Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.10.2017, Az. 5 StR 72/17

5. Strafsenat | REWIS RS 2017, 3344

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:251017U5STR72.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
5 StR
72/17

vom
25. Oktober
2017
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

-
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Der 5.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom
25. Okto-ber
2017, an der teilgenommen haben:
[X.],

Richterin am [X.] Dr. [X.],
[X.] am [X.]
Dölp,
Prof. Dr. König,
Prof. Dr. Mosbacher

als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwältin beim [X.]

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

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für Recht erkannt:

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 16. September 2016 wird verworfen.
Es wird davon abgesehen, der Angeklagten die Kosten ihres Rechtsmittels aufzuerlegen.

-
Von Rechts wegen
-

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Jugend-strafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ihre
auf eine Verfahrens-
und die Sachrüge gestützte Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das [X.] hat festgestellt:
Die Angeklagte, eine im [X.]punkt der Tat 18 Jahre und vier Monate alte, vor dem Abitur stehende Schülerin, ging im [X.] 2014 mit einem Mitschüler eine Beziehung ein, in deren Verlauf beide Geschlechtsverkehr hatten. Nach-dem hierbei im
März 2015 ein Kondom
gerissen war, war der
Angeklagten [X.], dass die Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft bestand. [X.] war sie schwanger geworden, was sie jedoch nicht wahrhaben wollte. Als 1
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ihr Bauchumfang zunahm, verheimlichte sie erfolgreich die bestehende Schwangerschaft gegenüber ihrer Familie, ihren Freunden und dem gesamten [X.] Umfeld.
Am 10. Dezember 2015 setzten die Wehen während des Sportunterrichts ein. In der Nacht zum 11. Dezember 2015 gebar die Angeklagte in der elterli-chen Wohnung ein gesundes Mädchen, das sie nach der Geburt

in einem [X.]raum zwischen unmittelbar nach der Geburt und einer halben Stunde oder noch etwas später

vorsätzlich erstickte, indem sie es zunächst mit einem Handtuch bedeckte und anschließend die Ränder des Spannbettzuges über das Kind schlug, so dass dieses nicht mehr atmen konnte.
Die Angeklagte wurde am Vormittag des 11. Dezember 2015 mit dem Notarztwagen in ein Krankenhaus gebracht. Die ärztliche Untersuchung ergab Anhaltspunkte für eine erfolgte Geburt, die jedoch von der Angeklagten abge-stritten wurde. Nachdem seitens des Krankenhauses die Polizei informiert [X.] war, wurde von einem Feuerwehrmann unter dem Schreibtisch der Ange-klagten die Kindesleiche auf dem Rücken liegend, mit einem Handtuch bedeckt und in ein Bettlaken eingewickelt in einer großen Plastiktüte aufgefunden ([X.] f., 12).

II.
Die Revision der Angeklagten ist unbegründet.
1. Die Rüge der Verletzung des § 74 StPO ist bereits unzulässig, da die Revision weder das vorbereitende schriftliche Gutachten der Sachverständigen

B.

, noch das von dieser

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achm Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] auch unbegründet.
Insbesondere lassen die beanstande-ten Äußerungen der Sachverständigen nach Erstattung ihres Gutachtens nicht den Schluss auf eine bereits
zuvor
bestehende Befangenheit zu.
2. Die den Schuldspruch tragenden Feststellungen
beruhen auf einer mit Blick auf den eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab (vgl. [X.], Urteil vom 9. Juni 2005

3 [X.], NJW 2005, 2322, 2326) [X.] Beweiswürdigung. Die Revision zeigt weder Verstöße gegen [X.] noch Lücken oder Widersprüche in der Beweiswürdigung auf.
a) Die Angeklagte hat sich dahin eingelassen, noch bis kurz vor der [X.] nicht gewusst zu haben, dass sie unmittelbar davor gewesen sei, ein Kind zu gebären. Nach der Geburt habe sie den Säugling nicht angeschaut; ob er auf dem Rücken oder auf dem Bauch gelegen habe, könne sie nicht sagen, da es in [X.] dunkel gewesen sei. Sie habe ein Handtuch über das Kind geschlagen und anschließend das verschmutzte Bettlaken abgezogen. Dabei habe sie die Nabelschnur gespürt und diese abgeschnitten. So,
wie das Kind gelegen habe, habe sie es in Handtuch und Bettlaken unter ihren Schreibtisch t, dass es keine Luft [X.] sei sie eingeschlafen.
b) Hinsichtlich der Todesursache folgt das [X.] den beiden rechtsmedizinischen Sachverständigen, die übereinstimmend
Ersticken als Ur-sache für den Tod des lebend geborenen Kindes angegeben haben. Die [X.] des [X.] hat die [X.] darin gesehen, dass die Angeklagte ihr Neugeborenes in ein Handtuch und ein Laken eingeschlagen hat.
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Rechtsfehlerfrei hat die
[X.] dabei zunächst

