Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 06.12.2022, Az. 4 C 7/21

4. Senat | REWIS RS 2022, 9486

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Gegenstand

Unzulässige Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren


Leitsatz

Im Berufungsverfahren ist eine mündliche Verhandlung grundsätzlich geboten, wenn für die Entscheidung des Berufungsgerichts neue, im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht angesprochene Rechtsfragen oder Tatsachen entscheidungserheblich werden.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des [X.] für das [X.] vom 25. November 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das [X.] zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt einen Bauvorbescheid für die Errichtung eines Lebensmittel-Discountmarktes.

2

Das [X.] (Gemarkung [X.], Flur ..., Flurstück a) und das Nachbargrundstück (Flurstück b) gehören zum sogenannten [X.] (vormals Flurstück c). Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 921 "[X.]/[X.]" vom 7. März 2019, der insoweit ein Gewerbegebiet festsetzt und Einzelhandelsbetriebe ausschließt. In dem [X.] Nr. 206 N vom 30. Juni 2005 ("1. Änderung und Ergänzung des Bebauungsplanes Nr. 206") war ebenfalls ein Gewerbegebiet unter Ausschluss von Einzelhandel festgesetzt.

3

Im Januar 2007 schlossen die Beteiligten vor dem Verwaltungsgericht einen Vergleich. Darin verpflichtete sich die Beklagte unter anderem dazu, der Klägerin einen bauplanungsrechtlichen Vorbescheid für einen Lebensmittel-Discountmarkt auf dem heutigen Flurstück b zu erteilen. In Nummer 4 Buchstabe a der Anlage 5 zum Vergleich wurde vereinbart:

"Hinsichtlich der weiteren Nutzung auf dem [X.] (Flurstück c) verpflichtet sich die Firma [X.] ungeachtet einer verwaltungsgerichtlich festgestellten Unwirksamkeit zur Einhaltung der Festsetzungen des Bebauungsplans 206 N."

4

Den auf der Grundlage des Vergleichs genehmigten Markt auf dem Flurstück b betrieb die Klägerin von 2007 bis 2015.

5

Im März 2016 beantragte sie einen Bauvorbescheid hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung (unter Ausklammerung des Rücksichtnahmegebots) für einen Lebensmittel-Discountmarkt mit einer Verkaufsfläche von 1 200 qm auf dem Flurstück a. Die Beklagte lehnte den Antrag unter Verweis auf eine entgegenstehende Veränderungssperre für den Bebauungsplan Nr. 921 ab. Die Klage blieb in erster Instanz aus demselben Grund ohne Erfolg. Im Berufungsverfahren berief sich die Beklagte erstmals auf den Vergleich aus dem Jahr 2007.

6

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 130a VwGO zurückgewiesen. Die Klage sei mangels Sachbescheidungsinteresses unbegründet. Die Bestimmung in Nummer 4 Buchstabe a der Anlage 5 zum Vergleich stehe einer Verwertung des begehrten Bauvorbescheids entgegen. Die [X.] sei wirksam, auf Verwirkung könne sich die Klägerin nicht berufen.

7

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Das Oberverwaltungsgericht habe verfahrensfehlerhaft ohne mündliche Verhandlung entschieden und so ihren Anspruch auf rechtliches Gehör und [X.] verletzt. Die [X.] sei unwirksam, unter anderem verstoße sie gegen den Grundsatz der [X.] und das Gebot effektiven Rechtsschutzes. Ungeachtet dessen könne sich die Beklagte darauf wegen Verwirkung nicht mehr berufen. Da der Bebauungsplan Nr. 921 und der [X.] unwirksam seien, müsse der Bauvorbescheid auf der Grundlage des § 34 BauGB erteilt werden.

