Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.02.2016, Az. 2 B 1/15

2. Senat | REWIS RS 2016, 15548

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Gegenstand

Bindungswirkung strafgerichtlicher Urteile im Disziplinarverfahren


Gründe

1

[X.]ie auf den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

2

[X.]ie 1972 geborene [X.] stand zuletzt als Amtsmeisterin ([X.]esoldungsgruppe [X.]) im [X.]ienst des klagenden [X.]. Seit 1993 war sie immer wieder länger erkrankt. 2005 wurde bei ihr Multiple Sklerose diagnostiziert. Seit August 2009 war sie dauerhaft dienstunfähig erkrankt und wurde mit Ablauf des Monats April 2010 wegen [X.]ienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.

3

Im Juli 2010 wurde die [X.] durch rechtskräftig gewordenes amtsgerichtliches Urteil wegen [X.]etruges in neun Fällen, davon in zwei Fällen im Versuch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur [X.]ewährung ausgesetzt wurde. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte die [X.] von August 2006 bis Juni 2008 in neun Fällen zum Teil mehrere Rezepte - jeweils mit einem [X.]estätigungsvermerk einer Apothekerin - für ein Medikament, das ihr von verschiedenen Ärzten verordnet worden war, ihrer [X.]eihilfestelle und ihrer Krankenversicherung zur Erstattung vorgelegt, obwohl sie jeweils das Medikament nicht erhalten und den Kaufpreis nicht gezahlt hatte. [X.]ie [X.]eihilfestelle forderte von der [X.]n den [X.]etrag von 6 668 € zurück und schloss mit ihr eine Ratenzahlungsvereinbarung ab. Eine entsprechende Ratenzahlungsvereinbarung besteht mit der Krankenversicherung.

4

Auf die [X.]isziplinarklage des Klägers hat das Verwaltungsgericht der [X.]n das Ruhegehalt aberkannt. [X.]ie [X.]erufung der [X.]n ist erfolglos geblieben. [X.]as Oberverwaltungsgericht hat die amtsgerichtlichen Feststellungen als bindend zugrunde gelegt, zumal die [X.] die ihr vorgeworfenen Tathandlungen - zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - ausdrücklich eingeräumt habe. Auch hinsichtlich des Vorsatzes und der Schuld seien die Feststellungen des Strafgerichts bindend. [X.]ei der Maßnahmebemessung sei angesichts der Schwere des [X.]ienstvergehens unter [X.]erücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Aberkennung des Ruhegehalts erforderlich. [X.]ie Schwere des [X.]ienstvergehens ergebe sich hier aus der Höhe des Gesamtschadens sowie Anzahl und [X.]auer der betrügerischen Handlungen. [X.] gewichtige Milderungsgründe gebe es nicht. Es habe weder eine persönlichkeitsfremde Augenblickstat noch eine schockartig ausgelöste psychische Ausnahmesituation noch eine unverschuldet entstandene, ausweglose wirtschaftliche Notlage noch eine negative Lebensphase vorgelegen. Es fehle auch an greifbaren Anhaltspunkten für eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Zeitraum der Tatbegehung.

5

[X.]ie mit der [X.]eschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor.

6

1. Soweit die [X.]eschwerde geltend macht, das [X.]erufungsurteil treffe keine hinreichenden Feststellungen zur Schuld der [X.]n, ziehe sich auf die [X.]indungswirkung des strafgerichtlichen Urteils zurück, treffe lediglich ergänzend abstrakte Feststellungen und stelle - unzureichende und nicht überzeugende - Plausibilitätsüberlegungen an, ist damit ein Verfahrensfehler nicht aufgezeigt.

