Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.02.2012, Az. VII R 16/11

7. Senat | REWIS RS 2012, 9192

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Gegenstand

Tarifierung von aus Drehspänen, Abfällen oder Schrott aus Titan oder Titanlegierungen gewonnenen Pulvern oder Granulaten als "Titan in Rohform; Pulver" - Maßgeblichkeit der objektiven Beschaffenheit der Ware bei Einfuhr - Auslegung einzelner Tarifpositionen


Leitsatz

1. NV: Für die zolltarifliche Beurteilung der Ware ist nur deren objektive Beschaffenheit im Zeitpunkt der Einfuhr maßgebend. Deshalb kommt es auf die objektive Beschaffenheit der durch das Vermahlen angefallenen Pulver und Granulate an und nicht auf die Klassifizierung der vor dem Vermahlen vorhandenen Ware .

2. NV: Die Einreihung scheitert nicht an der Formulierung "Titan in Rohform". Gemeint ist damit weder "reines" Titan noch die physikalische "äußere" Form, in der das Titan vorliegt, sondern im Wesentlichen unbearbeitetes Titan. Geschieht die Bearbeitung von Abfällen und Schrott aus Titan zur Aufbereitung des Metalls für die Weiterverarbeitung und entsteht dadurch eine Ware, die für weitere Verarbeitungsprozeduren verwendbar ist, ist diese als Titan in Rohform einzureihen .

3. NV: Neben reinem Titan werden auch dessen Legierungen mit geringen Anteilen anderer Metalle von der Unterpos. 8108 20 00 KN erfasst .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) stellt Metalllegierungen her. Sie meldete in dem Zeitraum vom August bis zum Dezember 2006 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --[X.]--) als "titan scrap powder" oder "titan scrap metal" bezeichnete Waren aus [X.] und [X.] zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Bei den Waren handelte es sich um aus Drehspänen, Abfällen oder Schrott aus [X.] oder [X.]legierungen gewonnene Pulver oder Granulate mit definierter Korngröße und chemischer Zusammensetzung. Der Anteil an [X.] betrug etwa 90 %. Daneben bestanden die Waren aus Aluminium und Vanadium in unterschiedlichen Anteilen. Vor ihrer Einfuhr waren die Metalllegierungen in einem [X.] aufbereitet, d.h. zunächst hydriert, auf von der Klägerin bestellte Granulat- oder Korngrößen vermahlen und anschließend durch eine Vakuumhitzebehandlung wieder dehydriert worden.

2

Die Klägerin meldete die Waren unter der [X.]. 8108 30 00 der Kombinierten Nomenklatur (KN) als Abfälle und Schrott aus [X.] an. Dies hatte zur Folge, dass das [X.] zunächst von der Erhebung von Zoll absah, weil für Waren der [X.]. 8108 30 00 KN in der Fassung der Verordnung ([X.]) Nr. 1719/2005 der [X.] vom 27. Oktober 2005 ([X.] --[X.]-- Nr. L 286/1) i.V.m. der Verordnung ([X.]) Nr. 1255/96 (VO Nr. 1255/96) des Rates vom 27. Juni 1996 zur zeitweiligen Aussetzung der autonomen Zollsätze des [X.] für bestimmte gewerbliche und landwirtschaftliche Waren sowie Fischereierzeugnisse ([X.] Nr. L 158/1) der Zoll im Streitzeitraum ausgesetzt war. Im [X.] an eine Außenprüfung erhob das [X.] von der Klägerin mit Bescheid vom 22. April 2009 u.a. Zoll mit der Begründung nach, die Waren seien als [X.] in Rohform der [X.]. 8108 20 00 KN zuzuweisen. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Zwar sei, so das [X.], das Ausgangsprodukt bei dem Herstellen oder dem Be- und Verarbeiten von Metallen angefallen. Da die Abfälle jedoch in einem Aufbereitungsverfahren bearbeitet worden seien, handele es sich nicht mehr um Abfälle oder Schrott.

