs. 2 [X.] nicht erfasst. Hätten die Tarifvertragsparteien mit dieser Regelung sämtliche Zusatzurlaubsansprüche einschließlich der erstmals durch § 19 Abs. 2 TV-N [X.] begründeten Ansprüche auf Zusatzurlaub für Arbeitnehmer im Fahrdienst abschließend den Voraussetzungen des „bisherigen Tarifrechts“ in § 41a BMT-G-O unterwerfen wollen, hätte es nahe gelegen, entweder den umfassenden Begriff „Zusatzurlaub“ zu verwenden oder eine Formulierung wie „Die Arbeitnehmer erhalten Zusatzurlaub ab dem [X.] nach Maßgabe des bisherigen Tarifrechts“ zu wählen.

(2) Auch aus dem grammatikalischen Verständnis der Tarifnorm ergibt sich kein anderes Ergebnis. Die Aufzählung in § 7 Abs. 2 [X.] hat enumerativen Charakter, wie die Verwendung der Konjunktion „und“ belegt. Hätte sich der [X.] der Tarifvertragsparteien darauf beschränkt, anhand einer beispielhaften, nicht abschließenden Übersicht zum Ausdruck zu bringen, welche verschiedenen Arten von Zusatzurlaub aus der Neuregelung ausgenommen werden, spricht alles dafür, dass die Tarifvertragsparteien eine übliche Tarifformulierung („wie“, „zB“, „insbesondere“ …) gewählt hätten. Da dies nicht geschehen ist, bietet der Wortlaut der Tarifnorm keinen Anhaltspunkt dafür anzunehmen, dass Zusatzurlaub aufgrund einer Tätigkeit im Fahrdienst nach Maßgabe des § 19 Abs. 2 TV-N [X.] erfasst ist.

bb) Der systematische Zusammenhang, in den § 7 Abs. 2 [X.] eingebettet ist, bestätigt dieses Verständnis der Tarifnorm.

(1) In § 2 Abs. 1 Satz 2 [X.], dem zufolge die Regelungen des TV-N [X.] alle bisherigen Tarifbestimmungen, insbesondere die des BMT-G-O, ersetzen, manifestiert sich der Wille der Tarifvertragsparteien, mit Wirkung für die Zukunft ein neues, einheitlich geltendes Tarifrecht zu schaffen. Von diesem Grundsatz formuliert § 7 Abs. 2 [X.] eine Ausnahme. Hinsichtlich des Zusatzurlaubs für [X.], Schichtarbeit und Nachtarbeit verbleibt es beim bisherigen [X.]. Nach den für die Tarifauslegung geltenden Grundsätzen sind tarifliche Ausnahmevorschriften eng auszulegen (vgl. [X.] 15. Dezember 2015 - 9 [X.] 611/14 - Rn. 24 mwN). Eine über den Wortlaut hinausgehende Interpretation des § 7 Abs. 2 [X.], wie sie die [X.] befürwortet, wäre weder mit diesem Auslegungsgebot noch mit dem Regelungsziel des § 2 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-N Sachen zu vereinbaren, die Arbeitsbedingungen grundsätzlich einer einheitlichen, für alle Beschäftigte geltenden Regelung zuzuführen.

(2) § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N [X.] räumt - wie im Übrigen auch § 19 Abs. 2 Satz 1 TV-N [X.] - Arbeitnehmern, die besonderen Belastungen ausgesetzt sind, Anspruch auf Zusatzurlaub ein. Die Tarifbestimmung nennt dabei zwei Gruppen von Arbeitnehmern, nämlich solche, die ständig Schichtarbeit leisten, und solche, die ständig im Fahrdienst tätig sind, und unterscheidet damit bewusst zwischen Zusatzurlaub für Schichtarbeiter auf der einen und Zusatzurlaub für Arbeitnehmer, die Fahrdienst leisten, auf der anderen Seite. Es widerspricht dem Grundsatz einer kohärenten Tarifauslegung, bei der Auslegung einer Tarifbestimmung - wie vorliegend § 7 Abs. 2 [X.] - eine begriffliche Unterscheidung unberücksichtigt zu lassen, wenn das Tarifwerk eine solche an anderer Stelle - so in § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N [X.] - ausdrücklich vorsieht.

