Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.04.2016, Az. 4 A 2/15

4. Senat | REWIS RS 2016, 12110

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Gegenstand

Lärm durch Luftverkehr; Voraussetzungen der nachträglichen Änderung eines Planfeststellungsbeschlusses aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse


Leitsatz

1. § 49 VwVfG findet auch auf luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsbeschlüsse Anwendung. Dritte können einen Widerruf oder eine Ermessensentscheidung hierüber nur verlangen, wenn Schutzauflagen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht als Abhilfe ausreichen.

2. Eine geänderte Bewertung von Sachverhalten kann eine Änderung von Tatsachen im Sinne von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG sein. Nicht ausreichend sind insoweit Einzelmeinungen, die sich in der wissenschaftlichen Diskussion bisher nicht durchgesetzt haben.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Verpflichtung des Beklagten, die im Jahr 2007 planfestgestellten Betriebsregelungen für den Nachtflugbetrieb auf dem [X.]/[X.] aufzuheben.

2

Mit Planfeststellungsbeschluss vom 4. November 2004 stellte das [X.] Aus- und Umbaumaßnahmen für den [X.]/[X.] fest, um diesen zu einem Drehkreuz für den Frachtflugverkehr auszubauen. Auf Klagen von Anwohnern, darunter auch dem Kläger, verpflichtete der Senat den Beklagten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut darüber zu entscheiden, ob der Nachtflugbetrieb, soweit es nicht um Frachtflüge zum Transport von [X.] geht, über die getroffenen flugbetrieblichen Regelungen hinaus beschränkt wird, und wies die Klagen im Übrigen ab (BVerwG, Urteil vom 9. November 2006 - 4 A 2001.06 - BVerwGE 127, 95 ).

3

Den nächtlichen Flugbetrieb regelte das [X.] in einem Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss vom 27. Juni 2007. Die Regelungen A II.4.7.1. Satz 2 und [X.] bis [X.] gestatten in weitem Umfang nächtlichen Fracht- und Militärflugverkehr. Die gegen den Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss erhobene Klage des [X.] wies der Senat mit Urteil vom 24. Juli 2008 - 4 A 3001.07 - (BVerwGE 131, 316) ab. Eine dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde nahm das [X.] nicht zur Entscheidung an ([X.], Beschluss vom 15. Oktober 2009 - 1 BvR 3474/08 - NVwZ 2009, 1489). Eine Beschwerde zum [X.] erklärte dieser für unzulässig ([X.], Entscheidung vom 10. Juni 2014 - 25330/10 - NVwZ 2015, 1119).

4

Der Kläger ist Miteigentümer eines Grundstücks, das er selbst bewohnt. Es liegt etwa 11,5 km entfernt in östlicher Verlängerung der südlichen Start- und Landebahn des Flughafens innerhalb des vom Planfeststellungsbeschluss festgesetzten [X.]. Für diese Ortslage prognostiziert der Planfeststellungsbeschluss eine nächtliche Lärmbelastung mit einem Dauerschallpegel Leq(3) = 51,2 dB(A), 20,3 Lärmereignissen mit [X.] dB(A) und 1,2 Lärmereignissen mit [X.](A). Auf Kosten der Beigeladenen sind in den Schlafräumen des [X.] des [X.] Lüftungseinrichtungen sowie Schallschutzfenster eingebaut worden, die nach den Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses bei geschlossenen Fenstern eine Außen-Innen-Pegeldifferenz von 25 dB(A) gewährleisten sollen. Nach Angaben der Beigeladenen liegen die in den Schlafräumen auftretenden Maximalpegel unter 50 dB(A).

5

Im September 2014 beantragte der Kläger, die Bestimmungen zum Nachtflugbetrieb zurückzunehmen, hilfsweise zu widerrufen sowie das [X.] wiederaufzugreifen oder erneut durchzuführen. In dem erneuten Verwaltungsverfahren seien die aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Auswirkungen nächtlichen Fluglärms zu beachten. Mit Schreiben vom 19. September 2014, das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, lehnte die [X.] die Anträge ab. Einen Widerspruch des [X.] wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 4. März 2015 als unzulässig und unbegründet zurück.

