Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.05.2015, Az. 2 StR 45/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 10847

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Gegenstand

Revisionsgründe in Strafsachen: Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses und der Besetzungsentscheidung der Großen Strafkammer im Falle der Hinzuverbindung einer Parallelsache


Leitsatz

Beschließt die Strafkammer in der Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen, dass das Hauptverfahren hinsichtlich einer weiteren Anklage eröffnet wird, die Strafkammer mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt ist und das Verfahren hinzuverbunden wird, sind der Eröffnungsbeschluss und die Besetzungsentscheidung unwirksam. Ersteres führt zu einem Verfahrenshindernis für den neuen Verfahrensgegenstand. Im Übrigen kann die Besetzung der Strafkammer mit einer Verfahrensrüge beanstandet werden (Fortführung von BGH, 2. November 2005, 4 StR 418/05, BGHSt 50, 267).

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. November 2013

1. im Fall [X.]2. der Urteilsgründe eingestellt; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;

2. das vorgenannte Urteil im Übrigen mit den Feststellungen aufgehoben.

[X.] Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Betäubungsmittel, Streckmittel und Verpackungsmaterial sowie die Schusswaffe mit Munition hat es eingezogen. Außerdem hat es den Verfall von [X.] in Höhe von 65.000 Euro angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit den Verfahrensbeanstandungen Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s besaß der Angeklagte bis zum 17. Januar 2012 eine halbautomatische Selbstladepistole mit zwei Patronen, die er auf dem Rahmen einer Aufzugtür versteckte (Fall II.1. der Urteilsgründe). Am 18. September 2012 verkaufte er in seiner Gaststätte für etwa 38.000 Euro rund 700 Gramm [X.] an die gesondert verfolgten Zeugen      A.    und [X.]    ([X.]). Weitere 494,5 Gramm [X.] verkaufte er am 28. Juni 2013 für rund 27.000 Euro an dieselben Abnehmer (Fall II.3.).

II.

3

Die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil macht zu Recht im [X.] der Urteilsgründe ein Verfahrenshindernis geltend. Im Übrigen greift die Verfahrensrüge durch, die [X.] sei falsch besetzt gewesen.

4

1. Der Eröffnungsbeschluss vom 31. Oktober 2013 zu [X.] ist unwirksam. Insoweit besteht ein Verfahrenshindernis, das zur Einstellung zwingt.

5

a) Rechtshängig war bei der 27. Großen [X.] aufgrund einer Anklage der Staatsanwaltschaft vom 8. Juli 2013 zunächst nur das Verfahren hinsichtlich der Fälle II.1. und II.3. der Urteilsgründe. Dazu hatte die [X.] am 13. August 2013 mit drei Berufsrichtern einen Eröffnungsbeschluss gefasst und zugleich beschlossen, dass sie in der Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt sei. Der Vorwurf zu [X.] der Urteilsgründe aufgrund einer weiteren Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 9. Oktober 2013 wurde bei der 2. Großen [X.] anhängig, welche die Sache an die 27. Große [X.] abgab. Diese erklärte am 29. Oktober 2013 die Übernahme des Verfahrens.

6

Nach Beginn der Hauptverhandlung am 31. Oktober 2013 teilte der Vorsitzende mit, dass beabsichtigt sei, die Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung zu verbinden. Nach Gewährung rechtlichen Gehörs beschloss die [X.] in der Besetzung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen, dass die Anklageschrift vom 9. Oktober 2013 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet werde, weiter, dass die [X.] in der Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt sei, und schließlich, dass die Verfahren verbunden werden.

7

b) Der neue Eröffnungsbeschluss ist unwirksam.

