Bundessozialgericht, Urteil vom 17.03.2015, Az. B 11 AL 8/14 R

11. Senat | REWIS RS 2015, 13964

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Gegenstand

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Erstattung von Kosten im Vorverfahren - notwendige Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung - Verbandsvertretung - satzungsrechtliche Grundlage - endgültige Kostentragungspflicht


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 1. April 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] ist die Erstattung höherer Kosten für die Vertretung durch die [X.] gGmbH ([X.]) in einem isolierten Widerspruchsverfahren.

2

Der Kläger ist seit 1.10.2008 Mitglied des [X.], [X.] Nachdem die Beklagte ihm gegenüber die Bewilligung von Arbeitslosengeld [X.]) aufgehoben hatte, erhob er durch seinen Bevollmächtigten, einen Sozialrechtsreferenten der [X.], dem er zuvor Vollmacht erteilt hatte, Widerspruch, den er näher begründete. Nach Prüfung half die Beklagte dem Widerspruch in vollem Umfang ab ([X.] vom 11.4.2011) und erklärte sich bereit, dem Kläger die entstandenen notwendigen Kosten des Vorverfahrens auf Antrag zu erstatten.

3

Der Kläger beantragte daraufhin die Erstattung von 230 Euro als Kosten der Vertretung durch die [X.]. Er nahm Bezug auf die Satzung des [X.] Landesverbands [X.] in der ab 1.1.2010 geltenden Fassung. Danach betragen die von der [X.] zu berechnenden Entgeltsätze für die nachstehenden Verfahren:
 Vorverfahren 230 Euro
 Verfahren der 1. Instanz 360 Euro
 Verfahren der 2. Instanz 430 Euro.

4

In § 7 Ziffer 7 der Satzung heißt es, bei einem Mitglied des [X.], das iS des § 53 der Abgabenordnung ([X.]) bedürftig und von der [X.] im Vorverfahren oder gerichtlichen Verfahren vertreten worden ist, das aber keinen Anspruch gegen den jeweiligen [X.] auf vollständige Erstattung des zu zahlenden Entgelts erworben habe oder das den Erstattungsanspruch nicht durchsetzen könne, sei der [X.] (als Verband) berechtigt, die Kostenschuld des Mitglieds gegenüber der [X.] mit der Maßgabe zu begleichen, dass das Mitglied lediglich folgende Anteile des geschuldeten Entgelts zu entrichten hat:
 Vorverfahren 15 Euro
 Verfahren der 1. Instanz 25 Euro
 Verfahren der 2. Instanz 35 Euro.

5

Die Beklagte erkannte eine Pauschale von 18 Euro als notwendige Aufwendungen für die Vertretung im Vorverfahren an und stellte fest, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war; den weitergehenden Antrag des [X.] wies sie zurück (Bescheid vom 27.5.2011; Widerspruchsbescheid vom 28.9.2011).

6

Das Sozialgericht ([X.]) [X.] hat die auf Zahlung weiterer 212 Euro gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]) und die Berufung zugelassen. Das [X.] ([X.]) [X.] hat das Urteil des [X.] aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger weitere 212 Euro zu erstatten (Urteil vom 1.4.2014). Rechtsgrundlage des Anspruchs sei § 63 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ([X.]B X). Der Kläger sei gegenüber der [X.] aufgrund der rechtmäßigen Satzung des [X.]-Landesverbands verpflichtet, einen Betrag in Höhe von 230 Euro für die Vertretung im Vorverfahren zu zahlen.

