Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.08.2023, Az. 5 StR 550/22, 5 StR 39/23

5. Strafsenat | REWIS RS 2023, 5588

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Gegenstand

Anforderungen an den Ablehnungsbeschluss hinsichtlich Beweisanträgen wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit; qualifizierte Konnexität


Tenor

1. Die Verfahren 5 StR 550/22 und 5 StR 39/23 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Das Verfahren 5 StR 550/22 führt.

2. Auf die Revision der Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 31. August 2022 – (534 KLs) 255 Js 74/20 (20/21) [X.] – mit den Feststellungen aufgehoben.

3. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 31. August 2022 – (534 KLs) 255 Js 74/20 (20/21) –, soweit es diesen Angeklagten betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

4. Die Sachen werden zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in Tateinheit mit besonders schwerer Bestechung und mit Beihilfe zur gewerbs- und bandenmäßigen Urkundenfälschung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und die Angeklagte [X.]– nachdem es deren Verfahren aus dem ursprünglich gemeinsam geführten herausgetrennt hatte – wegen Einschleusens von Ausländern in Tateinheit mit besonders schwerer Bestechlichkeit und Urkundenfälschung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es gegen beide Angeklagte [X.] getroffen.

2

Nach den übereinstimmenden Feststellungen verschaffte der Angeklagte [X.]gemeinschaftlich mit weiteren Personen ausländischen Staatsangehörigen einen scheinlegalen Aufenthalt in der [X.], um sich dadurch eine fortlaufende und nicht unerhebliche Einnahmequelle zu erschließen; dazu veranlassten sie die behördliche Eintragung von [X.] in die Reisepässe der Ausländer, indem der jeweilige Pass mit einem widerrechtlich ausgefüllten Blankoaufenthaltstitel versehen, anschließend beschädigt und beim zuständigen Konsulat gegen einen neuen eingetauscht wurde. In den ausgeurteilten Fällen übertrug die im Bürgeramt [X.]             beschäftigte Angeklagte [X.]unter Vermittlung des Angeklagten [X.] den vermeintlichen Aufenthaltstitel schließlich in den neuen Reisepass, und zwar ohne die an sich erforderliche persönliche Anwesenheit des Passinhabers oder eines Vertreters. Diesen „Zusatzservice“ einer Titelübertragung ohne persönliche Anwesenheit mussten die „Kunden“ gesondert vergüten. Die Angeklagte [X.]erhielt für die Übertragung des vermeintlichen Aufenthaltstitels ihrerseits ein Entgelt. Auch sie wollte sich dadurch eine fortlaufende und nicht unerhebliche Einnahmequelle verschaffen.

3

Die auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben mit einer inhaltlich identisch erhobenen [X.] (§ 349 Abs. 4 StPO).

4

1. Zu Recht machen die Beschwerdeführer geltend, das [X.] habe rechtsfehlerhaft die Einvernahme des [X.]abgelehnt.

5

a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zu Grunde:

6

Die Beschwerdeführer haben in der Hauptverhandlung die Vernehmung des Zeugen zum Beweis der Tatsache beantragt, dass er bei seiner Titelübertragung im Bürgeramt [X.]             persönlich vorstellig gewesen sei und den angeblichen „Zusatzservice“ nicht in Anspruch genommen habe. Das [X.] hat das Verfahren daraufhin hinsichtlich des den [X.]betreffenden [X.]s nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt und die Beweisanträge wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, Rückschlüsse dergestalt, dass „Kunden“ auch in weiteren von der Anklage umfassten Fällen persönlich im Bürgeramt anwesend waren, seien zwar möglich, die [X.] beabsichtige aber nicht, sie zu ziehen, weil bei vorläufiger Würdigung der bisherigen Beweisaufnahme ausschließlich Beweismittel vorlägen, nach denen kein weiterer „Kunde“ persönlich im Bürgeramt anwesend gewesen sei.

7

b) Die Rüge ist zulässig erhoben.

8

Insbesondere war es gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht geboten, die Vernehmungsprotokolle des Mitangeklagten [X.]und des Zeugen [X.].  vorzulegen. Deren Aussage, der „Zusatzservice“ einer Titelübertragung ohne persönliche Anwesenheit der „Kunden“ sei in allen den [X.] bildenden Fällen unter Mitwirkung der Angeklagten erfolgreich durchgeführt worden, ergibt sich bereits aus den dem [X.] auf die Sachrüge hin zugänglichen Urteilsgründen. Zur Prüfung der mit der Angriffsrichtung einer unzulänglichen Begründung der Ablehnungsentscheidung erhobenen Rüge bedarf es der [X.]nntnis des Inhalts der Angaben der gesondert Verfolgten mithin nicht.

