Bundessozialgericht, Urteil vom 23.05.2012, Az. B 14 AS 133/11 R

14. Senat | REWIS RS 2012, 6161

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

(Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Rücknahme eines rechtwidrigen begünstigenden Verwaltungsakts - Grundsicherung für Arbeitsuchende - Zuständigkeit der erlassenden Behörde für die Rücknahme auch nach Zuständigkeitswechsel - keine Anwendbarkeit des § 44 Abs 3 SGB 10 - keine Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides allein wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit)


Leitsatz

Für die Rücknahme eines Verwaltungsakts ist die Arbeitsgemeinschaft zuständig, die ihn erlassen hat, auch wenn aktuell eine andere Arbeitsgemeinschaft für die leistungsberechtigte Person örtlich zuständig ist.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 11. Mai 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Umstritten sind Leistungen nach dem [X.] ([X.]), insbesondere ein Rücknahme- und Erstattungsbescheid.

2

Die 1981 geborene Klägerin lebte bis September 2001 in [X.] ([X.]) in einer Wohnung mit ihrer Mutter und Großmutter. Sie zog dann nach [X.] ([X.]), wo sie seit [X.]i 2003 zusammen mit ihrem Freund eine Wohnung gemietet hatte und Mitte 2004 das [X.]bitur ablegte. [X.]ufgrund eines [X.]ufenthalts in [X.] erhielt sie seit dem [X.] laufende Leistungen nach dem [X.] ([X.]) von der Stadt [X.]. [X.]m 1.9.2004 beantragte sie bei dem "Jobcenter [X.]rbeitsgemeinschaft [X.] GmbH", der Rechtsvorgängerin des [X.]eklagten, Leistungen nach dem [X.] und gab [X.] an: Sie wohne in [X.] zusammen mit ihrer Mutter und Großmutter, letztere verstarb 2004. [X.]uf die Wohnung in [X.] wies die Klägerin nicht hin. Der [X.]eklagte bewilligte der Klägerin vom 1.1. bis zum 30.6.2005 Leistungen in Höhe von monatlich 559,13 [X.] (331 [X.] Regelleistung und 228,13 [X.] Leistungen für Unterkunft und Heizung; [X.]ewilligungsbescheid vom 6.12.2004). Nachdem der [X.]eklagte die Klägerin zu einer Informationsveranstaltung am [X.] eingeladen hatte, teilte diese mit, sie befinde sich zurzeit in [X.] bzw [X.], suche einen Praktikumsplatz und könne nicht sagen, wann sie nach [X.] zurückkehre. Daraufhin stellte der [X.]eklagte zum [X.] weitere Zahlungen an die Klägerin ein. Der [X.]eklagte hörte die Klägerin zu einem unrechtmäßigen Leistungsbezug und der beabsichtigten Rückforderung der Leistungen vom 1.1. bis [X.] an. [X.]b dem 13.4.2005 beantragte die Klägerin Leistungen bei der "[X.]rbeitsgemeinschaft Stadt [X.]". [X.]m [X.] beantragte die Klägerin erneut Leistungen bei dem [X.]eklagten und legte einen "Einstellungsbescheid" der [X.]rbeitsgemeinschaft [X.] zu Ende [X.]i 2005 vor. Der [X.]eklagte bewilligte Leistungen für Juni und Juli 2005 ([X.]escheid vom 4.4.2007).

3

[X.]ei einer Vorsprache der Klägerin bei dem [X.]eklagten am 14.7.2005 nahm dieser den [X.]ewilligungsbescheid vom 6.12.2004 zurück und forderte die Erstattung von 1677,39 [X.]. Für die Leistungsgewährung sei der Träger zuständig, in dessen [X.]ezirk der Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen [X.]ufenthalt habe. Dies sei bei der Klägerin [X.] gewesen, sodass sie gemäß § 36 [X.] keinen [X.]nspruch gegen den [X.]eklagten habe. Die [X.]ewilligung sei fehlerhaft erfolgt, weil die Klägerin falsche bzw unvollständige [X.]ngaben gemacht habe ([X.]escheid vom 14.7.2005, Widerspruchsbescheid vom 9.5.2006).