6

Mit seiner am 4. April 2015 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Annahmen aus dem Planfeststellungsbeschluss zu Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Fluglärm seien wissenschaftlich überholt. Dies gelte insbesondere für die Grenze einer Gesundheitsgefährdung ab einem nächtlichen Dauerschallpegel von 60 dB(A) (außen) und einem Maximalpegel (innen) von 65 dB(A) sowie für die Pegeldifferenz eines gekippten Fensters von 15 dB(A). Der Beklagte dürfe daher an dem Planfeststellungsbeschluss nicht festhalten.

7

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 19. September 2014 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 4. März 2015 zu verpflichten,

die Regelungen A II.4.7.1. Satz 2, [X.] bis [X.] sowie A II.4.7.6. Satz 2 und 3 des Planfeststellungsbeschlusses vom 4. November 2004 in der Fassung des [X.] vom 27. Juni 2007 zurückzunehmen,

hilfsweise diese Regelungen zu widerrufen,

hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, das Planfeststellungsverfahren hinsichtlich dieser Regelungen wiederaufzugreifen.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Die Klage sei unbegründet. Gemäß einer Nebenbestimmung zum Planfeststellungsbeschluss sei im Jahr 2009 ein inzwischen bestandskräftiger Änderungsplanfeststellungsbeschluss ergangen; für weitere Änderungen habe es bisher keinen Anlass gegeben. Eine Rücknahme oder ein Widerruf seien unbehelflich, weil in diesem Fall die bisherigen Regelungen - eine unbeschränkte [X.] gemäß der luftrechtlichen Betriebsgenehmigung vom 20. September 1990 in der Fassung des Bescheides vom 14. März 2000 - in [X.] träten. Der Kläger habe im Übrigen nicht dargelegt, dass die dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Annahmen wissenschaftlich überholt seien. Ein Wiederaufgreifen sei von Rechts wegen ausgeschlossen.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klage sei unzulässig, jedenfalls unbegründet. Die Rechtskraft des Urteils vom 24. Juli 2008 - 4 A 3001.07 - bilde ein Prozesshindernis. Der Kläger sei nicht klagebefugt, da ihm der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zustehen könne. Jedenfalls fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil es bei einem Erfolg der Klage bei den für den Kläger nicht günstigeren Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses aus dem [X.] bliebe. Die Klage sei auch unbegründet. Einen Meinungswandel in der Wissenschaft lege der Kläger nicht substantiiert dar. Zudem gewähre das [X.] sogar besseren Schutz als die gesetzliche Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 FluglärmG.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

I. Die Klage ist zulässig.

1. Das [X.] ist für die Entscheidung zuständig. Nach § 5 Abs. 1 des [X.] in den neuen Ländern sowie im [X.] (Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz - [X.]) vom 16. Dezember 1991 ([X.] [X.]), zuletzt geändert durch Art. 464 der Verordnung vom 31. August 2015 ([X.] I S. 1474), entscheidet das [X.] im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten, die Planfeststellungsverfahren und Plangenehmigungsverfahren für Vorhaben nach § 1 [X.] betreffen. Zu diesen gehört nach § 1 Abs. 1 Nr. 3, § 11 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 [X.] auch die Planung des [X.]aus und der Änderung von Verkehrsflughäfen im [X.], wenn die Planfeststellung bis zum Ablauf des 16. Dezember 2006 beantragt wurde.