7

Nach § 41 [X.]isziplinargesetz des [X.] [X.]erlin ([X.]) vom 29. Juni 2004 (GV[X.]l. [X.]) i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im [X.]isziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Verwaltungsgericht bindend. [X.]iese [X.]indungswirkung soll verhindern, dass zu ein- und demselben Sachverhalt unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. [X.]er Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts sowie die Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung primär den Strafgerichten zu überlassen. [X.]em liegt die Annahme zugrunde, dass tatsächliche Feststellungen, die ein Gericht auf der Grundlage eines Strafprozesses mit seinen besonderen rechtsstaatlichen Sicherungen trifft, eine erhöhte Gewähr der Richtigkeit bieten. [X.]aher haben die Verwaltungsgerichte die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ihrer Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen, soweit die [X.]indungswirkung reicht. Sie sind insoweit weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Feststellungen zu treffen. [X.]ie [X.]indungswirkung entfällt nur, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind (stRspr, vgl. nur [X.]VerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 [X.] 3.12 - [X.]VerwGE 146, 98 Rn. 13).

8

[X.]ie Reichweite der gesetzlich angeordneten [X.]indungswirkung ergibt sich aus deren tragendem Grund: [X.]ie erhöhte Richtigkeitsgewähr der Ergebnisse des Strafprozesses kann nur für diejenigen tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils angenommen werden, die sich auf die Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Strafnorm beziehen. [X.]ie Feststellungen müssen entscheidungserheblich für die [X.]eantwortung der Frage sein, ob der objektive und subjektive Straftatbestand erfüllt ist. Im Falle einer Verurteilung müssen sie diese tragen. [X.]agegen binden Feststellungen nicht, auf die es für die Verurteilung nicht ankommt ([X.]VerwG, Urteile vom 8. April 1986 - 1 [X.] 145.85 - [X.]VerwGE 83, 180 und vom 29. Mai 2008 - 2 [X.] 59.07 - juris Rn. 29; [X.]eschlüsse vom 1. März 2012 - 2 [X.] 120.11 - IÖ[X.] 2012, 127 <129> und vom 9. Oktober 2014 - 2 [X.] - [X.] 235.1 § 13 [X.] Nr. 26 Rn. 11).

9

[X.]ementsprechend umfasst die [X.]indungswirkung strafgerichtlicher Urteile auch die Feststellung, dass der [X.]eamte vorsätzlich und schuldhaft gehandelt hat. [X.]ies folgt aus der Tatsache der Verurteilung, die eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des [X.]etroffenen voraussetzt ([X.]VerwG, Urteil vom 16. Juni 1992 - 1 [X.] 11.91 - [X.]VerwGE 93, 255, 261 m.w.N.).

Somit ist es rechtsfehlerfrei, dass das [X.]erufungsgericht auch hinsichtlich Vorsatz und Schuld der [X.]etrugshandlungen der [X.]n auf die Feststellungen des Strafurteils abgestellt hat. Es ist auch nicht erkennbar, dass diese Feststellungen als Entscheidungsgrundlage für das [X.]isziplinarklageverfahren unzureichend wären. [X.]ass das [X.]erufungsgericht darüber hinaus eine Prüfung der Glaubhaftigkeit früheren und aktuellen Vortrags der [X.]n zu einer fehlenden Täuschungsabsicht vorgenommen hat, hat seine Ursache darin, dass nach § 41 [X.] i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 2 [X.] die erneute Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen ist, die offenkundig unrichtig sind. Unabhängig davon, ob es überhaupt hinreichende Anhaltspunkte für eine solche Prüfung gab, würde eine Verletzung dieser Pflicht jedenfalls die [X.] nicht beschweren. [X.]ass das [X.]erufungsgericht im Ergebnis diese Feststellungen nicht als offensichtlich unrichtig, sondern als zutreffend beurteilt hat, obliegt seiner [X.]eweiswürdigung. [X.]ie [X.]eschwerde hält das Ergebnis dieser [X.]eweiswürdigung für fehlerhaft, zeigt aber keinen Verfahrensfehler bei der [X.]eweiswürdigung auf.

2. Soweit die [X.] einen Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO, § 58 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 [X.], § 41 [X.]) und einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 58 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 [X.], § 41 [X.]) rügt, kann sie damit nicht durchdringen. Sie hält es für rechtsfehlerhaft, dass das [X.]erufungsgericht - ohne sie, die [X.], dazu zu befragen - es als nicht nachvollziehbar angesehen habe, weshalb sie erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht vorgebracht habe, dass ihr damaliger Lebensgefährte zweimal zuvor schon Geldbeträge in Höhe von jeweils 1 300 € entwendet habe.