4

Das Sozialgericht ([X.]) hat die Klage, in der die [X.]ufhebung dieser [X.]escheide beantragt wurde, als unzulässig abgewiesen, weil keine Vollmacht zur [X.]kte gelangt sei (Gerichtsbescheid vom 15.3.2007). Das [X.] (L[X.]) hat die [X.]erufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 11.5.2011). Zur [X.]egründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die formellen Voraussetzungen des [X.] nach § 45 [X.] ([X.][X.] X) seien erfüllt, insbesondere sei der [X.]eklagte auch die zuständige [X.]ehörde gemäß § 44 [X.]bs 3 [X.][X.] X gewesen, weil die Klägerin sich nach dem zwischenzeitlichen [X.]ufenthalt in [X.] wieder in [X.] aufgehalten habe. Der [X.]ewilligungsbescheid vom 6.12.2004 sei rechtswidrig gewesen, denn der [X.]eklagte sei für die Gewährung von [X.]-Leistungen an die Klägerin nicht örtlich zuständig nach § 36 [X.] gewesen. Die örtliche Zuständigkeit sei eine [X.]nspruchsvoraussetzung "im engeren Sinne". Der Effekt einer ortsnahen und beständigen Leistungsverwaltung sei nur erreichbar, wenn § 36 [X.] nicht nur eine formale Ordnungsvorschrift, sondern eine [X.] sei. Hierfür spreche auch die [X.]udgetverantwortung des kommunalen Trägers für die Kosten der Unterkunft. Erstattungsansprüche gebe es nur bei vorläufiger oder nachwirkender Leistungserbringung oder örtlicher Unzuständigkeit. Die Klägerin habe in der strittigen [X.] ihren gewöhnlichen [X.]ufenthalt nicht im Zuständigkeitsbereich des [X.]eklagten gehabt. Zur [X.]estimmung des [X.]egriffs gewöhnlicher [X.]ufenthalt sei auf § 30 [X.] ([X.][X.] I) abzustellen. Dass die Klägerin ihren gewöhnlichen [X.]ufenthalt vom 1.1. bis [X.] in [X.] und nicht [X.] gehabt habe, stehe zur Überzeugung des Senats aufgrund der [X.]ngaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung fest. Spätestens mit der [X.]nmietung einer gemeinsamen Wohnung mit ihrem Freund im [X.]i 2003 habe die Klägerin ihren gewöhnlichen [X.]ufenthalt von [X.] nach [X.] verlegt, wo sie schon seit September 2001 in die Schule gegangen sei. Nach [X.]bschluss der Schule habe die Klägerin ihren gewöhnlichen [X.]ufenthalt nicht nach [X.] zurückverlegt. Sie sei nicht nach [X.] zurückgezogen, sondern habe die Wohnung in [X.] beibehalten, denn sie habe zum Wintersemester 2004/2005 ein Studium in [X.] aufnehmen wollen. Ihr [X.]ufenthalt in [X.] von Juli bis Oktober 2004 habe nur vorübergehenden Charakter gehabt. Die übrigen Voraussetzungen des § 45 [X.][X.] X seien ebenfalls gegeben. Das Vertrauen der Klägerin auf den [X.]ewilligungsbescheid sei nicht schutzwürdig gewesen. Sie habe zumindest grob fahrlässig unvollständige [X.]ngaben gemacht, weil sie bei der [X.]ntragstellung keine [X.]ngaben zu ihrem weiteren Wohnsitz gemacht habe und zur telefonischen Erreichbarkeit auf den Festnetzanschluss in der Wohnung in [X.] verwiesen habe. Die unvollständigen [X.]ngaben der Klägerin seien auch kausal für die nachfolgende rechtswidrige Leistungsbewilligung des [X.]eklagten in Unkenntnis der örtlichen Unzuständigkeit gewesen. Dem stehe auch § 42 [X.][X.] X über die Unbeachtlichkeit formeller Fehler nicht entgegen. Denn § 36 [X.] sei nach dem oben Gesagten keine reine Ordnungsvorschrift. Im Übrigen hätte eine Entscheidung der zuständigen [X.]rbeitsgemeinschaft [X.] zu einer anderen Leistungsbewilligung geführt.

