Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.05.2011, Az. 6 B 1/11

6. Senat | REWIS RS 2011, 6542

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Gegenstand

Erkennungsdienstliche Unterlagen; strafrechtliches Ermittlungsverfahren; Strafverfolgungsvorsorge; Rechtsweg


Leitsatz

Für Klagen gegen die Anfertigung erkennungsdienstlicher Unterlagen als Maßnahme der vorsorgenden Strafrechtspflege nach § 81b 2. Alternative StPO ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

Gründe

1

Die vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG zugelassene weitere [X.]eschwerde ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat für den vorliegenden Rechtsstreit zu Unrecht den Verwaltungsrechtsweg gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG für unzulässig erklärt.

2

Die vorliegende Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung der angegriffenen behördlichen [X.]ntscheidung über die Anfertigung von Unterlagen für Zwecke des [X.] (§ 81b 2. Alternative StPO) begehrt, ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art, für die mangels einer anderweitigen bundesgesetzlichen Regelung der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insbesondere scheidet eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte nach § 23 Abs. 1 des [X.]inführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung vom 16. März 1976 ([X.]) - [X.] - aus. Diese [X.]estimmung weist [X.]ntscheidungen über Anordnungen, Verfügungen oder sonstige Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten u.a. auf dem Gebiet der Strafrechtspflege getroffen werden - die übrigen in § 23 Abs. 1 [X.] genannten Sachgebiete kommen vorliegend von vornherein nicht in [X.]etracht -, den ordentlichen Gerichten zu. Diese Vorschrift erfasst nur Rechtsstreitigkeiten über Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen, die zur Verfolgung einer strafbaren Handlung getroffen worden sind (vgl. Urteile vom 3. Dezember 1974 - [X.]VerwG 1 [X.] 26.72 - [X.] 310 § 40 VwGO Nr. 138 und - [X.]VerwG 1 [X.] 11.73 - [X.]VerwG[X.] 47, 255 ). Dazu gehören aus dem Regelungsbereich des § 81b StPO nur solche - vorliegend nicht im Streit befindliche - Maßnahmen, die nach der ersten Alternative dieser Vorschrift der Durchführung des Strafverfahrens gegen den [X.]etroffenen dienen, nicht dagegen Anordnungen, Verfügungen oder sonstige Maßnahmen, die aufgrund des § 81b 2. Alternative StPO für Zwecke des [X.] und damit nicht für Zwecke der Strafverfolgung ergangen sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] dienen die Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung solcher erkennungsdienstlichen Unterlagen in kriminalpolizeilichen Sammlungen nach ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung - ohne unmittelbaren [X.]ezug zu einem konkreten Strafverfahren - der vorsorgenden [X.]ereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben, die der Kriminalpolizei hinsichtlich der [X.]rforschung und Aufklärung von Straftaten durch § 163 StPO zugewiesen sind (vgl. Urteile vom 19. Oktober 1982 - [X.]VerwG 1 [X.] 29.79 - [X.]VerwG[X.] 66, 192 <195 f.> und vom 23. November 2005 - [X.]VerwG 6 [X.] 2.05 - [X.] 306 § 81b StPO Nr. 4 Rn. 18 m.w.N.; [X.]eschluss vom 12. Juli 1989 - [X.]VerwG 1 [X.] 85.89 - [X.], 117). Auch für den vorliegenden Fall wurde nach den Ausführungen im [X.]eschluss des Verwaltungsgerichtshofs die erkennungsdienstliche [X.]ehandlung der Klägerin gemäß § 81b 2. Alternative StPO nicht wegen des konkret gegen sie eingeleiteten strafrechtlichen [X.]rmittlungsverfahrens wegen Verdachts des Ladendiebstahls am 24. November angeordnet, sondern als Vorsorge für die Durchführung künftiger Strafverfahren ([X.]eschluss S. 5).

3

Während § 81b 1. Alternative StPO mit der ausdrücklichen [X.]enennung der tatbestandlichen Voraussetzung "für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens" der Strafverfolgung dient, soll die [X.]rmächtigung in § 81b 2. Alternative StPO der zukünftigen Durchführung der Strafverfolgung in [X.]ezug auf mögliche spätere oder später bekannt werdende Straftaten zugute kommen. [X.]s handelt sich bei § 81b 2. Alternative StPO nicht um eine Regelung im [X.]ereich der Strafverfolgung, sondern um die [X.]rmächtigung zu Maßnahmen der [X.], die außerhalb konkreter Strafverfahren erfolgen und auf die deshalb die §§ 23 ff. [X.] nicht anwendbar sind (vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl. 2009, Rn. 30 und [X.], in: [X.]/[X.], Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, [X.] Rn. 177). Die dagegen vom Verwaltungsgerichtshof geltend gemachten [X.]inwände überzeugen den Senat nicht.

