Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.08.2023, Az. 2 StR 164/23

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 6793

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Gegenstand

Belehrung des Angeklagten über Entfall der Bindungswirkung an getroffene Verständigung nach Aussetzung der Hauptverhandlung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. Dezember 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer [Menge] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt“ und eine [X.] getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Rüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren beziehungsweise einer Verletzung der § 257c Abs. 5 [X.] entsprechenden [X.] Erfolg.

2

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

3

Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung fand am 20. Juni 2022 ein Erörterungstermin statt, an dem die verhandlungsleitende Richterin der [X.], die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und einer der beiden Verteidiger des Angeklagten teilnahmen. Nach Erörterung des Verfahrensgegenstandes und des Hinweises der Richterin, dass weder die Frage einer möglichen Unterbringung nach § 64 StGB noch diejenige der Einziehung Gegenstand einer Verständigung sein könnten, kündigte der anwesende Verteidiger an, dass nach Rücksprache mit dem Angeklagten und dem weiteren Verteidiger eine geständige Einlassung im Sinne der Anklage geplant sei. Nach weiterer Erörterung erklärte die Staatsanwältin, dass nach aktueller Aktenlage keine Anhaltspunkte für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ersichtlich seien und nur unter der Prämisse einer umfassenden geständigen Einlassung ein Strafrahmen zwischen sechs Jahren und neun Monaten und sieben Jahren und sechs Monaten denkbar sei. Die Richterin teilte mit, dies stelle aus ihrer Sicht den denkbar untersten Rand einer tat- und schuldangemessenen Strafe dar. Der Verteidiger erklärte, dass gleichwohl weiterhin eine geständige Einlassung geplant sei, und er sich zeitnah wegen der Fortführung der [X.] melden werde.

4

In der am 30. August 2022 erstmals begonnenen Hauptverhandlung wurde ein Vermerk über das Verständigungsgespräch vom 20. Juni 2022 verlesen, selbiges protokolliert und der Inhalt des Vermerks durch eine Bezugnahme auf die Fundstelle in den Akten im [X.] dokumentiert. Anschließend kam es zu einer Verständigung, in deren Folge sich der Angeklagte vollumfänglich geständig zur Sache einließ. Diese Hauptverhandlung musste später ausgesetzt werden.

5

In der am 11. Oktober 2022 neuerlich begonnenen Hauptverhandlung führte die Vorsitzende nach Verlesung der Anklageschrift und der Feststellung zur Zulassung derselben aus, dass am 20. Juni 2021 (gemeint 2022) ein Erörterungstermin im Hinblick auf eine Verständigung stattgefunden habe. Das [X.] vom 20. Juni 2022 wurde neuerlich verlesen und selbiges im [X.] unter Bezugnahme auf die Fundstelle in den Akten dokumentiert. Danach wies sie den Angeklagten darauf hin, dass es ihm freistehe, sich zur Anklage zu äußern oder nicht auszusagen. Die Beteiligten erhielten Gelegenheit zu dem verlesenen [X.] Stellung zu nehmen, wovon sowohl die Vertreterin der Staatsanwaltschaft wie auch die Verteidigung Gebrauch machten. Nach Beratung unterbreitete die [X.] den Verfahrensbeteiligten anschließend einen [X.] dahingehend, dass die [X.] für den Fall eines umfassenden Geständnisses im Sinne der Anklage der Verurteilung einen Strafrahmen von sechs Jahren und neun Monaten bis sieben Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe zugrunde legen werde.

6

Nachdem der Angeklagte gemäß § 257c Abs. 5 [X.] belehrt worden war, stimmten alle Verfahrensbeteiligten dem [X.] zu. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung ließ sich der Angeklagte geständig zur Sache ein.

7

2. Die Rüge hat mit der Angriffsrichtung einer Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren beziehungsweise einer [X.] entsprechend § 257c Abs. 5 [X.] Erfolg.

8

a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Sie genügt dem [X.] des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.].

9

aa) Entgegen der Ansicht des [X.] bedurfte es hierfür nicht der Vorlage des Protokolls der ausgesetzten Hauptverhandlung. Insoweit reicht das ‒ im Übrigen unwidersprochene ‒ Vorbringen der Revision, dass sich der Angeklagte im Zuge der ausgesetzten Hauptverhandlung in Folge der Verständigung geständig eingelassen hat.

bb) Es ist hier auch unschädlich, dass die Revision nicht vorträgt, ob der Angeklagte in der ausgesetzten Hauptverhandlung vor der Verständigung ordnungsgemäß nach § 257c Abs. 5 [X.] belehrt worden war, mithin nach der Rechtsprechung des [X.] keine Pflicht zur Belehrung über die Unverwertbarkeit des Geständnisses bestand (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 17. Februar 2021 ‒ 5 StR 484/20, [X.]St 66, 37, 45 ff.). Denn die Revision stellt dar, dass der Angeklagte weder auf die entfallene Bindungswirkung noch auf die Unverwertbarkeit seines Geständnisses hingewiesen worden ist.

b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet.

