Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.06.2018, Az. 3 StR 206/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 7803

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2018:140618B3STR206.18.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3
StR 206/18

vom
14. Juni
2018
in der Strafsache
gegen

wegen Mordes

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung der Beschwerde-führerin und des [X.] -
zu
2. auf dessen Antrag
-
am
14.
Juni
2018
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 [X.] einstimmig
beschlossen:

1.
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Lüneburg vom 4.
Januar 2018 mit den [X.] aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum
objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurück-verwiesen.
2.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte wegen Mordes zu einer lebenslan-gen Freiheitsstrafe verurteilt. Ihre auf die [X.] der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit einer Verfahrensbeanstandung
den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet (§
349 Abs.
2 [X.]).
1
-
3
-
1. Das [X.] hat Folgendes festgestellt
und gewertet:
a) Zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt am 30. oder
31.
Dezember 2016 erstickte die Angeklagte, die seit 2015 in [X.] [X.] hatte,
ihre am

geborene Tochter. Sie
wollte in [X.]
ein neues unabhängiges Leben beginnen; daran sah sie sich durch ihre Tochter gehindert. Zudem wollte sie sich am Vater des Kindes (dem Nebenkläger)
rächen, der mit dem gemeinsamen Kind seinen Aufenthaltsstatus verbessern wollte, dennoch aber die Angeklagte und seine Tochter
verließ. Nach [X.] der Angeklagten hatte der Nebenkläger ihr Leben "kaputtgemacht", indem er sie geschwängert hatte und sie dann mit dem Kind allein ließ. Die Tochter wollte die Angeklagte dem Nebenkläger nicht überlassen.
b) Das [X.] hat das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe vor allem durch die "rücksichtslose Gier"
der Angeklagten nach einem selbstbe-stimmten Leben ohne Einschränkungen
als verwirklicht angesehen; daneben hat es
auf das Motiv der Rache der Angeklagten abgestellt, dem Nebenkläger seine Tochter sowie die aus seiner Vaterschaft vermeintlich erwachsenen aus-länderrechtlichen Vorteile zu nehmen.
2. Die Revision der Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge der Verlet-zung des §
265
Abs.
2 Nr.
3 [X.] nF überwiegend Erfolg.
a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
2
3
4
5
6
-
4
-
Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage
vom 13.
September 2017
begründete die niedrigen
Beweggründe damit, die Ange-klagte habe sich am Nebenkläger
rächen und ihn dafür bestrafen wollen, "dass er während des Zusammenlebens ihr gegenüber gewalttätig gewesen
war". Auf die von ihm in Abweichung hiervon nach den Urteilsgründen festgestellten
Beweggründe der Angeklagten für ihre Tat hat das [X.] diese in der Hauptverhandlung nicht förmlich hingewiesen.
b)
Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet.
Die Verfahrensweise des [X.] ist mit §
265 Abs.
2 Nr.
3 i.V.m. Abs. 1 [X.] in der Fassung des
Gesetzes
zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Straf-verfahrens vom 17.
August 2017 ([X.]
I S.
3202, 3210), in [X.] getreten zum 24.
August 2017, nicht vereinbar. Der Angeklagten hätte ein förmlicher Hinweis darauf erteilt werden müssen, dass das [X.] die Annahme des Mord-merkmals der niedrigen Beweggründe auf eine Motivlage der Angeklagten zu stützten gedachte, die von der ihr in
der Anklageschrift angelasteten deutlich abwich. Im Einzelnen:
[X.]) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist
dem Ange-klagten
gemäß § 265 Abs. 1 [X.] ein förmlicher Hinweis zu erteilen,
wenn sei-ne Verurteilung wegen Mordes auf ein anderes Mordmerkmal gegründet wer-den soll, als es ihm in der Anklageschrift vorgeworfen worden war (siehe nur [X.], Urteile
vom 30. Juli
1969
-
4
StR
237/69,
[X.]St 23, 95, 96; vom 20.
Februar 1974 -
2 StR 448/73, [X.]St 25, 287 ff.; Beschluss vom 23.
März
2011 -
2
StR
584/10, [X.]R [X.] §
265 Abs.
1 Hinweispflicht
19). Aber auch dann, wenn die Verurteilung auf das schon in der Anklageschrift an-genommene
Mordmerkmal gestützt werden
soll, sich
indes die [X.], die dieses nach Auffassung des Gerichts ausfüllt, gegenüber
7
8
9
-
5
-
derjenigen
ändert, von der die Anklage ausgegangen ist,
war schon nach der alten Rechtslage anerkannt, dass der Angeklagte auf diese Änderung der [X.] in entsprechender Anwendung von § 265 Abs. 1 und Abs. 4 [X.] aF
hinzuweisen gewesen ist. So erfordert beim Mordmerkmal der Absicht, eine andere Straftat zu verdecken, der Austausch der [X.] einen gerichtlichen Hinweis, um den Angeklagten vor einer Überraschungsentscheidung zu schüt-zen
und ihm Gelegenheit zu geben, sich gegenüber dem Tatvorwurf sachge-recht zu verteidigen ([X.], Beschluss vom 12. Januar 2011 -
1
StR
582/10, [X.]St 56, 121, 122
ff.: Verdeckung einer Körperverletzung statt einer Unter-schlagung; dort ist lediglich offen gelassen, ob ein ausdrücklicher Hinweis ent-behrlich sein kann, wenn dem Angeklagten die erforderliche Kenntnis schon durch den Gang der Hauptverhandlung vermittelt worden ist). Nichts anderes kann
für das
Mordmerkmal
der niedrigen Beweggründe
gelten; auch insoweit ist der Angeklagte nicht nur davon in Kenntnis zu setzen, durch welche bestimm-ten Tatsachen das Gericht das Mordmerkmal als erfüllt ansieht (siehe nur [X.], Beschlüsse vom 25. Oktober
2016 -
2
StR
84/16, [X.]R [X.] §
265 Abs.
1 Hinweispflicht
22; vom 23.
März 2011 -
2 StR 584/10, [X.], 475; vom 21.
April 2004 -
2
StR
363/03, [X.], 111, 112), vielmehr ist er auch
darüber zu informieren, dass sich diese Tatsachen aus Sicht des Gerichts ge-genüber der Anklageschrift oder aber auch einem
früher erteilten Hinweis
geändert haben könnten.
bb) Nach diesen Maßstäben war hier ein Hinweis geboten; denn die [X.], auf welche das [X.] das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe stützt, weicht in zweifacher
Hinsicht wesentlich von derjenigen der Anklage ab:

