Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.01.2023, Az. 1 W-VR 23/22

1. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2023, 5693

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Gegenstand

Versetzung; gemeinsame Betreuung von in häuslicher Gemeinschaft lebenden Kindern; beide Elternteile Soldaten


Leitsatz

Werden gegen eine Versetzung persönliche Belange geltend gemacht, die - wie die gemeinsame Betreuung von in häuslicher Gemeinschaft lebenden Kindern - eine gesamte familiäre Situation betreffen, und sind beide Elternteile Soldaten, so gebietet der Schutz von Ehe und Familie, dass unter dem Blickwinkel der Fürsorgepflicht nicht nur die Belange des von der Personalmaßnahme Betroffenen, sondern auch die Belange von dessen Ehepartner in die Ermessensausübung eingestellt werden.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde des Antragstellers vom 2. Mai 2022 gegen die Versetzungsverfügung Nr. ... des [X.] vom 25. April 2022 wird angeordnet.

Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem [X.] einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem [X.] auferlegt.

Tatbestand

1

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen seine Versetzung.

2

Der ... geborene Antragsteller ist Berufssoldat; seine Dienstzeit endet voraussichtlich mit Ablauf des 31. März ... Als Offizier des militärfachlichen Dienstes wurde er zuletzt am 6. Juni ... zum Hauptmann befördert. Er ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter von derzeit 4, 12 und 14 Jahren. Seine Ehefrau ist Soldatin am Standort ... Die Familie wohnt in ...

3

Nach einer Ausbildung zum ... wurde der Antragsteller ab dem 1. Oktober 2013 auf einem entsprechenden Dienstposten im ... eingesetzt. Seine ursprüngliche Verwendungsdauer bis 31. Dezember 2015 wurde bis zum 31. März 2019 verlängert.

4

Mit Schreiben vom 23. Mai 2017 beantragte der Antragsteller eine weitere Verwendung im ... unter Anerkennung schwerwiegender persönlicher Gründe. Die Beratende Ärztin des [X.] bestätigte mit Schreiben vom 5. Oktober 2017 das Vorliegen eines schwerwiegenden persönlichen Grundes nach Nr. 204 Buchst. a des Zentralerlasses [X.]/46 wegen "einer eigenen Gesundheitsstörung für aktuell zwölf Monate". Eine tägliche Rückkehr zum Lebensmittelpunkt werde militärärztlich befürwortet. Das [X.] teilte daraufhin dem Antragsteller mit, dass seinem Antrag bis zum 30. September 2019 entsprochen werde.

5

Mit Schreiben vom 3. Januar 2019 stellte die Beratende Ärztin für weitere zwölf Monate das Vorliegen schwerer persönlicher Gründe fest. Da der Dienstposten des Antragstellers im ... zum Ende der Verwendungsdauer weggefallen war, wurde der Antragsteller ab dem 1. Oktober 2019 auf eine zeitlich befristete Beamtenwechselstelle am Standort ... mit Verwendungsdauer bis zum 30. September 2022 versetzt.

6

Am 16. November 2021 beantragte der Antragsteller eine weitere Verlängerung seiner Verwendungsdauer. Seine nächsten Disziplinarvorgesetzten sprachen sich dagegen aus. Der Antragsteller sei von seiner Aufgabe als Leiter des ... entbunden worden; das Vertrauen in seine Person und Amtsführung sei nachhaltig gestört. Grund hierfür seien verschiedene Dienstpflichtverletzungen und der Vorwurf einer außerdienstlichen Körperverletzung und Nötigung eines Minderjährigen, die Gegenstand eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens seien.

7

Mit Vororientierung vom 30. März 2022 wurde der Antragsteller über die geplante Versetzung zum 1. Oktober 2022 auf einen Dienstposten als [X.] im ... in ... informiert. Der dortige Referatsleiter stellte wegen der familiären Situation des Antragstellers ein Modell von 3 Tagen Telearbeit und 2 Tagen Präsenz an der Dienststelle in Aussicht.