8

Für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist die [X.] in der Besetzung zuständig, die außerhalb der Hauptverhandlung zu entscheiden hat, also mit drei Berufsrichtern (§ 76 Abs. 1 [X.]). Schöffen können am Eröffnungsbeschluss nicht mitwirken, da sie mangels [X.] nicht das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts im Sinne von § 203 [X.] beurteilen können (vgl. [X.], Beschluss vom 2. November 2005 - 4 [X.], [X.]St 50, 267, 271). Auch dann, wenn eine zunächst unterbliebene Eröffnungsentscheidung erst in der Hauptverhandlung nachgeholt werden soll, muss die [X.] in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung entscheiden ([X.], Beschluss vom 7. September 2011 - 1 [X.], [X.], 50 f.; Beschluss vom 27. Februar 2014 - 1 StR 50/14, [X.], 664 mit [X.]. [X.]). Entscheidet sie in einer Besetzung, die für die Beurteilung der Voraussetzungen generell ungeeignet ist, liegt ein schwerer Verfahrensfehler vor. Der Eröffnungsbeschluss einer [X.], der nur von zwei statt von drei Berufsrichtern gefasst wurde, ist daher unwirksam (vgl. RG, Urteil vom 29. April 1880 - [X.]. 1030/80, [X.], 402; Urteil vom 3. Februar 1910 - III 1038/09, [X.], 217, 218; Urteil vom 9. November 1920 - [X.], [X.], 113; [X.], Urteil vom 14. Mai 1957, [X.]St 10, 278, 279; Beschluss vom 13. Oktober 1982 - 3 [X.], [X.] 1983, 2, 3; Beschluss vom 2. November 2005 - 4 [X.], [X.]St 50, 267, 269; Beschluss vom 13. Juni 2008 - 2 [X.]; Beschluss vom 22. Juni 2010 - 4 [X.], StraFo 2010, 424). Weil das Vorliegen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses, der den [X.] bestimmt und die Zuständigkeit des Gerichts festlegt, eine Prozessvoraussetzung für das Hauptverfahren darstellt (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Oktober 1980 - StB 29-31/80, [X.]St 29, 351, 354), ist das Verfahren einzustellen (§ 260 Abs. 3 [X.]), soweit es von diesem Mangel betroffen ist.

9

2. Das Prozesshindernis berührt nicht das Verfahren hinsichtlich der Fälle II.1. und II.3. der Urteilsgründe. Insoweit ist das Urteil aber aufgrund der Besetzungsrüge des Angeklagten aufzuheben.

a) Die vom Angeklagten erhobene Rüge, die [X.] sei in der Hauptverhandlung falsch besetzt gewesen, ist zulässig. Eine Präklusion entsprechend § 222b [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 23. Dezember 1998 - 3 StR 343/98, [X.]St 44, 328, 333) kommt nicht in Betracht, weil der Verfahrensfehler erst in der Hauptverhandlung eingetreten ist. Er war nicht aus der Besetzungsankündigung gemäß § 222a [X.] zu entnehmen, weshalb die an die Besetzungsmitteilung anknüpfende Begrenzung der Möglichkeiten zur Geltendmachung eines Besetzungsfehlers gemäß § 222b Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht anzuwenden ist.

b) Die Rüge ist begründet, denn die [X.] hätte in der Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen verhandeln müssen. Es lag keine wirksame Reduzierung der Besetzung gemäß § 76 Abs. 2 Satz 4 [X.] vor. Die Verhandlung mit zwei Berufsrichtern nebst Schöffen verstieß gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.], § 338 Nr. 1 [X.] und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

aa) Das Gesetz sieht Beschlüsse über die Reduzierung der Besetzung der [X.] im Allgemeinen nur außerhalb der Hauptverhandlung vor. Die Entscheidung über die Besetzung ist grundsätzlich bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen (§ 76 Abs. 2 Satz 1 [X.]) und in derselben Besetzung. Eine bereits beschlossene Besetzungsreduzierung kann nachträglich abgeändert werden, wenn sich vor Beginn der Hauptverhandlung neue Umstände ergeben, die nach Maßgabe von § 76 Abs. 2 und 3 [X.] die Mitwirkung eines weiteren Berufsrichters erforderlich machen (§ 76 Abs. 4 [X.]). Auch dann erfolgt die Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung. Selbst wenn aufgrund eines Besetzungseinwands in der Hauptverhandlung zu entscheiden ist, bleibt die Besetzung der [X.] für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung zuständig (§ 222b Abs. 2 Satz 1 [X.]). Es gibt demnach keine Entscheidung über die Besetzung der [X.] im Sinne von § 76 Abs. 2 [X.], die in der für die Hauptverhandlung selbst maßgeblichen Besetzung getroffen werden könnte. Schließlich sind die Beurteilungsfaktoren mangels [X.] nicht durch die Schöffen zu bewerten, die bei Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung aus dem Quorum ausscheiden (§ 76 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