10
-
6
-
Das
Motiv, ein neues selbstbestimmtes und vom Kind unabhängiges
Leben in [X.] zu beginnen, kann zwar als
besonders "krasse Selbst-sucht"
bewertet und damit das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe als erfüllt angesehen werden (vgl. [X.], Urteil vom 30.
Oktober 2008
-
4
StR
352/08, NStZ
2009, 210). Indes benennt die Anklage ein solches Motiv nicht und stützt das
Mordmerkmal
allein auf ein
Rachemotiv
der Angeklagten.
Diese beiden Beweggründe unterscheiden sich deutlich voneinander.
Das [X.] nach einem unabhängigen Leben kann -
entgegen der Auffassung des [X.] -
auch nicht dem wesentlichen Ermitt-lungsergebnis der Anklageschrift entnommen werden: Die dort mitgeteilte [X.] einer Zeugin, der Angeklagten fehle der "natürliche Mutterinstinkt",
ist nichtssagend und gibt daher keinen Anhalt für eine selbstsüchtige Entschei-dung der Angeklagten, nach dem endgültigen Scheitern der Beziehung mit dem Nebenkläger das Kind durch dessen Tötung "hinter sich zu lassen" und in [X.] ein neues Leben zu beginnen.
Das Urteil geht im Übrigen zwar wie die Anklage auch
von einem
Rachemotiv aus. Indes weichen die hierfür maßgeblichen Tatsachen ebenfalls deutlich voneinander
ab: Der Zorn über das Im-Stich-lassen
hat mit Gewalttä-tigkeiten
nichts zu tun. Auch insoweit hat
eine Hinweispflicht
bestanden.
cc) Den danach
erforderlichen Hinweis auf die in zweifacher Hinsicht ge-änderte Tatsachengrundlage
hätte der Vorsitzende förmlich erteilen müssen.
Er ist als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens in das Hauptverhandlungspro-tokoll aufzunehmen gewesen (§ 273 Abs. 1 Satz 1 [X.]) und kann nur durch dieses belegt werden (§ 274 Satz 1 [X.]).