3

Die dagegen im Wesentlichen mit der Begründung erhobene Klage, das [X.] sei bereits weitergehend bearbeitet gewesen, das [X.] stelle eine weitere Bearbeitung dar und das Produktionsprinzip schließe es aus, einmal als Abfall zu betrachtenden Schrott aus [X.] in eine numerisch kleinere [X.] einzureihen, wies das Finanzgericht ([X.]) ab. Das [X.] habe zu Recht Zoll von der Klägerin nacherhoben. Die von der Klägerin zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldeten Waren seien in die [X.]. 8108 20 00 KN mit einem Zollsatz von 5 % einzureihen. Die Klägerin könne nicht die für Abfälle oder Schrott aus [X.] oder [X.]legierungen der [X.]. 8108 30 00 KN geltende Zollaussetzung nach dem Anhang zur VO Nr. 1255/96 in der Fassung der Verordnung ([X.]) Nr. 963/2006 des Rates vom 27. Juni 2006 ([X.] Nr. L 176/3) --VO Nr. 1255/[X.] in Anspruch nehmen. Durch das [X.], Abfälle und des Schrotts seien neue Waren anderer Beschaffenheit entstanden, die wegen des vorherrschenden Anteils an [X.] als [X.] in Rohform in die [X.]. 8108 20 00 KN einzureihen seien. Der Begriff "Rohform" stelle auf den im Wesentlichen unbearbeiteten Zustand der fraglichen Metallgegenstände ab und die [X.]. 8108 20 00 KN erfasse ausdrücklich auch [X.] in Pulverform. Das [X.] habe an dem im Wesentlichen unbearbeiteten Zustand der Waren nichts geändert. Aufgrund ihrer Körnung und chemischen Zusammensetzung eigneten sich das Pulver und die Granulate vielmehr unmittelbar zur Weiterverarbeitung zu Metalllegierungen.

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Das Urteil ist in der Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern ([X.]) 2011, Beilage 2, 26 veröffentlicht.

5

Mit ihrer Revision beruft sich die Klägerin zur Begründung der von ihr gewünschten Einreihung der Waren als Abfälle und Schrott in die [X.]. 8108 30 00 KN auf die [X.]. 8 zu Abschn. [X.]; die Späne und Splitter, die sie eingeführt habe, seien ausweislich der Herstellererklärungen bei der Verarbeitung von [X.]schrott angefallen. Um [X.] in Rohform der [X.]. 8108 20 00 KN könne es sich schon deshalb nicht handeln, weil der in Rede stehende Schrott nicht nur aus [X.], sondern aus einer [X.]legierung bestanden habe und außerdem das [X.] eine weitere Bearbeitung darstelle, dies den Ausgangsstoff keinesfalls in die Rohform zurückversetzen könne.

6

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und den Bescheid vom 22. April 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2010 aufzuheben, soweit darin Zoll nacherhoben worden ist.

7

Das [X.] hält das Urteil des [X.] für zutreffend und beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des [X.] entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

9

Die Zollschuld ist in der nachgeforderten Höhe entstanden, weil die Waren in die [X.]. 8108 20 00 [X.] einzureihen sind und der Zoll von 5 % insoweit nicht ausgesetzt war.

1. Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der [X.]itionen und [X.]itionen und in den [X.]erkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln der [X.] festgelegt sind. Die Erläuterungen des [X.] auf dem Gebiet des Zollwesens zum Harmonisierten System sowie die Erläuterungen der [X.] stellen ein wichtiges, wenn auch ein nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen dar (Urteil des Gerichtshofs der [X.] --[X.]-- vom 22. Dezember 2010 [X.]/10 --LECSON [X.], [X.], 47).

