Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.07.2014, Az. 3 B 74/13

3. Senat | REWIS RS 2014, 3950

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Betrieb eines Naturbades


Leitsatz

Das in einem Freibad mit biologischer Wasseraufbereitung und ohne Desinfektionsverfahren ("Naturbad") zum Schwimmen und Baden bereitgestellte Wasser ist kein Schwimm- und Badebeckenwasser im Sinne von § 37 Abs. 2 und § 38 Abs. 2 Satz 1 IfSG, sondern sonstiges Wasser im Sinne von § 38 Abs. 2 Satz 3 IfSG.

Gründe

1

Der Kläger ist Einwohner der beklagten [X.]. Er beanstandet seit längerem erfolglos die hygienischen Verhältnisse des - mit Ausnahme des [X.] - ökologisch, das heißt ohne chemische Zusätze aufbereiteten [X.]adewassers im örtlichen Naturbad. Mit seiner Klage verfolgt der Kläger das Ziel, die [X.]eklagte zu verurteilen, die [X.]adeanstalt so zu betreiben, dass eine Schädigung oder Gefährdung seiner Gesundheit nicht zu besorgen ist. Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die [X.]erufung des [X.] mit [X.]eschluss nach § 130a VwGO zurückgewiesen. Die Leistungsklage sei unzulässig, da der Kläger nicht klagebefugt sei. Es sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich, dass ihm der geltend gemachte Anspruch zustehe. Das gelte auch in Ansehung der Vorschriften über die [X.]eschaffenheit von Schwimm- und [X.]adewasser nach dem [X.] ([X.] - [X.]).

2

Die [X.]eschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem [X.]eschluss bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

3

1. [X.] ergibt keinen Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

4

a) Der Kläger rügt zu Unrecht, er sei vor Ergehen der angegriffenen Entscheidung nicht gemäß § 86 Abs. 3 VwGO darauf hingewiesen worden, dass ein Einschreiten der [X.]ehörde nach § 39 Abs. 2 [X.] im Wege der Verpflichtungsklage zu verfolgen gewesen wäre. Das Schreiben vom 24. Juli 2013, mit dem der Kläger zur Frage einer Entscheidung über die [X.]erufung durch [X.]eschluss nach § 130a VwGO angehört worden ist (§ 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO), enthält diesen Hinweis (vgl. [X.]. 297 der Gerichtsakte).

5

b) Der Einwand, das [X.]erufungsgericht habe den Sachverhalt unrichtig und unvollständig aufgeklärt und damit gegen § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, greift ebenfalls nicht durch.

6

Die [X.]eschwerde stützt sich darauf, dass nach der Rechtsauffassung des [X.] ausnahmsweise ein [X.] Anspruch auf ein Einschreiten der [X.]ehörde nach § 39 Abs. 2 [X.] bestehen könne, wenn von dem [X.]etrieb des [X.] eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für die menschliche Gesundheit ausgehe. Der Kläger meint, das Gericht hätte nicht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens annehmen dürfen, dass für eine solche Gefahrenlage nichts ersichtlich sei. Hiermit zeigt er keinen Verfahrensfehler auf, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Das Oberverwaltungsgericht hat eine Klagebefugnis aus § 39 Abs. 2 [X.] selbständig tragend damit verneint, dass der Kläger ein Einschreiten der [X.]eklagten nach § 39 Abs. 2 [X.] nicht begehrt habe und dies außerdem nicht im Wege einer Leistungs-, sondern einer Verpflichtungsklage zu verfolgen wäre. [X.]ei solchen Mehrfachbegründungen kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der [X.]egründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr; vgl. [X.]eschlüsse vom 27. Januar 2014 - [X.]VerwG 3 [X.] 24.13 - juris Rn. 3 und vom 1. August 2011 - [X.]VerwG 7 [X.] 2.11 - juris Rn. 4 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben. Die [X.]eschwerde rügt zu Unrecht, das Oberverwaltungsgericht hätte den Klageantrag als ein auf behördliches Einschreiten nach § 39 Abs. 2 [X.] gerichtetes Verpflichtungsbegehren auslegen müssen. Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Es hat vielmehr das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln. Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel ([X.]eschlüsse vom 25. Juni 2009 - [X.]VerwG 9 [X.] 20.09 - [X.]uchholz 310 § 88 VwGO Nr. 37 Rn. 2 und vom 17. Dezember 2009 - [X.]VerwG 6 [X.] 30.09 - [X.]uchholz 310 § 88 VwGO Nr. 38 Rn. 3). Ist der Kläger bei der Fassung des [X.] wie hier anwaltlich vertreten worden, kommt der Antragsformulierung eine gesteigerte [X.]edeutung für die Ermittlung des tatsächlich Gewollten zu ([X.]eschluss vom 12. März 2012 - [X.]VerwG 9 [X.] 7.12 - juris Rn. 6). Gemessen daran ist nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht von einer Leistungsklage ausgegangen ist. Der im [X.]erufungsschriftsatz vom 4. Oktober 2011 formulierte Klageantrag (vgl. [X.]. 147 der Gerichtsakte) bringt eindeutig ein Leistungs- und kein Verpflichtungsbegehren zum Ausdruck ("zu verurteilen"). Im Einklang damit wird die [X.]erufungsbegründung damit eingeleitet, dass "die Klage als allgemeine Leistungsklage zulässig" sei. Für die Auslegung als Leistungsklage spricht zudem, dass der Klageantrag auf die Aufgaben und Pflichten der [X.]eklagten als [X.]etreiberin des [X.] abhebt und nicht auf mögliche Eingriffsbefugnisse als Aufsichts- und Überwachungsbehörde. Dazu passt, dass sich die [X.]erufungsbegründung nicht mit § 39 Abs. 2 [X.] befasst. Schließlich ist der Kläger in seiner Stellungnahme zum [X.] vom 24. Juli 2014 nicht der darin mitgeteilten Rechtsauffassung des [X.] zur Auslegung seines Klagebegehrens entgegengetreten (vgl. [X.]. 306 ff. der Gerichtsakte).