9

c) Die Rüge ist auch begründet.

aa) Die Ablehnungsentscheidung des [X.]s genügt nicht den Begründungsanforderungen an einen Beschluss nach § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO.

Insoweit gilt: Der Ablehnungsbeschluss muss einerseits den Antragsteller über den Standpunkt des Gerichts informieren und ihm dadurch ermöglichen, sein weiteres Prozessverhalten auf die durch die Ablehnung seines Antrags entstandene Verfahrenslage einzustellen, und andererseits das Revisionsgericht in die Lage versetzen, die Ablehnungsentscheidung zu überprüfen (vgl. nur [X.], Urteil vom 26. Januar 2000 – 3 [X.], [X.], 267, 268). Im Falle der Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit hat das Tatgericht deshalb mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum es aus der unter Beweis gestellten Tatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Tatgericht genügen müsste, [X.]n es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Überzeugungsbildung ohne Einfluss geblieben ist (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 1. Oktober 2013 – 3 [X.], [X.], 110, 111; Urteil vom 7. April 2011 – 3 [X.], [X.], 713, 714 jeweils mwN).

Diesen Anforderungen wird der angegriffene Ablehnungsbeschluss nicht gerecht. Das [X.] begnügt sich zur Begründung der tatsächlichen Bedeutungslosigkeit der [X.] letztlich mit dem pauschalen Hinweis, dass nach der bisherigen Beweisaufnahme ausschließlich Beweismittel vorlägen, nach denen kein weiterer „Kunde“ persönlich im Bürgeramt anwesend gewesen sei. Weder macht es die maßgeblichen Beweismittel namhaft noch legt es auch nur ansatzweise dar, weshalb die [X.] nicht geeignet sei, seine auf diese Beweismittel gestützte Überzeugung zu erschüttern. Damit bleiben die genauen Beweiserwägungen des [X.]s intransparent.

bb) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der [X.] kann nicht ausschließen, dass sich die Angeklagten bei [X.] Entscheidung über den Beweisantrag erfolgreicher als geschehen hätten verteidigen können und das [X.] zu einer anderen, den die Tatvorwürfe bestreitenden Angeklagten günstigeren Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen gelangt wäre.

2. Nach alledem kommt es auf die gleichfalls erfolgversprechenden Beweisantragsrügen der Beschwerdeführer betreffend den Zeugen G.    (vgl. hierzu Antragsschrift des [X.] im Verfahren 5 StR 39/23) ebenso [X.]ig an wie auf die weiteren Verfahrensbeanstandungen und die jeweils erhobene Sachrüge.

Insoweit sieht der [X.] allerdings Veranlassung für folgende Hinweise:

a) Soweit die [X.] den von beiden Beschwerdeführern gestellten Antrag auf Vernehmung der Zeugin K.    mit der Begründung als bloßen Beweisermittlungsantrag behandelt hat, es sei „nicht nachvollziehbar, warum die benannte Zeugin die [X.] bestätigen können sollte“, denn diese widersprächen „diametral den bisherigen Beweisergebnissen“, ist dies rechtsfehlerhaft. Denn damit hat das [X.] dem Antrag seine Beweisantragsqualität letztlich unter Verweis auf die Rechtsfigur der sogenannten qualifizierten oder erweiterten [X.] bei fortgeschrittener Beweisaufnahme (vgl. zum Begriff etwa [X.], Beschluss vom 1. September 2021 – 5 [X.]/21 Rn. 23, NJW 2021, 3404, 3406; [X.] StPO/[X.], [X.]., § 244 Rn. 25 mwN) abgesprochen. Nach der umfassenden Neuregelung des Beweisantragsrechts durch das [X.] vom 10. Dezember 2019 ([X.] I 2019 S. 2121, 2122) mit der Legaldefinition des Beweisantrags in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO werden solche weitergehenden Anforderungen an die [X.] indes nicht (mehr) gestellt ([X.], Beschlüsse vom 1. September 2021 – 5 [X.]/21 Rn. 22 ff., NJW 2021, 3404; vom 12. Mai 2022 – 5 [X.]/21 Rn. 10, [X.], 763). Ihr Fehlen kann mithin die von der [X.] vorgenommene Einstufung als bloßen Beweisermittlungsantrag nicht rechtfertigen.

b) Zu Recht beanstandet die Angeklagte [X.]mit ihrer Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dass die abgelehnten Mitglieder der erkennenden [X.] ihr zweites Ablehnungsgesuch, mit dem sie geltend gemacht hat, ihr sei durch willkürliche Verwerfung des vorangegangenen Ablehnungsgesuchs wegen Verschleppungsabsicht gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO bereits im [X.] der gesetzliche [X.] entzogen worden, wiederum wegen Verschleppungsabsicht gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig verworfen haben.

