Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.11.2019, Az. V R 23/19 (V R 62/17), V R 23/19, V R 62/17

5. Senat | REWIS RS 2019, 1124

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Gegenstand

Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern


Leitsatz

1. Trägt das Mitglied eines Aufsichtsrats aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko, ist es entgegen bisheriger Rechtsprechung nicht als Unternehmer tätig.

2. Ist eine Gutschrift nicht über eine Leistung eines Unternehmers ausgestellt, steht sie einer Rechnung nicht gleich und kann keine Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG begründen.

Tenor

1. Auf die Revision des [X.] werden das Urteil des [X.] vom 26.01.2017 - 5 K 1419/16 U und die Einspruchsentscheidung vom 04.04.2016 sowie die [X.] 2013 vom 08.12.2014 in der berichtigten Fassung vom 19.03.2016, die [X.] 2014 vom 20.05.2015 in der berichtigten Fassung vom 19.03.2016 und die [X.] 2015 vom 31.07.2015 aufgehoben.

2. Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt der Beklagte.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren 2013 bis 2015 leitender Angestellter der S-AG und bis zum 02.03.2015 Aufsichtsratsmitglied der E-AG, deren Alleingesellschafter die S-AG war. Gemäß § 13 Abs. 1 der Satzung der E-AG erhielt jedes Aufsichtsratsmitglied für seine Tätigkeit eine jährliche Festvergütung von 20.000 € oder einen zeitanteiligen Anteil hiervon. Gemäß § 13 Abs. 4 der Satzung wurden den Aufsichtsratsmitgliedern die durch die Ausübung ihres Amtes entstehenden Auslagen --einschließlich einer etwaigen auf die Vergütung und den Auslagenersatz entfallenden Umsatzsteuer-- erstattet.

2

Nach § 4 Abs. 4 des [X.] zwischen dem Kläger und der S-AG waren Vergütungen für die Wahrnehmung von Aufsichtsratsmandaten in Konzern- und Beteiligungsgesellschaften zu melden und abzuführen. Die Abführung erfolgt jährlich über die Verrechnung bei der Auszahlung der Tantiemen.

3

Die E-AG rechnete gegenüber dem Kläger die Aufsichtsratsvergütung für 2013 mit Gutschrift vom 10.12.2013 mit Steuerausweis (Entgelt: 20.000 € und Umsatzsteuer zum Regelsteuersatz: 3.800 €) ab. Dieser Gutschrift widersprach der Kläger mit Schreiben vom [X.] Der Kläger zahlte die Umsatzsteuer in Höhe von 3.800 € im Jahr 2015 an die E-AG zurück. Für 2014 rechnete die E-AG die Aufsichtsratsvergütung per Gutschrift ohne Steuerausweis in Höhe von 20.000 € ab. Für den Zeitraum 01.01.2015 bis 02.03.2015 rechnete die E-AG die Aufsichtsratsvergütung per Gutschrift in Höhe von 3.342,47 € ohne Umsatzsteuerausweis ab.

4

Der Kläger gab für die Streitjahre 2013 bis 2015 Umsatzsteuererklärungen ab, in denen er die Aufsichtsratsvergütungen als Entgelt für dem Regelsteuersatz unterliegende Leistungen behandelte. Er legte gegen die nach § 168 Satz 1 der Abgabenordnung als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung geltenden Erklärungen Einspruch ein. [X.] Erklärungen stimmte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) zu. Einspruch und Klage zum Finanzgericht ([X.]) hatten keinen Erfolg.

5

Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2018, 323 veröffentlichten Urteil des [X.] ist auch ein Aufsichtsratsmitglied, das leitender Angestellter der Konzernmutter ist und in den Aufsichtsrat einer [X.] entsandt wird, mit seiner Aufsichtsratstätigkeit Unternehmer nach § 2 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), wie sich aus der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) ergebe.

