Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.11.2010, Az. I R 68/10

1. Senat | REWIS RS 2010, 1338

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Gegenstand

(Keine Verzinsung von an den Steuerpflichtigen erstatteten Steuerabzugsbeträgen - Keine Verfassungswidrigkeit des ausnahmslosen Ausschlusses der Steuerabzugsbeträge aus der Vollverzinsung des § 233a AO)


Leitsatz

1. NV: Durch einen Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid gegenüber dem Arbeitnehmer werden Steuerabzugsbeträge festgesetzt und im Falle der späteren Aufhebung des Lohnsteuer-Nachforderungsbescheids Steuerabzugsbeträge erstattet, sodass eine Verzinsung gemäß § 233a Abs. 1 Satz 2 AO ausgeschlossen ist .

2. NV: Der ausnahmslose Ausschluss der Steuerabzugsbeträge aus der Vollverzinsung des § 233a AO verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war als leitender Angestellter einer inländischen Versicherungsgesellschaft tätig. Seit Mitte 2001 übte er diese Tätigkeit in [X.] aus und hatte dort seinen Wohnsitz. Aus im Jahr 1997 zugesagten Aktienoptionen flossen ihm im [X.] geldwerte Vorteile zu. Der Arbeitgeber unterwarf diese dem Lohnsteuerabzug gemäß § 39b Abs. 3 Satz 9 i.V.m. § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002).

2

Nach einer Lohnsteueraußenprüfung setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) unter Berufung auf § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 mit Nachforderungsbescheid vom 24. Februar 2004 unmittelbar gegenüber dem Kläger Lohnsteuer in Höhe von 37.804 € fest. Der Kläger zahlte diesen Betrag am 29. März 2004. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob er Klage. Während dieses Klageverfahrens änderte der Gesetzgeber § 50 Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 dahingehend, dass die Einschränkungen hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 34 EStG 2002 entfielen, und zwar für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der [X.] auf Antrag auch für Veranlagungszeiträume vor 2008. Daraufhin hob das [X.] den Nachforderungsbescheid mit Schreiben vom 20. Juni 2008 auf und erstattete den nachgeforderten Betrag.

3

Der Kläger beantragte daraufhin vergeblich, für diesen Betrag Erstattungszinsen gemäß § 233a der Abgabenordnung ([X.]) festzusetzen. Die deswegen erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) Köln mit in Entscheidungen der [X.]e 2010, 1386 veröffentlichtem Urteil vom 18. März 2010  11 K 459/09 ab.

4

Der Kläger stützt seine Revision auf eine Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, das Urteil des [X.] aufzuheben und Zinsen gemäß § 233a [X.] für den Zeitraum vom 29. März 2004 bis 30. September 2006 in Höhe von 5.670 € festzusetzen.

5

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die an den Kläger erstattete Lohnsteuer nicht gemäß § 233a [X.] zu verzinsen ist.

7

1. Nach § 233a Abs. 1 Satz 1 [X.] ist der Unterschiedsbetrag, der sich nach § 233a Abs. 3 [X.] u.a. bei der Festsetzung der Einkommensteuer ergibt, zu verzinsen. Dies gilt nach § 233a Abs. 1 Satz 2 [X.] jedoch nicht bei der Festsetzung von Vorauszahlungen und [X.]. Der Gesetzgeber hat Vorauszahlungen und [X.] aus dem sachlichen Anwendungsbereich des § 233a [X.] ausgenommen, weil eine Verzinsung "in aller Regel ins Leere gehen (würde), da die Steuerfestsetzungen bzw. [X.] insoweit zeitnah, d.h. innerhalb der vorgesehenen Karenzzeit von 15 Monaten, erfolgen und nach der Steuerfestsetzung oder Steueranmeldung das geltende Zins- und Säumnisrecht eingreift" (BTDrucks 11/2157, [X.]). Darüber hinaus würde eine eigenständige Verzinsung dieser Beträge eine erhebliche Verkomplizierung der Vollverzinsung mit sich bringen ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 233a [X.] Rz 20). Von der Verzinsung ausgeschlossen sind sowohl erstattete als auch nachgeforderte Vorauszahlungen und [X.].