4

Dem Verwaltungsgerichtshof ist nicht darin zu folgen, dass gegen die Zuordnung von Maßnahmen auf der Grundlage des § 81b 2. Alternative StPO zum Recht der Gefahrenabwehr spreche, dass sie der [X.] dienten. Auch solche Maßnahmen dienen nicht dem Zweck der Verfolgung begangener Straftaten und sind deshalb Instrumente des Polizeirechts. Aus der vom Verwaltungsgerichtshof für seine abweichende Auffassung in Anspruch genommenen Rechtsprechung des [X.] ergibt sich nichts anderes. Der Verwaltungsgerichtshof nimmt insoweit [X.]ezug auf die Rechtsprechung des [X.], nach der auch Maßnahmen, die sich auf künftige Strafverfahren beziehen, der Gesetzgebungskompetenz des [X.] nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unterfallen und dem [X.]gesetzgeber für die Verhütung einer Straftat die Gesetzgebungskompetenz fehlt (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 14. Dezember 2000 - 2 [X.]vR 1741/99 u.a. - [X.][X.] 103, 21 <30 f.> und Urteil vom 27. Juli 2005 - 1 [X.]vR 668/04 - [X.][X.] 113, 348 <368 f. und 370 f.>). Daraus folgt nichts für die hier interessierende Frage des Rechtswegs für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Maßnahmen der [X.]. Dies gilt gleichermaßen für die vom Verwaltungsgerichtshof auch in [X.]ezug genommene Rechtsprechung des [X.], nach der Regelungen über die nachträgliche Sicherungsverwahrung eines verurteilten Straftäters auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt werden können (vgl. [X.], Urteil vom 10. Februar 2004 - 2 [X.]vR 834, 1588/02 - [X.][X.] 109, 190 <211 ff.>). Da die beiden Alternativen des § 81b StPO unterschiedliche Zwecke verfolgen, kann - entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichtshofs - die Zuweisung von Streitigkeiten über Maßnahmen auf der Grundlage des § 81b 2. Alternative StPO an die ordentliche Gerichtsbarkeit auch nicht damit begründet werden, dass für die Anfechtung von Maßnahmen im Sinne der ersten Alternative des § 81b StPO nach § 23 Abs. 1 Satz 1 [X.] die ordentlichen Gerichte zuständig seien und dies für den Streit um die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen "desselben Rechtsgebiets" nicht anders gesehen werden könne.

5

Die Aufbewahrung der erkennungsdienstlichen Unterlagen dient zwar der Strafrechtspflege, erfolgt jedoch außerhalb eines konkreten Strafverfahrens; mithin liegt keine Maßnahme auf dem Gebiet des Strafprozesses vor, und die §§ 23 ff. [X.] sind deshalb nicht anwendbar ([X.], in: [X.]/[X.], Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, [X.] Rn. 177). Schließlich spricht, soweit entsprechende [X.]efugnisse - wie dies meist zutrifft - in den [X.] der Länder geregelt sind, der Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs dafür, hier wie auch sonst bei polizeilichen Gefahrenabwehrmaßnahmen den Rechtsweg gemäß § 40 VwGO für einschlägig anzusehen. Das liegt umso näher, als die entsprechenden [X.]befugnisse nicht für die Staatsanwaltschaft gelten und damit wesentliche Gründe, welche sonst bei Strafverfolgungsmaßnahmen der Polizei für die [X.]rgreifung des Rechtswegs gemäß § 23 [X.] sprechen, hier entfallen (vgl. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl. 2009, Rn. 427).

6

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Anfechtung über die Verweisung löst ein selbstständiges Rechtsmittelverfahren aus, in dem nach den allgemeinen Vorschriften über die Kosten zu befinden ist (vgl. [X.]eschluss vom 18. Mai 2010 - [X.]VerwG 1 [X.] 1.10 - [X.]VerwG[X.] 137, 52 Rn. 13). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

6 B 1/11

18.05.2011

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 8. Dezember 2010, Az: 8 E 1698/10, Beschluss

§ 40 Abs 1 S 1 VwGO, § 81b Alt 2 StPO, § 23 Abs 1 S 1 GVGEG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.05.2011, Az. 6 B 1/11 (REWIS RS 2011, 6542)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6542

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