Diese Zuständigkeit erstreckt sich auch auf den Streit um die Verpflichtung der [X.]ehörde, [X.]etriebsregelungen eines in den zeitlichen Geltungsbereich des Gesetzes fallenden Planfeststellungsbeschlusses aufzuheben und das Verfahren wiederaufzunehmen. Denn § 5 Abs. 1 [X.] wird grundsätzlich weit verstanden ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 13. Oktober 1994 - 7 VR 10.94 - [X.] 407.3 § 5 [X.] Nr. 3 S. 5 und vom 18. Mai 2000 - 11 A 6.99 - [X.] 407.3 § 5 [X.] Nr. 11 S. 2) und erfasst alle Verwaltungsstreitsachen, die einen unmittelbaren [X.]ezug zu konkreten Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren nach § 1 [X.] haben. Die Vorschrift gilt daher auch für Klagen, die auf die Verpflichtung zur vollständigen Rücknahme eines Planfeststellungsbeschlusses gerichtet sind ([X.]VerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 7001.11 u.a. - [X.]VerwGE 144, 44 Rn. 18), oder - wie hier - auf eine teilweise Aufhebung und ein Wiederaufgreifen des Verfahrens. Denn die angegriffenen betrieblichen Regelungen sind Teil der genehmigungsrechtlichen [X.]ewältigung des Vorhabens ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 15. Juni 2011 - 7 VR 8.11 - [X.] 407.3 § 5 [X.] Nr. 20 Rn. 5).

Die damit eröffnete erstinstanzliche Zuständigkeit des [X.]s unterliegt jedoch zeitlichen Grenzen: Die besonderen Vorschriften des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes gelten nach § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] nur bis zum Ablauf des 16. Dezember 2006. Wird § 5 Abs. 1 [X.] auf Verpflichtungsklagen auf vollständige oder teilweise Aufhebung von [X.] erstreckt, birgt dies die Gefahr einer vom Gesetzgeber nicht gewollten erstinstanzlichen Dauerzuständigkeit des [X.]s ([X.]VerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 7001.11 u.a. - [X.]VerwGE 144, 14 Rn. 19). § 5 Abs. 1 [X.] setzt daher einen unmittelbaren zeitlichen [X.]ezug zu dem jeweiligen Planfeststellungs- oder Plangenehmigungsverfahren voraus. Dieser besteht hier noch. Der Senat weist aber darauf hin, dass nach seiner Einschätzung der notwendige unmittelbare zeitliche [X.]ezug jedenfalls nach einem Zeitraum von fünfzehn Jahren nach dem 16. Dezember 2006 entfallen sein wird.

2. Die Klage ist auch im Übrigen zulässig.

Anders als die [X.]eigeladene meint, ist der Kläger klagebefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO. Es ist nicht von vornherein und nach jeder Sichtweise ausgeschlossen (stRspr; vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 18. Dezember 2014 - 4 [X.] 36.13 - [X.]VerwGE 151, 138 Rn. 14 und vom 5. August 2015 - 6 [X.] 8.14 - [X.] 11 Art. 87f GG Nr. 4 Rn. 11), dass ihm der geltend gemachte Anspruch zusteht.

Die Klagefrist ist gewahrt. Der Kläger hat gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheides Klage erhoben. Die Klage wäre aber auch fristgerecht erhoben, wenn es nach § 1 [X.] i.V.m. § 74 Abs. 1 Satz 2, § 70 Abs. 1 VwVfG keines Vorverfahrens bedurft hätte. Denn der Ausgangsbescheid vom 19. September 2014 enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung, so dass die Klage in diesem Fall binnen der Jahresfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach der [X.]ekanntgabe des [X.] erhoben werden konnte.

Für die Klage besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Allerdings lässt der [X.] aus dem [X.] keine Verkehre zum [X.]etrieb zu, sondern beschränkt den durch die frühere luftrechtliche Genehmigung zugelassenen [X.]etrieb für die Nachtzeit ([X.]VerwG, Urteil vom 24. Juli 2008 - 4 A 3001.07 - [X.]VerwGE 131, 316 Rn. 22). Nach dem rechtskräftigen und die [X.]eteiligten nach § 121 Nr. 1 VwGO bindenden [X.]eschluss des Senates vom 2. Mai 2007 - 4 A 2002.07 - war der [X.]eklagte indes mit [X.]lick auf die durch den Planfeststellungsbeschluss aus dem [X.] geschaffenen Regelungen verpflichtet, erneut darüber zu entscheiden, ob der Nachtflugbetrieb, soweit es nicht um Frachtflüge zum Transport von [X.] geht, über die getroffenen flugbetrieblichen Regelungen hinaus beschränkt wird. Solange es - und sei es in Folge einer behördlichen Aufhebung der flugbetrieblichen Regelungen - an der damit gebotenen Vervollständigung des [X.] fehlte, wäre nach Inbetriebnahme der Start- und Landebahn Süd jeglicher Flugverkehr, der nicht dem Transport von [X.] dient, zwischen 22:00 und 6:00 Uhr unzulässig ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 2. Mai 2007 - 4 A 2002.07 - Rn. 10 i.V.m. Urteil vom 9. November 2006 - 4 A 2001.06 - [X.]VerwGE 127, 95 Rn. 77).