11
12
13
-
7
-
Dies folgt aus dem in § 265 Abs. 2 [X.] enthaltenen Verweis ("ebenso ist zu verfahren") auf die in §
265 Abs. 1 [X.] normierte Hinweispflicht. Mit der
Neuregelung des §
265 Abs. 2 Nr. 3 [X.] wollte
der Gesetzgeber die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Hinweispflicht umsetzen,
wonach auch unterhalb der Schwelle des § 265 Abs. 4 [X.] in entsprechender Anwendung des §
265 Abs.
1 [X.] ein Hinweis auf die Veränderung eines tat-sächlichen Umstands erforderlich war, wenn dieser in seinem Gewicht der [X.] (BT-Drucks. 18/11277, S.
37 unter Hinweis auf [X.], Urteil vom 20.
November 2014 -
4
StR
234/14, NStZ
2015, 233, 234 mwN). Damit soll das Recht des Angeklagten auf rechtli-ches Gehör (Art.
103 Abs. 1 GG) gewährleistet und er nach dem rechtsst[X.]tli-chen Grundsatz des fairen Verfahrens vor Überraschungsentscheidungen
geschützt werden (BT-Drucks. [X.]O; [X.] [X.]O mwN).
Mit dem Verweis auf § 265 Abs. 1 [X.], wonach der Angeklagte
"besonders" auf eine veränderte Sachlage hinzuweisen ist, ist die
zu der
alten
Rechtslage
vertretene
Auffassung, es genüge, wenn der Angeklagte die Ände-rung eines wesentlichen sachlichen Umstandes dem Gang der Hauptverhand-lung entnehmen könne (offengelassen, wie ausgeführt,
in [X.], Beschluss vom 12. Januar 2011 -
1
StR
582/10, [X.]St 56, 121, 125; vgl. im Übrigen etwa [X.], Urteil vom 20. November 2014 -
4
StR
234/14, [X.], 233, 234 mwN), überholt. Zwar ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber sich mit diesem Gesichtspunkt auseinandergesetzt hat (siehe insbesondere den Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 22.
Februar
2018, BT-Drucks. 18/11277, S. 36 f.). Indes folgt dieses Ergebnis, wie dargelegt, aus dem Verweis auf die in § 265 Abs. 1 [X.] normierte [X.]
(im Ergebnis ebenso [X.]/[X.], [X.], 61. Aufl. §
265 Rn. 22; BeckOK
[X.]/[X.], § 265
Rn. 51).
14
15
-
8
-
dd) Das Urteil beruht auf dem dargestellten Verfahrensfehler (§
337 Abs.
1 [X.]); denn der [X.] kann nicht ausschließen, dass sich die [X.] zu ihrer Tatmotivation anders als geschehen hätte verteidigen können, wenn ihr der gebotene förmliche Hinweis erteilt worden wäre.
Sie hätte ihre Entschei-dung, zum Tatvorwurf zu schweigen, überdenken oder aber Beweisanträge zu den Beweggründen und Umständen ihrer Reise nach [X.] stellen
können.
3. Der Rechtsfehler erfasst
die Feststellungen
zu den Voraussetzungen der Mordmerkmale und der Strafe. Die rechtsfehlerfrei getroffenen [X.] zum äußeren Tatgeschehen können
indes
aufrechterhalten bleiben (§
353 Abs.
2 [X.]; dazu [X.], Beschluss vom 23. März 2011 -
2 StR 584/10, NStZ
2011, 475, 476); ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern
sie dazu nicht im Widerspruch stehen.
4. [X.] vom 8. Mai 2018 (5 [X.], juris Rn.
2 ff.) steht vorliegender Entscheidung nicht entgegen.
a) Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Anforderungen, die dort an den Revisionsvortrag einer Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 [X.] im Hinblick auf § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] gestellt werden. Zwar hätte der [X.] Bedenken, dem 5. Strafsenat insoweit in sämtlichen
