Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.11.2014, Az. 1 ABR 18/13

1. Senat | REWIS RS 2014, 1304

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Gegenstand

Betriebliche Lohngestaltung - vereinbarte Arbeitsvergütung


Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Gesamtbetriebsrats gegen den Beschluss des [X.] vom 30. Januar 2013 - 12 [X.] - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über den Inhalt einer [X.]esamtbetriebsvereinbarung.

2

Die nicht tarifgebundene Arbeitgeberin bietet Finanzdienstleistungen an. Sie beschäftigt ca. 3.600 Arbeitnehmer. Antragsteller ist der bei ihr gebildete [X.]esamtbetriebsrat.

3

Am 29. Juni 2009 beschloss eine Einigungsstelle die „[X.] über die Schaffung eines neuen [X.]ehaltssystems“ ([X.] [X.]ehalt). In deren Anlagen ist eine betriebliche Vergütungsgruppenordnung geregelt und die Abstände zwischen den ausgebrachten 14 Vergütungsgruppen bestimmt. Nach § 9 Abs. 1 [X.] [X.]ehalt darf der Abstand zwischen den Vergütungsgruppen nur mit Zustimmung des [X.] geändert werden. § 3 einer als „Nachtrag 1 zur [X.] vom 29.6.2009“ bezeichneten Vereinbarung vom 17. November/9. Dezember 2010 ([X.]) lautet:

        

§ 3 Zusätzliche Zulage  

        

(1)     

Der Arbeitgeber kann Mitarbeitern nach eigenem Ermessen - ausgehend von der Vergütungsgruppe, in die der jeweilige Mitarbeiter nach dem Vergütungssystem eingruppiert ist - eine Zulage in Höhe von bis zu zwei Vergütungsgruppen zahlen.

        

(2)     

Der [X.]esamtbetriebsrat ist über die Namen der Betroffenen und die Höhe der Zahlungen zu informieren. Einer weiteren Beteiligung des [X.] und/oder des jeweils zuständigen örtlichen Betriebsrates bedarf es nicht.“

4

Die [X.] ist auf Arbeitnehmerseite vom [X.]esamtbetriebsrat und dem örtlichen Betriebsrat der Hauptverwaltung unterzeichnet worden.

5

Die Arbeitgeberin beschäftigte ab dem 8. Januar 2011 im Bereich „Legal & Compliance“ den Mitarbeiter [X.] als „Referent Level IV“ mit einer Vergütung iHv. 6.500,00 Euro. Der Betriebsrat der Hauptverwaltung verweigerte der von der Arbeitgeberin beabsichtigten Eingruppierung in die Vergütungsgruppe 12 der betrieblichen Entgeltordnung mit Schreiben vom 21. Dezember 2010 seine Zustimmung. In dem Schreiben heißt es:

        

„Herr [X.] soll als Referent im [X.], was der V[X.] 12 entspricht, eingesetzt werden. Selbst wenn die Bank von der Möglichkeit, Herrn [X.] zwei Vergütungsgruppen höher einzugruppieren, [X.]ebrauch gemacht hätte, würde er in der V[X.] 14 ein Anfangsgehalt in Höhe von 6.161,60 (incl. 1.6% Erhöhung zum 01.01.2011) erhalten. Bezahlt werden soll er jedoch mit 6.500,- €. Dies sprengt entweder das [X.]ehaltssystem oder das System muss angepasst werden. …“

6

Daraufhin beteiligte die Arbeitgeberin den Betriebsrat mit Schreiben vom 2. Februar 2011 erneut zur Eingruppierung und gab an, dass Herr [X.] nach Vergütungsgruppe 14 (seinerzeit: 6.033,00 Euro) mit einer Sonderzulage außerhalb des Vergütungssystems in Höhe von 467,00 Euro monatlich vergütet werden solle. Der Betriebsrat verweigerte am 7. Februar 2011 auch dieser Eingruppierung zunächst seine Zustimmung. Ein daraufhin von ihm eingeleitetes Beschlussverfahren endete durch den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs. In diesem stimmte der Betriebsrat der Eingruppierung von Herrn [X.] in die Vergütungsgruppe 12 zu.