Denn die Wahl des Verfahrens nach § 26a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO als Ausnahme von dem in § 27 StPO erfassten Regelfall der Entscheidung ohne die Mitwirkung des abgelehnten [X.]s darf nicht dazu führen, dass der abgelehnte [X.] sein eigenes Verhalten beurteilt und sich damit gleichsam zum „[X.] in eigener Sache“ aufschwingt. Die Beteiligung eines [X.]s an der Entscheidung über ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch ist vielmehr auf Fälle echter Formalentscheidungen und die Verhinderung eines offensichtlichen Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt; sie setzt voraus, dass keine Entscheidung in der Sache getroffen wird und scheidet dementsprechend aus, [X.]n ein auch nur geringfügiges Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich ist. Das war hier der Fall, weil sich die [X.] in der Entscheidung über das zweite Ablehnungsgesuch mit ihrer Behandlung des ersten Ablehnungsgesuchs auseinandergesetzt hat. Jedenfalls bei einer willkürlichen oder die Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erheblich missachtenden Überschreitung des durch § 26a StPO abgesteckten Rahmens begründet bereits dies den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO, ohne dass es auf die sachliche Berechtigung der Ablehnungsgründe ankommt (vgl. zum Ganzen nur [X.], Beschlüsse vom 10. August 2005 – 5 [X.], [X.]St 50, 216, 218 ff.; vom 10. April 2008 – 4 [X.], [X.], 523, 524 jeweils mwN).

c) Die Urteilsgründe sind so abzufassen, dass die tatgerichtliche Entscheidung nachvollziehbar und einer – auf die Sachrüge durchzuführenden – revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich ist ([X.], Urteil vom 7. August 2014 – 3 [X.]; Beschluss vom 13. November 2012 – 3 StR 364/12, [X.], 78, 79). Dem werden die angegriffenen Urteile nicht gerecht, soweit das [X.] die Angaben des Mitangeklagten [X.]und des Zeugen [X.].  ungeachtet dessen für glaubhaft erachtet, dass diese sich „bezüglich weiterer Umstände außerhalb des [X.]rngeschehens in einigen Punkten widersprechen“ und „beide im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung in einigen Punkten die Unwahrheit gesagt haben“. Der [X.] kann die Beweiswürdigung des [X.]s mangels Darstellung der konkreten Defizite in den Aussagen dieser beiden zentralen Beweispersonen revisionsrechtlich nicht überprüfen (vgl. Antragsschrift des [X.] im Verfahren 5 StR 39/23).

d) Schließlich erweist sich auch die Beweiserwägung des [X.]s als nicht unbedenklich, es hätte für die Angeklagte [X.]im Falle eines gegen sie gerichteten Komplotts nahegelegen, über     [X.].   herauszufinden, [X.] er als Vertreter der „Kunden“ ins Bürgeramt geschickt habe; denn es oblag nicht der Angeklagten, sie möglicherweise entlastende Beweismittel herbeizuschaffen, sondern vielmehr der Staatsanwaltschaft (§ 160 Abs. 2 StPO) und nach Eröffnung des Hauptverfahrens der [X.] (§ 244 Abs. 2 StPO).

Cirener     

  

Gericke     

  

[X.]

  

von Häfen     

  

Werner     

  

Meta

5 StR 550/22, 5 StR 39/23

07.08.2023

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 31. August 2022, Az: 534 KLs 20/21

§ 26a Abs 1 StPO, § 26a Abs 2 S 1 StPO, § 27 StPO, § 244 Abs 3 S 1 StPO, § 244 Abs 3 S 3 Nr 2 StPO, § 244 Abs 6 S 1 StPO, § 338 Nr 3 StPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.08.2023, Az. 5 StR 550/22, 5 StR 39/23 (REWIS RS 2023, 5588)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5588

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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