Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.03.2021, Az. 2 StR 383/20

2. Strafsenat | REWIS RS 2021, 7322

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Gegenstand

Verständigung im Strafverfahren: Belehrungspflicht vor Zustandekommen einer Verständigung


Tenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. März 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]wegen „gemeinschaftlicher“ versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe sowie wegen tatmehrheitlich hierzu begangener gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Den Angeklagten [X.]hat es wegen „gemeinschaftlicher“ versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Außerdem hat es [X.] getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen haben jeweils mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

2

1. Den von beiden Angeklagten zulässig erhobenen Verfahrensrügen der Verletzung von § 257c Abs. 5 StPO liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

3

Der Vorsitzende teilte - nach telefonischen Vorgesprächen mit der Staatsanwaltschaft und einem Verteidiger - in der Hauptverhandlung vom 26. März 2020 als vorläufiges Beratungsergebnis der [X.] unter anderem mit, dass die bisherige Beweisaufnahme hinsichtlich des Angeklagten [X.]gewichtige Indizien ergeben habe, dass dieser eine Tötung nicht billigend in Kauf genommen habe, und zudem keine belastbaren Umstände ersichtlich seien, die für eine jedenfalls konkludente Mittäterschaft des Angeklagten [X.]bezüglich der Schüsse des Angeklagten [X.]sprächen. Am darauffolgenden Sitzungstag gab die [X.] einen [X.] bekannt, mit dem dem Angeklagten [X.]unter im Einzelnen aufgeführten Bedingungen eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen drei Jahren und drei Jahren und sechs Monaten und dem Angeklagten [X.]eine Freiheitsstrafe zwischen zwei Jahren und sechs Monaten und drei Jahren und zudem die Aufhebung der Haftbefehle in Aussicht gestellt wurden. Den Verteidigern und den Angeklagten wurde Gelegenheit gegeben, ihre Verteidigung mit Blick auf den [X.] einzurichten und sich zum [X.] zu äußern. In Anbetracht des vom [X.] zur Bedingung der Verständigung gemachten „angemessenen“ [X.] kam es im weiteren Verlauf der Verhandlung zur Übergabe von 10.000 € an den Nebenkläger, der den ihm in der Hauptverhandlung übergebenen Betrag entgegen- und die Entschuldigung der Angeklagten annahm. Anschließend stimmten beide Angeklagte nach Rücksprache mit ihren Verteidigern sowie die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft der Verständigung zu.

4

Erst danach belehrte der Vorsitzende die Angeklagten erstmals gemäß § 257c Abs. 4 und 5 StPO. Die Verteidiger der Angeklagten gaben sodann eine Erklärung zur Sache ab, die von den Angeklagten jeweils als richtig bestätigt wurden.

5

2. Die Rüge ist begründet. Der von den Angeklagten gerügte Rechtsfehler liegt vor. Denn der Vorsitzende der [X.] hätte die Angeklagten bereits bei Unterbreitung des [X.]s über die in § 257c Abs. 4 StPO geregelte Möglichkeit eines Entfallens der Bindung des Gerichts an die Verständigung belehren müssen. Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen nach § 257c Abs. 5 StPO über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist (vgl. hierzu [X.] 133, 168, 237; [X.] NStZ 2014, 721; [X.], Beschlüsse vom 10. Februar 2015 - 4 StR 595/14, [X.], 358, 359; vom 11. Mai 2016 - 1 [X.], [X.], 111 mwN, und vom 8. November 2018 - 4 [X.], [X.], 169).

6

Die Geständnisse der Angeklagten und damit auch das Urteil beruhen auf dem Verstoß gegen die [X.] (§ 337 Abs. 1 StPO). Der [X.] kann die Ursächlichkeit des [X.] für das Geständnis nicht ausnahmsweise ausschließen. Die Angeklagten haben die ihnen zur Last gelegte Tat auf der Grundlage der Verständigung eingeräumt. Hierauf hat die [X.] die Verurteilung gestützt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass den Angeklagten die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindungswirkung bei Abgabe ihrer Geständnisse bekannt waren (vgl. [X.], Beschluss vom 8. August 2019 - 1 StR 295/19, NStZ-RR 2019, 385), bestehen nicht. Der Umstand, dass die Angeklagten noch vor Abgabe ihrer Geständnisse belehrt worden sind, ändert an dieser Beurteilung nichts (zu dieser Fallkonstellation [X.], Beschluss vom 8. November 2018 - 4 [X.], [X.], 169). Denn es ist nicht auszuschließen, dass die Angeklagten davon ausgegangen sind, an ihre erklärte Zustimmung gebunden zu sein. Eine „qualifizierte“ Belehrung, mit der sie darauf hingewiesen worden wären, dass sie an ihre erklärte Zustimmung nicht gebunden seien und diese folgenlos noch einmal überdenken könnten, ist nicht erfolgt.

[X.]     

        

Krehl     

        

Eschelbach

        

Zeng     

        

Meyberg     

        

Meta

2 StR 383/20

30.03.2021

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Frankfurt, 30. März 2020, Az: 5/21 Ks 14/19

§ 257c Abs 4 StPO, § 257c Abs 5 StPO, § 337 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.03.2021, Az. 2 StR 383/20 (REWIS RS 2021, 7322)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7322

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