7

Der [X.]esamtbetriebsrat hat geltend gemacht, die Zahlung von 6.500,00 Euro an Herrn [X.] sei mit der [X.] [X.]ehalt iVm. § 3 Abs. 1 [X.] nicht vereinbar.

8

Der [X.]esamtbetriebsrat hat - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - beantragt,

        

1.    

der Arbeitgeberin zu untersagen, dem Mitarbeiter [X.] über das [X.]rundgehalt des [X.] (Referent) Vergütungsgruppe 12 in Höhe von derzeit 4.562,00 Euro hinaus monatliche Zulagen von mehr als 1.471,00 Euro, insgesamt mehr als 6.033,00 Euro monatlich zu zahlen;

        

2.    

hilfsweise festzustellen, dass die Arbeitgeberin nach § 3 der [X.]esamtbetriebsvereinbarung vom 29. Juni 2009 nicht dazu berechtigt ist, eine Zulage zu zahlen, die dazu führt, dass das [X.]rundgehalt des Mitarbeiters [X.] um mehr als zwei Vergütungsgruppen überstiegen wird;

        

3.    

für den Fall, dass die Arbeitgeberin entgegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung die personelle Maßnahme nicht aufhebt, gegen die Arbeitgeberin zur Aufhebung der Maßnahme ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 Euro für jeden Tag der Zuwiderhandlung anzuordnen.

9

Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das [X.] hat die dagegen gerichtete Beschwerde des [X.] zurückgewiesen. In der Anhörung vor dem Senat hat der [X.]esamtbetriebsrat seine Rechtsbeschwerde auf den zu 2. erhobenen Feststellungsantrag beschränkt.

B. Die Rechtsbeschwerde ist in dem noch rechtshängigen Umfang unbegründet. Der [X.]esamtbetriebsrat hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung.

I. Der Antrag ist zulässig.

1. Er ist nach seinem Wortlaut nur auf die Feststellung gerichtet, dass die Arbeitgeberin nicht berechtigt ist, an den Arbeitnehmer [X.] unabhängig von der mit diesem getroffenen Vereinbarung eine monatliche Vergütung auszuzahlen, die das [X.]rundgehalt der Vergütungsgruppe 12 [X.] [X.]ehalt zuzüglich einer monatlichen Zulage in Höhe der [X.] zwischen dieser Vergütungsgruppe und der Vergütungsgruppe 14 [X.] [X.]ehalt übersteigt. Entsprechend dem im Antrag angeführten Anlassfall geht es dem [X.]esamtbetriebsrat jedoch um die abstrakte Feststellung, dass die Arbeitgeberin nicht berechtigt ist, eine mit Arbeitnehmern vereinbarte Vergütung auszuzahlen, soweit die in § 3 Abs. 1 [X.] für die [X.]ewährung einer Zulage bestimmte Obergrenze überschritten wird.

2. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor. Die Beteiligten streiten über den Inhalt eines bestehenden feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses. Zwischen ihnen bestehen Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von § 3 Abs. 1 [X.].

II. Der Antrag ist unbegründet. § 3 Abs. 1 [X.] untersagt der Arbeitgeberin nicht die Auszahlung von vertraglich vereinbarten [X.]. Dies folgt aus der Auslegung der [X.].

1. Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge oder [X.]esetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen verfolgte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den [X.]esamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen sowie die von den Betriebsparteien praktizierte Handhabung der Betriebsvereinbarung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. BA[X.] 15. Oktober 2013 - 1 [X.] - Rn. 12).