Auch die materielle Rechtskraft des [X.] vom 24. Juli 2008 - 4 A 3001.07 - ([X.]VerwGE 131, 316) steht der Klage nicht entgegen, weil nicht derselbe Streitgegenstand in Rede steht. Streitgegenstand des [X.] vom 24. Juli 2008 (a.a.[X.]) war die vollständige oder teilweise gerichtliche Aufhebung der [X.] im [X.] vom 27. Juni 2007. Darum geht es hier nicht, sondern um die Verpflichtung des [X.]eklagten, diese Regelungen aufzuheben oder das Verfahren wiederaufzugreifen.

II. Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger kann vom [X.]eklagten weder die Aufhebung der beanstandeten Regelungen noch ein Wiederaufgreifen des Verfahrens verlangen.

1. Nebenbestimmungen zum [X.] vom 27. Juni 2007 stützen das klägerische [X.]egehren nicht.

Der Nebenbestimmung A II.4.9.1. hat der [X.]eklagte bereits durch Erlass eines [X.] im Jahr 2009 Rechnung getragen. Weiter gehende Ansprüche begründet sie nicht. Mit der Nebenbestimmung [X.] behält sich die Planfeststellungsbehörde nachträgliche Anordnungen, insbesondere zur Abgrenzung des [X.], für den Fall vor, dass in zwei aufeinanderfolgenden Jahren das nach einer Auswertung durch die [X.]eigeladene berechnete Gebiet über das planfestgestellte Nachtschutzgebiet oder das Nachtschutzgebiet nach Inbetriebnahme, sofern dies weiterreicht, hinausgeht. Ein solcher Fall ist bisher nicht eingetreten. Im Übrigen könnte der Kläger aus einer "insbesondere" vorgesehenen neuen Abgrenzung des [X.] keinen Nutzen ziehen, da sein Grundstück bereits innerhalb dieses Gebietes liegt.

2. Der Kläger kann keine Rücknahme der beanstandeten Regelungen nach § 1 [X.] i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG oder eine Ermessensentscheidung hierüber verlangen.

Nach § 1 [X.] i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Vorschrift gilt auch für Planfeststellungsbeschlüsse ([X.]VerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 - 4 A 7001.11 u.a. - [X.]VerwGE 144, 44 Rn. 23). Sie setzt die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts voraus. Weil der Anspruch auf Rücknahme nicht weiter gehen kann als der Aufhebungsanspruch bei fristgerechter Anfechtung ([X.]VerwG, Urteil vom 31. Juli 2012 ebd.), kommt ein Anspruch eines [X.] hierüber nur in [X.]etracht, wenn der Planfeststellungsbeschluss gerade ein Recht dieses [X.] verletzt. Daran fehlt es.

Maßgebend für die Rechtswidrigkeit ist der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts ([X.]VerwG, Urteile vom 9. Mai 2012 - 6 [X.] 3.11 - [X.]VerwGE 143, 87 Rn. 43 f. und vom 28. Mai 2015 - 1 [X.] 24.14 - NVwZ-RR 2015, 753 Rn. 18). Mit Rechtskraft des [X.] vom 24. Juli 2008 - 4 A 3001.07 - ([X.]VerwGE 131, 316 Rn. 27) steht für die [X.]eteiligten nach § 121 Nr. 1 VwGO bindend fest, dass der [X.] vom 27. Juni 2007 bei seinem Erlass den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt hat. Aus den in Hinblick auf Art. 35 Abs. 1 [X.] prozessrechtlich veranlassten Formulierungen des [X.] in seiner Entscheidung vom 10. Juni 2014 - 25330/10 - (NVwZ 2015, 1119 Rn. 22 ff.) folgt nichts Anderes.