8

Mit Schreiben vom 5. April und 19. April 2022 nahm der Antragsteller hierzu Stellung und berief sich insbesondere auf das Vorliegen schwerwiegender persönlicher Gründe aufgrund einer Wehrdienstbeschädigung, der fehlenden Betreuungsmöglichkeit für seine Kinder im Falle einer Versetzung sowie der andauernden physiotherapeutischen und psychotherapeutischen Maßnahmen. Die Anhörung des [X.] hatte der Antragsteller zuvor ausdrücklich abgelehnt. Eine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung des ... zur geplanten Versetzung erfolgte am 14. April 2022; diese begrüßte die Möglichkeit einer Lösung im Rahmen von Telearbeit, bat jedoch zu prüfen, ob eine heimatnähere Verwendung möglich sei.

9

Die Beratende Ärztin des [X.] stellte am 7. April 2022 fest, dass der Antragsteller dauerhaft eingeschränkt verwendungsfähig sei. Unter Beachtung von Auflagen, wie [X.] Tätigkeiten sowie Tätigkeiten, die einen hohen Impactfaktor haben, oder Stop-and-Go-Sportarten, könne er im Inland verwendet werden. Eine Verwendung ausschließlich im räumlichen Bereich ... ließe sich jedoch nicht ableiten. Bezogen auf die [X.] lägen aus militärärztlicher Sicht keine schwerwiegenden persönlichen Gründe vor.

Mit Verfügung Nr. ... vom 25. April 2022, ausgehändigt am 27. April 2022, versetzte das [X.] den Antragsteller zum 1. Oktober 2022 mit Dienstantritt am 1. November 2022 auf den Dienstposten [X.], Referat ..., [X.] ..., im ... nach ... Die Umzugskostenvergütung wurde zum 1. November 2022 mit aufschiebender Wirkung zum 1. November 2025 zugesagt.

Gegen seine Versetzung erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 2. Mai 2022 Beschwerde.

Mit Bescheid vom 19. Mai 2022 stellte das [X.] fest, dass ab 1. Juli 2022 die Voraussetzungen für einen Ausgleich einer Wehrbeschädigung nach § 85 SVG für den Antragsteller nicht mehr vorlägen, da eine Besserung der Gesundheitsstörung eingetreten sei und der Grad der Schädigung nunmehr unter 25 liege. Dem lagen zwei [X.] Stellungnahmen zugrunde, die den Grad der Schädigung mit 10 einstuften. Der Antragsteller hat hiergegen Beschwerde eingelegt, die bislang noch nicht beschieden wurde.

Die Beratende Ärztin des [X.] wiederholte am 10. Juni 2022 ihre Feststellung, dass schwerwiegende persönliche Gründe zugunsten des Antragstellers nicht vorlägen. Dieser Ansicht schloss sich die Beratende Ärztin des [X.] an. Letztere führte insbesondere aus, die Knieverletzung hindere den Antragsteller nicht daran, Auto zu fahren. Er sei nicht als schwerbehindert eingestuft, da bei ihm lediglich ein Grad der Schädigung von 10 festgelegt worden sei. Die psychotherapeutische Behandlung könne wegen ihrer vierwöchigen Frequenz auch bei einer Versetzung weiter durchgeführt werden.

Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 5. Juli 2022 legte der Antragsteller Untätigkeitsbeschwerde ein. Das [X.] bat mit Schreiben vom 22. Juli 2022 um Konkretisierung, weil neben der Beschwerde gegen die Versetzung zwei weitere Beschwerden vorlägen. Ferner bat es um Mitteilung, ob das Schreiben als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet werden solle. Eine Stellungnahme des Antragstellers hierzu ist der Akte nicht zu entnehmen. Zu den vom [X.] entworfenen [X.] äußerte die Hauptschwerbehindertenvertretung unter dem 27. September 2022 keine Bedenken. Ein Antrag in der Hauptsache ist dem Senat bislang nicht vorgelegt worden.