2. Die Arbeitgeberin ist nach § 3 Abs. 1 [X.] nicht gehindert, die mit einem Arbeitnehmer getroffene Vergütungsabrede zu erfüllen, selbst wenn die vereinbarte Vergütung die dort festgelegte Obergrenze übersteigt.

a) Schon der Wortlaut von § 3 Abs. 1 [X.] spricht gegen ein solches Verbot. Danach kann die Arbeitgeberin nach eigenem Ermessen eine Zulage von bis zu zwei Vergütungsgruppen zahlen. Damit ist weder die höchstmögliche Zulagenhöhe bestimmt noch die Rechtsfolgen bei einem etwaigen Überschreiten der Differenz von zwei Vergütungsgruppen. Der Arbeitgeberin wird es auch nicht untersagt, eine günstigere Vergütungsabrede mit einem Arbeitnehmer abzuschließen und zu erfüllen.

b) Der [X.]esamtzusammenhang ergibt keine Anhaltspunkte für die Auslegung von § 3 Abs. 1 [X.]. Lediglich in § 9 Abs. 1 [X.] [X.]ehalt, die durch die [X.] ergänzt wird, wird ausdrücklich bestimmt, dass die dort angeführten Abweichungen der Zustimmung des [X.] bedürfen. Eine vergleichbare Regelung haben die Beteiligten in § 3 Abs. 1 [X.] über die Erfüllung vertraglicher Abreden nicht getroffen.

c) Der Normzweck der betrieblichen Vergütungsregelungen spricht gegen die Annahme, die Arbeitgeberin sei durch § 3 Abs. 1 [X.] an der Erfüllung einer vertraglichen Abrede gehindert. Dabei kann dahinstehen, ob es sich - wie vom [X.] angenommen - bei der [X.] um die Ausübung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrV[X.] handelt oder die Beteiligten eine freiwillige ([X.]esamt-)Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrV[X.] abgeschlossen haben.

aa) Sofern die Arbeitgeberin und der [X.]esamtbetriebsrat mit der [X.] ein dem [X.]esamtbetriebsrat ausnahmsweise (BA[X.] 23. März 2010 - 1 [X.] - Rn. 14 ff., BA[X.]E 133, 373) zustehendes Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrV[X.] ausgeübt haben sollten, hätten diese die Befugnis der Arbeitgeberin zur Auszahlung der vereinbarten Vergütung nicht beschränken können. Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrV[X.] erstreckt sich nicht auf die arbeitsvertraglich vereinbarten Entgelte der Arbeitnehmer. Solche Abreden betreffen die [X.] und sind daher der Regelungsmacht der Betriebsparteien entzogen. Eine Betriebsvereinbarung, nach der die Vereinbarung oder die Auszahlung eines einzelvertraglich vereinbarten [X.]ehaltsbestandteils von der Zustimmung des Betriebsrats abhängt, ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrV[X.] nicht zulässig (BA[X.] 30. Oktober 2012 - 1 [X.] - Rn. 26).

bb) Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen sich der Arbeitgeber in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung (§ 88 BetrV[X.]) verpflichten kann, mit Arbeitnehmern getroffene und gegenüber der betrieblichen Regelung günstigere vertragliche Verpflichtungen nicht (mehr) zu erfüllen. Eine solche, in ihrer rechtlichen Wirksamkeit zumindest zweifelhafte und in der Praxis ungewöhnliche Verpflichtung muss in der getroffenen betrieblichen Regelung deutlich zum Ausdruck kommen, woran es vorliegend gerade fehlt.

        

    Schmidt    

        

    K. Schmidt    

        

    Koch    

        

        

        

    Wisskirchen    

        

    Schwitzer    

                 

Meta

1 ABR 18/13

18.11.2014

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Mönchengladbach, 13. September 2012, Az: 3 BV 27/12, Beschluss

§ 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG, § 88 BetrVG, § 77 BetrVG, § 256 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.11.2014, Az. 1 ABR 18/13 (REWIS RS 2014, 1304)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1304

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Referenzen
Wird zitiert von

4 Sa 383/23

4 Sa 382/23

4 Sa 384/23

4 Sa 385/23

4 Sa 68/17

11 TaBV 21/18

11 Sa 983/15

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