5

Mit der vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend, § 36 [X.] enthalte nur eine formelle Regelung über die örtliche Zuständigkeit und keine materielle [X.]. Der Leistungsträger könne nicht mit der [X.]egründung, nicht für die Leistungsgewährung zuständig gewesen zu sein, die Leistung zurückfordern, obwohl im Übrigen sämtliche [X.]en vorgelegen hätten. Wo der [X.]ntrag auf Leistungen nach dem [X.] zu stellen sei, sei im [X.] nicht geregelt. Nach § 16 [X.]bs 2 [X.][X.] I könnten [X.]nträge nicht nur beim zuständigen Leistungsträger gestellt werden und seien von den anderen Stellen an diesen weiterzuleiten. Selbst wenn der Differenzierung des L[X.] zwischen gewöhnlichem [X.]ufenthalt und nur vorübergehendem [X.]ufenthalt gefolgt werde, könne diese nicht losgelöst vom zeitlichen Rahmen sein. Der gewollte Effekt einer orts- und bürgernahen Leistungsverwaltung spreche entgegen dem L[X.] für eine praxisgerechte Orientierung am tatsächlichen [X.]ufenthalt bei der Definition des [X.]egriffes gewöhnlicher [X.]ufenthalt.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.]s Sachsen-[X.]nhalt vom 11. [X.]i 2011 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts [X.]gdeburg vom 15. März 2007 sowie den [X.]escheid des [X.]eklagten vom 14. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. [X.]i 2006 zu ändern und die Rücknahme des [X.]ewilligungsbescheides vom 6. Dezember 2004 für die [X.] vom 1. Jan[X.]r bis zum 31. März 2005 sowie die Rückforderung von 1677,39 [X.] aufzuheben.

7

Der [X.]eklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der [X.]lägerin ist im aufrecht erhaltenen Umfang zulässig und insoweit begründet, als das Urteil des [X.] aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen ist.

9

Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist - neben der Änderung des Urteils des [X.] und des Gerichtsbescheids des [X.] - nur noch die Änderung des Rücknahme- und Erstattungsbescheides vom 14.7.2005 in der Gestalt des [X.] hinsichtlich der Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 6.12.2004 für die [X.] vom 1.1. bis [X.] (im Folgenden [X.]) und des Erstattungsverlangens über 1677,39 Euro (im Folgenden [X.]). Die Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 6.12.2004 für die [X.] vom 1.4. bis 30.6.2005 ist nicht mehr Streitgegenstand des Verfahrens. Diese Beschränkung der [X.]lage auf die [X.] vom 1.1. bis zum [X.] ist zulässig, weil damit nicht nur einzelne Elemente eines [X.]nspruchs auf [X.] ([X.]) umstritten sind, sondern bloß eine Begrenzung auf einen [X.]raum erfolgt, die auch im Rahmen einer Bewilligung zulässigerweise vorgenommen werden könnte (vgl [X.] in § 41 [X.]bs 1 [X.]B II; Urteil des Senats vom [X.] [X.]/11 R).

Die Rechtsgrundlagen für den [X.] sind § 40 [X.]bs 1 [X.]B II in der in der umstrittenen [X.] geltenden Fassung aufgrund des [X.]rt 1 Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am [X.]rbeitsmarkt vom 24.12.2003 ([X.] 2954, zuletzt geändert durch [X.]rt 2 des [X.] zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze vom 19.11.2004, [X.] 2902), die weiterhin anzuwenden ist, weil um Leistungen in einem abgeschlossenen Bewilligungsabschnitt gestritten wird, sowie § 330 [X.] ([X.]B III), § 45 [X.]B X und für den [X.] sind es § 40 [X.]bs 1, 2 [X.]B II, § 50 [X.]B X.

