Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.09.2023, Az. B 10 KG 1/23 B

10. Senat | REWIS RS 2023, 7736

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - sozialrechtliches Kindergeld - Kindergeld für sich selbst - Kindergeldberechtigung von Kindern mit Eltern im Ausland - Unmöglichkeit des Elternnachzugs nach Deutschland - Geltendmachung einer verfassungswahrenden Analogie - Gleichheitssatz - Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 26. August 2022 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit hat das [X.] mit Urteil vom 26.8.2022 einen Anspruch des 1998 in [X.] geborenen und 2015 als minderjähriger unbegleiteter Flüchtling nach [X.] eingereisten [X.] auf Kindergeld für sich selbst (§ 1 Abs 2 Bundeskindergeldgesetz <[X.]>) verneint. Zur Begründung hat sich das [X.] die Gründe des vorausgegangenen Urteils zu eigen gemacht. Darin hat das [X.] die Klage abgewiesen, weil der Kläger entgegen § 1 Abs 2 Satz 1 [X.] 2 [X.] weder Vollwaise sei noch den Aufenthalt seiner Mutter nicht kenne. Ihm sei vielmehr bekannt, in welchem Ort in [X.] sie lebe und welche Wohnung sie dort angemietet habe. Teilweise habe er sogar die Miete bezahlt und stehe zudem in zumindest telefonischem Kontakt zu seiner Mutter. Die vom Gesetz verlangte Kenntnis des Aufenthalts sei nicht gleichzusetzen mit der Kenntnis einer nach nationalem Recht vergleichbaren ladungsfähigen Anschrift. Es genüge, wenn ein Kind wisse, wo sich sein Elternteil grundsätzlich aufhalte, weil dann der Kontakt grundsätzlich herstellbar sei (Urteil vom 26.11.2020). Zudem nahm das [X.] Bezug auf die Gründe seines Beschlusses vom [X.], mit dem es die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat. Bereits nach dem Wortlaut des § 1 Abs 2 Satz 1 [X.] 2 [X.] scheide eine Zahlung von Kindergeld an den Kläger aus. Auch eine erweiternde Auslegung komme nicht in Betracht.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim B[X.] eingelegt und mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G gebotenen Form. Der Kläger hat den von ihm allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) nicht in der danach vorgeschriebenen Weise dargelegt.

4

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom [X.] [X.] 3/20 B - juris Rd[X.]4; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 401/16 B - juris Rd[X.] 6).

5

Der Kläger misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu,

"ob § 1 (…) Abs. 2 [X.] Kinder von im Ausland lebenden Eltern vom Bezug des Kindergeldes ausschließt, wenn bei diesen Eltern von vorne herein ausgeschlossen ist, dass sie durch einen Wohnsitzwechsel nach Einreise die Voraussetzungen für die Zahlung von Kindergeld nach dem [X.] oder EStG erfüllen können."

6

Hierzu führt er aus, die Frage sei klärungsbedürftig, denn sie sei durch das B[X.] noch nicht entschieden. Die Antwort ergebe sich nicht zweifelsfrei aus dem Gesetz. Vielmehr werfe die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, aber auch die partiell für andere Regelungsbereiche ergangene Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit und des [X.] Auslegungszweifel auf. So habe das B[X.] bereits mit Urteil vom 5.5.2015 ([X.] KG 1/14 R - B[X.]E 119, 33 = [X.]-5870 § 1 [X.] 4) festgehalten, dass nach den Motiven des Gesetzgebers das sozialrechtliche Kindergeld nach § 1 Abs 2 [X.] dazu diene, die Belastungen, die mit einem Status als Vollwaise oder alleinlebendes Kind einhergingen, anzuerkennen. Hätte der damals zuständige [X.] auch nur annähernd die Situation von größtenteils minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen antizipiert wie sie 2015 aufgetreten sei, wären auch Kinder, denen die im Ausland lebenden Eltern keine Unterstützung gäben und die die [X.] nie wieder einnehmen könnten, in den Kreis der Berechtigten aufgenommen worden. Dies sei auch aus [X.] wegen und aufgrund internationaler Abkommen geboten. Die Frage sei in einem anschließenden Revisionsverfahren auch klärungsfähig. Denn das B[X.] sei in der Lage, über die Rechtsfrage sachlich zu entscheiden, weil sie im konkreten Rechtsstreit entscheidungserheblich sei.

7

Es kann dahinstehen, ob der Kläger damit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 [X.]G) mit höherrangigem Recht aufgeworfen und in den weiteren Ausführungen den vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt ausreichend konkret dargelegt hat. Jedenfalls hat er - die Qualität als Rechtsfrage unterstellt - die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit dieser Frage nicht den nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G diesbezüglich geltenden Anforderungen genügend dargelegt.