(3) Soweit die Revision geltend macht, die am Wortlaut orientierte Auslegung des § 7 Abs. 2 [X.] führe in [X.] Weise zu einer doppelten Berücksichtigung der Tätigkeit im Fahrdienst, stellt dies das Auslegungsergebnis, zu dem das [X.] gelangt ist, nicht in Frage. Zum einen sind die Tariftatbestände des § 41a Abs. 3 BMT-G-O und des § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N [X.] nicht deckungsgleich. Die nach § 19 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 TV-N [X.] Zusatzurlaub generierende Tätigkeit im Fahrdienst kann, muss aber nicht die tariflichen Voraussetzungen der Schichtarbeit iSd. § 41a Abs. 3 BMT-G-O erfüllen. Zum anderen verfolgten die Tarifvertragsparteien mit der Schaffung des § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N [X.] das Ziel, durch die Gewährung von Zusatzurlaub den besonderen Belastungen Rechnung zu tragen, denen Arbeitnehmer ausgesetzt sind, die der Arbeitgeber ständig im Fahrdienst einsetzt. Diese besondere Belastungssituation unterscheidet sich von der Belastungssituation durch Schichtarbeit, deren zusatzurlaubsrechtliche Folgen in § 41a BMT-G-O eine tarifliche Regelung gefunden haben. Dies folgt bereits daraus, dass § 19 Abs. 2 Satz 1 und 2 TV-N [X.] beide Tatbestände gesondert aufführt. Darüber hinaus erhalten ständig im Fahrdienst eingesetzte Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, über den in § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N [X.] geregelten Zusatzurlaub weiteren Zusatzurlaub nach § 19 Abs. 2 Satz 3 TV-N [X.]. Für Arbeitnehmer, die - nur - im Schichtdienst tätig sind, sieht das neue Tarifrecht eine nach dem Lebensalter differenzierende Regelung nicht vor.

cc) Die Auslegung, dass ständig im Fahrtdienst tätige Arbeitnehmer Zusatzurlaub nach § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N [X.] beanspruchen können, steht auch mit dem Sinn und Zweck des § 7 Abs. 2 [X.] im Einklang.

(1) Es handelt sich um eine Besitzstandsregelung, die den Zusatzurlaub für [X.], Schichtarbeit und Nachtarbeit, auf den die Arbeitnehmer vor der Überleitung in den TV-N [X.] gemäß § 41a Abs. 3 BMT-G-O Anspruch hatten, für die [X.] nach dem Inkrafttreten des TV-N [X.] verstetigen soll. Eine Besitzstandswahrung kann sich jedoch nur auf die [X.] beziehen, die das frühere Tarifrecht normierte. Im Falle des § 41a Abs. 3 BMT-G-O zählte hierzu allein der Zusatzurlaub für [X.], Schichtarbeit und Nachtarbeit. Eine Regelung über Zusatzurlaub für die Tätigkeit im Fahrdienst nach § 19 Abs. 2 TV-N [X.] war dem überkommenen Tarifrecht fremd. Dies übersieht die Revision, wenn sie darauf abstellt, die in § 7 Abs. 2 [X.] genannten Arten von Zusatzurlaub stimmten mit der tariflichen Überschrift des § 41a BMT-G-O überein.

(2) Dem Einwand der Revision, die vom [X.] vorgenommene Auslegung führe zu dem von den Tarifvertragsparteien nicht gewollten Ergebnis, dass Arbeitnehmer wie der Kläger im Vergleich zum bisherigen Rechtsstand einen erhöhten Zusatzurlaub beanspruchen könnten, liegt ein Zirkelschluss in Form einer sog. petitio principii (für ein Beispiel vgl. BVerwG 9. Juli 2020 - 3 [X.]/19 - Rn. 24) zugrunde, denn er steht und fällt mit der in der Schlussfolgerung vorausgesetzten Prämisse, dass die Tarifvertragsparteien den Arbeitnehmern, die sowohl die tariflichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 [X.] als auch die des § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N [X.] erfüllen, keinen erhöhten Urlaubsanspruch einräumen wollten. Dies lässt sich aus dem Tarifwerk aber gerade nicht herleiten.