8

Die Beklagte tritt der Revision entgegen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt [X.] Recht. Das [X.] hat verfahrensfehlerhaft ohne mündliche Verhandlung durch [X.]eschluss nach § 130a Satz 1 VwGO entschieden und dadurch zugleich den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen [X.]eschlusses und Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

1. a) Gemäß § 130a Satz 1 VwGO kann das [X.] über die [X.]erufung durch [X.]eschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die verfahrensmäßigen Anforderungen nach § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO - Anhörung der [X.]eteiligten, Hinweis auf die [X.]egründetheit oder Unbegründetheit der [X.]erufung, Gelegenheit zur Äußerung (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 13. August 2015 - 4 [X.] 15.15 - juris Rn. 5 m. w. N.) - hat das [X.] beachtet.

b) Das [X.] hat aber ermessensfehlerhaft von einer mündlichen Verhandlung abgesehen.

aa) Die Entscheidung, ob ohne mündliche Verhandlung durch [X.]eschluss befunden wird, steht im Ermessen des [X.]erufungsgerichts. Die Grenzen des Ermessens sind weit gezogen. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung lediglich darauf überprüfen, ob das [X.]erufungsgericht von seinem Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Ein Absehen von einer mündlichen Verhandlung ist nur zu beanstanden, wenn es auf sachfremden Erwägungen oder einer groben Fehleinschätzung des [X.]erufungsgerichts beruht (stRspr, vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - [X.]VerwGE 121, 211 <213> m. w. N.).

Obwohl § 130a VwGO keine ausdrücklichen Einschränkungen enthält, hat das [X.]erufungsgericht bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass sich die Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nach der Ausgestaltung des Prozessrechts als gesetzlicher Regelfall und Kernstück auch des [X.]erufungsverfahrens erweist (§ 101 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO). [X.]ei der Ermessensentscheidung gemäß § 130a Satz 1 VwGO dürfen - auch in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 [X.] - die Funktionen der mündlichen Verhandlung und ihre daraus erwachsende [X.]edeutung für den Rechtsschutz nicht aus dem [X.]lick geraten. Grundsätzlich soll die gerichtliche Entscheidung das Ergebnis eines diskursiven Prozesses zwischen Gericht und [X.]eteiligten im Rahmen einer mündlichen Verhandlung sein. Das [X.] erfüllt unter anderem den Zweck, die [X.] der gerichtlichen Entscheidung zu fördern. Das Gebot, die Rechtssache auch im Interesse der [X.] mit den [X.]eteiligten zu erörtern, wird umso stärker, je schwieriger die vom Gericht zu treffende Entscheidung ist. Die Grenzen des Ermessens sind daher erreicht, wenn im vereinfachten [X.]erufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, obwohl die Sache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nach den Gesamtumständen des Einzelfalls außergewöhnliche Schwierigkeiten aufweist (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - [X.]VerwGE 121, 211 <217> und vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - [X.]VerwGE 138, 289 Rn. 23 f. sowie [X.]eschluss vom 8. Juli 2022 - 9 [X.] 33.21 - juris Rn. 6). Zudem ist eine mündliche Verhandlung im [X.]erufungsverfahren grundsätzlich dann geboten, wenn für die Entscheidung des [X.]erufungsgerichts neue, im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht angesprochene Rechtsfragen oder Tatsachen entscheidungserheblich werden. In diesem Fall müssen die [X.]eteiligten die Gelegenheit erhalten, sich zu den neuen entscheidungserheblichen Fragen in einer mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht zu äußern. Das gilt für neue Rechtsfragen ebenso wie für neue Tatsachenfragen, weil zu beidem rechtliches Gehör in [X.] Form zu gewähren ist. Für die [X.]eurteilung der Entscheidungserheblichkeit muss von der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des [X.]erufungsgerichts ausgegangen werden (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 18. Dezember 2014 - 8 [X.] 47.14 - [X.]uchholz 310 § 130a VwGO Nr. 85 Rn. 7 und vom 13. August 2015 - 4 [X.] 15.15 - juris Rn. 7).

bb) Daran gemessen beruhte die Entscheidung des [X.], von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, auf einer groben Fehleinschätzung. Das [X.] hat entscheidungstragend auf den Vergleich aus dem [X.] abgestellt. Dessen Existenz sowie die hieraus folgenden, zwischen den [X.]eteiligten umstrittenen Rechts- und Tatsachenfragen - insbesondere die sachliche und zeitliche Reichweite der [X.]estimmung in Nummer 4 [X.]uchstabe a der Anlage 5 zum Vergleich, ihre Wirksamkeit und die Frage der Verwirkung - sind im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht thematisiert, geschweige denn in der mündlichen Verhandlung am 21. Februar 2019 erörtert worden.