8

Hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit versäumt es der Kläger, im Einzelnen auf die Voraussetzungen der von ihm angestrebten verfassungskonform erweiternden Auslegung oder aus Gründen des verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsanspruchs gebotenen analogen Anwendung (vgl zur Methodik B[X.] Urteil vom 19.2.2009 - [X.] KG 2/07 R - [X.]-5870 § 1 [X.] 2 Rd[X.]9 ff) des § 1 Abs 2 [X.] einzugehen (vgl zu diesem Erfordernis B[X.] Beschluss vom 16.11.2020 - [X.] EG 7/20 B - juris Rd[X.] 9). So räumt der Kläger selbst ein, dass der Wortlaut des § 1 Abs 2 Satz 1 [X.] 2 [X.] einem Kindergeldanspruch für Kinder von Eltern, deren Aufenthaltsort im Ausland bekannt ist, entgegensteht. Zu den Voraussetzungen einer deshalb allein in Frage kommenden Analogie deutet er zwar an, der Gesetzgeber habe die 2015 aufgetretene Situation einer erheblichen Zahl von minderjährigen, unbegleiteten Flüchtlingen nicht antizipiert. Jedoch fehlen Ausführungen dazu, dass dem Gesetzgeber das Phänomen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge nicht bereits früher bekannt war (vgl zum Fall eines 1989 eingereisten minderjährigen Asylbewerbers B[X.] Urteil vom 25.7.1995 - 10 [X.] 13/93 - juris), ohne dies zum Anlass für eine von der Kenntnis um den Aufenthaltsort der Eltern unabhängige Einbeziehung in den Kreis der Anspruchsberechtigten zu nehmen.

9

Darüber hinaus versäumt es der Kläger, wie zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit in Hinblick auf eine vermeintlich gebotene verfassungswahrende Analogie erforderlich, darzutun, dass eine wortlautgetreue Auslegung des § 1 Abs 2 Satz 1 [X.] 2 [X.] zu verfassungswidrigen Ergebnissen führte. Hierzu ist unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des [X.] und des B[X.] insbesondere aufzuzeigen, dass der Gesetzgeber bei einer solchen Auslegung die gesetzlichen Grenzen seines Gestaltungsspielraums überschritten und in unzulässiger Weise verletzt hat (vgl B[X.] Beschluss vom 18.11.2021 - [X.] V 17/21 B - juris Rd[X.] 9 mwN). Eine solche substantiierte Erörterung bezogen auf die vom Kläger als potentiell verletzt angesehene verfassungsrechtliche Norm (Art 3 Abs 1 GG) lässt die Beschwerdebegründung vermissen.

Schließlich hat der Kläger auch die Klärungsfähigkeit der formulierten Frage nicht dargelegt. Die Beschwerdebegründung lässt durchgängig offen, welche der darin mitgeteilten Tatsachen vom [X.] im angegriffenen Urteil festgestellt worden sind. Nur solche Tatsachen können aber einer Entscheidung des B[X.] in der angestrebten Revision zugrunde gelegt werden. Insbesondere wird nicht mitgeteilt, welche Feststellungen das [X.] in Bezug auf die (Un-)Möglichkeit der Mutter des [X.] getroffen hat, durch einen Wohnsitzwechsel und eine Einreise nach [X.] die Voraussetzungen für die Zahlung von Kindergeld nach dem [X.] oder dem Einkommensteuergesetz (EStG) zu erfüllen. Die Unmöglichkeit eines solchen Verhaltens hat der Kläger jedoch zum Ausgangspunkt der von ihm formulierten Frage gemacht. Ohne die Angabe der vom [X.] festgestellten Tatsachen ist der Senat nicht in der Lage, wie erforderlich, allein aufgrund der Beschwerdebegründung die Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsfrage zu beurteilen (vgl stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 5.11.2020 - [X.] [X.] B - juris Rd[X.] 5; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 13 R 250/18 B - juris Rd[X.]3, jeweils mwN).

Dass der Kläger die Entscheidung des [X.] inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB B[X.] Beschluss vom 6.7.2022 - [X.] [X.] B - juris Rd[X.]0; B[X.] Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - [X.]-1500 § 160 [X.] 22 Rd[X.] 4).

Die Bitte des [X.] um einen richterlichen Hinweis für den Fall, dass "der Senat an der einen oder anderen Stelle Ergänzungen oder Erläuterungen für notwendig" erachte, kann nicht dazu führen, dass von einer Entscheidung über die nicht formgerecht begründete Beschwerde zunächst abzusehen wäre. Denn es besteht keine Verpflichtung des Senats, den anwaltlich vertretenen Kläger vor einer Entscheidung über seine Beschwerde auf Mängel der Beschwerdebegründung hinzuweisen. Das Gesetz unterstellt, dass ein Rechtsanwalt in der Lage ist, die Formerfordernisse einzuhalten; gerade dies ist ein Grund für den Vertretungszwang des § 73 Abs 4 [X.]G (vgl B[X.] Beschluss vom 20.5.2022 - [X.] ÜG 1/22 B - juris Rd[X.]9; B[X.] Beschluss vom [X.] R 92/19 B - juris Rd[X.]2).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.]G durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.]G.

        

Kaltenstein

Othmer

Röhl   

Meta

B 10 KG 1/23 B

04.09.2023

Bundessozialgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KG

vorgehend SG Köln, 26. November 2020, Az: S 25 KG 7/19, Urteil

§ 1 Abs 2 S 1 Nr 2 Alt 2 BKGG 1996, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 04.09.2023, Az. B 10 KG 1/23 B (REWIS RS 2023, 7736)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7736

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