Unter Berücksichtigung eines Befunds des Direktors der Unfallchirurgie und Orthopädie des [X.]es ... vom 28. Juli 2022, der eine Versetzung des Soldaten mit einer täglichen Pendelstrecke von 150 km medizinisch nicht befürwortete, hielt die Beratende Ärztin des [X.] am 8. September 2022 nach einer erneuten Prüfung des Sachverhalts an ihrer bisherigen Position fest und verneinte das Vorliegen schwerwiegender persönlicher Gründe.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 14. September 2022 hat der Antragsteller den gegenständlichen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt.

Auch die Beratende Ärztin des [X.] hielt unter dem 23. September 2022 grundsätzlich an ihrer bisherigen Stellungnahme fest, wonach schwerwiegende persönliche Gründe nicht vorlägen. Der Antragsteller sei derzeit nicht als schwerbehindert eingestuft; aktuelle Nachweise seien nicht vorgelegt worden. Die truppenärztlich empfohlene Erhöhung der Frequenz seiner Psychotherapie sei bei seiner jetzigen Therapeutin nicht durchführbar. Wegen des ohnehin notwendigen Therapeutenwechsels stelle eine Versetzung keinen Hinderungsgrund dar. Bei der im September 2022 durchgeführten Kniespiegelung seien ein Knorpelschaden und Läsionen am künstlichen Kreuzband festgestellt worden, die eine zeitnahe Therapie erforderlich machten. Zur Planung der notwendigen medizinischen Maßnahmen werde empfohlen, den Dienstantritt um drei Monate zu verschieben.

Die zwischenzeitlich im [X.] ... und im zivilen Krankenhaus ... erstellten Befunde wurden am 8. Dezember 2022 von der Beratenden Ärztin des [X.] bewertet und an die [X.] im [X.] ... weitergeleitet. Diese empfahl eine stationäre Aufnahme in ... mit direkter Umsetzung im Fall einer [X.]. Eine Entscheidung zur [X.] solle im jetzigen Status nicht erfolgen. Bis zum Abschluss dieser Maßnahme werde empfohlen, den Dienstantritt zu verschieben.

Mit 2. Korrektur der Versetzungsverfügung wurde der Dienstantritt des Antragstellers auf den 1. März 2023 verschoben.

Mit dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz macht der Antragsteller schwerwiegende persönliche Gründe geltend. Aufgrund der Wehrdienstbeschädigung sei ihm ein Pendeln an den 150 km entfernten Dienstort gesundheitlich unzumutbar. Die Möglichkeit zur Telearbeit am neuen Standort ändere daran nichts. Diese sei zunächst lediglich in Aussicht gestellt, jedoch nicht festgelegt worden. Ferner dauere seine psychotherapeutische Behandlung nach aktueller Prognose noch bis 2023 an. Unverständlich sei ihm, inwiefern die unverändert vorliegenden gesundheitlichen Probleme 2017 und 2019 als schwerwiegende persönliche Gründe hätten anerkannt werden können, dies bei einer inzwischen eingetretenen Verstärkung der Gesundheitsschädigung jedoch abgelehnt werde.