Der [X.] ist formell rechtmäßig, insbesondere war der Beklagte zuständig (dazu 1.). Ob der [X.] materiell rechtmäßig ist, kann aufgrund der Feststellungen des [X.] nicht abschließend beurteilt werden (dazu 2.). Für den [X.] gilt dem Grunde nach nichts anderes (dazu 3.).

1. Der [X.] ist formell rechtmäßig. Der Beklagte hat die [X.]lägerin vor Erlass des Verwaltungsakts angehört (§ 24 [X.]B X), der Verwaltungsakt ist hinreichend bestimmt (§ 33 [X.]B X) und insbesondere war der Beklagte für den [X.] zuständig. Der vom [X.] seinem Urteil zugrunde gelegte § 44 [X.]bs 3 [X.]B X ist vorliegend jedoch nicht einschlägig (dazu a), weil die [X.]bgrenzung der Zuständigkeiten verschiedener [X.]rbeitsgemeinschaften nach § 44b [X.]B II nicht nur eine Frage der örtlichen Zuständigkeit ist (dazu b).

a) Nach § 44 [X.]bs 3 [X.]B X, der auch für die Rücknahme eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 [X.]bs 5 [X.]B X gilt, entscheidet über die Rücknahme eines Verwaltungsakts nach dessen Unanfechtbarkeit die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen wurde. Die Vorschrift gilt im Unterschied zu § 48 [X.]bs 5 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) aufgrund des anderen Wortlauts nicht nur für die örtliche Zuständigkeit, sondern auch für die sachliche Zuständigkeit ([X.] Urteil vom 9.6.1999 - B 6 [X.]/98 R - [X.] 3-2500 § 95 [X.] Rd[X.]; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B X, Stand Dezember 2011, [X.] § 44 RdNr 88; Schütze in von [X.], [X.]B X, 7. [X.]ufl 2010, § 44 Rd[X.]7). Die Vorschrift gilt jedoch nicht für die Verbandszuständigkeit. Dass § 44 [X.]bs 3 [X.]B X, der an § 48 [X.]bs 5 VwVfG anknüpft, eine spezielle generelle Ermächtigungsgrundlage für die Überschreitung der Verbandskompetenz enthalten sollte, ist seinem Wortlaut, seiner systematischen Stellung, seiner Geschichte oder seinem Zweck nicht zu entnehmen (vgl B[X.] aaO).

b) Bei der [X.]bgrenzung der Zuständigkeiten verschiedener [X.]rbeitsgemeinschaften nach § 44b [X.]B II in der hier maßgebenden im Jahr 2005 geltenden Fassung handelt es sich nicht nur um eine Frage der örtlichen Zuständigkeit.

Trotz der Verfassungswidrigkeit des § 44b [X.]B II ist dieser aufgrund des Urteils des [X.] ([X.]) vom 20.12.2007 weiterhin anzuwenden ([X.] Urteil vom 20.12.2007 - 2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04 - [X.]E 119, 331 = [X.] 4-4200 § 44b [X.], Rd[X.]62 ff, 207 ff). Mit der Zuweisung von [X.]ufgabenzuständigkeiten in § 44b [X.]B II ist eine Beschränkung der Zuständigkeit für die Erbringung dieser Leistungen verbunden, die der dem jeweiligen Träger zugewiesenen Verbandszuständigkeit entspricht. Vor diesem Hintergrund ist die nach § 44b [X.]B II gegründete [X.]rbeitsgemeinschaft nicht bloß die örtliche Untergliederung eines der beiden Rechtsträger, nämlich der [X.]. Vielmehr wird zugleich die Verbandszuständigkeit des jeweiligen kommunalen Trägers in Bezug genommen. Im Hinblick auf die kommunalen [X.]ufgaben nach § 6 [X.]bs 1 Nr 2 [X.]B II hat der kommunale Träger, von dem sich die Zuständigkeit für die Erfüllung der [X.]ufgaben einer [X.]rbeitsgemeinschaft ableitet, aber eine ausschließlich gebietsbezogene Verbandszuständigkeit für die Erbringung dieser [X.]ufgaben. Denn verschiedene [X.]reise und kreisfreie Städte sind getrennte Rechtsträger mit einer unterschiedlichen - räumlichen - Verbandszuständigkeit, wie vorliegend die kreisfreien Städte [X.] und [X.]. Eine [X.]rbeitsgemeinschaft als gemeinschaftliche Verwaltungseinrichtung der [X.] und des kommunalen Trägers mit Teilrechtsfähigkeit kann bezogen auf die kommunalen [X.]ufgaben nach dem [X.]B II nicht außerhalb der Verbandszuständigkeit des kommunalen Trägers zuständig sein.