Auch insoweit besteht die vom [X.]erufungsgericht angenommene [X.]indungswirkung an die Feststellungen des Strafgerichts hinsichtlich der vorsätzlichen [X.]egehung der [X.]ienstpflichtverletzung. Für eine offenkundige Unrichtigkeit dieser Feststellungen und damit für eine Lösung von diesen Feststellungen gibt dieser Vortrag nichts her. Gleiches gilt, soweit die [X.] als Aufklärungsmangel und als Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz rügt, das [X.]erufungsgericht qualifiziere den neuen Vortrag als gesteigert, ohne die neuen Umstände zu benennen und ohne den neuen Vortrag hinterfragt zu haben. Auch hier besteht die vom [X.]erufungsgericht angenommene [X.]indungswirkung an die Feststellungen des Strafgerichts hinsichtlich der vorsätzlichen [X.]egehung der [X.]ienstpflichtverletzung und gibt der Vortrag nichts für eine offenkundige Unrichtigkeit dieser Feststellungen und damit für eine Lösung von diesen Feststellungen her.

3. Schließlich greift auch die Rüge mangelnder Aufklärung und der Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes auch insoweit nicht durch, als die [X.] rügt, dass das [X.]erufungsgericht im Rahmen seiner [X.]emessungsentscheidung bei der Prüfung des Milderungsgrundes der negativen Lebensphase ohne weitere Aufklärung davon ausgegangen sei, dass der Umstand der nicht erfolgten ärztlichen [X.]ehandlung im Zeitraum der [X.]etrugshandlungen ein Indiz für die fehlende [X.]ehandlungsbedürftigkeit in diesem Zeitraum sei.

Unabhängig davon, inwieweit die Frage der [X.]ehandlungsbedürftigkeit für das Vorliegen des Milderungsgrundes der negativen Lebensphase überhaupt von [X.]edeutung ist (vgl. zum mildernden Umstand der negativen Lebensphase [X.]VerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 [X.] 3.12 - [X.]VerwGE 146, 98 Rn. 40 f.; [X.]eschluss vom 20. [X.]ezember 2013 - [X.]VerwG 2 [X.] 35.13 - NVwZ-RR 2014, 314 Rn. 29), hätte es hier der anwaltlich vertretenen [X.]n, wenn sie von ihrer [X.]ehandlungsbedürftigkeit im Tatzeitraum ausging, oblegen, dies vor dem [X.]erufungsgericht substanziiert vorzutragen und einen dahingehenden [X.]eweisantrag zu stellen. Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht hat die Vorsitzende des Senats darauf hingewiesen, dass bei der [X.]emessungsentscheidung sämtliche entlastenden Umstände zu würdigen seien, es aber auch Sache der [X.]n sei, entsprechende tatsächliche Umstände vorzutragen. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsverfahrens, Gelegenheit für die Korrektur solcher Versäumnisse in der Tatsacheninstanz zu geben (stRspr, vgl. nur [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 5. Mai 2015 - 2 [X.] 32.14 - NVwZ-RR 2015, 622 Rn. 19). Angesichts des Fehlens entsprechenden Vortrags und ggf. eines hierauf bezogenen [X.]eweisantrages sowie der fehlenden [X.]ezogenheit der vorgelegten ärztlichen [X.]escheinigung auf den Tatzeitraum musste sich dem [X.]erufungsgericht eine weitere Sachverhaltsermittlung nicht von sich aus aufdrängen.

4. [X.]ie Kostenentscheidung beruht auf § 41 [X.], § 77 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Ein Streitwert für das [X.]eschwerdeverfahren muss nicht festgesetzt werden, weil sich die Höhe der Gerichtskosten streitwertunabhängig aus dem Gesetz ergibt (vgl. § 41 [X.], § 78 Satz 1 [X.] i.V.m. Nr. 11 und 62 des als Anlage zu diesem Gesetz erlassenen Gebührenverzeichnisses).

Meta

2 B 1/15

25.02.2016

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 18. September 2014, Az: OVG 80 D 3.11, Urteil

§ 41 DG BE

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.02.2016, Az. 2 B 1/15 (REWIS RS 2016, 15548)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 15548

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