Ein Umzug an den neuen Dienstort sei mit der familiären Situation nicht vereinbar. Seine Frau diene am Standort ... im ... Sie befinde sich bis Februar 2023 in einer Mangelverwendung (...) in Ausbildung. Sie verlasse das Haus um 05:45 Uhr und kehre am Nachmittag gegen 17:30 Uhr zurück; bei einer Spätschicht erfolge die Rückkehr erst um 23:30 Uhr. Als Tages- oder [X.] wäre eine Betreuung der gemeinsamen Kinder durch ihn nicht mehr möglich. Bei einer Versetzung sei seine Ehefrau gezwungen, keinen Schichtdienst mehr zu bedienen oder ihre wöchentliche Arbeitszeit zu reduzieren, was einen Karrierenachteil darstelle. Seine Ehefrau wolle weiter in der ... am Standort ... eingesetzt werden. Ein gleichzeitiger Wechsel nach ... scheide insofern aus und risse ferner eine Lücke in die Mangelverwaltung ... Die Begründung eines neuen Lebensmittelpunkts am kostenintensiven Standort ... sei nicht geplant. Die behandelnde Kinderärztin habe erklärt, dass ein Umzug der Familie vor dem Hintergrund zunehmender gesundheitlicher und psychosomatischer Probleme vermieden werden solle. Die [X.] habe ihn am 23. April 2021 schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellt. Insofern sei Nr. 217 i. V. m. Nr. 215 [X.] [X.] 37 nicht beachtet worden, wonach ein [X.] auf ein unumgängliches Maß beschränkt werden müsse. Auch besitze er nicht die fachliche Eignung für den neuen Dienstposten, da er bereits zehn Jahre nicht mehr im Personalwesen der [X.] tätig gewesen sei. Einer Versetzung stehe auch seinem ehrenamtlichen Engagement in der Schulelternsprecherschaft entgegen.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Beschwerde vom 5. Mai 2022 gegen die Versetzungsverfügung des [X.] vom 27. April 2022 anzuordnen.

Das [X.] beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Versetzung sei rechtmäßig. Neben dem Wegfall des Dienstpostens des Antragstellers stelle auch die fehlende Zustimmung seiner Vorgesetzten im Bereich der ... einen unbenannten Regelfall im Sinn der Nr. 205 AR [X.]37 dar, so dass mehrere dienstliche Erfordernisse für eine Versetzung vorlägen. Der Antragsteller könne sich nicht auf schwerwiegende persönliche Gründe berufen. Insbesondere stehe sein Gesundheitszustand nach militärärztlicher Bewertung einer Versetzung derzeit nicht entgegen. Die Betreuung der Kinder sei nicht gefährdet, da diese von seiner Frau gewährleistet werden könne. Dienstliche Einschränkungen seien hinzunehmen, da familieninterne Absprachen nicht zu verbindlichen Vorgaben für den Dienstherrn führen könnten. [X.] würde die Betreuungsproblematik auch durch die in Aussicht gestellte Telearbeit an drei Tagen pro Woche. Weiter stehe dem Antragsteller aufgrund der Zusage der Umzugskostenvergütung frei, nach ... umzuziehen. Die Vorgaben zur Versetzung schwerbehinderter Menschen gleichgestellter Personen nach den [X.]. 215, 217 AR [X.]37 seien nicht verletzt, da die Versetzung wegen des Wegfalls des Dienstpostens im dringenden dienstlichen Interesse erforderlich sei.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat Erfolg.

1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde vom 2. Mai 2022 gegen die Versetzungsverfügung des [X.] vom 25. April 2022 anzuordnen, ist, nachdem das [X.] und damit der Sache nach einen Antrag nach § 3 Abs. 2 [X.] abgelehnt hat, gemäß § 17 Abs. 6 Satz 2 und 3 [X.] zulässig.

2. Der Antrag ist auch begründet.

Der Gesetzgeber hat dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit truppendienstlicher Maßnahmen grundsätzlich den Vorrang vor den persönlichen Belangen des Soldaten eingeräumt (§ 17 Abs. 6 Satz 1 [X.]). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt deshalb nur in Betracht, wenn sich bereits bei summarischer Prüfung durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme ergeben oder dem Soldaten durch deren sofortige Vollziehung unzumutbare, insbesondere nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden (stRspr, vgl. z. B. [X.], Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 [X.] 3.14 - juris Rn. 22 m. w. N.).

Bei summarischer Prüfung bestehen gegen die Versetzungsverfügung des [X.] vom 25. April 2022 durchgreifende rechtliche Bedenken.