Die Rechtsprechung lässt gelegentlich, namentlich bei Dauerverwaltungsakten, die Rücknahme eines Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG zu, wenn dieser nachträglich rechtswidrig geworden ist (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 26. Mai 1989 - 8 [X.] 87.87 - [X.]VerwGE 82, 98 <99>, vom 9. Mai 2012 - 6 [X.] 3.11 - [X.]VerwGE 143, 87 Rn. 43 und vom 28. Juni 2012 - 2 [X.] 13.11 - [X.]VerwGE 143, 230 Rn. 15). Die Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG auf Fälle nachträglicher Rechtswidrigkeit scheidet indes für luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsbeschlüsse von vornherein aus. Denn sowohl für die planerische Rechtfertigung eines luftverkehrsrechtlichen Vorhabens als auch für die planerische Abwägung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der [X.]eschlussfassung über den Plan maßgebend ([X.]VerwG, Urteil vom 13. Dezember 2007 - 4 [X.] 9.06 - [X.]VerwGE 130, 83 Rn. 68 und [X.]eschluss vom 22. Juni 2015 - 4 [X.] 61.14 - juris Rn. 5). Einem [X.] ist es also im [X.] versagt, die Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses unter Hinweis auf Veränderungen der Sach- und Rechtslage nach Erlass dieses [X.]eschlusses geltend zu machen. Es stände hierzu in Widerspruch, wenn der Kläger unter Hinweis auf solche Veränderungen einen Anspruch auf Rücknahme oder ermessensfehlerfreie Entscheidung hierüber zugesprochen bekäme.

3. Der Kläger kann auch keinen Widerruf der im Streit stehenden Regelungen oder eine Ermessensentscheidung hierüber verlangen.

a) Der vollständige oder teilweise Widerruf eines Verwaltungsakts findet seine Rechtsgrundlage in § 1 [X.] i.V.m. § 49 VwVfG.

Diese Norm findet zwar auch auf Planfeststellungsbeschlüsse Anwendung, die Widerrufsmöglichkeit erweist sich hier aber - entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - als ultima ratio. Dritte können einen Widerruf nur verlangen, wenn Schutzauflagen nach § 1 [X.] i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht als Abhilfe ausreichen ([X.]VerwG, Urteil vom 21. Mai 1997 - 11 [X.] 1.96 - [X.]VerwGE 105, 6 <13> und [X.]eschluss vom 16. Dezember 2003 - 4 [X.] 75.03 - [X.] 442.40 § 9 LuftVG Nr. 14 S. 7 f.). Gerade hierin liegt die erhöhte [X.]estandskraft von [X.].

Der Vorrang nachträglicher Schutzauflagen lässt es nicht zu, die Regelungen über den nächtlichen Flugbetrieb zu widerrufen, um auf diesem Wege den Kläger besser vor Fluglärm zu schützen. Nach § 1 [X.] i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG kann ein [X.]etroffener Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche nachteilige Wirkungen ausschließen, wenn nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf sein Recht erst nach Unanfechtbarkeit des Plans auftreten. Nicht voraussehbar in diesem Sinn sind auch Auswirkungen, deren Schädlichkeit oder Gefährlichkeit sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und des technischen Fortschritts erst nachträglich herausstellt ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 21. Januar 2004 - 4 [X.] 82.03 - NVwZ 2004, 618). Es ist aber weder ersichtlich noch vorgetragen, dass etwaigen - vom Kläger behaupteten - veränderten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Fluglärm nicht durch weitere Schutzauflagen, insbesondere besseren baulichen Lärmschutz, Rechnung getragen werden könnte.

