Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21.06.2017, Az. IV B 8/16

4. Senat | REWIS RS 2017, 9308

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Gegenstand

Grundsätzlich keine Klagebefugnis der Gemeinden gegen Gewerbesteuermessbescheide


Leitsatz

1. NV: Den Gemeinden steht ein Klagerecht gegen die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 3 FGO zu.

2. NV: Der sich aus § 40 Abs. 3 FGO ergebende grundsätzliche Ausschluss des Klagerechts der Gemeinden gegen Steuermessbescheide verstößt auch nicht gegen Art. 28 Abs. 2 Satz 3, Art. 106 Abs. 6 und Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 14. Januar 2016 13 K 1398/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg, denn sie ist jedenfalls unbegründet.

2

1. Das Finanzgericht ([X.]) hat seine Abweisung der Klage zum einen darauf gestützt, dass die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als [X.] nach § 40 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) von der Möglichkeit der Klageerhebung gegen die im Streitfall gegenüber der Steuerpflichtigen --einer KG-- ergangenen Gewerbesteuermessbescheide und Bescheide über die gesonderte Feststellung vortragsfähiger [X.] ausgeschlossen sei. Zum anderen hat das [X.] ausgeführt, dass einer Änderung dieser Bescheide deren Bestandskraft und Festsetzungsverjährung entgegenstünde, weil die Klägerin die Einspruchsfrist nicht gewahrt habe.

3

2. Ist das Urteil des [X.] kumulativ auf mehrere Begründungen gestützt, von denen jede für sich das Entscheidungsergebnis trägt, muss für jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 [X.]O schlüssig dargelegt werden und vorliegen (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 21. Januar 2005 VIII B 163/03, [X.] 2005, 835; vom 20. Juli 2005 XI B 95/03, [X.] 2005, 2032; vom 6. Dezember 2011 XI B 44/11, Rz 9; vom 14. April 2016 III B 108/15, Rz 25).

4

3. Danach ist die Beschwerde bereits deshalb unbegründet, weil die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine [X.] in ihrer Eigenschaft als Gewerbesteuerberechtigte nach § 40 Abs. 3 [X.]O befugt ist, wegen der Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags Klage zu erheben, in der Rechtsprechung des [X.] geklärt ist und deshalb keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O hat; ebenso besteht kein Anlass für eine Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine [X.] befugt ist, auch gegen die gesonderte Feststellung vortragsfähiger [X.] Klage zu erheben, denn für eine solche Klage gelten jedenfalls keine geringeren Anforderungen als für Klagen gegen Gewerbesteuermessbescheide. Liegen hinsichtlich der auf § 40 Abs. 3 [X.]O gestützten Begründung des [X.] keine Zulassungsgründe vor, so kann auch offenbleiben, ob die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen des Eintritts der Festsetzungsverjährung für sich gesehen die Zulassung der Revision rechtfertigen könnten.

5

a) [X.]n als Träger von Hoheitsrechten haben nach heutiger Rechtslage keine allgemeine Rechtsmittelbefugnis gegen Bescheide der Finanzämter (FÄ) mehr (näher zur Historie [X.]-Beschluss vom 22. November 1955 I B 43/55 U, [X.]E 62, 115, [X.]I 1956, 44; Urteil des [X.] --BVerwG-- vom 27. Januar 1995  8 [X.] 30/92, [X.], 357, [X.] 1995, 522, unter 1.c, dort auch zu den als Ersatz für den Wegfall der früheren Rechtsmittelbefugnis geschaffenen Mitwirkungsrechten der [X.]n). Vielmehr entspricht es ständiger Rechtsprechung des [X.], dass den [X.]n gegen [X.] der FÄ ein Klagerecht grundsätzlich nicht zusteht ([X.]-Urteil vom 30. Januar 1976 III R 60/74, [X.]E 118, 285, [X.] 1976, 426, unter 1., m.w.[X.]). Nur ausnahmsweise kann sich eine Klagebefugnis der [X.] aus § 40 Abs. 3 [X.]O ergeben (zur Entstehung der Norm [X.]-Urteil in [X.]E 118, 285, [X.] 1976, 426, unter 1.). Für eine [X.] in ihrer Eigenschaft als --wie im [X.] bedeutet dies, dass sie nur dann ausnahmsweise befugt ist, wegen der Festsetzung eines [X.] Klage zu erheben, wenn die Voraussetzungen des § 40 Abs. 3 [X.]O erfüllt sind ([X.]-Beschluss vom 17. Oktober 2001 I B 6/01, [X.]E 196, 205, [X.] 2002, 91, unter II.A.1., m.w.[X.]). Nach § 40 Abs. 3 [X.]O können [X.]n als Abgabenberechtigte wegen der von den FÄ festgesetzten oder festzusetzenden Gewerbesteuermessbeträge Klage erheben, wenn das betreffende Finanzamt als Landesfinanzbehörde die Gewerbesteuer ganz oder teilweise für die [X.] verwaltet und das Land die Gewerbesteuer ganz oder teilweise unmittelbar oder mittelbar schulden würde ([X.]-Beschluss in [X.]E 196, 205, [X.] 2002, 91, unter II.A.1.). [X.] des § 40 Abs. 3 [X.]O schuldet ein Land eine Abgabe, wenn es öffentlich-rechtlich verpflichtet ist, die Abgabenschuld eines [X.] zu erfüllen ([X.]-Beschluss in [X.]E 196, 205, [X.] 2002, 91, unter [X.]). Mit dieser Rechtsprechung sind die Fragen der Auslegung und Anwendung des § 40 Abs. 3 [X.]O einfachrechtlich hinreichend geklärt.