8

2. Das [X.] hat zutreffend angenommen, dass durch einen [X.], der gemäß § 42d Abs. 3 Sätze 1 und 4 EStG 2002 gegenüber dem Arbeitnehmer ergeht, [X.] i.S. von § 233a Abs. 1 Satz 2 [X.] festgesetzt und im Falle der späteren Aufhebung des [X.]s [X.] erstattet werden.

9

a) Der Kläger, der im Jahr 2002 im Inland weder einen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, unterlag mit seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, die er im Jahr 2002 aus seiner früheren im Inland ausgeübten Tätigkeit bezog, gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG 2002 der inländischen beschränkten Steuerpflicht. Die Einkommensteuer wird bei beschränkt steuerpflichtigen Einkünften i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG 2002 im Wege des [X.] erhoben (§ 39d [X.]. § 38 EStG 2002). Kommt der Arbeitgeber seiner Pflicht, die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten (§ 38 Abs. 1 Satz 1 [X.]. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG 2002), nicht nach, haftet er für die Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG 2002). Das [X.] kann jedoch auch den Arbeitnehmer nach Maßgabe des § 42d Abs. 3 Sätze 1 und 4 EStG 2002 durch Nachforderungsbescheid in Anspruch nehmen. Einen solchen Nachforderungsbescheid hat das [X.] gegen den Kläger erlassen.

b) Das [X.] hat damit einen [X.]betrag i.S. des § 233a Abs. 1 Satz 2 [X.] festgesetzt (gl.A. [X.] in [X.]/ [X.]/[X.], § 233a [X.] Rz 20; Loose in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 233a [X.] Rz 9; [X.] in [X.], § 233a [X.] Rz 5.17; [X.] in [X.]/[X.], Abgabenordnung, 2. Aufl., § 233a Rz 15).

aa) [X.]betrag ist derjenige Betrag, der nach dem Gesetz vom [X.]verpflichteten für fremde Rechnung einzubehalten und an das [X.] abzuführen ist. Hat der Arbeitgeber den Steuerabzug nicht entsprechend den gesetzlichen Vorgaben in § 39d [X.]. § 38 EStG 2002 vorgenommen und macht das [X.] den Anspruch gegenüber dem Arbeitnehmer durch Nachforderungsbescheid gemäß § 42d Abs. 3 Sätze 2 und 4 EStG 2002 geltend, ändert sich der Charakter der Lohnsteuer als Abzugssteuer nicht. Es handelt sich ebenso wenig wie das Erstattungsverfahren nach § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 EStG 2002 (vgl. Senatsbeschluss vom 18. September 2007 [X.], [X.], 1, [X.], 332) um eine Veranlagung zur Einkommensteuer, sondern um ein verlängertes [X.]verfahren. Denn Maßstab ist allein die vom Arbeitgeber vorschriftswidrig nicht einbehaltene Lohnsteuer. Dieser nicht einbehaltene [X.]betrag und nicht die bei einer Einkommensteuerveranlagung tatsächlich festzusetzende Einkommensteuer wird nachgefordert. Dementsprechend wird die beim Arbeitnehmer nacherhobene Lohnsteuer bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer nur gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG 2002 angerechnet. Bei beschränkt [X.] --wie dem Kläger-- hat die nachgeforderte Lohnsteuer ebenso wie die vom Arbeitgeber einbehaltene Lohnsteuer abgeltende Wirkung (§ 50 Abs. 5 Satz 1 EStG 2002).