[X.] hat keinen Anspruch auf eine bestimmte örtliche oder fachliche Verwendung oder auf eine Verwendung auf einem bestimmten Dienstposten. Ein dahingehender Anspruch lässt sich auch nicht aus der Fürsorgepflicht ableiten. Vielmehr entscheidet der zuständige Vorgesetzte oder die zuständige personalbearbeitende Stelle nach pflichtgemäßem Ermessen über die Verwendung eines Soldaten (stRspr, vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. September 2002 - 1 [X.] 30.02 - [X.] 236.1 § 3 SG Nr. 30 S. 24 und vom 14. Dezember 2017 - 1 [X.] 42.16 - juris Rn. 32). Diese Ermessensentscheidung kann vom Wehrdienstgericht nur darauf überprüft werden, ob der Vorgesetzte oder die personalbearbeitende Stelle den Soldaten durch Überschreiten oder Missbrauch dienstlicher Befugnisse in seinen Rechten verletzt (§ 17 Abs. 3 Satz 2 [X.]) bzw. die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von diesem in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 23a Abs. 2 Satz 1 [X.] i. V. m. § 114 VwGO). Die gerichtliche Überprüfung richtet sich auch darauf, ob die vom [X.] im Wege der Selbstbindung in Verwaltungsvorschriften festgelegten Maßgaben und Verfahrensregeln eingehalten sind (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Februar 2003 - 1 [X.] 57.02 - [X.]E 118, 25 <27>), wie sie sich hier insbesondere aus der Allgemeinen Regelung (AR) [X.]/37 zur "Versetzung, Dienstpostenwechsel und Kommandierung von Soldatinnen und Soldaten" ergeben.

a) Die Versetzungsverfügung ist verfahrensfehlerfrei ergangen.

Gemäß Nr. 211 AR [X.]/37 müssen Soldaten zu den Gründen für beabsichtigte Versetzungen angehört werden und es ist ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen. Von diesem Recht hat der Antragsteller in zwei Stellungnahmen gegenüber seiner personalbearbeitenden Stelle Gebrauch gemacht.

Ob das Beratungsgespräch nach Nr. 206 [X.] stattgefunden hat, ist für die Rechtmäßigkeit der konkreten Versetzung unerheblich. Das Gespräch dient der Information des Schwerbehinderten über seine Rechte, seine Ansprüche auf Nachteilsausgleich und über die Aufgaben und Rechte der Schwerbehindertenvertretung. Die Durchführung des Beratungsgesprächs ist weder nach Nr. 206 [X.] noch nach § 178 [X.] Voraussetzung der Rechtmäßigkeit einzelner [X.]n (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Juni 2022 - 1 [X.] 39.21 - juris Rn. 30).

Die Anhörung des Beteiligungsorgans zu seiner Versetzung gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 1 [X.] hat der Antragsteller ausdrücklich abgelehnt.

Die sechsmonatige Schutzfrist bei Änderungen des [X.] (Nr. 226 Satz 2 AR [X.]/37) - deren Verletzung allerdings ohnehin nur den Zeitpunkt des Dienstantritts, nicht aber die Rechtmäßigkeit der Versetzung als solche berühren würde (stRspr, vgl. zur Vorläufervorschrift der Nr. 602 Satz 1 [X.] [X.], Beschluss vom 26. November 2015 - 1 [X.] 34.15 - juris Rn. 30 m. w. N.) - ist vorliegend gewahrt. Die Schutzfrist begann mit Bekanntgabe der Versetzung am 27. April 2022 (Nr. 226 Satz 3 AR [X.]/37). Fristende ist gemäß Nr. 226 Satz 4 AR [X.]/37 das "Datum der Versetzung". Dabei kommt es nicht auf das Datum, ab dem der Soldat formal auf dem Dienstposten geführt wird, sondern auf das Datum des tatsächlichen Dienstantritts an (vgl. [X.], Beschlüsse vom 9. Dezember 2020 - 1 [X.] 15.20 - [X.] 449 § 3 SG Nr. 110 Rn. 34 und vom 25. Februar 2021 - 1 [X.] 25.20 - juris Rn. 36). Bereits der ursprünglich auf den 1. November 2021 festgesetzte Dienstantritt wahrte damit die Schutzfrist.

