Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.05.2012, Az. VII R 51/11

7. Senat | REWIS RS 2012, 6246

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Gegenstand

Zigarettenschmuggel: Einbeziehung der Tabaksteuer in die Bemessungsgrundlage der Einfuhrumsatzsteuer - Auswahl- und Erschließungsermessen bei einer Haftungsinanspruchnahme - "Empfänger" unzulässig verbrachter Tabakwaren als Steuerschuldner


Leitsatz

1. Wurden in der Bundesrepublik Deutschland sichergestellte in das Zollgebiet der Union geschmuggelte Zigaretten über einen nicht bekannten anderen Mitgliedstaat in das deutsche Steuergebiet verbracht, hat die deutsche Zollverwaltung neben dem auf die Tabakwaren entfallenden Zoll und der Tabaksteuer auch die Einfuhrumsatzsteuer festzusetzen .

2. In diesem Fall ist die deutsche Einfuhrumsatzsteuer erst nach dem unzulässigen Verbringen der Tabakwaren in das deutsche Steuergebiet entstanden mit der Folge, dass die entstandene Tabaksteuer der Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer hinzuzurechnen ist .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) mietete Ende 2004 einen Kleintransporter, mit dem ein weiterer Tatbeteiligter ([X.]) aus der [X.] eingeschmuggelte und später nach [X.] verbrachte 460.920 Zigaretten zum Zweck ihres Weiterverkaufs innerhalb [X.]s transportieren wollte. Nachdem [X.] die Zigaretten wie geplant mit dem Fahrzeug zu dem vereinbarten Übergabeort transportiert hatte, der Weiterverkauf jedoch fehlgeschlagen und die angeblichen Käufer den Kleintransporter gewaltsam in ihren Besitz gebracht hatten, wurde dieser von der Polizei angehalten und die darin befindlichen Zigaretten sichergestellt.

2

Gegen [X.] setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --[X.]--) die auf die Zigaretten entfallenden Einfuhrabgaben in Höhe von 72.329,22 € (3.982,35 € Zoll, 10.930,07 € [X.] und 57.416,80 € Tabaksteuer) fest.

3

Den Kläger, der wegen Beihilfe zur [X.]teuerhehlerei zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, nahm das [X.] mit [X.]teuerhaftungsbescheid vom 29. August 2006 für die vorgenannten Einfuhrabgaben als Haftenden in Anspruch.

4

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das [X.] ([X.]) im Wesentlichen ab. Die Haftungssumme wurde lediglich um einen bereits entrichteten Betrag in Höhe von 500 € reduziert. Die Zollschuld sei gemäß Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a des Zollkodex ([X.]) entstanden, weil die Zigaretten aus der [X.] vorschriftswidrig in das Zollgebiet der [X.] verbracht worden seien. Da sie über einen unbekannten Mitgliedstaat nach [X.] weitertransportiert worden seien, sei die [X.] Zollverwaltung gemäß Art. 215 Abs. 1 Anstrich 2 [X.] für die Erhebung des Zolls zuständig. Dies gelte nach § 13 Abs. 2 und § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (U[X.]tG) auch für die [X.]. Die Höhe der [X.] sei unter Berücksichtigung der Tabaksteuer zu ermitteln. Die Tabaksteuer sei nach § 19 des Tabaksteuergesetzes in der seinerzeit geltenden Fassung (Tab[X.]tG) mit dem Verbringen der Zigaretten in das [X.] [X.]teuergebiet zu gewerblichen Zwecken ohne Verwendung von [X.]teuerzeichen entstanden.

5

Für die entstandenen Einfuhrabgaben habe das [X.] den Kläger gemäß § 71 i.V.m. § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) zu Recht als Haftenden in Anspruch genommen, weil dieser Beihilfe zur [X.]teuerhehlerei des [X.] geleistet habe, indem er das für den Transport der geschmuggelten Zigaretten vorgesehene Fahrzeug gemietet und dabei auch gewusst habe, wofür das Fahrzeug habe benutzt werden sollen.

6

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, die Haftungsinanspruchnahme sei ermessensfehlerhaft, weil das [X.] es unterlassen habe, seine schwierigen Einkommensverhältnisse sowie den nicht schwer wiegenden [X.]chuldvorwurf und den geringen ihm aus der Tat erwachsenen Vorteil in die Ermessenserwägungen einzubeziehen. Er habe keine Vorteile aus der Tat gezogen und sei nach dem damaligen [X.] auch nur geringfügig beteiligt gewesen. Außerdem sei die im Zeitpunkt des vorschriftswidrigen Verbringens der Zigaretten in das Zollgebiet noch nicht entstandene Tabaksteuer zu Unrecht in die Bemessungsgrundlage der [X.] einbezogen worden.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Haftungsbescheid ist --soweit er Gegenstand des Revisionsverfahrens ist-- rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 [X.]O).

8

Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen und der darauf beruhenden zutreffenden rechtlichen Würdigung des [X.] hat der Kläger Beihilfe zu einer Steuerhehlerei geleistet. Nach § 71 [X.] haftet er daher für die verkürzten Steuern.