Der Vergleich wurde erst Gegenstand des Verfahrens, nachdem der [X.]erichterstatter im [X.]erufungsverfahren nach Außerkrafttreten der erstinstanzlich entscheidungserheblichen Veränderungssperre angefragt hatte, ob die [X.]eteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind. Zur [X.]egründung führte er aus, dass der [X.]ebauungsplan Nr. 921 wegen fehlerhafter Emissionskontingentierung insgesamt unwirksam sein und die Klägerin daher nach § 34 [X.]auG[X.] einen Anspruch auf den begehrten [X.]auvorbescheid haben dürfte. Daraufhin legte die [X.]eklagte den Vergleich vor und machte geltend, dass die Klage wegen der in Nummer 4 [X.]uchstabe a der Anlage 5 eingegangenen [X.]indung der Klägerin an die Festsetzungen des [X.]ebauungsplans Nr. 206 N keinen Erfolg haben könne. Hierzu wechselten die [X.]eteiligten weitere Schriftsätze, in denen sie ihre unterschiedlichen Auffassungen zur Auslegung der [X.] darlegten.

[X.]ei diesem Verfahrensstand hörte das [X.] die [X.]eteiligten zu einer Entscheidung durch [X.]eschluss ohne mündliche Verhandlung nach § 130a VwGO an: Der Senat halte die [X.]erufung einstimmig für unbegründet. Der Klägerin dürfte wegen der [X.] das Sachbescheidungsinteresse für die [X.]auvoranfrage fehlen. Ihre Vergleichsauslegung überzeuge nicht; insoweit wurde unter anderem auf die schriftsätzlichen Ausführungen der [X.]eklagten verwiesen. Die Klägerin nahm dazu Stellung und vertiefte ihr Vorbringen zur Auslegung des Vergleichs, zur Verwirkung und zur Unwirksamkeit der [X.] wegen eines Verstoßes gegen - im Einzelnen näher benannte - gesetzliche Verbote; zudem bat sie um Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Die [X.]eklagte trat dem entgegen.

Demnach waren zu der vom [X.] entscheidungstragend zu Grunde gelegten [X.] zahlreiche Rechts- und Tatsachenfragen aufgeworfen, die erörterungsbedürftig und zuvor nicht Gegenstand einer mündlichen Verhandlung waren. Die Einschätzung des [X.], hierüber könne nach Aktenlage entschieden werden, war grob fehlerhaft. Hauptstreitpunkt zwischen den [X.]eteiligten war zunächst die Auslegung des Vergleichs. Eine Auslegung, die den Anforderungen der §§ 133, 157 [X.]G[X.] gerecht wird, darf nicht bei den [X.]uchstaben des Vertragstextes stehen bleiben, sondern muss erforschen, wie der maßgebliche Wille der [X.]eteiligten bei objektiver Würdigung zu verstehen ist. Dafür können auch Motive, Hintergrund und [X.]egleitumstände des Vertragsschlusses zu berücksichtigen sein (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 19. Januar 1990 - 4 C 21.89 - [X.]VerwGE 84, 257 <264> und vom 18. Mai 2021 - 4 C 6.19 - NVwZ 2021, 1713 Rn. 21 m. w. N.). Feststellungen dazu lassen sich regelmäßig nicht ohne mündliche Erörterung mit den Vertragsparteien treffen. Gleiches gilt für die Umstände, die zur [X.]eurteilung einer möglichen Verwirkung von [X.]edeutung sein können. Auf der Grundlage entsprechender Sachverhaltsermittlungen hätten zudem die von der Klägerin aufgeworfenen - angesichts der einmonatigen Stellungnahmefrist teils nur angerissenen - Rechtsfragen einer vertieften Erörterung in einer mündlichen Verhandlung bedurft.

