Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.10.2023, Az. VIII B 99/22

8. Senat | REWIS RS 2023, 7136

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Gegenstand

Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens bei nachträglich beigezogenen Unterlagen


Leitsatz

NV: Das Gericht berücksichtigt das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht einwandfrei, wenn es seine Entscheidung auf Umstände stützt, die sich aus Unterlagen ergeben, die erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung und Verkündung des Urteils beigezogen wurden.

Tenor

Die Beschwerde wird, soweit sie das Streitjahr 2011 betrifft, als unzulässig verworfen.

Auf die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 17.03.2022 - 4 K 559/19 aufgehoben, soweit es die Streitjahre 2012 und 2013 betrifft.

Die Sache wird insoweit an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten in der Sache über die Höhe von [[[X.].].]bsetzungen für [[[X.].].]bnutzung ([[[X.].].]f[[[X.].].]) im [[[[[[[[[X.].].].].].].].].]usammenhang mit dem Umbau und der Sanierung eines Gebäudes und dabei insbesondere um die Frage, ob dabei angefallene [[[X.].].]ufwendungen als Mietereinbauten der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) oder der Gesellschafter zu behandeln sind.

2

Die Klägerin ist eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft von Fachärzten für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. [[[X.].].]n der Klägerin sind die Gesellschafter [[[[[[[[[X.].].].].].].].].], [[[[[[[[[X.].].].].].].].].], [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] und [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] zu je einem Viertel beteiligt. Die Gesellschafter [[[[[[[[[X.].].].].].].].].], [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] und [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] sind außerdem Eigentümer des Grundstücks nebst aufstehendem Gebäude [[[[[[[[X.].].].].].].].] in [[[X.].].], das sie in den Streitjahren 2012 und 2013 teilweise an die Klägerin zum Betrieb der Praxis und teilweise an Dritte zu Wohnzwecken vermieteten. In den Streitjahren wurde im Erdgeschoss des Gebäudes ein [[[X.].].]nbau errichtet, um die Praxisräume zu erweitern. Die hierfür insgesamt entstandenen Kosten teilte die Klägerin in [[[X.].].]ufwendungen für den Rohbau, der im Vermögen der Grundstücksgemeinschaft, bestehend aus den Gesellschaftern [[[[[[[[[X.].].].].].].].].], [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] und [[[[[[[[[X.].].].].].].].].], bilanziell erfasst wurde, in [[[X.].].]ufwendungen für Mietereinbauten (152.342,34 [[[[[[[X.].].].].].].] und 103.336,67 [[[[[[[X.].].].].].].]), die im Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter [[[[[[[[[X.].].].].].].].].], [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] und [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] bei der Klägerin erfasst wurden, und in Erhaltungsaufwand, der ebenfalls im Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter [[[[[[[[[X.].].].].].].].].], [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] und [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] erfasst wurde, auf. Für die als Mietereinbauten im Sonderbetriebsvermögen aktivierten [[[X.].].]ufwendungen ermittelte die Klägerin in den Streitjahren [[[X.].].]f[[[X.].].] auf der Grundlage einer Nutzungsdauer von zehn Jahren.

3

Der Beklagte und Beschwerdeführer (Finanzamt --F[[[X.].].]--) kam im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung zu dem Schluss, dass der Rohbau Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter [[[[[[[[[X.].].].].].].].].], [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] und [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] bei der Klägerin darstelle. Die als Mietereinbauten geltend gemachten [[[X.].].]ufwendungen gehörten zu den Herstellungskosten des Gebäudes, seien ebenfalls dem Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter [[[[[[[[[X.].].].].].].].].], [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] und [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] bei der Klägerin zuzurechnen und einheitlich mit diesem abzuschreiben. Gegen die entsprechend geänderten Bescheide über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung für die Jahre 2011 bis 2013 erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage vor dem Finanzgericht ([[[X.].].]).

4

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 17.03.2022 wies der [[[X.].].]svorsitzende des [[[X.].].] darauf hin, dass der [[[X.].].] auch ohne weitere [[[X.].].] davon ausgehe, dass die von der Klägerin als Mietereinbauten geltend gemachten [[[X.].].]ufwendungen tatsächlich von der Klägerin und nicht von der Grundstücksgemeinschaft getragen worden seien. Im Laufe des [[[X.].].] verkündete der [[[X.].].]svorsitzende die Entscheidung, mit der der Klage teilweise stattgegeben wurde.

5

Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung forderte der [[[X.].].]svorsitzende bei der Klägerin weitere Unterlagen zur [[[[[[[[[X.].].].].].].].].]uordnung der Baukosten der Umbau- und Sanierungsmaßnahmen für die Immobilie [[[[[[[[X.].].].].].].].] in [[[X.].].] an. Von dieser [[[X.].].]nforderung wurde das F[[[X.].].] nicht unterrichtet. Mit Schreiben vom 02.06.2022 übersandte die Klägerin dem [[[X.].].] unter anderem eine [[[X.].].]ufstellung der Baukosten, aus der sich eine [[[[[[[[[X.].].].].].].].].]uordnung zur Grundstücksgemeinschaft, bestehend aus den Gesellschaftern [[[[[[[[[X.].].].].].].].].], [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] und [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] einerseits und zum Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter [[[[[[[[[X.].].].].].].].].], [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] und [[[[[[[[[X.].].].].].].].].] bei der Klägerin andererseits ergab. Diese [[[X.].].]ufstellung leitete das [[[X.].].] nicht an das F[[[X.].].] weiter. [[[X.].].]m [X.] gelangten die Urteilsgründe zur Geschäftsstelle, in denen das [[[X.].].] zur Begründung seiner [[[X.].].]uffassung, dass die als Mietereinbauten geltend gemachten [[[X.].].]ufwendungen als solche zu behandeln und über eine Nutzungsdauer von zehn Jahren abzuschreiben seien, die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 02.06.2022 übersandte Baukostenaufstellung heranzog. Die Baukostenaufstellung wurde dem Urteil als [[[X.].].]nlage beigefügt und mit diesem der Klägerin und dem F[[[X.].].] zugestellt.