Ob der Kläger einen Anspruch auf nachträgliche Schutzauflagen nach § 1 [X.] i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG hat, war nicht Gegenstand der Klage; für einen solchen Anspruch wäre das [X.] im Übrigen erstinstanzlich nicht zuständig (stRspr; vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 24. Juni 2010 - 9 A 36.08 - [X.] 407.3 § 5 [X.] Nr. 18). Der Senat weist aber darauf hin, dass es dem Kläger wohl nicht gelungen sein dürfte, eine veränderte wissenschaftliche [X.]ewertung der ihn treffenden [X.]elastung mit Fluglärm darzulegen. Die von ihm vorgelegten Unterlagen äußern sich jedenfalls in ganz überwiegendem Umfang dazu, welche Fluglärmbelastung Schallschutzmaßnahmen erfordert. Darauf kommt es für den Kläger nicht an, weil er über baulichen Schallschutz verfügt. Auch sein Sachbeistand hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, die [X.]elastung des [X.] erscheine unter [X.]erücksichtigung des baulichen Schallschutzes relativ gering. Einer Entscheidung bedarf die Frage aber nicht.

b) Der Vorrang des § 1 [X.] i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG steht einem Widerruf nach § 1 [X.] i.V.m. § 49 VwVfG nur insoweit nicht entgegen, als [X.]eeinträchtigungen in Rede stehen, die durch nachträgliche Schutzauflagen nicht abgewehrt werden können. Solche [X.]eeinträchtigungen macht der Kläger für den Schutz der Nachtruhe in einem weiteren Sinn geltend. Ferner wendet er sich gegen die [X.]ewertung des [X.] in der planerischen Abwägung.

(1) Die Voraussetzungen des § 1 [X.] i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG liegen insoweit nicht vor.

Nach diesen Normen darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn die [X.]ehörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Auch die geänderte [X.]ewertung von Sachverhalten kann eine Änderung von Tatsachen im Sinne von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG sein. Eine Einzelmeinung, die sich in der wissenschaftlichen Diskussion bisher nicht durchgesetzt hat, ist dagegen grundsätzlich keine neue Tatsache, die einen Widerruf nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG rechtfertigen kann ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 27. Mai 2015 - 3 [X.] 5.15 - UPR 2015, 506 Rn. 12).

Der Kläger fordert einen Schutz vor Störungen der Nachtruhe im Sinne eines Schutzes vor einer nächtlichen [X.]etriebsamkeit durch Flugbewegungen (vgl. hierzu [X.]VerwG, Urteil vom 9. November 2006 - 4 A 2001.06 - [X.]VerwGE 127, 95 Rn. 75). Dies zeigt keine veränderten Tatsachen auf. Der Gesetzgeber kann, wie im Fluglärmschutzgesetz geschehen, seiner aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht für die körperliche Unversehrtheit genügen, indem er zum Schutz vor Fluglärm Grenzwerte für energieäquivalente Dauerschallpegel und eine begrenzte Zahl von Maximalpegeln festsetzt ([X.]VerfG, [X.]eschluss vom 20. Februar 2008 - 1 [X.]vR 2722/06 - NVwZ 2008, 780 Rn. 82, 84; [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 25. März 2009 - 4 [X.] 63.08 - juris Rn. 11 ). Es ist nicht ersichtlich, dass sich hiervon abweichend die Meinung durchgesetzt haben könnte, der rechtlich gebotene Schutz der Nachtruhe stehe der Durchführung von nächtlichen Flügen entgegen, ohne dass es überhaupt auf deren akustische Wahrnehmbarkeit ankäme.

Der Vorwurf des [X.], die Annahmen der Planfeststellungsbehörde zur Notwendigkeit von Nachtflügen beruhten auf Fehlannahmen, zeigt schon keine nachträglich eingetretenen Tatsachen im Sinne des § 1 [X.] i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwVfG auf. Zur konkreten Situation am [X.]/[X.] äußert sich allein ein Papier des klägerischen Sachbeistands aus dem Jahr 2008. Die dort erhobenen Einwände hat der Senat indes bereits zurückgewiesen ([X.]VerwG, Urteil vom 24. Juli 2008 - 4 A 3001.07 - [X.] 442.40 § 8 LuftVG Nr. 31 Rn. 52, 68 ).

