Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.01.2004, Az. 2 ARs 330/03

2. Strafsenat | REWIS RS 2004, 4821

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[X.]/03vom28. Januar 2004in den [X.]: unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. zu 2.: unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hier: [X.] vom 24. Juli 2003 - 3 [X.] und3 [X.]/02- 2 -Der 2. Strafsenat des [X.] hat am 28. Januar 2004 gemäߧ 132 Abs. 3 GVG beschlossen:Der [X.] hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, die [X.] 3. Strafsenat beabsichtigten Entscheidungen entgegensteht.Gründe:Der 3. [X.] beabsichtigt zu entscheiden:"Die Erklärung des Angeklagten, auf Rechtsmittel zu verzichten, ist un-wirksam, wenn ihr eine Urteilsabsprache vorausgegangen ist, in der [X.]erweise (BGHSt 43, 195, 204) ein Rechtsmittelverzicht verspro-chen worden ist. Dies gilt auch für den Rechtsmittelverzicht, auf den [X.], ohne ihn sich im Rahmen der Absprache unzulässigerweiseversprechen zu lassen, lediglich hingewirkt [X.] Beschluß vom 24. Juli 2003 - 3 [X.] und 3 [X.]/02 hat [X.] Strafsenat daher bei den anderen [X.]en angefragt, ob an entgegenste-hender Rechtsprechung festgehalten wird.Zutreffend hat der 3. Strafsenat in seinem [X.] (S. 13 ff.)ausgeführt, daß den beabsichtigten Entscheidungen in den beiden [X.] Rechtsprechung des 2. Strafsenats entgegensteht (vgl. nur [X.]s-beschlüsse vom 20. Juni 1977 - 2 StR 275/97 = NStZ 1997, 611; vom25. Oktober 2000 - 2 StR 403/00; vom 11. Juni 2001 - 2 StR 223/01 = [X.], 334 und vom 4. Juli 2001 - 2 [X.]). An dieser [X.] 3 -hält der [X.] fest (nachfolgend I.). Darüberhinaus sollte schon wegen dergrundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 4 GVG der [X.] [X.] mit der bedeutsamen Fragestellung und der sich daraus ergeben-den Folgeproblematik zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung [X.] (nachfolgend II.).I. Der [X.] teilt die zur Anfrage bereits geäußerte Auffassung [X.], soweit sie sich mit der Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichtsbefaßt und beschränkt sich daher auf die nachfolgenden Ausführungen.Die in der Anfrage vertretene Rechtsauffassung überzeugt dogmatischnicht. Prozeßerklärungen sind grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar.Motivirrtum, enttäuschte Erwartungen usw. führen nicht zur Anfechtbarkeit.Zwar hat die Rechtsprechung schon immer aus Gründen der Einzelfallgerech-tigkeit Ausnahmen zugelassen, gerade auch bei der Frage der [X.]. Als Ausnahme kamen zwar vielerlei Umstände [X.]: Verhandlungsunfähigkeit, [X.], nicht eingehaltene sonstige Zu-sagen, unrichtige Auskunft, unzulässige Willensbeeinflussung durch Täu-schung, Drohung, übereilte Erklärung ohne Rücksprache mit dem [X.]. . In der Regel wurden jedoch nur schwerwiegende Willensmängel beach-tet. Die Vorlage geht aber weit über diese Rechtsprechung hinaus, wenn [X.] bei Veranlassung zu einem Rechtsmittelverzicht eine Unwirksamkeitvorsieht, um die Absprache "zu sanktionieren". Das Revisionsgericht hat denTatrichter nicht zu "sanktionieren". Der [X.] hat - abweichend von den inBGHSt 43, 195 ff. aufgestellten Grundsätzen - keine Bedenken, daß bei einerformgerechten einverständlichen Verfahrenserledigung unter Mitwirkung allerVerfahrensbeteiligten (auch des Staatsanwalts und ggf. des [X.]) einallseitiger Rechtsmittelverzicht in Aussicht gestellt wird, mag ein solcher auch- 4 -nicht bindend sein. Denn die Vereinbarung von Rechtskraft ist die selbstver-ständliche Grundlage für eine verfahrensbeendende Absprache. Schon vondaher kann die Veranlassung zu einem Rechtsmittelverzicht nicht ohne [X.] die Unwirksamkeit der Prozeßerklärung (Rechtsmittelverzicht) nach [X.]