Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.08.2011, Az. 3 StR 120/11

3. Strafsenat | REWIS RS 2011, 4170

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Gegenstand

Beweiswürdigung im Strafurteil wegen Mordes: Nichterwähnung eines Beweismittels


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 3. November 2010 aufgehoben, soweit ein [X.] unterblieben ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Dessen Revision rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Das Rechtsmittel hat nur den aus der Urteilsformel ersichtlichen geringen Teilerfolg.

2

1. Keinen Bestand hat das Urteil, soweit ein Ausspruch über die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe unterblieben ist (§ 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 StGB).

3

Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte am 5. Juni 2008, somit nach Begehung der hier abgeurteilten Tat, wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ob diese Strafe nachträglich in die - in diesem Falle als Gesamtstrafe zu verhängende - lebenslange Freiheitsstrafe einzubeziehen ist, hat das [X.] nicht geprüft. Der [X.] kann eine Entscheidung nach § 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 StGB auch nicht gemäß § 354 Abs. 1 [X.] nachholen, denn das Urteil verhält sich nicht zu der bestimmten Bewährungszeit. Sollte die zeitige Freiheitsstrafe danach zum Zeitpunkt des ersten hier ergangenen tatrichterlichen Urteils bereits erledigt gewesen sein, käme deren Einbeziehung in eine lebenslange Freiheitsstrafe nicht mehr in Betracht; vielmehr hätte der Tatrichter die Gewährung eines Härteausgleichs nach der sog. [X.] zu prüfen ([X.], Beschluss vom 20. Januar 2010 - 2 StR 403/09, [X.]St 55, 1).

4

2. Das weitergehende Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet. Ergänzend bemerkt der [X.]:

5

a) Die auf § 261 [X.] gestützte Rüge, das [X.] habe bei der Würdigung der Beweise den laut Protokoll gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 [X.] verlesenen Vermerk über eine polizeiliche Vernehmung des verstorbenen Zeugen S.     vom 8. März 1983 nicht erörtert, bleibt ohne Erfolg.

6

Zwar verpflichtet § 261 [X.] den Tatrichter, alle in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise erschöpfend zu würdigen und dem Urteil zu Grunde zu legen, sofern dem nicht ausnahmsweise ein Beweisverwertungsverbot entgegensteht ([X.], [X.], 54. Aufl., § 261 Rn. 6). Bleibt ein Beweismittel unerwähnt, ist hieraus aber nicht zu schließen, dass es übersehen worden ist, denn die Darstellung der Beweiswürdigung im Urteil dient nicht dazu, für alle Sachverhaltsfeststellungen einen Beleg zu erbringen oder mitzuteilen, welche Beweise in der Hauptverhandlung erhoben worden sind ([X.] aaO § 267 Rn. 12 f. mwN). Wegen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur erschöpfenden Würdigung der Beweise lückenhaft und damit rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung deshalb nur dann, wenn das (etwa wie hier durch das Protokoll nachgewiesene) Ergebnis der Beweiserhebung eine andere Möglichkeit des Tathergangs nahe legt.

7

Nach diesen Maßstäben brauchte sich das [X.] mit der Aussage des Zeugen S.      nicht auseinanderzusetzen, denn sie deutet allenfalls entfernt auf die Möglichkeit hin, [X.]     habe sich freiwillig auf sexuelle Kontakte zu dem ihr bis dahin fremden Angeklagten und unter den festgestellten äußeren Umständen eingelassen. Die Angaben des Zeugen, [X.]    habe ihm gegenüber "ein übersteigertes sexuelles Verhalten gezeigt" und erkennen lassen, dass sie "bereits weitergehende Erfahrungen gemacht hatte", beruhen in erster Linie auf der persönlichen Bewertung einer sehr kurzen Beziehung, die er als ihr früherer Gitarrenlehrer mit ihr eingegangen war. Tragfähige Rückschlüsse auf das Verhalten von [X.]       bei zufälligen Begegnungen mit Dritten, die das von der Mutter, der Zeugin D.      , und der Freundin, der Zeugin [X.], gezeichnete Persönlichkeitsbild erschüttern könnten, lassen sich daraus nicht ziehen.

8

b) Die Beweiswürdigung des [X.]s trägt noch die Feststellung, der Angeklagte habe das Tatopfer jedenfalls auch getötet, um eine andere Straftat zu verdecken (§ 211 Abs. 2 StGB).