(2) Auch an den Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 1 [X.] i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 VwVfG fehlt es. Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen. Die Norm stellt mit der Verhütung oder [X.]eseitigung von schweren Nachteilen für das Gemeinwohl besonders strenge Anforderungen an den [X.], ist jedoch ansonsten voraussetzungslos. Das beeinträchtigte Recht muss daher einen Rang aufweisen, der es zum [X.] erhebt, und dessen Verletzung muss so gravierend sein, dass sie auch und gerade im Interesse der Allgemeinheit nicht hingenommen oder aufrechterhalten bleiben kann ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 27. Mai 2015 - 3 [X.] 5.15 - UPR 2015, 506 Rn. 16). Dieses Ausmaß erreicht die [X.]elastung des [X.] mit Fluglärm nicht.

4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens.

Nach § 1 [X.] i.V.m. § 72 Abs. 1 VwVfG ist § 51 VwVfG in einem Planfeststellungsverfahren nicht anzuwenden ([X.]VerwG, Urteile vom 20. Oktober 1989 - 4 [X.] 12.87 - [X.] 407.4 § 18c [X.] Nr. 2 S. 8 , vom 21. Mai 1997 - 11 [X.] 1.96 - [X.]VerwGE 105, 6 <11> und vom 31. Juli 2012 - 4 A 7001.11 u.a. - [X.]VerwGE 144, 44 Rn. 23). [X.]eachtliche verfassungsrechtliche [X.]edenken gegen diese Regelung sind nicht ersichtlich, da die §§ 48, 49, 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ausreichen, um Änderungen der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen ([X.], in: [X.], VwVfG, 10. Aufl. 2014, § 72 Rn. 55; im Ergebnis auch [X.]/[X.], VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 72 Rn. 23 <"noch vereinbar">).

§ 1 [X.] i.V.m. § 72 Abs. 1 VwVfG schließt damit ein Wiederaufgreifen des Verfahrens auf Antrag des [X.]etroffenen nach § 51 Abs. 1 VwVfG aus. Da § 51 VwVfG aber insgesamt nicht anzuwenden ist, ist auch ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinn ausgeschlossen ([X.], [X.]eschluss vom 13. August 2012 - 5 [X.]/12 - V[X.]l[X.]W 2013, 101 <103>). Die so bezeichnete [X.]efugnis der [X.]ehörde, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren bei Fehlen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten eines [X.]etroffenen wiederaufzugreifen, bedarf zur Überwindung der [X.]estandskraft einer gesetzlichen Grundlage ([X.]VerfG, [X.]eschluss vom 23. Juni 1988 - 2 [X.]vR 260/88 - NVwZ 1989, 141; [X.]VerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 - 1 [X.] 15.08 - [X.]VerwGE 135, 121 Rn. 24). Dies gilt jedenfalls, wenn ein Verwaltungsakt - wie hier - zuvor gerichtlich bestätigt worden ist. Die erforderliche Rechtsgrundlage bietet allein § 51 Abs. 5 VwVfG, dessen Anwendung § 1 [X.] i.V.m. § 72 Abs. 1 VwVfG aber entgegensteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

Meta

4 A 2/15

28.04.2016

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: A

§ 5 Abs 1 VerkPBG, § 1 Abs 1 S 1 VerkPBG, Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 48 Abs 1 VwVfG, § 49 Abs 2 S 1 Nr 3 VwVfG, § 49 Abs 2 S 1 Nr 5 VwVfG, § 75 Abs 2 S 2 VwVfG, § 51 Abs 1 VwVfG, § 72 Abs 1 VwVfG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.04.2016, Az. 4 A 2/15 (REWIS RS 2016, 12110)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 12110

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M 7 K 17.3914

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