Bundesgerichtshof, Urteil vom 31.08.2010, Az. 5 StR 159/10

5. Strafsenat | REWIS RS 2010, 3726

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Gegenstand

Besetzungsrüge im Strafverfahren: Änderung der reduzierten Strafkammerbesetzung im zeitlichen Zusammenhang mit der Terminierung


Tenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 11. November 2009 werden verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Revision.

– Von Rechts wegen –

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten, einen vorläufig suspendierten Polizeibeamten, – unter Freisprechung im Übrigen – wegen unerlaubten Handeltreibens mit Waffen in 19 Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit (zweifachem) unerlaubtem Waffenbesitz und mit (zweifacher) Amtsanmaßung, wegen (zweifacher) Amtsanmaßung, wegen unerlaubter Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke in drei Fällen und wegen Bestechlichkeit zu einem Jahr und zwei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung und zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt; vier Monate der Freiheitsstrafe und 30 Tagessätze der Geldstrafe hat es wegen überlanger Verfahrensdauer als vollstreckt angerechnet.

2

Nach dem auf eine Verständigung zurückgehenden Urteil bleibt die mit punktuellen sachlichrechtlichen Beanstandungen gegen den Teilfreispruch, die Behandlung mancher Konkurrenzfragen, die Zubilligung eines vermeidbaren Verbotsirrtums, die Strafzumessung und die Bemessung der Vollstreckungsanrechnung gerichtete, vom [X.] vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ebenso erfolglos wie die mit einer Besetzungsrüge und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten.

3

1. Die Besetzungsrüge versagt. Mit ihr wird die nach dreieinhalb Monaten in zeitlichem Zusammenhang mit der Terminierung erfolgte Abänderung der mit Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossenen Reduzierung der [X.]besetzung nach § 76 Abs. 2 [X.] beanstandet.

4

Ob die [X.] bereits – was der Senat entgegen [X.]R [X.] § 76 Abs. 2 Verfahren 2 schon im Blick auf den Charakter der einzig zum Zwecke der Schonung von [X.] nach der [X.] geschaffenen und wiederholt verlängerten Übergangsvorschrift des § 76 Abs. 2 [X.] für naheliegend hält (vgl. BTDrucks 12/1217 S. 46 ff.; [X.], Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 [X.] [X.]. 18, zur [X.] in [X.]R [X.] § 76 Abs. 2 bestimmt; sowie zur Gesetzgebungshistorie im einzelnen Rieß in Festschrift für [X.] 2010 S. 895, 897 ff.) – daran scheitern muss, dass die Verhandlung in der Regelbesetzung den Angeklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beschweren kann (vgl. auch das unveränderte Schutzquorum des § 263 Abs. 1 StPO), bedarf hier keiner Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob die [X.], wie der [X.] meint, deshalb erfolglos bleibt, weil sich der Angeklagte vor der [X.] verständigt und damit seinen [X.] schlüssig zurückgenommen oder verwirkt hat (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation [X.] StV 2010, 470; vgl. bereits [X.]R StPO § 338 Revisibilität 1). Die [X.] ist jedenfalls unbegründet.

5

Nicht anders als auf einen entsprechend begründeten [X.] (vgl. [X.]R [X.] § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 2) durfte die [X.] die Verbindlichkeit der Besetzungsentscheidung auch schon vor Beginn der Hauptverhandlung überprüfen. Dass eine Besetzungsreduktion schon bei Annahme schlichter Fehlerhaftigkeit in den Regelfall korrigiert werden kann, liegt dabei nicht fern, bedarf indes keiner Entscheidung. Denn die Besetzungsentscheidung durfte jedenfalls darauf überprüft werden, ob sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar, damit objektiv willkürlich erfolgt und daher abzuändern war (vgl. [X.]/[X.], [X.] 6. Aufl. § 76 Rdn. 6, 10; [X.]/[X.] NStZ 2004, 469, 471; wohl noch weitergehend [X.] in Festschrift für [X.] 2010 S. 431, 439; vgl. zu den Grenzen der Unabänderlichkeit der Besetzungsreduktion auch [X.]St 53, 169). Dass dies hier der Grund für die [X.] war, hat die [X.] zwar nicht – was vorzugswürdig gewesen wäre – in einer Begründung jener Entscheidung ausgeführt, indes noch rechtzeitig und mit hinreichender Deutlichkeit in dem den entsprechenden [X.] zurückweisenden Beschluss: Darin heißt es, die Besetzung mit drei Berufsrichtern sei hier „zwingend notwendig“. Die Annahme „objektiver Willkür“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG war angesichts des Umfangs der Anklage mit 48 fast durchweg nicht alltäglichen Anklagevorwürfen, mit 44 benannten Zeugen, vier Sachverständigen und einer Vielzahl sachlicher Beweismittel, der die Anberaumung von zunächst zehn Hauptverhandlungstagen veranlasste (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 7. Juli 2010 – 5 [X.] [X.]. 19), mindestens vertretbar, damit ihrerseits willkürfrei und folglich als Grundlage für die abändernde Besetzungsentscheidung im Rahmen von §§ 222b, 338 Nr. 1 StPO verbindlich (vgl. [X.], [X.] Aufl. § 76 [X.] Rdn. 8).

6

2. Die im Wesentlichen an den gleichzeitigen Besitz von Waffen anknüpfende Beurteilung der Konkurrenzen ist jedenfalls sachlich vertretbar. Die Ablehnung mittelbarer Falschbeurkundung, die Strafrahmenwahl und Strafzumessung sowie die Erwägungen im Zusammenhang mit einer angenommenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sind rechtsfehlerfrei, die Zubilligung eines vermeidbaren Verbotsirrtums ist im Blick auf die [X.] des sehr weitgehend zu Waffenbesitz befugten Angeklagten als nicht durchgreifend bedenklich hinnehmbar.

7

3. [X.] und die Gesamtzahl der [X.] rechtfertigen im Zusammenhang mit dem Blick auf die Gesamtsumme der vom Angeklagten erzielten [X.] bereits die Annahme gewerbsmäßigen Verhaltens. Auch sonst enthält das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

Basdorf                                Brause                              Schaal

                   Schneider                             [X.]

Meta

5 StR 159/10

31.08.2010

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kiel, 11. November 2009, Az: 7 KLs 12/09, Urteil

§ 76 Abs 2 GVG, § 338 Nr 1 StPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 31.08.2010, Az. 5 StR 159/10 (REWIS RS 2010, 3726)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3726

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