7

2. Die Revision ist auch nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

8

Grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache dann, wenn für die angegriffene Entscheidung eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von [X.]edeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und die zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Einer Rechtssache kommt jedoch nicht schon deshalb grundsätzliche [X.]edeutung zu, weil zu ihr noch keine ausdrückliche Entscheidung des [X.]undesverwaltungsgerichts vorliegt; auch in einem solchen Fall fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit, wenn sich die Rechtsfrage durch Auslegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften anhand der anerkannten [X.] ohne weiteres beantworten lässt oder durch die bisherige Rechtsprechung als geklärt angesehen werden kann (vgl. etwa [X.]eschlüsse vom 26. Oktober 2004 - [X.]VerwG 3 [X.] 63.04 - juris Rn. 12 und vom 19. Dezember 2012 - [X.]VerwG 3 [X.] 45.12 - juris Rn. 15).

9

a) Danach verleiht die vom Kläger aufgeworfene Frage,

"ob Wasser eines [X.] mit einem '[X.]ecken` Schwimm- und [X.]adebeckenwasser im Sinne des § 37 Abs. 2 [X.] oder sonstiges Wasser im Sinne des § 38 Abs. 2 S. 3 [X.] darstellt",

der Rechtssache keine grundsätzliche [X.]edeutung. Sie wäre im angestrebten Revisionsverfahren in dieser Allgemeinheit nicht klärungsfähig. Nach § 37 Abs. 2 [X.] muss Schwimm- oder [X.]adebeckenwasser in Gewerbebetrieben, öffentlichen [X.]ädern sowie in sonstigen nicht ausschließlich privat genutzten Einrichtungen so beschaffen sein, dass durch seinen Gebrauch eine Schädigung der menschlichen Gesundheit, insbesondere durch Krankheitserreger, nicht zu besorgen ist. Mit dem [X.]egriff des Schwimm- oder [X.]adebeckenwassers in öffentlichen [X.]ädern werden die herkömmlichen Schwimm- und [X.]adebereiche in Frei- und Hallenbädern erfasst, bei denen das Wasser kontinuierlich im Kreislauf aufbereitet (gereinigt) und (z.[X.]. mittels Chlor) desinfiziert wird. Davon grenzt § 38 Abs. 2 Satz 3 [X.] sonstiges Wasser ab, das in Gewerbebetrieben, öffentlichen [X.]ädern sowie in sonstigen nicht ausschließlich privat genutzten Einrichtungen zum Schwimmen oder [X.]aden bereitgestellt wird. Die Unterscheidung knüpft daran an, dass in den vergangenen Jahren zunehmend künstlich angelegte Schwimm- und [X.]adeteichanlagen öffentlich oder gewerblich bereitgestellt und genutzt worden sind, bei denen die Wasseraufbereitung durch natürliche Reinigungsprozesse und durch Filtration, aber ohne Verwendung von Desinfektionsmitteln vorgenommen wird (vgl. die amtliche [X.]egründung zum Entwurf eines [X.] seuchenrechtlicher Vorschriften , [X.]TDrucks 14/2530 S. 79 f.). Entsprechend hat das [X.] (§ 40 [X.]) getrennte Empfehlungen zu den Hygieneanforderungen bei Schwimm- und [X.]adebeckenwasser einerseits und bei Schwimm- und [X.]adeteichwasser andererseits herausgegeben ("Hygieneanforderungen an [X.]äder und deren Überwachung - Empfehlung des [X.]es nach Anhörung der Schwimm- und [X.]adebeckenwasserkommission des [X.]undesministeriums für Gesundheit <[X.]MG> beim [X.]", [X.]undesgesundheitsblatt 2014, [X.] sowie "Hygienische Anforderungen an Kleinbadeteiche ", [X.]undesgesundheitsblatt 2003, S. 527; zur Abgrenzung siehe auch den Entwurf einer "Verordnung über die Qualität von Schwimm- und [X.]adebeckenwasser", [X.]RDrucks 748/02 S. 24 ). Für die Einordnung von Wasser als "Schwimm- und [X.]adebeckenwasser" oder als "sonstiges Wasser zum Schwimmen oder [X.]aden" kommt es auf die Gesamtsituation der jeweiligen Anlage an, die im Wesentlichen durch die Art und Weise der Wasseraufbereitung und die bauliche Gestaltung des Schwimm- und [X.]adebereichs geprägt wird (vgl. [X.]ales/[X.]/[X.], [X.], 2. Aufl. 2003, § 38 Rn. 5). Die aufgeworfene Frage lässt sich deshalb nur unter [X.]erücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände abschließend beantworten.