6

Mit seiner gegen das Urteil erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde rügt das F[[[X.].].] im Wesentlichen einen qualifizierten [X.] in Gestalt einer fehlerhaften Beweiswürdigung und Verfahrensfehler.

Gründe

II.

7

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat teilweise Erfolg.

8

1. Die Beschwerde ist unzulässig, soweit sie das Streitjahr 2011 betrifft. Insoweit hat das [X.] keinen Grund zur Zulassung der Revision im Sinne des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) dargelegt, obwohl dies gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O für eine ordnungsgemäße Begründung der Beschwerde erforderlich ist.

9

2. Soweit sie die Streitjahre 2012 und 2013 betrifft, ist die Beschwerde begründet. Sie führt insoweit unter Anwendung des § 116 Abs. 6 [X.]O zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

a) Dem [X.] ist ein Verfahrensfehler gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O unterlaufen. Es hat bei seiner Würdigung, dass die Klägerin als Mieterin zumindest teilweise die Kosten der Umbaumaßnahmen getragen habe und deshalb die Voraussetzungen für die Annahme von [X.] vorliegen, das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht einwandfrei berücksichtigt.

aa) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]O entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gesamtergebnis des Verfahrens umfasst den gesamten durch das Klagebegehren begrenzten und durch die Sachaufklärung des Gerichts und die Mitverantwortung der Beteiligten konkretisierten Prozessstoff (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 04.02.2021 - VIII B 38/20, [X.], 641, Rz 3). Das Gesamtergebnis des Verfahrens wird insbesondere konkretisiert durch die Schriftsätze der Beteiligten, ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung sowie in einem etwaigen Erörterungstermin, ihr Verhalten, die den Streitfall betreffenden Steuerakten, beigezogene Akten eines anderen Verfahrens, vom Gericht eingeholte Auskünfte, Urkunden und die aufgrund einer gegebenenfalls durchgeführten Beweisaufnahme gewonnenen Beweisergebnisse. Auch offenkundige und gerichtsbekannte Tatsachen sind zu berücksichtigen ([X.] vom 23.04.2020 - X B 156/19, [X.], 1077, Rz 10; vom 20.09.2022 - VIII B 135/21, [X.], 1301, Rz 4).

bb) Für eine einwandfreie Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens darf das Gericht weder Umstände, die zum Gegenstand des Verfahrens gehören, ohne zureichenden Grund ausblenden noch seine Überzeugung auf Umstände gründen, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens zählen. Ebenso wenig darf das Gericht Umstände, auf deren Vorliegen es nach seiner Rechtsauffassung für die Entscheidung ankommt, ungeprüft behaupten. Es darf auch nicht von einem entscheidungserheblichen Sachverhalt ausgehen, der in den Akten keine Stütze findet oder der nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen getragen wird ([X.] vom 23.04.2020 - X B 156/19, [X.], 1077, Rz 11; vom 20.09.2022 - VIII B 135/21, [X.], 1301, Rz 5). Das Gericht darf seine Entscheidung außerdem nicht auf Umstände stützen, die sich aus Unterlagen ergeben, die erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung und Verkündung des Urteils beigezogen wurden.

cc) Indem das [X.] seine Entscheidung maßgeblich auf die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 02.06.2022 eingereichte Baukostenaufstellung gestützt hat, hat es Umstände berücksichtigt, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens gehörten. Diese Baukostenaufstellung war nicht Gegenstand des Verfahrens, weil das [X.] sie erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung und Verkündung des Urteils am 17.03.2022 im Rahmen einer weiteren Sachaufklärung beigezogen hat. Die Aussage in der Vorentscheidung, die Baukostenaufstellung sei bereits im Verwaltungsverfahren eingereicht worden und damit als Bestandteil der beigezogenen Akten zum Gegenstand des Verfahrens geworden, kann der Senat anhand der ihm vorliegenden Akten des [X.] nicht nachvollziehen. Auch das [X.] hat in seiner Beschwerdebegründung bestritten, dass ihm die Baukostenaufstellung im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgelegt worden war.

b) Der Senat hält es für zweckmäßig und sachgerecht, die Vorentscheidung betreffend die Streitjahre 2012 und 2013 aufzuheben und die Sache gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Das [X.] wird im zweiten Rechtsgang die Baukostenaufstellung in das Verfahren einzuführen und dem [X.] Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben haben. Zudem wird es sich mit den weiteren in der Beschwerdebegründung des [X.] angesprochenen und als fehlerhaft oder widersprüchlich gerügten Feststellungen zur Kostentragung für die Umbaumaßnahmen und einem im Ergebnis doppelten Abzug einzelner Kostenpositionen auseinanderzusetzen haben.

3. [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O. Das [X.] hat mit Rücksicht auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch über die Kosten des durch diesen Beschluss rechtskräftig abgeschlossenen Teil des Verfahrens zu entscheiden (vgl. BFH-Urteile vom 17.11.2011 - IV R 2/09, [X.], 1309; vom 13.06.2013 - III R 10/11, [X.], 1868; [X.] vom 11.12.2013 - XI B 33/13, [X.], 714, Rz 22).

Meta

VIII B 99/22

13.10.2023

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend Thüringer Finanzgericht, 17. März 2022, Az: 4 K 559/19, Urteil

§ 96 Abs 1 S 1 Halbs 1 FGO, § 143 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.10.2023, Az. VIII B 99/22 (REWIS RS 2023, 7136)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7136

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