Die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 Satz 1 und 2 [X.] erfolgte am 14. April 2022. Es wurden ausdrücklich keine Bedenken gegen die Wegversetzung geäußert, jedoch um Prüfung einer heimatnäheren Verwendung gebeten.

b) Die Versetzungsverfügung ist jedoch nach summarischer Prüfung materiell-rechtlich zu beanstanden.

aa) Für die Versetzung des Antragstellers besteht zwar ein dienstliches Erfordernis im Sinne der Nr. 204 Buchst. a AR [X.]/37.

Dabei ist für die Frage, ob ein dienstliches Erfordernis besteht, im Ausgangspunkt nicht die Einschätzung des Antragstellers, sondern diejenige des Dienstherrn maßgeblich. Ebenso wenig ist das Gericht befugt, sich über die ihm obliegende Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus an die Stelle der Personalführung zu setzen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. Juni 2020 - 1 [X.] 7.20 - juris Rn. 20 und vom 22. September 2022 - 1 W-VR 14/22 - juris Rn. 23).

Ein dienstliches Erfordernis liegt nach Nr. 205 Buchst. a AR [X.]/37 regelmäßig vor, wenn ein freier Dienstposten zu besetzen ist. Der verfügte Dienstposten im Kommando Heer als [X.] im Referat ... ist frei und zu besetzen. Der Antragsteller ist für den Dienstposten geeignet. Er kann dem Dienstherrn nicht mit Erfolg entgegenhalten, ihm fehle aufgrund einer fast zehnjährigen Verwendung in der Karriereberatung die erforderlichen Kenntnisse in der Personalbewirtschaftung. [X.] wurde dem Antragsteller die Qualifikation [X.] Streitkräfte unbefristet zuerkannt. Eine Aberkennung wurde weder vorgetragen noch ist diese dem [X.] zu entnehmen.

Darüber hinaus besteht ein dienstliches Erfordernis für die (Weg-)Versetzung nach Nr. 205 Buchst. c AR [X.]/37 unter dem Gesichtspunkt, dass der Dienstposten des Antragstellers im Jahr 2019 weggefallen ist und er derzeit auf einer befristeten Beamtenwechselstelle verwendet wird. Für die Zweckmäßigkeit der Streichung des militärischen Dienstpostens und des Erhalts eines Beamtendienstpostens kommt es auf die Entscheidung des [X.] und nicht auf die Einschätzung des Antragstellers an.

bb) Der Antragsteller kann sich nach summarischer Prüfung jedoch auf das Vorliegen eines schwerwiegenden persönlichen Grundes berufen.

Gemäß Nr. 206 AR [X.]/37 kann von einer Versetzung abgesehen werden, wenn schwerwiegende persönliche Gründe vorliegen und vorrangige dienstliche Belange nicht entgegenstehen. Nach Nr. 207 Buchst. d AR [X.]/37 kann ein schwerwiegender persönlicher Grund darin liegen, dass durch eine Versetzung wegen der Eigenart des Dienstes die Betreuung eines mit dem Soldaten in häuslicher Gemeinschaft lebenden Kindes unter 14 Jahren nicht sichergestellt werden kann, weil weitere Betreuungspersonen nicht zur Verfügung stehen.

Derzeit leben zwei Kinder unter 14 Jahren (4 und 12 Jahre) sowie ein weiteres Kind im Alter von 14 Jahren im Haushalt des Antragstellers und seiner Frau und werden von diesen gemeinsam betreut. Die Ehefrau des Antragstellers ist ebenfalls Soldatin am Standort ... Sie befindet sich aktuell im Bereich ... in Ausbildung. Nach dem Vortrag des Antragstellers verlasse sie die Wohnung um 05:45 Uhr und kehre am Nachmittag gegen 17:30 Uhr zurück; bei einer Spätschicht erfolge die Rückkehr erst um 23:30 Uhr. Der Antragsteller macht geltend, dass eine Betreuung der Kinder durch ihn als Tages- oder [X.] nicht mehr möglich wäre. Im Falle seiner Versetzung wäre seine Ehefrau gezwungen, aus dem mit ihrer derzeitigen Verwendung verbundenen Schichtdienst auszuscheiden oder ihre wöchentliche Arbeitszeit zu reduzieren. Durch die in Aussicht gestellte teilweise Telearbeit wird die Betreuungsproblematik nur gemindert, aber nicht gelöst. Ein Umzug der gesamten Familie nach ... [X.] die weitere Ausbildung und Verwendung der Ehefrau in der ... am Standort ...; in Bezug auf die Kinder werde von dem Wohnortwechsel durch die Kinderärztin abgeraten.

