Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2020, Az. 5 StR 249/20

5. Strafsenat | REWIS RS 2020, 11187

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[X.]:[X.]:[X.]:2020:160920B5STR249.20.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS

5 StR 249/20

vom
16. September 2020
in der Strafsache
gegen

wegen Untreue u.a.

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Der 5. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. September 2020
gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil
des [X.]s
[X.] vom 4.
März 2020 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Untreue in 195 Fällen und Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von vier Jahren verurteilt und daneben [X.] getroffen. Die gegen das Urteil gerichtete Revision, mit der der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt, ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der Erörterung bedarf ergänzend zu den Ausführungen des [X.] lediglich die Verfahrensrüge der Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO.
1. Mit dieser Rüge beanstandet die Revision, die Vorsitzende der [X.] habe drei Gespräche mit einem der Verteidiger des Ange-klagten, die sie am 3. Juli und 4. Juli 2018 sowie am 9. Januar 2020 mit dem Ziel der Verständigung geführt habe, in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt.
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Der Rüge liegt nach dem

in der Gegenerklärung der [X.] unwidersprochen gebliebenen

Vortrag der Revision folgendes [X.] zugrunde:
Nach Zustellung der Anklageschrift am 29. Juni 2018 rief die Vorsitzende Richterin am 3. Juli 2018 bei dem Verteidiger Rechtsanwalt

S.

an. In dem
Telefonat teilte sie eine Verlängerung der Erklärungsfrist nach § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO bis Ende August 2018 und ihre Einschätzung mit, dass sich die Sache für eine Verständigung eigne und bei [X.] Verhandlung wohl erst ab Januar 2019 terminiert werden könne. Der Verteidiger erklärte, erst mit seinem Mandanten sprechen zu müssen und noch keine belastbare Aussage treffen zu können. Am Folgetag begegneten sich die Vorsitzende Richterin und Rechts-anwalt

S.

, als dieser auf der Geschäftsstelle des [X.]s Akten-einsicht nahm. Sie sprach ihn nochmals darauf an, dass er sich melden solle, falls er ein Verständigungsgespräch wünsche. Dabei äußerte sie die [X.], dass man die Anklage auf die ersten beiden Anklagepunkte beschränken könne und ein Geständnis aufgrund des Umfanges der Sache außerordentlich strafmildernd sei.
Nach einem Termin zur Verkündung eines gegen den Angeklagten er-lassenen Haftbefehls suchte der Verteidiger Rechtsanwalt .

S.

am 9. Ja-nuar
2020 das
Dienstzimmer der Vorsitzenden Richterin auf. Sie sprach ihn erneut auf die Möglichkeit einer Verständigung an. Auf seine Erklärung, eine Verständigung käme nur dann in Betracht, wenn der Haftbefehl aufgehoben würde, erwiderte die Vorsitzende, dass sie sich dies vorstellen könne.
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Im Hauptverhandlungstermin vom 15. Januar 2020 teilte die Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mit, dass zwischen den Verfahrensbeteiligten keine verständigungsbezogenen [X.] geführt worden seien. Sie erklärte weiterhin, Rechtsanwalt Sc.

in einem Gespräch Ende 2019, in dem dieser angekündigt habe, sich als weiterer [X.] bestellen zu
lassen, darauf hingewiesen zu haben, dass im Falle eines Geständnisses des Angeklagten eine geringere Strafe in Aussicht gestellt und eventuell das Verfahren gemäß § 154 StPO bezüglich einzelner Anklagefälle eingestellt werden könne.
Am 5. Februar 2020 kam es auf Anregung des Verteidigers Rechtsanwalt [X.] zwischen den Verfahrensbeteiligten zu einem Verständigungsgespräch außerhalb der Hauptverhandlung, in dem er darauf hinwies, dass für den Ange-klagten die Aufhebung des Haftbefehls Hauptbedingung einer Verständigung sei. Diese Voraussetzung wurde von Seiten des Gerichts und der [X.] akzeptiert. In der Hauptverhandlung vom 12. Februar 2020 teilte die [X.] den Inhalt des von ihr in der Akte dokumentierten Verständigungsge-sprächs mit. Der damit verbundene Verständigungsvorschlag der Wirtschafts-strafkammer sah unter anderem vor, dass bei einer geständigen Einlassung des Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen vier Jahren und vier [X.] und sechs Monaten verhängt, mehrere Anklagepunkte gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und der Haftbefehl (mit der Urteilsverkündung) aufgehoben werden sollte.
Nachdem in der Hauptverhandlung am 19. Februar 2020 die Belehrung des Angeklagten nach § 257c Abs. 5 i.V.m.
Abs. 4 StPO erfolgt und durch seine Zustimmung und die der Vertreterin der Staatsanwaltschaft die vorgeschlagene 8
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Verständigung gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO zustande gekommen war, ließ sich der Angeklagte am 4. März 2020 geständig ein.
2. Bei dem geschilderten Verfahrensablauf liegt eine Verletzung der [X.] nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vor.
Die Mitteilung der Vorsitzenden der [X.], wonach verständi-gungsbezogene
Erörterungen nicht stattgefunden hätten, war unzutreffend. Sie hätte vielmehr über die vor der Hauptverhandlung stattgefundenen Gespräche berichten müssen, soweit deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständi-gung gewesen ist. Dies war

anders als in dem ersten Telefonkontakt vom
3. Juli 2018, der organisatorischen Hintergrund hatte und zur Klärung der [X.] nur eine unverbindliche Fühlungsaufnahme darstellte

bei den Gesprächen am 4. Juli 2018 und am 9. Januar 2020 der Fall (vgl. zur Mittei-lungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 StPO bei [X.], [X.] vom 14. April 2015