. Der [X.] hat in seiner Entscheidung vom 20. Juni 1997 - 2 [X.]/97 (NStZ 1997, 611 = BGHR § 302 StPO Rechtsmittelverzicht 18) dieseAuffassung schon für den Fall vertreten, daß die Absprache unzulässig ist. [X.] eine andere Beurteilung lediglich dann für möglich erachtet, wenn diejeni-gen Gründe, die - allgemein oder im Einzelfall - der Zulässigkeit einer Abspra-che entgegenstehen, zugleich auch zur rechtlichen Mißbilligung des abgespro-chenen Rechtsmittelverzichts führen würden. Hieran ist festzuhalten. [X.] müssen aber erst recht gelten, wenn eine verfahrensbeendendeAbsprache grundsätzlich für zulässig erachtet wird.Für die Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung sprechen auchweitere Gesichtspunkte:1. Von der Prozeßhandlung hängt hier die Rechtskraft ab, an die [X.] Rechtsfolgen geknüpft sind. Die Rechtssicherheit muß an klaren Anknüp-fungspunkten festgemacht sein. Nur in Ausnahmefällen kann eine eindeutigeProzeßerklärung - hier Rechtsmittelverzicht - unwirksam sein. Ein solcher [X.] kann nicht allein darin gesehen werden, daß dem Rechtsmittelver-zicht eine Verständigung vorausgegangen ist. Das gilt jedenfalls dann nicht,wenn die Verständigung ihrerseits nicht rechtlicher Mißbilligung unterliegt. Einerechtliche Mißbilligung kann nicht daraus hergeleitet werden, daß [X.] Verständigung auch eine Verfahrensbeendigung war und ist. Ein "Hinwir-ken" des Gerichts auf Rechtsmittelverzichte entspricht zwar nicht den [X.](Nr. 142 Abs. 2) führt aber nicht zur Unwirksamkeit des erklärten [X.] 5 -egal, ob eine Verständigung vorangegangen ist oder nicht. Die Anknüpfung anein "Veranlassen" durch das Gericht wäre kein klarer Ausgangspunkt zur Be-urteilung der Rechtskraft.2. [X.] kann unterschiedliche Gründe haben, durch Rechts-mittelverzicht Rechtskraft herbeizuführen: Er kann mit dem gefundenen Ergeb-nis zufrieden sein. Er kann vermeiden wollen, daß Staatsanwaltschaft und/oderNebenkläger, die sich ihrerseits an die Absprache halten, eine Verschlechte-rung für ihn erreichen können usw. .Es ist kaum möglich, hier Motivforschung zu betreiben. Das Revisions-gericht müßte im Freibeweisverfahren umfänglich Beweis über die Verständi-gung selbst, das Verhalten des Gerichts nach Urteilsverkündung und die Um-stände der Rechtsmittelverzichtserklärung erheben. Die im [X.]angedachte Beweisregel entspricht nicht der in [X.], 164, 167 vertrete-nen Auffassung, daß die tatsächliche Richtigkeit von Behauptungen, aus [X.] sich ein verfahrensrechtlicher Verstoß ergeben soll, erwiesen sein mußund nicht lediglich nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" unterstellt [X.].Geht man davon aus, daß allseitiger Rechtsmittelverzicht in der [X.] "Geschäftsgrundlage" ist, kann die Veranlassung des Gerichts, [X.] einzuhalten, ohnehin nicht zur Unwirksamkeit der Rechtsmittelver-zichtserklärung [X.] Mit der im [X.] verbundenen Rechtsauffassung kann dasdort intendierte Ergebnis nicht erreicht werden; die Praxis kann dies unschwerunterlaufen. Es würden vielmehr zahlreiche Probleme entstehen (nachfolgendII.).