6

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision, mit der er geltend macht, dass er als Aufsichtsratsmitglied nicht als Unternehmer tätig geworden sei.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] und die Einspruchsentscheidung vom 04.04.2016 sowie die [X.] 2013 vom 08.12.2014 in der berichtigten Fassung vom 19.03.2016, die [X.] 2014 vom 20.05.2015 in der berichtigten Fassung vom 19.03.2016 und die [X.] 2015 vom 31.07.2015 aufzuheben.

8

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Der Kläger sei Unternehmer gewesen.

Während des Revisionsverfahrens hat der erkennende Senat das Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) in der Rechtssache [X.]/18 [X.] mit Zustimmung der Beteiligten gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) i.V.m. § 251 Satz 1 der Zivilprozessordnung beschlossen. Mit Urteil [X.] vom 13.06.2019 - [X.]/18 ([X.]:[X.]) hat der [X.] zur Auslegung von Art. 9 und 10 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) entschieden, dass das Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung nach diesen Bestimmungen eine nicht selbständige Tätigkeit ausübt.

Der Kläger weist hierzu darauf hin, dass er keine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt habe. Er sei nicht selbständig, sondern weisungsgebunden tätig gewesen. Es liege kein Handeln im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vor. Es habe sich um eine Nebentätigkeit zu seiner Stellung als Arbeitnehmer gehandelt. Das Gesamtbild der Verhältnisse sei zu berücksichtigen. Er habe kein wirtschaftliches Risiko getragen. Er habe im Hinblick auf die Anrechnungspflicht kein Vergütungsrisiko getragen und keine Unternehmerinitiative entfaltet. Es fehle auch an einer gegen Entgelt erbrachten Leistung.

Nach Auffassung des [X.] ist der Streitfall mit dem Sachverhalt des [X.]-Urteils nicht vergleichbar. Auf das Arbeitsverhältnis bei der Muttergesellschaft komme es nicht an. Das Aufsichtsratsmitglied hafte persönlich. Es sei nur der Arbeitslohn bei der Muttergesellschaft gekürzt worden.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist begründet. Das Urteil des [X.] ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O). Trägt das Mitglied eines Aufsichtsrats aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko, ist es entgegen bisheriger Rechtsprechung nicht als Unternehmer tätig.

1. Der erkennende Senat ist in seiner bisherigen Rechtsprechung ohne weitergehende Differenzierung davon ausgegangen, dass Mitglieder von Aufsichtsräten als Unternehmer nach § 2 Abs. 1 UStG tätig seien.

a) Unternehmer ist gemäß Art. 2 Abs. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG nicht selbständig ausgeübt, soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind.

Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL, wonach als Steuerpflichtiger gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt, auf Art. 9 Abs. 2 MwStSystRL, nach dem als wirtschaftliche Tätigkeit alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe gelten und nach dem als wirtschaftliche Tätigkeit insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen gilt, sowie auf Art. 10 MwStSystRL, wonach die selbständige Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit Lohn- und Gehaltsempfänger und sonstige Personen von der Besteuerung ausschließt, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft.

b) In seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 2 Abs. 1 UStG hat der erkennende Senat die Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats einer AG als Arbeitnehmervertreter gegen Zahlung einer Aufsichtsratsvergütung als selbständige Tätigkeit eines Unternehmers angesehen (BFH-Urteil vom 27.07.1972 - V R 136/71, [X.], 389, [X.] 1972, 810; ebenso BFH-Urteil vom 02.10.1986 - V R 68/78, [X.], 544, [X.] 1987, 42), ohne dabei nach der weiteren Ausgestaltung oder den Begleitumständen dieser Tätigkeit zu unterscheiden. Er hat hieran auch nach der unionsrechtlichen Harmonisierung durch Art. 9 und Art. 10 MwStSystRL festgehalten (BFH-Urteil vom 20.08.2009 - V R 32/08, [X.], 207, [X.] 2010, 88).

2. Demgegenüber übt das Mitglied eines Aufsichtsrats nach dem [X.]-Urteil [X.] ([X.]:[X.], Rz 40 ff.) keine selbständige Tätigkeit aus, wenn es dabei zwar weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat dieser Stiftung hierarchisch untergeordnet ist, aber nicht in eigenem Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung, sondern für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsrats handelt und dabei auch nicht das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trägt, da es --im konkreten [X.] eine feste Vergütung erhielt, die weder von der Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängig war. Zudem führte der [X.] an, dass eine durch das Aufsichtsratsmitglied begangene Fahrlässigkeit keine unmittelbaren Auswirkungen auf seine Vergütung hatte.