bb) Die vom Kläger befürwortete Auslegung des § 233a [X.] dahingehend, dass unter [X.] nur solche Beträge zu verstehen sind, die der Abführungsverpflichtete selbst an das [X.] geführt hat, ist nicht sachgerecht. Sie widerspricht dem Willen des Gesetzgebers. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich eindeutig, dass gegenüber dem Steuerschuldner nachgeforderte Abzugssteuern unverzinst bleiben sollen (BTDrucks 11/2157, [X.]). Auch die vom Steuerschuldner nachgeforderte Abzugssteuer ist demnach als "[X.]betrag" i.S. des § 233a [X.] zu verstehen. Dies mag zwar darin begründet sein, dass die Unterlassung des [X.]s regelmäßig nicht in den Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers fällt und es dem Gesetzgeber daher nicht angezeigt schien, in diesen Fällen eine Verzinsung anzuordnen. Der Gesetzgeber hat den Ausschluss der Vorauszahlungen und der [X.] von der Verzinsung aber in Kenntnis dessen, dass [X.] auch an den Steuerpflichtigen erstattet werden können, bewusst ausnahmslos angeordnet; eine zwischen Erstattung und Nachforderung von [X.] differenzierende Auslegung des Begriffs "[X.]betrag" in § 233a Abs. 1 Satz 2 [X.] ist daher mangels einer Gesetzeslücke nicht möglich. Wie der [X.] ([X.]) wiederholt entschieden hat, besteht kein Anspruch auf Verzinsung sämtlicher Steuererstattungsbeträge. Verzinsungslücken sind vielmehr hinzunehmen ([X.]-Urteile vom 23. Februar 2006 III R 66/03, [X.]E 212, 386, [X.], 741; vom 20. April 2006 [X.], [X.]E 212, 416, [X.], 240; Senatsurteil vom 26. April 2006 [X.]/04, [X.]E 212, 426, [X.], 737; Senatsbeschluss in [X.], 1, [X.], 332; bestätigt durch Beschluss des [X.] vom 3. September 2009  1 BvR 1098/08, [X.] --HFR-- 2010, 66).

3. Der ausnahmslose Ausschluss der [X.] aus der Vollverzinsung des § 233a [X.] verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber hielt sich vielmehr im Rahmen seines ihm im Steuerrecht eröffneten Gestaltungs- und Pauschalierungsspielraums (BVerfG-Beschluss in HFR 2010, 66). § 233a [X.] will einen Ausgleich für [X.] herstellen, die dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen (Senatsurteil in [X.]E 212, 426, [X.], 737; Senatsbeschluss in [X.], 1, [X.], 332). Dies rechtfertigt es, den sachlichen Anwendungsbereich auf Veranlagungssteuern zu beschränken. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, eine Verzinsung von [X.] für die Fälle anzuordnen, in denen es doch zu einem Liquiditätsvorteil --sei es des [X.], sei es des [X.] kommt. Er kann sich vielmehr am Regelfall orientieren, bei dem zeitnah an den Steuerabzug eine Veranlagung zur Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer folgt (vgl. [X.] vom 10. April 1997  2 [X.], [X.] 96, 1, [X.] 1997, 518; vom 9. Dezember 2008  2 BvL 1, 2/07, 1, 2/08, [X.] 122, 210, [X.]/NV 2009, 338). Zwar kommt es bei beschränkt [X.], die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen haben, häufig nicht zu einer Veranlagung, weil die Einkommensteuer durch den [X.] als abgegolten gilt (§ 50 Abs. 5 Satz 1 EStG 2002). Beschränkt Einkommensteuerpflichtige aus einem Mitgliedstaat der [X.] können jedoch gemäß § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 [X.]. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG 2002 ebenfalls die Veranlagung zur Einkommensteuer wählen und damit eine Verzinsung von zu Unrecht nacherhobenen Abzugssteuern erreichen.

Meta

I R 68/10

17.11.2010

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend FG Köln, 18. März 2010, Az: 11 K 459/09, Urteil

§ 34 Abs 1 EStG 2002, § 36 Abs 2 S 2 Nr 2 EStG 2002, § 38 Abs 1 EStG 2002, § 38 Abs 3 S 1 EStG 2002, § 39b Abs 3 S 9 EStG 2002, § 39d EStG 2002, § 42d Abs 1 Nr 1 EStG 2002, § 42d Abs 3 S 1 EStG 2002, § 42d Abs 3 S 2 EStG 2002, § 42d Abs 3 S 4 EStG 2002, § 46 Abs 2 Nr 8 EStG 2002, § 49 Abs 1 Nr 4 Buchst a EStG 2002, § 50 Abs 1 S 3 EStG 2002, § 50 Abs 5 S 1 EStG 2002, § 50 Abs 5 S 2 Nr 2 EStG 2002, Art 3 Abs 1 GG, § 233a Abs 1 S 1 AO, § 233a Abs 1 S 2 AO, § 233a Abs 3 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.11.2010, Az. I R 68/10 (REWIS RS 2010, 1338)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1338

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2 BvL 77/92

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