5 StR 20/15, [X.], 537, 538; vom 28. Juli 2016

3 [X.], [X.], 52, 53; Beschluss vom 10. Mai 2016

1 [X.], [X.], 743, 744). Denn insoweit war zwar bei beiden Unterredun-gen ein möglicher Inhalt einer Verständigung noch wenig konkret. Jedoch war die Ablegung eines Geständnisses mit den einer Verständigung zugänglichen Gesichtspunkten einer Beschränkung der Anklagevorwürfe und der [X.] verbunden worden.
3. Der Senat kann indes ein Beruhen des Urteils auf einer Verletzung der Mitteilungspflichten ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO).
Zwar führt ein Verstoß gegen Transparenz-
und Dokumentationspflichten grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer Verständigung mit der Folge, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Gesetzesverstoß regelmäßig nicht auszuschließen 10
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ist ([X.] 133, 168, 223). Hier kann aber ausnahmsweise unter Berücksich-tigung von Art und Schwere des Verstoßes ([X.], NJW 2015, 1235; [X.], Urteil vom 14. April 2015

5 StR 20/15, aaO; Beschlüsse vom 5. August 2015

5 [X.], [X.]R StPO § 243 Abs. 4 Mitteilungspflicht 5; vom 24. Juli 2019

1 [X.], [X.], 93, 94) ein Ausschluss des Beruhens ange-nommen werden. In die wertende Gesamtbetrachtung war insbesondere einzu-beziehen, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 12. Februar 2020 durch die Vorsitzende über den Inhalt und das Ergebnis eines auf Anregung das schließlich Grundlage der [X.] wurde. Der Inhalt dieses Verständigungsgesprächs vom 5. Februar 2020 umfasste auch die in den zuvor am
4. Juli 2018 und 9. Januar 2020 geführten Gesprächen angesprochenen Ge-sichtspunkte einer Beschränkung der Anklagevorwürfe bzw. der [X.]. Der Informationsgehalt jener gleichsam überholten Gespräche ging mithin nicht über den der zur
[X.] führenden Erörterung hinaus. Hinzu kommt, dass die Vorsitzende mit ihrem zu Beginn der Hauptverhandlung am 15. Januar
2020 gegebenen Hinweis auf das Ende 2019 mit dem weiteren [X.] geführte Gespräch die Verfahrensbeteiligten und
die Öffentlichkeit über eine mögliche Beschränkung der Anklagevorwürfe im Falle eines [X.] unterrichtet hatte. Daher erscheint es ausgeschlossen, dass ein beim [X.] bestehendes Informationsdefizit über Inhalt und Verlauf der [X.] vom 4.
Juli 2018 und 9. Januar 2020 seine Rechtsstellung und seine [X.] beeinträchtigt haben könnte oder sonst der Prozess-verlauf aufgrund der stattgefundenen Gespräche beeinflusst worden ist (vgl. [X.], Urteil vom 14. April 2015

5 StR 20/15, aaO; Beschluss vom 10. Mai 2016

1 [X.], aaO).
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Auch eine Beeinflussung der Entscheidungsfindung durch eine unzu-reichende Unterrichtung der Öffentlichkeit, deren Informationsbedarf die Vor-schrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO zugleich schützt, ist auszuschließen. Denn auch nach dem [X.] war der Inhalt der am 4. Juli 2018 und 9. Ja-nuar
2020 geführten Gespräche nicht auf die Herbeiführung einer gesetzwidri-gen Absprache gerichtet. Eine Beeinträchtigung des Schutzkonzepts der [X.] der § 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a und § 257c StPO, durch die [X.] werden soll, dass kein informelles und unkontrolliertes Verfahren betrieben wird, drohte nicht (vgl. zu dieser Voraussetzung für einen ausnahmsweise an-zunehmenden Beruhensausschluss [X.] 133, 168, 223 f.; [X.], NJW 2015, 1235, 1237; Beschluss vom 16. Februar 2016

2 [X.]/16; [X.], Ur-teil vom 14. April 2015

5 StR 20/15, aaO; Beschlüsse vom 15. Januar 2015

1 [X.], [X.]St
60, 150, 153 f.; vom 10. Dezember 2015

3 [X.]; vom 24. Juli 2019

1 [X.], aaO,
mwN). Vielmehr war auch die Öffentlichkeit durch die am 12. Februar 2020 in der Hauptverhandlung vorgenommene vollständige und zutreffende Mitteilung des Inhalts des Vorgesprächs vom 5. Februar 2020 über sämtliche [X.] für eine [X.] gemäß § 257c StPO unter-richtet und durch diese Mitteilung sowie durch den Hinweis in der [X.] vom 15. Januar 2020 auf die Unterredung der Vorsitzenden mit dem weiteren Verteidiger Ende 2019 auch
darüber informiert, dass überhaupt au-ßerhalb der Hauptverhandlung Gespräche über mögliche Verfahrensabläufe stattgefunden haben (vgl. zu diesem Aspekt auch [X.], Urteil vom 14. April 2015

5 StR 20/15, aaO; Beschluss vom 15. Januar 2015

1 [X.], aaO,
S.
155). Demgemäß hat sich die Verständigung trotz der geringfügigen Mittei-14
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[X.], Urteil vom 14. April 2015

5 StR 20/15, aaO).
Cirener

Berger

Mosbacher

Köhler

von Häfen

Vorinstanz:
[X.], [X.], 04.03.2020 -
33 Js 450/15 2 KLs 6/18 302 AR 24/20

Meta

5 StR 249/20

16.09.2020

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2020, Az. 5 StR 249/20 (REWIS RS 2020, 11187)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11187

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