Das Fehlen einer [X.]erufungsverhandlung spiegelt sich auch in den Gründen des [X.]eschlusses wider. Sie befassen sich bei der Auslegung des Vergleichs nur mit dem sachlichen Anwendungsbereich. Dagegen werden weder der Zweck des Vergleichs noch die zeitliche Geltung der [X.] unter Nummer 4 [X.]uchstabe a der Anlage 5 näher betrachtet. Auch zur Unwirksamkeit der [X.] und zur Verwirkung verhält sich der [X.]eschluss nur kursorisch. Seiner Aufgabe als Tatsacheninstanz ist das [X.] damit nicht gerecht geworden. [X.]esonders augenfällig geworden ist dies in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat, in der sich die Kontroverse der [X.]eteiligten über den Inhalt des Vergleichs fortgesetzt hat.

c) Da die Voraussetzungen für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung auf der Grundlage des § 130a Satz 1 VwGO nicht vorlagen, verstößt der angefochtene [X.]eschluss gegen § 101 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Eine unter Verstoß gegen § 101 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergangene Entscheidung verletzt zugleich den Anspruch der [X.]eteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) und stellt damit einen absoluten Revisionsgrund im Sinne von § 138 Nr. 3 VwGO dar. Die Gehörsverletzung erfasst die [X.]erufungsentscheidung in ihrer Gesamtheit und lässt sich nicht auf einzelne Tatsachenfeststellungen eingrenzen; in solchen Fällen findet § 144 Abs. 4 VwGO keine Anwendung (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - [X.]VerwGE 121, 211 <221> m. w. N. und vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - [X.]VerwGE 138, 289 Rn. 26 f.). Ob das [X.] zugleich das Recht auf [X.] verletzt hat und damit auch der absolute Revisionsgrund des § 138 Nr. 1 VwGO vorliegt, weil es bei einer mündlichen Verhandlung in anderer [X.]esetzung hätte entscheiden müssen (vgl. § 109 Abs. 1 [X.]), kann dahinstehen (offen gelassen in [X.]VerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 39.99 - [X.]VerwGE 111, 69 <73>; vgl. auch [X.]/[X.], in: [X.]/[X.], VwGO, 5. Auflage 2018, § 138 Rn. 38).

2. Für die auf der Grundlage einer [X.]erufungsverhandlung zu treffende Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

Ausgangspunkt ist die nach o. a. Maßstäben vorzunehmende Auslegung des Vergleichs. Maßgeblich ist, ob die [X.] die Erteilung des begehrten [X.]auvorbescheids ausschließt.

Wenn die [X.]eklagte sich mit der [X.] unter Nummer 4 [X.]uchstabe a der Anlage 5 gegenüber der Klägerin an die Festsetzungen des [X.]ebauungsplans Nr. 206 N binden und insoweit auf ihr Planungsrecht verzichten wollte, verstieße dies gegen § 1 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 und Abs. 8 [X.]auG[X.] (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 28. Dezember 2005 - 4 [X.] 40.05 - [X.]uchholz 406.11 § 1 [X.]auG[X.] Nr. 123 Rn. 5 und vom 2. Januar 2012 - 4 [X.] 32.11 - Zf[X.]R 2012, 259 Rn. 7 m. w. N.). Eine solche Auslegung erscheint angesichts des Wortlauts der [X.]estimmung und der Verfasser des Vergleichs fernliegend.

Unzulässig wäre auch eine Vergleichsregelung, die den [X.]auantragsteller und die Gemeinde an die Festsetzungen eines unwirksamen [X.]ebauungsplans bindet und damit bebauungsplanersetzende Wirkung hat. [X.]ebauungsplanersetzende Verträge verstoßen gegen den Grundsatz der [X.] nach § 1 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 [X.]auG[X.] (vgl. [X.], Urteil vom 8. März 2012 - 12 L[X.] 244/10 - Zf[X.]R 2012, 371 <371 f.>; [X.], Urteil vom 7. Juli 2017 - 5 S 1867/15 - NVwZ-RR 2017, 793 <795>; [X.]ank, in: [X.]rügelmann, [X.]auG[X.], Stand Oktober 2022, § 11 Rn. 50a; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]ielenberg/[X.], [X.]auG[X.], Stand August 2022, § 11 Rn. 43; [X.]attis, in: [X.]attis/[X.]/[X.], [X.]auG[X.], 15. Aufl. 2022 § 1 Rn. 18; [X.], in: [X.], [X.]auG[X.], 9. Aufl. 2019, § 11 Rn. 38).