gestützt auf die gutachterlichen Ausführungen der von der Verteidigung benannten rechtsmedi-zinischen Sachverständigen

Ba.

alternative Ursachen des Ersti-ckens (Ersticken des in Bauchlage geborenen, mit den [X.] nach unten liegenden Säuglings; selbständiges Drehen des Säuglings in eine Bauch-lage) ausgeschlossen.
Das [X.] hat auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, die Ange-klagte könne ihr Kind nach der Geburt versehentlich in eine Bauchlage gebracht haben, in der es erstickte. Aufgrund der Bekundungen der Sachverständigen

Ba.

ist es zu dem nachvollziehbaren Ergebnis gekommen, dass die [X.]n keinerlei Aufschluss darüber gäben, in welcher Körperhaltung der Säugling verstorben sei. Hierzu steht entgegen der Auffassung der Revision nicht in Widerspruch, dass die [X.] im Hinblick auf die auf der linken Wange der Kindesleiche befindliche große Aussparung der [X.]n die Möglichkeit erörtert hat, diese Lage könnte die [X.] gewesen sein, dies aber ausschließt, weil das Kind in dieser Lage mit zur Seite gedrehtem Kopf hätte atmen können.
Das [X.] gelangt letztlich des toten Kindes zu der Gewissheit, dass die [X.] dadurch erstickte, dass sie es erst mit einem Handtuch bedeck-te und anschließend die Ränder des [X.] über das Kind schlug, so Rechtsfehlerfrei begründet die [X.] diese Überzeugung, indem sie die Einlassung der Angeklagten zum Einpacken

Feuerwehrmanns zum Auspacken

der Leiche und den Ergebnissen der Inau-genscheinnahme von Fotos der Auffindesituation
verbindet. Bei Auffinden des 11
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auf dem Rücken liegenden Kindes war dieses danach von einem Handtuch be-deckt. Dass die Lage der über den gesamten Leichnam verteilten [X.] nach den Ausführungen der Sachverständigen

Ba.

darauf hinweist, dass das bereits tote Kind

entgegen der Einlassung der Angeklagten

nicht die gesamte [X.] in derselben Position gelegen hat, sondern gedreht worden ist, berührt die Feststellungen des Urteils zur [X.] des Kindes und der [X.] seines [X.] nicht. Denn schon aus der Lage des Handtuchs auf der Gesichtsseite des Kindes bei dessen Auffinden in Verbindung mit der [X.] ergibt sich, dass das Kind auf dem Rücken lag, als sie es zunächst mit dem Handtuch und anschließend mit dem
Laken bedeckte.
c) Auch soweit das [X.] zu dem Ergebnis gelangt
ist, dass die Angeklagte ihr Kind vorsätzlich tötete, begegnet dies vor dem Hintergrund des von der Angeklagten eingeräumten objektiven Tatgeschehens keinen rechtli-chen Bedenken. Eine versehentliche Tötung hat es