6

b) Die Beschwerde gibt keinen Anlass, diese Rechtsgrundsätze in Frage zu stellen. Ihre Fortentwicklung ist auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht geboten.

7

aa) Die von der Klägerin geltend gemachte Beeinträchtigung des Schutzbereichs der kommunalen Finanzhoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes --GG--) kann nur angenommen werden, wenn eine nachhaltige, von der [X.] nicht mehr zu bewältigende und hinzunehmende Einengung ihrer Finanzspielräume vorliegt (BVerwG-Urteil vom 15. Juni 2011  9 [X.] 4/10, BVerwGE 140, 34, unter 2.a [X.], m.w.[X.]). Ungeachtet der Frage, ob dieser Ausnahmefall in Folge der streitbefangenen Bescheide eingetreten ist, bedürfte es für einen derartigen Fall jedenfalls keiner verfassungskonformen Auslegung des § 40 Abs. 3 [X.]O dahingehend, dass die von der Vorschrift den [X.]n eingeräumte eingeschränkte Klagebefugnis im finanzgerichtlichen Verfahren über den Wortlaut der Vorschrift hinaus zu erweitern wäre. Auch wenn eine [X.] grundsätzlich weder im Wege des Folgenbeseitigungsanspruchs noch nach den Grundsätzen über die sinngemäße Anwendung des vertraglichen Schuldrechts auf öffentlich-rechtliche Sonderbeziehungen vom Land als Träger der Finanzverwaltung Ersatz des [X.] verlangen kann, der ihr durch Fehler der zuständigen Landesfinanzbehörde bei der Festsetzung des [X.] entstanden ist, kommt ein solcher Anspruch ausnahmsweise in Betracht, wenn eine unwirksame oder zu niedrige Festsetzung der Steuermessbeträge und der damit verbundene [X.] zur Folge hat, dass die nach Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG garantierte Finanzhoheit der betroffenen [X.] verletzt wird (näher BVerwG-Urteil in BVerwGE 140, 34, unter 2.a [X.]). Dieser Anspruch wäre im Verwaltungsrechtsweg geltend zu machen und erfordert keine erweiterte Klagebefugnis bereits gegen Gewerbesteuermessbescheide, die möglicherweise im wirtschaftlichen Ergebnis der finanziellen Eigenverantwortung der betroffenen [X.] die Grundlage entziehen.

8

[X.]) Art. 106 Abs. 6 GG schützt nicht etwaige [X.] der [X.]n, sondern garantiert ihnen lediglich die Zuweisung des tatsächlich angefallenen Ertrags. Demzufolge kann auch aus Art. 106 Abs. 6 GG kein Recht der [X.]n auf Erlass bestimmter Steuermessbescheide ([X.]-Urteil in [X.]E 118, 285, [X.] 1976, 426, unter 2.b) oder auf Ausgleich des durch Fehler im Steuermessbetragsverfahren verursachten [X.]s hergeleitet werden (BVerwG-Urteil in BVerwGE 140, 34, unter 2.a cc). Deshalb bedarf es auch insoweit keiner Fortentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 40 Abs. 3 [X.]O.

9

cc) Ebenso ist geklärt, dass den [X.]n auch aus Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG kein Recht auf Erlass bestimmter Steuermessbescheide zukommt ([X.]-Urteil in [X.]E 118, 285, [X.] 1976, 426, unter 2.a; BVerwG-Urteil in BVerwGE 140, 34, unter 2.a aa). Auch insoweit ist deshalb keine Erweiterung der Klagebefugnis der [X.]n in verfassungskonformer Auslegung des § 40 Abs. 3 [X.]O geboten.

4. Es kann dahinstehen, ob die Rüge einer Abweichung des angefochtenen Urteils von dem [X.]-Urteil vom 21. Oktober 1970 I R 81, 82, 92-94/68 ([X.]E 100, 295, [X.] 1971, 30) den formellen Anforderungen an eine [X.] entspricht. Denn das Urteil des [X.] kann nicht auf einer Abweichung von diesem Urteil i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 [X.]O beruhen. Sowohl der [X.] als auch das [X.] haben eine Klagebefugnis der [X.] gegen Verwaltungsakte der hier streitigen Art verneint. Die von der Klägerin genannte Rechtsfrage, ob § 40 Abs. 3 [X.]O eine abschließende Regelung für Klagen einer [X.] enthält oder ob daneben noch eine Klagebefugnis aus § 40 Abs. 2 [X.]O bestehen kann, ist danach nicht entscheidungserheblich, weil auch nach dem auf § 40 Abs. 2 [X.]O gestützten Urteil des [X.] eine Klagebefugnis nicht besteht.

5. Von einer weiteren Begründung, insbesondere der Darstellung des Sachverhalts, wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O abgesehen.

6. [X.] beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

IV B 8/16

21.06.2017

Bundesfinanzhof 4. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 14. Januar 2016, Az: 13 K 1398/13, Urteil

§ 40 Abs 2 FGO, § 40 Abs 3 FGO, Art 19 Abs 4 GG, Art 28 Abs 2 S 3 GG, Art 106 Abs 6 GG, Art 108 Abs 4 S 2 GG, § 115 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21.06.2017, Az. IV B 8/16 (REWIS RS 2017, 9308)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 9308

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7 U 185/16

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