2. Ob der [X.] materiell rechtmäßig ist, kann aufgrund der Feststellungen des [X.] nicht abschließend beurteilt werden. Nach den vom [X.] zutreffend angeführten Rechtsgrundlagen in § 40 [X.]B II, § 330 [X.]bs 2 [X.]B III, § 45 [X.]B X ist - ohne [X.]usübung von Ermessen - ein begünstigender Verwaltungsakt - hier der Bewilligungsbescheid vom 6.12.2004 über [X.] für die [X.]lägerin vom 1.1. bis zum 30.6.2005 - auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit er (von [X.]nfang an) rechtswidrig ist (dazu a) und das Vertrauen des Begünstigen nicht schutzwürdig ist (§ 45 [X.]bs 2 [X.]B X) (dazu b).

a) Inwieweit der Bewilligungsbescheid für die nur noch umstrittene [X.] vom 1.1. bis zum [X.] von [X.]nfang an rechtswidrig war, kann mangels Feststellungen des [X.] nicht abschließend beurteilt werden.

Das [X.] hat dessen Rechtswidrigkeit bejaht, weil die Zuständigkeit der [X.]rbeitsgemeinschaft [X.] - die Rechtsvorgängerin des Beklagten - für die [X.]lägerin nach § 36 [X.]B II eine "[X.]nspruchsvoraussetzung im engeren Sinne" gewesen sei und eine über die örtliche Zuständigkeit hinaus "anspruchsvoraussetzungsregelnde Funktion" habe, die in der strittigen [X.] nicht erfüllt gewesen sei, da die [X.]lägerin im Zuständigkeitsbereich des Beklagten keinen gewöhnlichen [X.]ufenthalt gehabt habe.

Dem kann nicht gefolgt werden. Nach § 7 [X.]bs 1 Satz 1 Nr 4 [X.]B II in der damals geltenden Fassung erhielten Leistungen nach dem [X.]B II Personen, die ihren gewöhnlichen [X.]ufenthalt in der [X.] haben. Weitere Voraussetzungen an den [X.]ufenthaltsort als [X.]nspruchsvoraussetzung waren dem [X.]B II nicht zu entnehmen. Erst durch das Grundsicherungsfortentwicklungsgesetz vom [X.] ([X.] 1706) ist der heutige § 7 [X.]bs 4a [X.]B II eingeführt worden, nach dem sich die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einem bestimmten zeit- und ortsnahen Bereich aufhalten müssen. Eine Rechtsgrundlage für die [X.]nwendung dieser Norm auch auf frühere Lebenssachverhalte ist nicht zu erkennen. Gegen eine "anspruchsvoraussetzungsregelnde Funktion" des § 36 [X.]B II sprechen zudem die Systematik des [X.]B II und die Stellung des § 36 [X.]B II, der im Übrigen nur die Überschrift "Örtliche Zuständigkeit" trägt (Schleswig-Holsteinisches [X.] Urteil vom [X.]/10 - RdNr 41; [X.] in jurisP[X.]-[X.]B II, 3. [X.]ufl 2012, § 36 Rd[X.]1.1).