- 6 -II. Die vom 3. Strafsenat beabsichtigte Änderung der Rechtsprechungführt zu einer Reihe von Folgeproblemen, die bereits jetzt bedacht werdenmüssen und nach § 132 Abs. 4 GVG eine Entscheidung des Großen [X.]s [X.] nahelegen.1. Sollen die vorgeschlagenen Regeln auch beim Nebenkläger und demStaatsanwalt gelten? Es kann nicht sein, daß nur der Angeklagte später vonseinem Rechtsmittelverzicht wegkommt und dann nur noch eine geringere (alsdie in der Regel ohnehin niedrige Strafe) Rechtsfolge verhängt werden kann.Wie ist dieser Wegfall der Geschäftsgrundlage zu [X.] ist, wenn nicht ein Rechtsmittelverzicht vereinbart wird, sondern"nur" ein Verstreichenlassen der [X.] ? Im Hinblick auf die Dauerder Frist wird man kaum noch ein Fortwirken einer unzulässigen Willensbeein-flussung annehmen können. Ohnehin liegt es nicht nahe von unzulässigerWillensbeeinflussung zu sprechen, wenn die Verfahrensbeteiligten in freierWillensbetätigung jeweils Rechtsmittelverzicht oder Verstreichenlassen der[X.] vereinbaren. Immerhin sieht das Gesetz (§ 302 StPO) einenRechtsmittelverzicht vor. Eine Wiedereinsetzungsmöglichkeit müßte man danntrotz bewußten Verstreichenlassens der Frist bejahen. Dies widerspricht [X.] (vgl. nur [X.], 160), wonach derjenige, der voneinem Rechtsbehelf bewußt keinen Gebrauch gemacht hat, nicht im Sinne des§ 44 Abs. 1 Satz 1 StPO an der Einlegung "verhindert" war. Dies ist auchRechtsprechung des 2. Strafsenats (vgl. insoweit nur Beschluß vom16. Oktober 1992 - 2 StR 487/92) und stellt die Begründung dafür dar, daß [X.] bei einem Rechtsmittelverzicht eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nichtin Betracht kommt (vgl. hierzu u.a. [X.]sbeschlüsse vom 7. Mai 2003 - 2 StR- 7 -120/03; vom 5. März 2003 - 2 [X.]; vom 24. Oktober 2001 - 2 [X.]). Auch an dieser Rechtsprechung hält der [X.] fest.3. Der Rechtsmittelverzicht geschieht nach Rücksprache des Angeklag-ten mit seinem Verteidiger. Warum auch der Verteidiger durch das Gericht [X.] beeinflußt sein soll, erhellt sich nicht, zumal wenn er - wie häufig - [X.] des Angeklagten, dem an schneller Rechtskraft (insbesondere amRechtsmittelverzicht des Staatsanwalts!) gelegen ist, auf eine allseitige Verfah-rensbeendigung selbst gedrängt hat.4. Wie sind die Fälle zu lösen, wenn zunächst Rechtsmittel [X.] dann zurückgenommen werden? Hier müßte man schon gewaltsam [X.], um diese Rücknahme auch noch unwirksam zu machen. Auch mitdieser Methode (alle legen "pro forma" Rechtsmittel ein, um sie dann anschlie-ßend zurückzunehmen) könnte man die angestrebte Rechtsprechung leerlau-fen lassen[X.] kann ohnehin Bedenken haben, eine "Zwangslage" des Angeklag-ten anzunehmen, wenn das Urteil, das dem abgesprochenen Ergebnis ent-spricht, verkündet wird.5. Die Vorlage befaßt sich mit der unzulässigen Willensbeeinflussungdurch das Gericht. Was ist, wenn der Angeklagte mittels Täuschung durch sei-nen Verteidiger zum Rechtsmittelverzicht veranlaßt wurde? Es sind [X.] denkbar, bei denen eine unzulässige Beeinflussung der freien Willens-betätigung des Angeklagten durch den Verteidiger vorliegt. Ist dann der [X.] abgegebene Rechtsmittelverzicht ebenfalls unwirksam? Bisher hat [X.] aus guten Gründen verneint. Denn das könnte zur Folge haben, daß [X.] jeden Rechtsmittelverzicht zur Unwirksamkeit bringen könnte, wenn- 8 -bloß ein Verteidiger eine unzulässige Beeinflussung durch sich glaubhaftmacht. Auch ein neuer Verteidiger könnte eine entsprechende anwaltliche Ver-sicherung des ersten Verteidigers beibringen. Angeklagter und Verteidigerhätten jede Möglichkeit, einen Rechtsmittelverzicht unwirksam zu