wie dargelegt

in [X.] ausgeschlossen. Darüber hinaus hat es
im Einzelnen darge-stellt, dass und auf welche Weise die Angeklagte ihre Schwangerschaft vor ih-rer Umgebung verheimlichte. Beraten durch einen psychiatrischen Sachver-ständigen geht es davon aus, dass die Angeklagte ihren Zustand kannte. Nach dessen Bekundungen habe die Angeklagte ihre Schwangerschaft zwar nicht wahrhaben wollen und die Realität umgedeutet, jedoch gewusst, dass sie schwanger sei. Dafür sprächen
nicht nur eine von ihr Ende September 2015 auch unwahre Berichte über nicht stattgefundene Arztbesuche wegen der von ihr beklagten Bauchschmerzen in der Spätphase ihrer Schwangerschaft.
[X.] bildet sich das [X.] die Überzeugung, dass die Angeklagte spätestens zwei bis drei Wochen vor der Geburt ihres Kin-14
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a-bei insbesondere darauf, dass die erlogenen Schilderungen von Arztbesuchen und diagnostizierten Krankheiten (Magenschleimhautentzündung oder Lakto-seintoleranz) geeignet waren, eine bevorstehende mögliche erfolgreiche Be-mit dessen baldiges Verschwin-den zu erklären (vgl. [X.], Urteil vom 5. Juni 2003

3 [X.]). Eine

von der Revision behauptete

[X.] dieser Argumentation vermag der [X.] nicht zu erkennen.
Dass auf der Grundlage der Äußerungen des [X.] aktualisierten Tötungsvorsatz nichts ([X.]). Zudem zieht die [X.] in ebenfalls nicht zu beanstandender Weise das Verhalten der Ange-klagten bei Einsetzen der Wehen und im Verlauf des Geburtsvorgangs sowie ihr Nachtatverhalten in nachvollziehbarer Weise dafür heran, dass die Ange-klagte nun auch die Geburt verheimlichen wollte. Die
Tötung des
Kindes war die konsequente Fortführung ihrer verheimlichten Schwan-gerschaft, an deren Ende es kein Kind geben durf

S.
12).
3. Auch der Strafausspruch hat Bestand.
a) Das [X.] ist von der uneingeschränkten Schuldfähigkeit der Angeklagten ausgegangen.
Dies hält der revisionsgerichtlichen Prüfung stand.
aa) Bei [X.] im Sinne des § 217 StGB aF kommt eine erhebli-che Verminderung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine schon unabhängig hiervon beste-henden geistig-seelischen Beeinträchtigungen festzustellen sind (vgl. [X.], Ur-teile vom 5. Juni 2003

3 [X.], [X.]R StGB § 212 Abs. 1 Kindstötung 1; 16
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vom 19. Juni 2008

4 [X.], [X.], 308; vom 23. April 2009

3 [X.], [X.], 439 f.). Die psychische Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr Kind in oder gleich nach der Geburt tötet, kann in einem solchen Fall allerdings bei der Anwendung des § 213 StGB Berücksichtigung finden ([X.], Urteil vom 6. November 2003

4 StR 296/03, [X.], 80).

-
-10 F 43.2 tiefgreifende Bewusstseinsstörung einzuordnen sei. Das [X.] hat jedoch ausgeschlossen, dass eine solche Anpassungsstörung

wie für die Annahme einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung erforderlich (vgl. [X.], Urteile vom 9.
Februar 1983

3 StR 500/82, [X.], 280, und
vom 13.
Dezember 1989

3
StR 370/89, [X.], 231)

in ihrem Gewicht einer krankhaften seeli-schen Störung gleichwertig und
dass zudem
eine mögliche Verminderung der 21 StGB ist. Hiergegen ist aus [X.] Sicht nichts einzuwenden.

b) Die Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld und de-ren Bemessung sind rechtsfehlerfrei. Auch insoweit können die Einwände der Beschwerdeführerin aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen nicht durchdringen. Insbesondere hat die [X.] der psychischen Ausnahmesituation der Angeklagten nach der Geburt bei der

maßvollen

Bemessung der Jugendstrafe Rechnung getragen, indem sie davon ausgegangen ist, dass bei Anwendung von allgemeinem Strafrecht ein minder schwerer Fall gemäß § 213 Alt. 2 StGB vorgelegen hätte.
Mit der Erwä-
S. 22), berücksichtigt die [X.] nicht deren 19
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Verteidigungsverhalten strafschärfend, vielmehr stellt sie damit ersichtlich auf die Notwendigkeit ab, auf die Angeklagte im Jugendstrafvollzug durch eine [X.], 23 unten).

Mutzbauer
[X.]
Dölp

König
Mosbacher

Meta

5 StR 72/17

25.10.2017

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.10.2017, Az. 5 StR 72/17 (REWIS RS 2017, 3344)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 3344

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