7

Die Beklagte hat Revision eingelegt und rügt eine Verletzung von § 63 Abs 1 Satz 1 [X.]B X. Die Kosten für das Widerspruchsverfahren seien nicht in Höhe von 230 Euro "entstanden" und auch nicht zur Rechtsverfolgung notwendig gewesen, weil im Unterliegensfall im Widerspruchsverfahren eine teilweise Erstattung der Kosten durch den [X.] Landesverband erfolge. Im wirtschaftlichen Ergebnis seien dem Kläger deshalb keine Kosten in Höhe von 230 Euro entstanden. Aus der satzungsrechtlichen Grundlage ergebe sich nicht mit hinreichender Deutlichkeit, unter welchen Voraussetzungen sowie in welcher Höhe die Forderung entstehe und das Vereinsmitglied sie endgültig zu tragen habe. Vielmehr begegneten die vereins- und gesellschaftsrechtlichen Regelungen erheblichen Bedenken. Zwar entstehe zunächst ein Kostenanspruch der [X.], der Mandant werde aber regelmäßig von diesen Kosten freigestellt. § 63 Abs 1 Satz 1 [X.]B X sehe vor, dass nur die Kosten zu erstatten seien, die dem Mandanten entstünden und von ihm zu tragen seien. Demgemäß sei die Formulierung in § 7 Ziffer 7 der Satzung des [X.] betreffend § 53 [X.] in Zusammenschau mit der Regelung im Gesellschaftsvertrag der [X.] nur so zu verstehen, dass das Mitglied bei Unterliegen im Vorverfahren nur 15 Euro an die [X.] zu zahlen habe und der darüber hinausgehende Restbetrag vom [X.] an die [X.] gezahlt werde. Durch die Vorinstanz sei nicht geklärt worden, ob der Kläger iS des § 53 [X.] bedürftig sei. Dies sei zu klären, weil sich erst danach beurteilen lasse, ob der Kläger selbst den geltend gemachten Betrag schulde. Die Frage der Bedürftigkeit sei auch offen, weil er im Jahr 2011 Arbeitslosengeld in Höhe von durchschnittlich 1640,10 Euro pro Monat und damit mehr als das Vierfache der Regelbedarfsstufe bezogen habe.

8

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] zurückzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch als nach Grund und Höhe formell und materiell rechtmäßig.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ).

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 27.5.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.9.2011 (§ 95 SGG), gegen den sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage wendet (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4, § 56 SGG).

Die Klage ist begründet; der Kläger hat Anspruch auf Erstattung weiterer 212 Euro. Grundlage des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs ist § 63 Abs 1 Satz 1 [X.] in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.1.2001 ([X.]). Danach hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Nicht einschlägig ist dagegen § 63 Abs 2 [X.], wonach die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren erstattungsfähig sind, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Denn von dieser begünstigenden Regelung für die darin angesprochenen Bevollmächtigten sind nur solche Gebühren erfasst, die auf gesetzlicher Grundlage beruhen ([X.], 183 ff RdNr 13 f = [X.] 4-1300 § 63 [X.]). Solche Gebühren sind hier nicht erhoben worden. Die Beklagte hat bereits bindend geregelt, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten, hier von Sozialrechtsreferenten der [X.] (vgl § 73 Abs 2 [X.], Abs 4 SGG; § 13 Abs 5 und 6 [X.]), notwendig war (§ 63 Abs 3 Satz 2 [X.]).

Voraussetzung für eine Kostenerstattung nach § 63 Abs 1 Satz 1 [X.] ist das wirksame Entstehen einer Kostenforderung der [X.] gegen den Kläger für die Vertretung im Vorverfahren. Dies ist hier der Fall. Der Kläger hat mit der [X.] einen entsprechenden entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag geschlossen, selbst wenn ein schriftlicher Vertrag nicht vorliegen sollte. Ein Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 3, 7 des Gesetzes über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen ([X.]), der gemäß § 134 [X.] (BGB) die Nichtigkeit der Kostenverpflichtung des [X.] zur Folge hätte (vgl [X.], 327 ff), liegt nicht vor (vgl BSG [X.] 4-1300 § 63 [X.] RdNr 27 f).

Die einzelnen Voraussetzungen des § 63 Abs 1 Satz 1 [X.] sind erfüllt. Der Widerspruch des [X.] gegen den Ausgangsbescheid war in vollem Umfang erfolgreich, weil die Beklagte ihm einen Abhilfebescheid (§ 85 Abs 1 SGG) erteilt hat. Der Kläger macht mit den Kosten der Vertretung durch die [X.] auch Aufwendungen iS der Vorschrift geltend, denn dieser Begriff ist weit zu verstehen ([X.], 183 ff RdNr 47 = [X.] 4-1300 § 63 [X.]). Zu den Aufwendungen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig sind, gehören auch die Kosten einer sog [X.], wie sie hier streitig sind (vgl [X.]). Die Satzung betreffend die Kosten für die [X.] im Widerspruchsverfahren ist auch wirksam. Sie wurzelt in einer wirksamen Verbandssatzung und den Erstattungsberechtigten trifft eine endgültige Pflicht zur Kostentragung (vgl [X.], 183 ff RdNr 49 und 58 = [X.] 4-1300 § 63 [X.]).