Eine zwingende Grenze folgt ferner aus dem über § 10 [X.]auG[X.] geltenden gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtssatz, dass die spätere Norm die frühere verdrängt (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 10. August 1990 - 4 C 3.90 - [X.]VerwGE 85, 289 [X.]. 1 und [X.]eschluss vom 16. Mai 2017 - 4 [X.] 24.16 - Zf[X.]R 2017, 682 Rn. 4 m. w. N.). Der [X.] darf daher jedenfalls dann keine Wirkung mehr beigemessen werden, wenn der von ihr in [X.]ezug genommene [X.]ebauungsplan Nr. 206 N durch eine wirksame Neuplanung ersetzt wird. Dagegen ist die Rechtsprechung des Senats zur zeitlichen [X.]eschränkung eines Anerkenntnisses nach § 33 Abs. 1 Nr. 3 [X.]auG[X.] auf den Zeitraum bis zur [X.]ekanntmachung ([X.]VerwG, Urteil vom 12. Dezember 2018 - 4 C 6.17 - [X.]VerwGE 164, 40 Rn. 22 ff.) auf die [X.] nicht übertragbar. Anders als das Anerkenntnis zielt eine vergleichsweise Regelung nicht stets auf die Überbrückung eines - eher kurzen - Zeitraums bis zur [X.]ekanntmachung eines neuen [X.]ebauungsplans. Es ist daher eine Frage der Auslegung, ob die Wirkung eines Vergleichs mit der [X.]ekanntmachung eines neuen [X.]ebauungsplans auch dann enden soll, wenn sich dieser als unwirksam erweist.

Zu prüfen ist, ob die [X.] als vertraglich vereinbarte Nutzungsbeschränkung bzw. als Verzicht auf die Geltendmachung eines bei Unwirksamkeit des [X.]ebauungsplans Nr. 206 N möglicherweise bestehenden [X.]aurechts verstanden werden kann (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 2. Dezember 2009 - 4 [X.] 74.09 - Zf[X.]R 2010, 138 Rn. 2). Für diesen Fall wird sich das [X.] mit der Zulässigkeit und Angemessenheit einer solchen Vereinbarung im gesamten Regelungskontext des Vergleichs befassen müssen (vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 [X.]auG[X.] und § 59 Abs. 1 VwVfG [X.] m. § 138 Abs. 2 [X.]G[X.]). Das gilt insbesondere für die Geltungsdauer der [X.] in Nummer 4 [X.]uchstabe a der Anlage 5.

Maßgeblich ist der festzustellende [X.] (s. o.): Ging es beim Abschluss des Vergleichs vorrangig darum, die Unsicherheit über die Wirkung des bestehenden Planungsrechts zu bewältigen oder sollte vorrangig der Prozess einer zukünftigen Planung gesichert werden? Im ersten Fall wäre zu prüfen, ob ein dauerhafter Verzicht die Klägerin unangemessen benachteiligt oder die Unsicherheit über das [X.]estehen eines [X.]aurechts im Vergleich an anderer Stelle zu ihren Gunsten aufgelöst worden ist. Zu erwägen ist auch, ob der [X.] insoweit nach dem Willen der Vergleichsparteien von vornherein eine zeitliche [X.]egrenzung innewohnt, etwa im Sinne des in § 3 des Vergleichs geregelten fünfjährigen Moratoriums, und was aus dem [X.]egriff "mittelfristig" in der Präambel des Vergleichs folgt. Im zweiten Fall wäre zu überlegen, ob die Aufgabe der [X.] oder das endgültige Scheitern einer Neuplanung nicht zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen.

Meta

4 C 7/21

06.12.2022

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 25. November 2020, Az: 10 A 1230/19, Beschluss

§ 130a S 1 VwGO, § 101 Abs 1 VwGO, § 125 Abs 1 S 1 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 06.12.2022, Az. 4 C 7/21 (REWIS RS 2022, 9486)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9486

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