dd) Soweit die Revision für eine abweichende Auslegung des § 7 Abs. 2 [X.] die Tarifgeschichte heranzieht, gibt diese kein anderes Ergebnis vor. Wegen der weitreichenden Wirkung von [X.] auf die Rechtsverhältnisse Dritter, die an den [X.] nicht beteiligt waren, kann der Wille der Tarifvertragsparteien im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nur ausnahmsweise dann berücksichtigt werden, wenn er in den tariflichen Normen unmittelbar seinen Niederschlag gefunden hat ([X.] 10. Dezember 2014 - 4 [X.] 503/12 - Rn. 22, [X.]E 150, 184). Das ist hier nicht der Fall. Der im Wortlaut und im tariflichen Gesamtzusammenhang zum Ausdruck gekommene Wille der Tarifvertragsparteien lässt eine Auslegung zu, die einen Rückgriff auf die Tarifgeschichte weder erfordert noch zulässt.

ee) Schließlich verfängt der Hinweis der Revision auf die Tarifübung nicht. Wie das [X.] zutreffend erkannt hat, fehlt es an einem Verhalten der tarifvertragschließenden [X.], das darauf schließen lässt, dass sie § 7 Abs. 2 [X.] im nämlichen Sinne versteht wie die [X.].

c) Die tatbestandlichen Voraussetzungen, an die § 19 Abs. 2 TV-N [X.] den Anspruch auf jeweils zwei Arbeitstage Zusatzurlaub je Kalenderjahr knüpft, liegen im Streitfall vor. Die [X.] setzte den Kläger, der 2014 das 50. Lebensjahr vollendete (§ 19 Abs. 2 Satz 3 TV-N [X.]), in den Jahren 2017 und 2018 durchgehend als Straßenbahnfahrer und damit im Fahrdienst ein ( § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N [X.] ). Eine Anrechnung des Zusatzurlaubs, der dem Kläger infolge seines ständigen Einsatzes im Fahrdienst zusteht, auf den Zusatzurlaub nach § 41a Abs. 9 BMT-G-O kommt nicht in Betracht. § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N [X.] honoriert nicht den Einsatz „wegen Wechselschicht-, Schicht- oder Nachtarbeit“, sondern allein den wegen der Tätigkeit im Fahrdienst.

d) Der Anspruch auf jeweils zwei Tage Zusatzurlaub ist in der Folgezeit nicht gemäß § 19 Abs. 3 TV-N [X.] verfallen, da die [X.] - wie das [X.] in den Entscheidungsgründen mit bindender Wirkung für den Senat festgestellt hat - den sie treffenden Obliegenheiten, an der Verwirklichung des dem Kläger zustehenden Urlaubs mitzuwirken, nicht nachgekommen ist.

aa) Nach der ständiger Rechtsprechung des Senats (seit [X.] 19. Februar 2019 - 9 [X.] 423/16 - Rn. 21 ff., [X.]E 165, 376; vgl. etwa 22. Oktober 2019 - 9 [X.] 98/19 - Rn. 12 ff.; zuletzt 29. September 2020 - 9 [X.] 266/20 (A) - Rn. 19 f.) erlischt der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 [X.]) bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/[X.] konformen Auslegung von § 7 [X.] nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 [X.]) oder eines zulässigen [X.] (§ 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 [X.]), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Bei einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 [X.] trifft den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Die Erfüllung der hieraus in richtlinienkonformer Auslegung abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ist grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes des § 7 Abs. 3 [X.].

bb) Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 [X.] setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss den Arbeitnehmer - erforderlichenfalls förmlich - auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder [X.] verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. Zudem darf der Arbeitgeber, will er seinen Mitwirkungsobliegenheiten genügen, den Arbeitnehmer nicht in sonstiger Weise daran hindern, den Urlaub wahrzunehmen. Er darf ihn insbesondere nicht mit Umständen konfrontieren, die ihn davon abhalten könnten, seinen Jahresurlaub zu nehmen.

cc) Hat der Arbeitgeber durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr gebunden und verlangt der Arbeitnehmer dennoch nicht, ihm Urlaub zu gewähren, verfällt sein Anspruch nach Maßgabe von § 7 Abs. 3 Satz 1 [X.] mit Ablauf des Urlaubsjahres. Liegen die Voraussetzungen einer Übertragung des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 Satz 2 oder Satz 4 [X.] vor, wird der Urlaub „von selbst“ auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen. Der Urlaubsanspruch kann in diesem Fall grundsätzlich nur dann mit Ablauf des [X.] untergehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig auffordert, seinen Urlaub noch innerhalb des [X.] zu nehmen, und ihn darauf hinweist, dass der Urlaubsanspruch anderenfalls erlischt.