3. Der Senat schließt sich dem unter Einschränkung seiner bisherigen Rechtsprechung für den Fall an, dass das Mitglied des Aufsichtsrats kein wirtschaftliches Risiko trägt.

Auf der Grundlage des [X.]-Urteils [X.] ([X.]:[X.]), das das [X.] bei seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigen konnte, war der Kläger nicht als Unternehmer nach § 2 Abs. 1 UStG selbständig tätig. Als Mitglied eines Aufsichtsrats wirkte er nur an den durch Beschluss zu treffenden Entscheidungen des Aufsichtsrats mit (vgl. § 108 Abs. 1 des Aktiengesetzes --AktG--). Weiter hat er in Bezug auf seine Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats kein wirtschaftliches Risiko getragen, da er eine jährlich gleich hohe Festvergütung erhielt, die keinerlei variable Vergütungsbestandteile (vgl. hierzu z.B. § 113 Abs. 3 AktG) aufwies. [X.] hatte auf die Vergütung keinen unmittelbaren Einfluss, sondern begründete nur eine Verantwortlichkeit nach § 116 AktG. Auf die den Kläger in Bezug auf seine Tätigkeit bei der S-AG treffende Verrechnungspflicht und ein sich hieraus ergebendes Abhängigkeitsverhältnis kommt es somit nicht an.

In welchen anderen Fällen die Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats demgegenüber weiterhin als unternehmerisch ausgeübt anzusehen sein könnte, hat der erkennende Senat nach den Verhältnissen des Streitfalls nicht zu entscheiden.

4. Die Sache ist auch hinsichtlich des [X.] 2013 spruchreif. Zwar liegt hier eine Gutschrift mit Steuerausweis vor, der der Kläger erst im Folgejahr widersprochen hat. Ist eine Gutschrift aber entgegen § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG nicht über eine Leistung eines Unternehmers ausgestellt, steht sie einer Rechnung nicht gleich und kann keine Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG begründen.

a) Damit eine Gutschrift nach § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG einer Rechnung gleichsteht und eine Steuerschuld des [X.] nach § 14c Abs. 2 UStG begründen kann, muss sie über "eine Lieferung oder sonstige Leistung des Unternehmers ausgestellt werden". Dabei verweist § 14 Abs. 2 UStG auf den allgemeinen Unternehmerbegriff des § 2 UStG. Damit fehlt es im Streitfall an der danach erforderlichen Unternehmerstellung (offengelassen im BFH-Urteil vom 16.03.2017 - V R 27/16, [X.], 462).

b) Ob für derartige Fälle zum Schutz des Steueraufkommens eine Steuerschuldnerschaft gerechtfertigt wäre (vgl. hierzu allgemein BFH-Urteil vom 17.02.2011 - V R 39/09, [X.], 94, [X.] 2011, 734), hat der erkennende Senat im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG nicht zu entscheiden. Soweit die Finanzverwaltung in Abschn. 14.3 Abs. 1 Satz 2 UStAE die Erteilung von Gutschriften durch juristische Personen, die nicht Unternehmer sind, als möglich ansieht, schließt sich der erkennende Senat dem nicht an.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

V R 23/19 (V R 62/17), V R 23/19, V R 62/17

27.11.2019

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 26. Januar 2017, Az: 5 K 1419/16 U, Urteil

§ 2 Abs 1 UStG 2005, § 14 Abs 2 UStG 2005, § 14c Abs 2 UStG 2005, Art 9 EGRL 112/2006, Art 10 EGRL 112/2006, Abschn 14.3 Abs 1 S 2 UStAE, UStG VZ 2013, UStG VZ 2014, UStG VZ 2015

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.11.2019, Az. V R 23/19 (V R 62/17), V R 23/19, V R 62/17 (REWIS RS 2019, 1124)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1124

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