(1) Der Bewilligungsbescheid vom 6.12.2004 ist rechtswidrig hinsichtlich der für die Wohnung in [X.] gezahlten Leistungen für die Unterkunft und Heizung nach § 22 [X.]B II. Denn diese Leistungen kann es nur für eine Unterkunft geben, die die leistungsberechtigte Person tatsächlich nutzt (vgl B[X.] vom 19.10.2010 - [X.] [X.]/10 R - [X.] 4-4200 § 22 [X.] Rd[X.]9). Wenn sie zwei Unterkünfte zu Wohnzwecken nutzen kann, können - abgesehen von vorübergehenden Situationen wie bei einem Umzug - nur die [X.]osten für die vorrangig genutzte Wohnung als Bedarf anerkannt werden (vgl [X.] Berlin-Brandenburg vom 16.6.2006 - L 10 [X.]/06 [X.]; Hessisches [X.] vom 8.10.2007 - L 7 [X.]S 249/07 ER). Dies ist regelmäßig die Unterkunft am Ort des gewöhnlichen [X.]ufenthalts. Die [X.]lägerin hatte aber in der strittigen [X.] vom 1.1. bis [X.] ihren gewöhnlichen [X.]ufenthalt nicht in [X.], sondern in [X.].

Den gewöhnlichen [X.]ufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt - so die Legaldefinition in § 30 [X.]bs 3 Satz 2 [X.]B I für das gesamte [X.]B (§ 37 [X.]B I). Maßgebend für die Beurteilung eines gewöhnlichen [X.]ufenthaltes sind, ein zeitliches Element ("nicht nur vorübergehend"), der Wille der Person als subjektives Element und die objektiven Gegebenheiten ("unter Umständen") mit einer vorausschauenden Betrachtung künftiger Entwicklungen, die eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit des [X.]ufenthaltes erfordern, nicht jedoch eine Lückenlosigkeit (B[X.] Urteil vom [X.] - B[X.]E 27, 88).

Das Vorbringen der Revision gegen eine solche "intellektualisierte" Begriffsbestimmung des gewöhnlichen [X.]ufenthalts und für eine praxisgerechte Orientierung am tatsächlichen [X.]ufenthalt wegen einer orts- und bürgernahen Leistungsverwaltung gerade im [X.]B II, vermag an dieser für das gesamte [X.]B geltende Begriffsbestimmung nichts zu ändern. Denn zeitweise Unterbrechungen wie zB Urlaube heben einen gewöhnlichen [X.]ufenthalt nicht auf (B[X.] aaO; vgl auch B[X.] Urteil vom 22.3.1988 - 8/5a R[X.]n 11/87 - [X.] 2200 § 205 [X.]). Ob eine Person mehrere gewöhnliche [X.]ufenthalte haben kann (so B[X.] aaO; B[X.] Urteil vom 28.2.1980 - 8b R[X.]g 6/79 - [X.] 5870 § 1 [X.]; offen lassend B[X.] Urteil vom 13.7.2004 - B 1 [X.]R 33/02 R - [X.] 4-2500 § 13 [X.]), bedarf vorliegend angesichts der Feststellungen des [X.] keiner Entscheidung. Im Übrigen hat der Gesetzgeber die Regelung der örtlichen Zuständigkeit mittlerweile ergänzt. Wenn ein gewöhnlicher [X.]ufenthaltsort nicht feststellbar ist, ist auf den tatsächlichen [X.]ufenthaltsort abzustellen (heutiger § 36 Satz 4 [X.]B II).

[X.]usgehend von den in der strittigen [X.] geltenden gesetzlichen Voraussetzungen hat das [X.], insbesondere aufgrund der [X.]ngaben der [X.]lägerin in der mündlichen Verhandlung, unter Bezugnahme auf zahlreiche tatsächliche Feststellungen, ohne dass die Beteiligten Verfahrensrügen erhobenen hätten, ausführlich begründet, warum die [X.]lägerin in der strittigen [X.] vom 1.1. bis zum [X.] keinen gewöhnlichen [X.]ufenthalt in [X.] hatte. [X.]n die tatsächlichen Feststellungen des [X.] ist der Senat gebunden (§ 163 Sozialgerichtsgesetz); Rechtsfehler sind nicht zu erkennen.