9

aa) Der Angeklagte und die damals 21-jährige  [X.]       hielten sich in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1981 auf einer von der Kreisstraße [X.] zwischen [X.]       und [X.].        abgehenden Feldzufahrt auf. Der Angeklagte entschloss sich, dort an [X.]      gegen ihren Willen  sexuelle Handlungen vorzunehmen. Entweder veranlasste er sie durch Androhung körperlicher Gewalt, sich selbst zu entkleiden, oder er strangulierte sie bis zur Bewusstlosigkeit oder Widerstandsunfähigkeit, um ihr dann die Kleidung auszuziehen. Ob der Angeklagte danach tatsächlich sexuelle Handlungen an [X.]       vornahm, hat das [X.] nicht feststellen können. Aus ebenfalls nicht näher feststellbarem Anlass, aber ohne vorangegangene Provokation ihrerseits, fasste der Angeklagte schließlich den Entschluss, [X.]     zu töten, und stach hierzu mit einem Messer von mindestens 8 cm  Klingenlänge fortgesetzt auf ihren Oberkörper ein. Er handelte dabei "zumindest auch zur Verdeckung seines vorausgegangenen Verhaltens, welches zur [X.] führte". Von Messerstichen des Angeklagten getroffen versuchte [X.]      , über einen an der Feldzufahrt entlangführenden Wassergraben zu entkommen, rutschte aber von der gegenüberliegenden Böschung in den Graben zurück, wo sie in gekrümmter Bauchlage liegen blieb und schließlich verstarb. Zwei der ihr vom Angeklagten zugefügten insgesamt 63 Stichverletzungen - ein Durchstich des Herzens und eine Durchtrennung der Brustschlagader - waren jede für sich tödlich. Nach dem Stich durch das Herz hätte sich [X.]       noch zwei bis drei Minuten bewegen können, während die Durchtrennung der Brustschlagader mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sofortige Bewegungsunfähigkeit zur Folge hatte. Den die Brustschlagader durchtrennenden Stich führte der Angeklagte ebenso wie 43 weitere, teils noch postmortale Stiche gegen den Rücken des Opfers; das Bild der hierdurch entstandenen Verletzungen lässt darauf schließen, dass es sich dabei in einer verhältnismäßig ruhigen Bauchlage befand.

bb) Zutreffend geht das [X.] davon aus, dass die (alternativ) festgestellten, zur [X.] führenden Tathandlungen des Angeklagten eine andere Straftat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB darstellen. Zwar bewertet es dieses Geschehen rechtlich unzutreffend als (vollendete) sexuelle Nötigung nach § 178 StGB aF, denn sexuelle Handlungen des Angeklagten an [X.]       konnte es gerade nicht feststellen. Jedoch hat sich der Angeklagte dadurch, dass er [X.]     entweder durch körperliche Gewalt dazu zwang, ein Entkleiden zu dulden, oder sie durch entsprechende Drohungen veranlasste, sich selbst zu entkleiden, zumindest einer Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht. Dass er damit zugleich versucht hat, sein Opfer sexuell zu nötigen (§ 22 StGB), liegt nach dem festgestellten Geschehensablauf zwar nahe, kann indes offen bleiben.

cc) Zwar verhält sich das [X.] bei der Würdigung der Beweise nicht ausdrücklich dazu, auf welcher tatsächlichen Grundlage es zu der Feststellung gelangt ist, der Angeklagte habe [X.]       leitend auch in der Absicht getötet, diese Straftat zu verdecken. Hierin liegt indes kein durchgreifender Rechtsfehler, denn nach dem Gesamtzusammenhang des Urteils erscheinen andere die Tat bestimmende Beweggründe des Angeklagten nur als theoretische Möglichkeiten, die so weit entfernt liegen, dass sich deren Erörterung nicht aufgedrängt hat. [X.] (oben a) stellt das [X.] fest, dass [X.]       zu sexuellen Handlungen nicht bereit war und sich nicht freiwillig entkleidet hat. Eine Tötung im Affekt schließt das [X.] sachverständig beraten trotz der Vielzahl der Messerstiche aus; ein die Tat [X.] Verhalten des Opfers hält es ersichtlich für persönlichkeitsfremd. Hinzu kommt, dass der Angeklagte [X.]       im Verlauf des Tatgeschehens zunächst stranguliert hat; die überwiegende Zahl der Stiche fügte er ihr erst zu, als sie bei ihrem Versuch, zu entkommen, verletzungsbedingt in eine Bauchlage gekommen war.

VRi[X.] [X.] befindet
sich im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.

[X.]     

von Lienen

[X.]

     Mayer     

Menges     

Meta

3 StR 120/11

04.08.2011

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stade, 3. November 2010, Az: 10a Ks 151 Js 24525/08 (1/09), Urteil

§ 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.08.2011, Az. 3 StR 120/11 (REWIS RS 2011, 4170)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4170

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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