Nach den für den [X.] bindenden Feststellungen des [X.] sind die zur Überführung in den zollrechtlichen freien Verkehr angemeldeten Pulver und Granulate durch [X.], Abfällen und Schrott hergestellt worden. Diese Pulver und Granulate, so die weitere Feststellung des [X.], eignen sich aufgrund ihrer definierten Körnung und chemischen Zusammensetzung unmittelbar zur Weiterverarbeitung zu Metalllegierungen und werden dafür von der Klägerin auch verwendet.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das [X.] zu Recht die Einreihung der Waren als Abfälle und Schrott in die [X.]. 8108 30 00 [X.] abgelehnt.

Abfälle und Schrott sind Waren aus Metall, die beim Herstellen oder beim Be- und Verarbeiten von Metallen anfallen, und Waren aus Metall, die durch Bruch, Verschnitt, Verschleiß oder aus anderen Gründen als solche endgültig unbrauchbar sind ([X.]. 8 Buchst. a zu Abschn. XV [X.]). Die [X.], Abfälle und der Schrott, die zu der zu tarifierenden Ware vermahlen worden sind, sind zwar durch Be- und Verarbeiten von Metallen angefallen. Für die zolltarifliche Beurteilung der Ware ist aber nur deren objektive Beschaffenheit im Zeitpunkt der Einfuhr maßgebend. Unter Hinweis darauf hat der [X.] (Urteil vom 5. März 1980 VII R 62/77, [X.] 131, 124, [X.] 1981, 16) für die Tarifierung durch Umschmelzen von Schrott entstandener Masseln (Barren) nicht darauf abgestellt, dass sie aus Schrott oder [X.]n herrührten, sie insbesondere nicht als "Abfallblöcke" i.S. der [X.]. 73.15 [X.] b 1 aa des seinerzeit einschlägigen Gemeinsamen Zolltarifs ([X.]) angesehen, sondern die Ware als Ferrolegierungen in die [X.]. 73.02 G [X.] eingereiht. In gleicher Weise kommt es im Streitfall auf die objektive Beschaffenheit der durch das [X.] angefallenen Pulver und Granulate an und nicht auf die Klassifizierung der vor dem [X.] vorhandenen Ware. Denn ähnlich wie beim Umschmelzen von Schrott ist durch das gezielte [X.] der [X.] auf bestimmte, von der Klägerin bestellte Korn- und Granulatgrößen eine andere Ware entstanden. Daran ändert auch nichts, dass sich durch das [X.] die chemische Zusammensetzung des Produkts nicht verändert hat. Entscheidend ist allein die Veränderung der körperlichen Beschaffenheit der [X.] durch die mechanische Umformung in Pulver und Granulate.

Die vom [X.] insoweit erörterten Erläuterungen zum Harmonisierten System zu [X.]. 7204 [X.] --unbeschadet ihrer Anwendbarkeit im Rahmen der Prüfung der [X.]. 8108 [X.]-- besagen nichts anderes. Denn nach der dortigen Rz. 05.0 sind als Abfälle und Schrott nur Erzeugnisse anzusehen, die als solche durch Bruch, Zerschneiden, Verschleiß oder durch andere Ursachen endgültig unbrauchbar geworden sind. Gerade das trifft auf die streitgegenständlichen Pulver und Granulate aber nicht zu.

2. Die Pulver und Granulate sind in die [X.]. 8108 20 00 [X.] einzureihen. Es handelt sich tariflich um "Titan in Rohform; Pulver".

a) Die Einreihung scheitert nicht an der Formulierung "Titan in Rohform". Gemeint ist damit weder "reines" Titan noch die physikalische "äußere" Form, in der das Titan vorliegt, sondern im Wesentlichen unbearbeitetes Titan.

aa) "Reines" Titan im Sinne einer chemischen Urform eines Elements kann mit der Formulierung nicht gemeint sein. Einen Rohstoff Titanmetall gibt es nicht; Titan wird erst durch umfangreiche chemische und physikalische Bearbeitung aus titanhaltigen Mineralien gewonnen, wobei als Zwischenprodukt der [X.] entsteht. Da dieser [X.] in der [X.] 8108 20 00 10 gesondert aufgeführt ist, kann es sich bei dem in der übergeordneten [X.]. 8108 20 00 [X.] genannten Titan zumindest für die Zwecke der Anwendung der [X.] nur um einen Oberbegriff handeln. Diese Annahme wird dadurch untermauert, dass nach der [X.]. 5 a zu Abschn. XV [X.] auch Titanlegierungen in diese [X.]ition einzureihen sind.