dd) Hat der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht. Für ihn gelten, wie für den neu entstandenen Urlaubsanspruch, die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 [X.]. Der Arbeitgeber kann deshalb das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren im aktuellen Urlaubsjahr nachholt. Nimmt der Arbeitnehmer in einem solchen Fall den kumulierten Urlaubsanspruch im laufenden Urlaubsjahr nicht wahr, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, verfällt der Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. eines (zulässigen) [X.].

ee) Diese Grundsätze der Befristung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs gelten auch für den tarifvertraglichen Zusatzurlaub, dessen Gewährung der Kläger begehrt. Es ist insoweit von einem Gleichlauf des tariflichen Zusatzurlaubs mit dem gesetzlichen Mindesturlaub auszugehen, weil die Tarifvertragsparteien die Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers, die dieser bei der Festlegung des Urlaubs zu beachten hat, im Vergleich mit der gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 [X.] nicht abweichend geregelt haben (ständige Rechtsprechung seit [X.] 19. Februar 2019 - 9 [X.] 541/15 - Rn. 36; zuletzt etwa 29. September 2020 - 9 [X.] 113/19 - Rn. 12 und - 9 [X.] 364/19 - Rn. 32).

2. Soweit der Klageantrag zu 3. in die Revisionsinstanz gelangt ist, ist er begründet. Die [X.] ist verpflichtet, dem Kläger ab dem Jahr 2019 jährlich einen Zusatzurlaub von zwei Arbeitstagen über den Grund- und Zusatzurlaub nach § 7 [X.] hinaus zu gewähren, solange der Kläger im Fahrdienst beschäftigt ist und soweit die Gesamtzahl der Zusatzurlaubstage für das Jahr fünf Arbeitstage sowie der Gesamturlaub (Erholungsurlaub und Zusatzurlaub zusammen) für das Urlaubsjahr 34 Arbeitstage nicht übersteigt. Ab dem Jahr 2019 erfüllt der Kläger, der zu diesem [X.]punkt das 50. Lebensjahr bereits vollendet hat (§ 19 Abs. 2 Satz 3 TV-N [X.]), die tariflichen Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Satz 2 TV-N [X.], wenn und solange die [X.] ihn weiterhin ausschließlich im Fahrdienst einsetzt. Die dem Überleitungsrecht zugehörige Tarifbestimmung des § 7 Abs. 2 [X.] steht der Anwendung der Vorschrift nach dem Gesagten nicht entgegen.

IV. Die [X.] hat die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

        

    Kiel    

        

    Weber    

        

    [X.]    

        

        

        

    Leitner    

        

    M. Lücke    

                 

Meta

9 AZR 176/20

16.02.2021

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Dresden, 21. März 2019, Az: 5 Ca 2310/18, Urteil

§ 7 Abs 1 BUrlG, § 1 TVG, § 7 Abs 3 BUrlG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.02.2021, Az. 9 AZR 176/20 (REWIS RS 2021, 8706)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8706

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 AZR 708/08 (Bundesarbeitsgericht)

Fortgeltung der Zusatzurlaubsregelung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach § 5 BZTV Nr 2


9 AZR 486/09 (Bundesarbeitsgericht)

(Öffentlicher Dienst - Feuerwehrpersonal im Schichtdienst - Anspruch auf Zusatzurlaub gemäß § 46 Nr 7 …


6 AZR 833/16 (Bundesarbeitsgericht)

Ausgleich für Feiertagsarbeit im Rahmen des TV-N MV


9 AZR 914/11 (Bundesarbeitsgericht)

Tariflicher Mehrurlaub - Verfall und Abgeltung trotz fortbestehender Krankheit - Tilgungsbestimmung bei Zahlung der Urlaubsabgeltung


9 AZR 245/19 (Bundesarbeitsgericht)

Urlaub - 15 Monatsfrist - Mitwirkungsobliegenheiten


Referenzen
Wird zitiert von

7 Sa 857/21

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.