9

1. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass mit dem vorschriftswidrigen Verbringen der Zigaretten aus der [X.] in das Zollgebiet der [X.] bzw. ihrem Weitertransport nach [X.] die Zollschuld gemäß Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a ZK sowie die [X.] in sinngemäßer Anwendung dieser Vorschrift (§ 21 Abs. 2 UStG) und die Tabaksteuer nach § 19 Satz 1 TabStG entstanden sind und die Berechtigung der [X.] Zollbehörden, den auf die geschmuggelten Zigaretten entfallenden Zoll und die [X.] zu erheben, aus Art. 215 Abs. 1 Anstrich 2 ZK (für die [X.] i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG) folgt, weil nicht festgestellt werden konnte, über welchen Mitgliedstaat die Zigaretten aus der [X.] in das Zollgebiet der [X.] gelangt sind. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit, weshalb insoweit auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen werden kann.

2. Die Höhe des durch den [X.] hinterzogenen Abgabenbetrags, für den der Kläger haftet, ist richtig ermittelt worden. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die Tabaksteuer in die Bemessungsgrundlage der [X.] einzubeziehen ist.

Nach § 11 Abs. 3 Nr. 2 UStG sind die aufgrund der Einfuhr im Zeitpunkt des Entstehens der [X.] auf den Gegenstand entfallenden Beträge an (u.a.) Verbrauchsteuern der Bemessungsgrundlage für die [X.] hinzuzurechnen. Da es sich hierbei um eine Vorschrift zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die [X.] [X.] handelt, ist insoweit auch allein der Zeitpunkt des Entstehens der [X.] [X.] maßgeblich. Daher kommt nicht der davor liegende Zeitpunkt der Einfuhr der Zigaretten in einen anderen Mitgliedstaat (welcher dies im Streitfall war, hat sich nicht feststellen lassen) in Betracht (a.A. zu einem entsprechenden Fall: [X.] München, Urteil vom 28. Mai 2009  14 K 335/07, nicht veröffentlicht). Trotz des vorschriftswidrigen Verbringens der Zigaretten über einen anderen Mitgliedstaat ist die [X.] im Streitfall nach Art. 215 Abs. 1 Anstrich 2 ZK i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG in [X.] entstanden. Der Zeitpunkt des Entstehens der [X.] [X.] i.S. des § 11 Abs. 3 Nr. 2 UStG ist somit der Zeitpunkt, in dem die Voraussetzungen des Art. 215 Abs. 1 Anstrich 2 ZK erfüllt waren, d.h. der Zeitpunkt, in dem die unversteuerten Zigaretten in [X.] sichergestellt wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Zigaretten bereits in das [X.] Steuergebiet eingeführt und damit die Tabaksteuer gemäß § 19 Satz 1 TabStG entstanden.

3. Die hinsichtlich der Inanspruchnahme des [X.] als Haftenden nach § 191 Abs. 1 Satz 1 [X.] erforderliche Ermessensentscheidung ist --wie das [X.] zutreffend ausgeführt hat-- rechtlich nicht zu beanstanden.

Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats ist im Fall einer Beihilfe zur Steuerhinterziehung bzw. Steuerhehlerei eine Haftungsinanspruchnahme nach den §§ 191, 71 [X.] auch ohne nähere Darlegung der Ermessenserwägungen im Haftungsbescheid oder in der Einspruchsentscheidung als ermessensgerecht nach § 102 [X.]O anzusehen (Senatsurteil vom 26. Februar 1991 [X.], [X.] 1991, 504; ebenso Urteil des [X.] vom 8. September 2004 [X.], [X.] 2005, 293). Eine solche Vorprägung der Ermessensentscheidung im Fall einer vorsätzlichen Steuerverkürzung oder einer Beihilfe hierzu besteht nicht nur für die Inanspruchnahme dem Grunde nach, sondern auch für die Inanspruchnahme der Höhe nach. Im Rahmen der Betätigung des Auswahl- und [X.] gibt es daher --insbesondere im Hinblick auf den Schadensersatzcharakter der [X.] keinen Grund, Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die sich aus der Größenordnung der Haftungsschuld im Vergleich zu den finanziellen Möglichkeiten des [X.] ergeben (Senatsbeschluss vom 29. August 2001 [X.], Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 2002, 55, m.w.N.).

4. Da der Kläger als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird, bedarf es keiner Entscheidung, ob der vom [X.] ([X.]) vertretenen Auffassung gefolgt werden kann, Schuldner der Tabaksteuer gemäß § 19 Satz 2 TabStG könne nur derjenige "Empfänger" der Tabakwaren sein, der den Besitz an diesen im Rahmen des Verbringungs- bzw. Versendungsvorgangs selbst erlangt habe ([X.]-Urteil vom 2. Februar 2010  1 [X.], Neue Zeitschrift für Strafrecht 2010, 644).

Meta

VII R 51/11

22.05.2012

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend FG Bremen, 23. März 2011, Az: 4 K 120/08 (2), Urteil

Art 202 ZK, Art 215 Abs 1 ZK, § 11 Abs 1 UStG, § 11 Abs 3 Nr 2 UStG, § 21 Abs 2 UStG, § 19 S 1 TabStG, Art 202 EWGV 2913/92, Art 215 Abs 1 EWGV 2913/92, § 19 S 2 TabStG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.05.2012, Az. VII R 51/11 (REWIS RS 2012, 6246)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6246

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Steuerhehlerei: Besitzerwerb an steuerpflichtigen Tabakwaren vor Beendigung des Verbringens oder Versendens als Voraussetzung der Erklärungspflicht; …


Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 81/18

Zitiert

1 StR 635/09

Zitieren mit Quelle:
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