(2) Inwieweit der Bewilligungsbescheid vom 6.12.2004 bezogen auf die Regelleistung rechtswidrig war, kann nicht beurteilt werden. Denn wenn die [X.]lägerin die Voraussetzungen des § 7 [X.]bs 1 Satz 1 [X.]B II erfüllte, hatte sie dem Grunde nach [X.]nspruch auf diese Leistung, gleichgültig ob sie sich in [X.] oder in [X.] aufhielt. Diese Leistung wurde ihr vom Beklagten in Wahrnehmung der [X.]ufgaben der [X.] nach § 6 [X.]bs 1 [X.] [X.]B II erbracht, sodass allenfalls eine Verletzung der örtlichen Zuständigkeit vorlag.

Zu prüfen ist jedoch, ob die [X.]lägerin während ihres [X.]ufenthalts in [X.] tatsächlich hilfebedürftig nach § 9 [X.]B II war. Nur dann (und ggf nur "soweit") wäre die Bewilligung vom 6.12.2004 rechtmäßig. Zwar ergibt sich bei einem gewöhnlichen [X.]ufenthalt in [X.] im [X.]usgangspunkt ein höherer Bedarf. Dieser Bedarf könnte sich aber durch das Zusammenleben mit einem Partner in Bedarfsgemeinschaft auf 90 vom Hundert der Regelleistung (West) verringern. Zudem sind bei Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft Feststellungen zu Einkommen und Vermögen des Partners zu treffen, die ggf der Hilfebedürftigkeit entgegenstehen bzw sie vermindern.

b) Inwieweit der Bewilligungsbescheid vom 6.12.2004 zurückgenommen werden darf, weil das Vertrauen der [X.]lägerin nach § 45 [X.]bs 2 [X.]B X nicht schutzwürdig ist, kann erst abschließend beurteilt werden, wenn feststeht, in welchem Umfang der Bewilligungsbescheid vom 6.12.2004 rechtswidrig ist. Die Beweiswürdigung des [X.] im Hinblick auf § 45 [X.]bs 2 Satz 3 Nr 2 [X.]B X lässt insoweit jedoch keine Rechtsfehler erkennen.

3. Für den [X.], dessen Rechtsgrundlagen § 40 [X.]bs 1, 2 [X.]B II, § 50 [X.]B X sind, gilt dem Grunde nach nichts anderes. Zuständig ist insofern aus den oben genannten Gründen der Beklagte. Inwieweit die Voraussetzungen für eine Erstattung erfüllt sind, ergibt sich aus den noch zu treffenden Feststellungen des [X.] zum Umfang einer rechtmäßigen [X.]ufhebung (vgl § 50 [X.]bs 1 [X.]B X).

Über die [X.]osten des Revisionsverfahrens wird das [X.] im wieder eröffneten Berufungsverfahren ebenfalls zu entscheiden haben.

Meta

B 14 AS 133/11 R

23.05.2012

Bundessozialgericht 14. Senat

Urteil

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Magdeburg, 15. März 2007, Az: S 8 AS 617/06, Gerichtsbescheid

§ 45 Abs 1 SGB 10, § 45 Abs 5 SGB 10, § 44 Abs 3 SGB 10, § 44b SGB 2 vom 30.07.2004, § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 2 vom 30.07.2004, § 6 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 2 vom 30.07.2004, § 36 SGB 2 vom 30.07.2004, § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 2 vom 30.07.2004, § 7 Abs 4a SGB 2 vom 20.07.2006, § 30 Abs 3 S 2 SGB 1

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 23.05.2012, Az. B 14 AS 133/11 R (REWIS RS 2012, 6161)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6161

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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