aa) In Folge der Aussetzung der Hauptverhandlung ist die Bindungswirkung der getroffenen Verständigung entfallen (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Februar 2021 ‒ 5 StR 484/20, aaO, S. 41; [X.]/[X.]/[X.], 9. Aufl., § 257c Rn. 42d bis 42e). Dies zieht die Unverwertbarkeit des im Vertrauen auf ihren Bestand abgegebenen Geständnisses des Angeklagten in der neuen Hauptverhandlung nach sich (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Februar 2021 ‒ 5 StR 484/20, aaO, S. 42 ff.).

bb) Der [X.] kann offenlassen, ob der Angeklagte qualifiziert über die Unverwertbarkeit seiner vormaligen verständigungsbasierten Einlassung zu informieren war (vgl. [X.], Beschluss vom 24. April 2019 ‒ 1 StR 153/19, [X.], 483; [X.] [X.]/[X.], [X.]., § 257c Rn. 30a; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 66. Aufl., § 257c Rn. 30b; SSW-[X.]/[X.]/[X.], 5. Aufl., § 257c Rn. 124; [X.], NJW 2021, 2445; [X.], NStZ 2021, 572, 574) oder ob es in diesem Fall ausreicht, wenn der Angeklagte lediglich über den Wegfall der Bindungswirkung der getroffenen Verständigung informiert wird, sofern er in der ausgesetzten Hauptverhandlung vor der dortigen Verständigung ordnungsgemäß nach § 257c Abs. 5 [X.] belehrt worden war (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Februar 2021 ‒ 5 StR 484/20, [X.]St 66, 37, 45 ff.; [X.]/[X.]/[X.], aaO), denn es fehlt bereits an dem Hinweis an den Angeklagten durch das Gericht, dass die Bindungswirkung an die getroffene Verständigung durch die erfolgte Aussetzung entfallen war.

c) [X.] und damit das Urteil beruhen auf dem Verstoß gegen die [X.] (§ 337 Abs. 1 [X.]). Der [X.] kann die Ursächlichkeit des [X.] für das Geständnis nicht ausnahmsweise ausschließen.

aa) Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegten Taten auf der Grundlage der Verständigung eingeräumt. Hierauf hat die [X.] die Verurteilung gestützt.

bb) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass dem Angeklagten die Voraussetzungen für den Wegfall der Bindungswirkung bei Abgabe des Geständnisses bekannt waren (vgl. [X.], Urteil vom 19. März 2013 ‒ 2 BvR 2628/10, [X.]E 133, 168 ff. Rn. 99 und 127; [X.], Beschluss vom 30. März 2021 ‒ 2 [X.], juris Rn. 6; [X.], Beschlüsse vom 15. Dezember 2021 ‒ 6 [X.], juris Rn. 5; vom 21. März 2017 ‒ 5 StR 73/17, juris Rn. 6), sind nicht erkennbar. Dass der Angeklagte angesichts des wiederholt verlesenen Vermerks über das [X.] vom 20. Juni 2022 und der erneuten [X.] in der Hauptverhandlung vom 11. Oktober 2022 ‒ wie der [X.] meint ‒ hinreichend informiert war, dass die Verständigung in dem ausgesetzten Verfahren in der neu begonnenen Hauptverhandlung keine Bindungswirkung mehr entfaltete, kann der [X.] nicht zweifelsfrei annehmen. Der Neubeginn der Hauptverhandlung brachte es mit sich, dass alle Verfahrensschritte wiederholt werden mussten, ohne dass dies aus Sicht des Angeklagten den Rückschluss erlaubte, dass damit deren materielle Wirksamkeit entfallen war. Allein die Wiederholung der Verständigung konnte daher seine autonome Entscheidung über eine Zustimmung zu einer neuerlichen Verständigung und sein anschließendes Geständnis nicht sichern.

3. Im Hinblick auf die gegebenenfalls neu zu treffende [X.] verweist der [X.] zunächst auf die Zuschrift des [X.]. Angesichts des erklärten Verzichts des Angeklagten auf verschiedene Vermögensgegenstände wird das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht festzustellen haben, ob und gegebenenfalls wie die Staatsanwaltschaft als maßgeblicher Erklärungsempfängerin auf das Übereignungsangebot des Angeklagten reagiert hat (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 6. Februar 2019 ‒ 5 [X.], juris Rn. 6 ff.). Es ist denkbar, dass sie die angebotene Leistung an [X.] statt (§ 364 Abs. 1 BGB) oder erfüllungshalber angenommen hat. Die unterschiedlichen Rechtswirkungen einer solchen Willenserklärung können den gegebenenfalls bei der [X.] gemäß § 73e Abs. 1 StGB zu berücksichtigenden Abzugsbetrag beeinflussen.

Ri[X.] Dr. Appl
ist an der
Unterschriftsleistung
gehindert.

  

Krehl     

  

Zeng

Krehl

  

  

  

  

  

     Grube     

  

[X.]     

  

Meta

2 StR 164/23

17.08.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kassel, 20. Dezember 2022, Az: 9 KLs 8801 Js 45353/20

§ 243 Abs 4 S 1 StPO, § 257c Abs 5 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.08.2023, Az. 2 StR 164/23 (REWIS RS 2023, 6793)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6793

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 484/20

5 StR 73/17

5 StR 560/18

6 StR 528/21

2 StR 383/20

2 BvR 2628/10

1 StR 153/19

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