machen mitder Folge des Verschlechterungsverbotes, wenn man Staatsanwalt und Ne-benkläger nicht auch Behelfe gibt.6. Nicht geklärt ist die Situation, wenn es mehrere Angeklagte gibt. [X.] man sich ohne weiteres vorstellen, wie kompliziert es wird, wenn [X.] stattgefunden hatte, teilweise nicht, mancher die Frist verstrei-chen läßt, ein anderer beeinflußt durch das Gericht [X.], ein anderer ohne Beeinflussung durch das Gericht [X.], einer Revision einlegt und dann (noch beeinflußt?) zurücknimmt usw. [X.] kann zwar jeweils nach Angeklagten unterscheiden, aber häufig ist [X.] Verknüpfung über § 357 StPO gegeben. Rechtsklarheit und [X.] wären nur noch schwer zu erkennen.7. Da eine Absprache zu protokollieren ist, ist im Hinblick auf die [X.] Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) davon auszugehen, daß keine Ver-ständigung stattgefunden hat, wenn nichts protokolliert ist. Beim [X.] muß deshalb grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß er nichtauf einer Absprache beruht, solange eine Verständigung nicht protokolliert ist.Nach Auffassung des 4. Strafsenats soll § 274 StPO in diesem Fall nicht [X.], um den Verfahrensbeteiligten eine Umgehungspraxis zu erschweren. DerEntscheidung des [X.] ([X.], 3) könnte hierzu eineandere Meinung entnommen werden.8. Unklar ist, was mit einem auf einer Absprache beruhenden Geständ-nis geschieht, wenn später die "Geschäftsgrundlage" weggefallen ist. Ob das- 9 -Geständnis wirklich von den Richtern (insbesondere Schöffen) als unverwert-bar ausgeblendet werden kann, erscheint zweifelhaft. Was ist mit einem [X.] veranlaßten Geständnis des Mitangeklagten, der nicht "gedealt" hat?Besteht die Gefahr des Überkompensierens durch unberechtigte Freisprüche?9. In der Praxis wird von den Gerichten, insbesondere wenn sie ein "mil-des Urteil" verhängt haben, auch ohne vorausgehende Verständigung zu ei-nem Rechtsmittelverzicht gedrängt. Dies entspricht zwar nicht Nr. 142 Abs. 2[X.], führte aber bisher (auch) nicht ohne weiteres zur Unwirksamkeit [X.]. Soll dies auch geändert werden oder nur, wenn eine Verständigungvorausging und das Urteil gerade der Erwartung des Angeklagten entspricht?10. [X.] "qualifizierten Belehrung" hilft nicht weiter.Zum einen weiß der verteidigte Angeklagte, daß er noch [X.] darf; die Belehrung wäre in so einem Fall überflüssig. Zum [X.] sich - nach der Praxis - alle auf eine Verfahrensbeendigung verständigtund dann vom Gericht zu verlangen, es solle den Angeklagten darüber beleh-ren, daß er das abgesprochene Urteil, mit dem das Gericht durch [X.] tritt, gleichwohl anfechten kann, ist befremdlich, wenn man davonausgeht, daß allseitiger Rechtsmittelverzicht gerade Geschäftsgrundlage ist.Da auf Rechtsmittelbelehrung verzichtet werden kann, wird man wohlauch auf eine "qualifizierte" Belehrung verzichten können. Dann läuft eine sol-che Forderung noch weitergehend ins Leere.Eine solche Belehrung hätte nur eine Alibifunktion und würde in der [X.] nichts [X.] -III. Im übrigen bestehen im [X.] unterschiedliche Grundauffas-sungen über die Zulässigkeit von verfahrensbeendenden Absprachen imStrafprozeß.[X.] Fischer Roggenbuck

Meta

2 ARs 330/03

28.01.2004

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: ARs

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.01.2004, Az. 2 ARs 330/03 (REWIS RS 2004, 4821)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 4821

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