Der Senat ist befugt, die Regelungen der Satzung des eingetragenen Vereins und den Gesellschaftsvertrag der [X.], die das [X.] festgestellt hat, selbst auszulegen und zu überprüfen (§ 202 SGG iVm §§ 560, 545, 546 ZPO; dazu [X.] Beschluss vom 11.11.1985 - [X.] - [X.], 291 ff; [X.]Z 47, 179 ff). Die streitbefangene Kostenforderung der [X.] gegenüber dem Kläger ist danach durch die Satzung des [X.]-Landesverbandes sowie den zwischen dem Kläger und der [X.] geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrag wirksam begründet worden (vgl zu derselben Satzung BSG [X.] 4-1300 § 63 [X.] RdNr 20 bis 25; [X.] Baden-Württemberg, Urteil vom 27.3.2014 - L 7 R 1940/12).

Dem Anspruch auf Kostenerstattung steht nicht entgegen, dass die geltend gemachten Kosten diejenigen überstiegen, die sich im Falle der Vertretung durch einen Rechtsanwalt nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ergäben (Notwendigkeit der Kosten), denn sie erreichen deren Höhe nicht. Die für einen Kostenvergleich heranzuziehende sog [X.] eines Rechtsanwalts für die Vertretung im Widerspruchsverfahren liegt bei 240 Euro bei einem Betragsrahmen von 40 bis zu 520 Euro ([X.] zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz). Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der Kläger als Mitglied das [X.] auf dessen Vertretung in rechtlichen Angelegenheiten verwiesen ist. Denn als Mitglied eines ihm Rechtsschutz gewährenden Verbandes kann er zB keine Prozesskostenhilfe erlangen (§ 73a Abs 2 SGG), weil er sich durch den Verband vertreten lassen kann (BSG, Beschluss vom 8.10.2009 - [X.] [X.] 35/09 B). In dieser Situation ist es sachgerecht, dass ihm die durch die Vertretung entstehenden Kosten im Falle des Obsiegens erstattet werden.

Auch im Übrigen sind die Regelungen hinreichend klar und nicht zu beanstanden. Die [X.] berechnet gemäß § 7 Ziffer 6 Buchst a) der Satzung für die Vertretung im Vorverfahren 230 Euro. Nach § 7 Ziffer 6 Buchst b) der Satzung ist der Betrag durch Hinzurechnung der Umsatzsteuer von [X.] zu erhöhen, wenn das Mitglied nicht bedürftig ist. Ist dagegen ein Mitglied vertreten worden, das iS des § 53 AO alte Fassung (aF) bedürftig ist und das keinen Kostenerstattungsanspruch gegen den [X.] erworben hat oder den erworbenen Erstattungsanspruch nicht durchsetzen kann, ist der [X.] (gemeint: der Verein bzw Verband als solcher) "berechtigt", die [X.] des Mitglieds gegenüber der [X.] so zu begleichen, dass von dem Mitglied selbst für das Vorverfahren (nur) 15 Euro zu entrichten sind (§ 7 Ziffer 7 der Satzung).

Den Kläger trifft nach der hier maßgeblichen Satzung selbst die Kostentragungspflicht, diese verstößt auch nicht gegen den vereinsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (BSG [X.] 4-1300 § 63 [X.] RdNr 41 ff). Dass § 7 Ziffer 7 der Satzung insoweit nur eine "Berechtigung“ des [X.] zur Begleichung der [X.] in diesen Fällen regelt und in Satz 4 dieser Ziffer ein Rechtsanspruch des Mitglieds auf diese Zuwendung ausdrücklich ausgeschlossen wird, ist (nur) dem Umstand geschuldet, dass der Verband oder die [X.] iS des § 1 Versicherungsaufsichtsgesetz ([X.]) betreibt und daher den Einschränkungen dieses Gesetzes und der Versicherungsaufsicht unterliegt (vgl BVerwGE 75, 155 ff; [X.] Baden-Württemberg, Urteil vom 27.3.2014 - L 7 R 1940/12). Ob der Kläger selbst im Einzelfall bedürftig gewesen ist, ist - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht erheblich, denn er hat in dem Vorverfahren obsiegt. Im vorliegenden Einzelfall ist das Verfahren des § 7 Ziffer 7 der Satzung folglich nicht zur Anwendung gekommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Meta

B 11 AL 8/14 R

17.03.2015

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Karlsruhe, 25. Juni 2012, Az: S 11 AL 4546/11, Urteil

§ 63 Abs 1 S 1 SGB 10 vom 18.01.2001, § 63 Abs 2 SGB 10 vom 18.01.2001, § 63 Abs 3 S 2 SGB 10 vom 18.01.2001, § 73 Abs 2 S 2 Nr 8 SGG, § 73 Abs 4 SGG, § 13 Abs 5 SGB 10, § 13 Abs 6 SGB 10, § 53 AO 1977

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 17.03.2015, Az. B 11 AL 8/14 R (REWIS RS 2015, 13964)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13964

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