Punkten
für alle denkbaren Sachverhaltsgestaltungen zu folgen. Auf diese Bedenken kommt es hier indes nicht an; denn auch unter Beachtung der vom 5. Strafsenat formulierten [X.] bestehen gegen die Zulässigkeit der Rüge der Angeklagten keine Beden-ken: Soweit der 5. Strafsenat Revisionsvortrag dazu verlangt, ob der Revisions-führer durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung der [X.] bereits zuverlässig unterrichtet war und deshalb ein ausdrücklicher Hin-16
17
18
19
-
9
-
weis unterbleiben konnte, ist dem hier schon durch den Hinweis darauf hinrei-chend Genüge getan, dass selbst die St[X.]tsanwaltschaft auf eine Verurteilung der Angeklagten nur wegen Totschlags plädiert hat. Auch war kein Revisions-vortrag dazu erforderlich, inwieweit der Hinweis für die genügende Verteidigung der Angeklagten erforderlich war, warum die Angeklagte durch dessen Unter-lassen in ihrer Verteidigung beschränkt wurde und wie sie ihr [X.] nach erteiltem Hinweis anders hätte einrichten können; denn all das ver-steht sich hier von
selbst (vgl. auch oben [X.]]). Für diesen Fall verlangt aber auch der
5. Strafsenat kein entsprechendes Revisionsvorbringen ([X.], [X.]O Rn. 6).
b) Im Übrigen unterscheidet sich der vorliegend zu beurteilende Sach-verhalt auch wesentlich von der Fallgestaltung, die der Entscheidung des 5.
Strafsenats zugrunde lag. Während es dort um die Frage ging, ob der Tatrichter einen Hinweis darauf erteilen muss, welche Folgerungen für seine Überzeugungsbildung er aus dem Ergebnis einer einzelnen Beweiserhebung (Zeugenvernehmung) zu ziehen gedenkt, geht es hier um eine Änderung der 20
-
10
-
Tatsachenbasis, auf die der Tatrichter in Abweichung von der Anklage das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe, mithin einer für den Schuldspruch unmittelbar relevanten Haupttatsache, stützen will.
[X.] Spaniol Berg

Ri[X.] Hoch befindet

Leplow

sich im Urlaub und ist

daher gehindert zu

unterschreiben.

[X.]

Meta

3 StR 206/18

14.06.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.06.2018, Az. 3 StR 206/18 (REWIS RS 2018, 7803)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7803

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 206/18 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen Mordes: Erteilung eines förmlichen Hinweises bei Änderung der Tatsachengrundlage für das Mordmerkmal der …


1 StR 185/19 (Bundesgerichtshof)

Hinweispflicht bei Annahme anderer subjektiver Tatbestandsmerkmale


2 StR 363/03 (Bundesgerichtshof)


4 StR 335/06 (Bundesgerichtshof)


2 StR 584/10 (Bundesgerichtshof)

Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts: Anforderungen an den rechtlichen Hinweis bei beabsichtigter Verurteilung wegen Mordes aus …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 StR 584/10

5 StR 65/18

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.