Die Besetzungsentscheidung durch zwei Berufsrichter und zwei Schöffen ist daher fehlerhaft getroffen worden. Sie ist unwirksam. Dies führt dazu, dass die Besetzung gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.] maßgeblich war.

bb) Der Beschluss vom 13. August 2013 über die Reduzierung der Besetzung wirkte, anders als in dem vom 3. Strafsenat durch Urteil vom 29. Januar 2009 - 3 StR 567/08 ([X.]St 53, 169, 171 ff.) entschiedenen Fall, in dem das Hauptverfahren über eine hinzuverbundene Sache bereits eröffnet und eine Besetzungsreduzierung dazu ordnungsgemäß beschlossen worden war, nicht ohne Weiteres fort.

Dieser Beschluss war durch die Übernahme des Verfahrens zu [X.], die Absicht der Verbindung mit dem bisherigen Verfahren und die tatsächlich getroffene neue Besetzungsentscheidung überholt. Die Übernahme des Verfahrens zu [X.] und die Absicht der [X.], eine Verfahrensverbindung herbeizuführen, hatten den Umfang und die Schwierigkeit der Sache im Sinne von § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] verändert. Bei der Auslegung dieser Merkmale stand der [X.] ein weiter Beurteilungsspielraum zu (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Juni 2012 - 2 BvR 1048/11, [X.]E 131, 268, 313; [X.], Urteil vom 23. Dezember 1998 - 3 StR 343/98, [X.]St 44, 328, 330; Beschluss vom 7. Juli 2010 - 5 [X.], NJW 2010, 3045, 3046). Diesen konnte sie in der fehlerhaften Besetzung nicht wirksam ausfüllen.

Da die [X.] in anderer Besetzung entschieden hat als bei dem ersten Beschluss über die Reduzierung der Besetzung, kam ihrem neuen Beschluss keine deklaratorische Bedeutung zu. Selbst für die Beibehaltung der bisherigen Besetzungsreduktion und deren Bestätigung wäre die [X.] nur in der Besetzung mit drei Berufsrichtern zuständig gewesen. Das inkompetente Quorum konnte die Fortgeltung der bisherigen Besetzungsentscheidung ungeachtet der neuen Umstände nicht wirksam beschließen. Vielmehr hat die [X.] die Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG für die Besetzungsentscheidung und für die Verhandlung in reduzierter Besetzung verkannt. [X.] ist nicht nur das sachlich zuständige Gericht und der geschäftsplanmäßig zuständige Spruchkörper, sondern jeder zur Mitwirkung berufene Richter (vgl. [X.], Beschluss vom 8. April 1997 - 1 [X.] 1/95, [X.]E 95, 322, 329).

Weil es um [X.] für die Hauptverhandlung über die verbundenen Verfahren ging, in der das angefochtene Urteil erlassen wurde, kann dem Verfahrensfehler nicht mit Überlegungen zur angemessenen Besetzung der [X.] nach der erst durch den Senat ausgesprochenen Teileinstellung des Verfahrens eine Bedeutung abgesprochen werden.

c) [X.] zwingt zur Aufhebung des Urteils hinsichtlich der Fälle II.1. und II.3., das darauf beruht (§ 338 Nr. 1 Halbsatz 1 [X.]). Für die Hauptverhandlung vor dem neuen Tatrichter gilt § 76 Abs. 5 [X.].

Fischer     

        

     Krehl     

        

Eschelbach

        

Ri[X.] [X.] ist wegen
Urlaubs an der
Unterschriftsleistung
gehindert.

        

Bartel     

        
        

Fischer

                          

Meta

2 StR 45/14

20.05.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 18. November 2013, Az: 5/27 KLs 6350 Js 220 - 239/13 - 28/13

Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 76 Abs 1 GVG, § 76 Abs 2 GVG, § 76 Abs 4 GVG, § 222a StPO, § 222b Abs 1 S 1 StPO, § 338 Nr 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.05.2015, Az. 2 StR 45/14 (REWIS RS 2015, 10847)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 2515 REWIS RS 2015, 10847

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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