bb) Unter der Formulierung "in Rohform" ist nicht die äußere Form der Ware, die "rohe Form", zu verstehen. Zu den [X.]. 8101 94 00 [X.] "Wolfram in Rohform" und 8102 94 00 [X.] "Molybdän in Rohform" hat der [X.] unter Hinweis auf andere Sprachfassungen der [X.] ausgeführt, der Ausdruck "Rohform", wie er in diesen [X.]itionen vorkomme, verweise nicht auf die Dimensionen der fraglichen Metallgegenstände, sondern auf ihren im Wesentlichen unbearbeiteten Zustand (Urteil vom 27. November 2008 [X.]/07 --Metherma--, Slg. 2008, [X.], Rz 50). Der [X.] sieht keinen Grund, diese Rechtsauffassung nicht auf die wortgleiche Formulierung der [X.]. 8108 20 00 [X.] "Titan in Rohform" anzuwenden.

cc) [X.] ist, dass die angemeldeten Pulver und Granulate aus Titan oder aus Titanlegierungen mit einem Titananteil von etwa 90 % und Aluminium und Vanadium in unterschiedlichen Anteilen bestanden. Neben reinem Titan werden auch dessen Legierungen mit geringen Anteilen anderer Metalle von der [X.]. 8108 20 00 [X.] erfasst. Denn wie sich aus der bereits erwähnten [X.]. 5 a zu Abschn. XV [X.] ergibt, werden Legierungen unedler Metalle wie das gegenüber jedem anderen Metall gewichtsmäßig vorherrschende Metall eingereiht.

b) Für den Streitfall kommt es demnach darauf an, ob das Titan nach der Pulverisierung und Granulierung der vormaligen [X.] und des Titanschrotts in einer "rohen", also im Wesentlichen unbearbeiteten Form Gegenstand der Zollabfertigung war. Das ist angesichts der Feststellungen des [X.] zu bejahen. Denn das [X.] der Abfälle und des Schrotts auf die von der Klägerin bestellten Granulat- oder Korngrößen in einem Hydrier-Dehydrierverfahren diente nur der Aufbereitung der Metalllegierungen zur Weiterverarbeitung, d.h. --ähnlich wie durch die Herstellung des [X.]s des [X.] 8108 20 00 10-- aus den titanhaltigen Mineralien war durch das [X.] der Abfälle und des Schrotts nur eine Voraussetzung für weitere Verarbeitungsprozeduren geschaffen worden. Da diese frühe Stufe der Produktion noch keinerlei Vorgaben für das Endprodukt aufweist, ist es gerechtfertigt, das streitgegenständliche Pulver oder Granulat als eine Rohform zu werten, in der das Titan zur Zollabfertigung gestellt wurde.

Das [X.] war daher gemäß Art. 220 Abs. 1 Satz 1, Art. 221 Abs. 1 des Zollkodex ([X.]) berechtigt, den streitigen Zoll nachzuerheben. Denn die der Zollschuld der Klägerin entsprechenden Abgabenbeträge sind ursprünglich nicht buchmäßig erfasst worden (Art. 220 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

Meta

VII R 16/11

14.02.2012

Bundesfinanzhof 7. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 9. Februar 2011, Az: 4 K 1890/10 Z, Urteil

Art 220 Abs 1 ZK, Art 221 Abs 1 ZK, Pos 8108 UPos 2000 KN, Pos 8108 UPos 3000 KN, EGV 1719/2005, EGV 1255/96, Art 220 Abs 1 EWGV 2913/92, Art 221 Abs 1 EWGV 2913/92

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.02.2012, Az. VII R 16/11 (REWIS RS 2012, 9192)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9192

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