Werden für die Begründung eines schwerwiegenden persönlichen Grundes persönliche Belange geltend gemacht, die - wie hier die gemeinsame Betreuung der Kinder durch den Antragsteller und seine Ehefrau - eine gesamte familiäre Situation betreffen, und sind beide Elternteile Soldaten, so gebietet es der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), dass unter dem Blickwinkel der Fürsorgepflicht des Dienstherrn und der Vorgesetzten (§ 10 Abs. 3, § 31 SG) nicht nur die Belange des von der [X.] Betroffenen (hier des Antragstellers), sondern gleichzeitig und gleichermaßen auch die Belange von dessen Ehepartner in die Bewertung und Abwägung eingestellt werden. Die Frage, wie die negativen Rückwirkungen der Versetzung des Antragstellers nach ... aufgefangen werden, ist zwar vorrangig, aber in dieser Konstellation nicht alleine eine innerfamiliäre Privatangelegenheit. Denn die Bedingungen, unter denen die Ehefrau des Antragstellers Dienst leistet (Standortgebundenheit, noch laufende Ausbildung, Schichtbetrieb), sind von demselben Dienstherrn gesetzt, der auch die Verwendung des Antragstellers steuert. Wird infolge der Versetzung des Antragstellers die Ausbildung oder weitere Verwendung der Ehefrau am Standort gefährdet oder die Ehefrau gezwungen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder aus dem verwendungstypischen Schichtbetrieb oder der Verwendung in der ... überhaupt auszuscheiden, so fällt dies nicht allein, wie das [X.] meint, in die Risikosphäre des Antragstellers oder seiner Familie, sondern unterliegt auch der Folgenverantwortung und Fürsorgepflicht des Dienstherrn der Soldatin.

Bei der Bewertung eines schwerwiegenden persönlichen Grundes sind deshalb in Fällen wie dem vorliegenden die Folgen für den Antragsteller und dessen Ehefrau ganzheitlich zu betrachten und insgesamt in die Abwägung der persönlichen mit den entgegenstehenden dienstlichen Belangen einzustellen. Dies wird in der Regel bedeuten, dass die zuständige personalbearbeitende Stelle des Antragstellers auch die personalbearbeitende Stelle seiner Ehefrau in die Entscheidungsfindung einbezieht.

Aus den vorliegenden Akten und dem Vortrag des [X.] ist nicht erkennbar, dass die Rückwirkungen der Versetzung des Antragstellers auf die künftigen dienstlichen Verhältnisse der Ehefrau und die auch ihr gegenüber bestehende Fürsorgepflicht in der dargelegten Form in die Bewertung eingeflossen sind. Die der Versetzung zugrunde liegende Ermessensausübung stellt sich deshalb insoweit als fehlerhaft dar.

cc) Ob sich auch aus der gesundheitlichen Situation des Antragstellers ein schwerwiegender persönlicher Grund nach Nr. 207 Buchst. a AR [X.]/37 ergibt und ob die Schutzvorschriften für schwerbehinderte oder diesen gleichgestellte (Nr. 217 AR [X.]/37) Personen auf den Antragsteller anzuwenden sind und ggf. beachtet wurden, bedarf aber an dieser Stelle nach dem oben Ausgeführten auch keiner Entscheidung mehr.

3. [X.] beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 [X.].

Meta

1 W-VR 23/22

12.01.2023

Bundesverwaltungsgericht 1. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

Art 6 Abs 1 GG, § 10 Abs 3 SG, § 31 SG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.01.2023, Az. 1 W-VR 23/22 (REWIS RS 2023, 5693)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5693

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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