Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.09.2017, Az. 2 B 14/17

2. Senat | REWIS RS 2017, 5227

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Reichweite der gesetzlich angeordneten Bindungswirkung eines Strafurteils; Anforderungen an Beweiswürdigung bei einem einzigen Belastungszeugen


Gründe

1

[X.]ie allein auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 41 [X.] BE, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten ist unbegründet.

2

1. [X.]er 1967 geborene Beklagte trat 1990 in den Polizeidienst des [X.] ein und war dort zuletzt als Polizeimeister (Besoldungsgruppe [X.]) beschäftigt. [X.]urch 2011 rechtskräftig gewordenes Urteil des [X.] wurde der Beklagte u.a. wegen in der [X.] zwischen Januar und Oktober 2006 begangener vorsätzlicher Körperverletzung in sechs Fällen zum Nachteil seiner damaligen Ehefrau zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

3

Im parallel durchgeführten [X.]isziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. [X.]ie dagegen erhobene Berufung hat das Oberverwaltungsgericht als unbegründet zurückgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt: [X.]ie tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftig gewordenen Strafurteils entfalteten Bindungswirkung. [X.]ie Schwere des außerdienstlichen [X.]ienstvergehens, das einen Bezug zum Statusamt des Beklagten als Polizeibeamten aufweise, indiziere die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Für vorsätzliche Körperverletzungsdelikte, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden, seien nach dem abstrakten Strafrahmen sämtliche Maßnahmen bis hin zur [X.] eröffnet. Aufgrund der Anzahl und [X.]auer der vom Beklagten in einem [X.]raum vom einem dreiviertel Jahr wiederholt und mit steigender Intensität begangenen Straftaten sei der Orientierungsrahmen auszuschöpfen. [X.]abei sei auch zu berücksichtigen, dass die Taten mit erheblichen und langfristigen Folgen für das Opfer (Notwendigkeit einer Psychotherapie) verbunden gewesen seien. Milderungsgründe seien nicht gegeben.

4

2. [X.]ie Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

5

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne [X.]urchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4 und vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9). [X.]ie Prüfung des [X.] ist dabei auf die mit der Beschwerde dargelegten Rechtsfragen beschränkt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

6

[X.]ie von der Beschwerde für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage,

"ob Zweifel des [X.]isziplinargerichts an den Feststellungen eines Strafgerichts, die zu einer Verurteilung führen und diese Feststellungen allein auf den Zeugenaussagen einer einzigen Zeugin beruhen, zu einem [X.] oder zu einem Grund der dem Gewicht eines anerkannten [X.]es vergleichbar ist, führen können, der zu einem Abweichen von der [X.] führen kann",

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. [X.]ie aufgeworfene Frage ist nicht entscheidungserheblich und im Übrigen - soweit ihr ein in verallgemeinerungsfähiger Form beantwortbarer Kern entnommen werden kann - in der Rechtsprechung des [X.] geklärt.

7

[X.]as [X.]isziplinargericht hat keine Zweifel an den tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftig gewordenen Strafurteils gehegt. [X.]eshalb kann die gestellte Frage - mangels entsprechender Anhaltspunkte im Berufungsurteil - schon nicht entscheidungserheblich werden. [X.]arüber hinaus wirft die Frage nach der Maßgeblichkeit allein einer vom Gericht für glaubhaft gehaltenen Zeugenaussage für die disziplinare Beurteilung etwaiger Milderungsgründe keine abstrakte Rechtsfrage auf. Sie betrifft vielmehr eine tatrichterliche Würdigung des Einzelfalls, die sich einer rechtsgrundsätzlichen Bewertung entzieht.

8

Nach § 41 [X.] BE i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im [X.]isziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Verwaltungsgericht bindend. [X.]iese Bindungswirkung soll verhindern, dass zu ein- und demselben Sachverhalt unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. [X.]er Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts sowie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung primär den Strafgerichten zu überlassen. [X.]em liegt die Annahme zugrunde, dass tatsächliche Feststellungen, die ein Gericht auf der Grundlage eines Strafprozesses mit seinen besonderen rechtsstaatlichen Sicherungen trifft, eine erhöhte Gewähr der Richtigkeit bieten. [X.]aher haben die Verwaltungsgerichte die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ihrer Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen, soweit die Bindungswirkung reicht. Sie sind insoweit weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Feststellungen zu treffen. [X.]ie Bindungswirkung entfällt nur, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind (stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 [X.] 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 13 und zuletzt Beschluss vom 29. August 2017 - 2 B 76.16 -).

9

[X.]ie Reichweite der gesetzlich angeordneten Bindungswirkung ergibt sich aus deren tragendem Grund: [X.]ie erhöhte Richtigkeitsgewähr der Ergebnisse des Strafprozesses kann nur für diejenigen tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils angenommen werden, die sich auf die Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Strafnorm beziehen. [X.]ie Feststellungen müssen entscheidungserheblich für die Beantwortung der Frage sein, ob der objektive und subjektive Straftatbestand erfüllt ist. Im Falle einer Verurteilung müssen sie diese tragen. [X.]agegen binden Feststellungen nicht, auf die es für die Verurteilung nicht ankommt (BVerwG, Urteile vom 8. April 1986 - 1 [X.] 145.85 - BVerwGE 83, 180 und vom 29. Mai 2008 - 2 [X.] 59.07 - juris Rn. 29; Beschlüsse vom 1. März 2012 - 2 B 120.11 - IÖ[X.] 2012, 127 <129> und vom 9. Oktober 2014- 2 [X.] - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 26 Rn. 11).

[X.]ass das Berufungsgericht die Feststellungen in dem gegen den Beklagten ergangenen und rechtskräftig gewordenen Strafurteil nicht als offensichtlich unrichtig - sondern im Gegenteil als zutreffend - beurteilt hat, obliegt seiner Beweiswürdigung. [X.]ie Beschwerde hält - ohne eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufzuwerfen - das Ergebnis dieser konkreten Beweiswürdigung für fehlerhaft, zeigt aber keinen abstrakten Fehler bei der Beweiswürdigung auf. Für die gerichtliche Beweiswürdigung in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, gilt nach der Rechtsprechung des [X.], dass sich das Tatgericht bewusst sein muss, dass die Aussage der einzigen Belastungszeugin einer besonderen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen ist ([X.], Urteil vom 10. Oktober 2012 - 5 StR 316/12 - NStZ 2013, 57 = juris Rn. 16; vgl. auch [X.], Urteil vom 17. November 1998 - 1 [X.] - [X.]St 44, 256 = juris Rn. 18). Im Übrigen zeigen die von der Beschwerde angeführten Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Zeugenaussage der damaligen Ehefrau des Beklagten keine offenkundige Unrichtigkeit der hierauf beruhenden tatsächlichen strafgerichtlichen Feststellungen auf, sodass es in der Sache nicht zu beanstanden ist, dass sich das Berufungsgericht nicht von den Feststellungen des Strafgerichts gelöst hat.

3. [X.]ie Kostenentscheidung beruht auf § 41 [X.] BE, § 77 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Streitwert für das Beschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil sich die Höhe der Gerichtskosten streitwertunabhängig aus dem Gesetz ergibt (vgl. § 41 [X.] BE, § 78 Satz 1 [X.] i.V.m. Nr. 10 und 62 des als Anlage zu diesem Gesetz erlassenen Gebührenverzeichnisses).

Meta

2 B 14/17

18.09.2017

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 23. November 2016, Az: OVG 80 D 5.13, Urteil

§ 57 Abs 1 S 1 BDG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 18.09.2017, Az. 2 B 14/17 (REWIS RS 2017, 5227)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5227

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