[X.]ezogen auf den hier maßgeblichen Sachverhalt ist die Antwort auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig. [X.]ei einem ausschließlich durch biologisch und physikalisch-technische Maßnahmen (z.[X.]. durch Mikroorganismen und bepflanzte oder verkieste Flachwasserzonen) gereinigtem Wasser eines [X.], das neben dem Schwimm- und [X.]adebereich über eine besondere Regenerationszone zur Wasseraufbereitung verfügt, handelt es sich um "sonstiges" zum Schwimmen oder [X.]aden bereitgestelltes Wasser im Sinne von § 38 Abs. 2 Satz 3 [X.]. Dass der Schwimm- und [X.]adebereich teilweise oder vollständig gemauert oder betoniert worden ist, stellt die Einordnung als künstliche Schwimm- und [X.]adeteichanlage nicht in Frage; denn das Vorhandensein solcher baulicher [X.]eckenelemente vermag an dem Gesamtbild der Anlage als Freibad mit biologischer Wasseraufbereitung nichts zu ändern. Das wird bestätigt durch die Gesetzesmaterialien, wonach auch "[X.]io-[X.]adebecken" vom Anwendungsbereich des § 38 Abs. 2 Satz 3 [X.] erfasst werden (vgl. [X.]TDrucks 14/2530 S. 80; ebenso zu "umgerüsteten [X.]iobecken", also zu [X.] umgebauten Freibädern: Empfehlung der [X.]adewasserkommission des U[X.]A "Hygieneanforderungen an künstliche [X.]ioteiche, die als [X.]adegewässer benutzt werden", [X.]undesgesundheitsblatt 1998, S. 441).

b) Der weiter aufgeworfenen Frage,

"ob das Fehlen von Rechtsverordnungen gem. § 38 Abs. 2 [X.] zur Unanwendbarkeit der §§ 37 Abs. 2, 39 Abs. 2 [X.] führt",

kann der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche [X.]edeutung verleihen. Sie würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Die Vorschrift des § 37 Abs. 2 [X.] kommt hier schon deshalb nicht zum Tragen, weil es sich bei dem Schwimm- und [X.]adebereich des [X.] - wie gezeigt - nicht um "Schwimm- oder [X.]adebeckenwasser" im Sinne der Norm handelt. Die für Schwimm- und [X.]adebecken geltenden Anforderungen an die Wasserbeschaffenheit finden daher keine Anwendung. Es besteht auch keine Regelung, die die Anforderungen des § 37 Abs. 2 [X.] auf sonstiges Wasser im Sinne von § 38 Abs. 2 Satz 3 [X.] erstreckt (vgl. [X.]TDrucks 14/2530 S. 80; [X.]ales/[X.]/[X.], a.a.O. § 37 Rn. 11 und § 38 Rn. 5; U[X.]A, a.a.O., [X.]undesgesundheitsblatt 2014, S. 259).

Soweit die Frage auf § 39 Abs. 2 [X.] abhebt, ergibt sich ebenfalls kein grundsätzlicher Klärungsbedarf. Das Oberverwaltungsgericht hat die Ablehnung einer Klagebefugnis aus § 39 Abs. 2 [X.], wie bereits ausgeführt, selbständig tragend damit begründet, dass der Kläger ein entsprechendes Einschreiten der [X.]eklagten nicht begehrt habe. Hiergegen hat die [X.]eschwerde keinen durchgreifenden Zulassungsgrund geltend gemacht.

Meta

3 B 74/13

18.07.2014

Bundesverwaltungsgericht 3. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 9. Oktober 2013, Az: 13 A 2354/10, Beschluss

§ 37 Abs 2 IfSG, § 38 Abs 2 S 1 IfSG, § 38 Abs 2 S 3 IfSG, § 39 Abs 2 IfSG, § 88 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.07.2014, Az. 3 B 74/13 (REWIS RS 2014, 3950)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3950

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