Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.04.2014, Az. VIII ZR 107/13

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 6400

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BUNDESGERIC[X.]TS[X.]OF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VIII [X.]
Verkündet am:

9. April 2014

Ring

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BG[X.]Z:
nein
BG[X.]R:
ja
BGB § 543 Abs. 1 Satz 2
Die Vorlage einer "frei erfundenen" Vorvermieterbescheinigung stellt eine erhebliche Verletzung (vor)vertraglicher Pflichten dar, die eine Vertragsfortsetzung für den [X.] unzumutbar machen und somit eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann.

[X.] § 109 Abs. 1 Satz 2
Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung des Treuhänders gemäß §
109 Abs. 1 Satz
2 [X.] ("Freigabeerklärung") erhält der Mieter die Verfügungs-
und Ver-waltungsbefugnis über seine Wohnung zurück. Eine Kündigung des Vermieters ist ab diesem [X.]punkt dem Mieter gegenüber auszusprechen (im [X.] an [X.] vom 9.
Mai 2012 -
VIII
ZR 327/11, [X.], 2270 Rn.
32).
BG[X.], Urteil vom 9. April 2014 -
VIII [X.] -
LG [X.]amburg

AG [X.]amburg-[X.]arburg

-
2
-
Der VIII.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. April 2014 durch [X.] Frellesen,
die Richterin Dr.
Milger so-wie die
Richter Dr.
Achilles, Dr.
Schneider und Kosziol
für Recht erkannt:
Auf die Revision des
[X.]
wird das Urteil des [X.] -
Zivilkammer 7 -
vom 28. März
2013
im Kostenpunkt und insoweit
aufgehoben, als zum Nachteil des [X.] erkannt worden ist.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger ist seit dem 1. April 2007 Mieter einer Wohnung der Beklag-ten in [X.].

. Vor Abschluss des [X.] erhielt der Kläger
von der Verwalterin der Beklagten ein Formular
einer
so genannten "Vorvermieterbe-scheinigung". Darin sollte der
bisherige Vermieter des [X.] bestätigen,
wie lange das Mietverhältnis gedauert habe und
ob
der Mieter die Kaution und die Miete pünktlich gezahlt habe und seinen sonstigen Verpflichtungen aus dem Mietvertrag nachgekommen sei. Der Kläger
gab die Formulare vor Vertrags-schluss ausgefüllt zurück. Danach hatte er seit 2003 von einem [X.]errn B.

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aus dem Mietvertrag stets pünktlich erfüllt.
Am 5. November 2009 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermö-gen des [X.] eröffnet. Der vom Gericht eingesetzte Treuhänder erklärte mit § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.].
Mit Schreiben vom 16. September 2010 erklärten die Beklagten gegenüber dem Kläger die fristlose Kündigung des Mietvertrags, weil die Vorvermieterbescheinigung gefälscht ("frei erfunden") gewesen sei.
Weder habe der Kläger an der angegebenen Adresse gewohnt noch mit dem [X.] in dem genannten [X.]raum überhaupt einen Mietvertrag abge-schlossen.
Vielmehr sei er in der [X.] vom 16. März 2005 bis 31.
März 2007 Mieter einer in einem anderen Stadtteil gelegenen Wohnung der [X.].

Siedlungsgesellschaft gewesen.
Gegenstand des
Revisionsverfahrens
ist nur noch der von den Beklagten im Wege der Widerklage geltend gemachte Räumungsanspruch. Das Amtsge-richt hat die Widerklage
insoweit
abgewiesen, das [X.] hat auf die Beru-fung der Beklagten das amtsgerichtliche Urteil abgeändert und der Räumungs-klage stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Klä-ger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt:
Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 16. September 2010 habe das Mietverhältnis der Parteien beendet. Die Kündigung sei -
wie geschehen
-
ungeachtet des noch nicht abgeschlossenen Insolvenzverfahrens gegenüber dem Kläger und nicht gegenüber dem Treuhänder zu erklären gewesen. Denn der Treuhänder habe mit Schreiben vom 3. Dezember 2009 die "Freigabe"
des Mietverhältnisses gemäß § 109 [X.] erklärt. Der Meinungsstreit, ob die Enthaf-tungserklärung des Treuhänders nur zur Folge habe, dass die Masse für die späteren Verbindlichkeiten aus dem Mietvertrag nicht mehr hafte, oder ob dar-über hinaus das Mietverhältnis vollständig in die Verfügungs-
und Verwal-tungsmasse des Mieters zurückfalle, sei im Sinne der letztgenannten [X.] zu entscheiden. [X.]ierfür spreche insbesondere die Gesetzesbegründung, die von einer Fortsetzung des Mietverhältnisses mit dem Schuldner ausgehe.
Die Beklagten seien auch zur fristlosen Kündigung berechtigt gewesen. Aufgrund der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Kläger eine gefälschte [X.] vorgelegt habe. Der Kläger habe im Übrigen auch selbst eingeräumt, dass ihm der in der Bescheinigung genannte Vorvermieter nicht bekannt sei.
Es handele sich dabei um eine erhebliche Pflichtverletzung, die die fristlose Kündigung rechtfertige.

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II.
Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Kündigung der Beklagten nach der Freigabeerklärung des
Treuhän-ders und dem Ablauf der in § 109 Abs. 1 Satz 1 [X.] bestimmten Frist die Kün-digung -
wie geschehen -
gegenüber dem Kläger zu erklären war.
Die Frage, welche Auswirkungen die Freigabeerklärung des [X.] nach § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] und der Ablauf der in § 109 Abs. 1 Satz 1 [X.] genannten Frist für das betreffende Wohnraummietverhältnis hat, wird unterschiedlich beurteilt.
a) Teilweise wird die Auffassung vertreten, die Bedeutung der Enthaf-tungserklärung nach
§ 109 Abs. 1 Satz 1 [X.] beschränke sich darauf, dass die Masse für die nach Ablauf der Kündigungsfrist
fällig werdenden Verbindlichkei-ten nicht mehr hafte. Das Mietverhältnis bleibe aber weiterhin massebehaftet und der Treuhänder weiterhin [X.], denn § 109 Abs. 1 Satz 2 In-sO enthalte keinen
[X.]inweis darauf, dass die Rechtswirkungen des §
80 Abs. 1
[X.] mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung entfallen sollten
([X.]/[X.],
[X.], 13. Aufl., § 109 Rn. 22 ff; [X.], [X.], 803, 806; [X.],
[X.], 441, 443; [X.], [X.],
607,
610). Nach dieser Auffassung kann der Vermieter nur durch eine gegenüber dem Treuhänder ab-gegebene
Erklärung wirksam kündigen.
b) Nach der
Gegenauffassung
kann der Vermieter nach dem [X.] der Erklärung gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] gegenüber dem Mieter selbst kündigen ([X.]/[X.], [X.], § 109 Rn. 21; [X.], NZM 8
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2004, 401, 410 f.; [X.] in
[X.]eidelberger Kommentar, [X.], 7. Aufl.,
§ 109 Rn. 16). Die Enthaftungserklärung
des Treuhänders
bewirke, dass das Mietver-hältnis "freigegeben"
werde
und vollständig der alleinigen Verwaltungs-
und Verfügungsbefugnis des Mieters unterliege
(vgl. auch
MünchKomm[X.]/[X.], 3. Aufl., § 109 Rn. 56 unter [X.]inweis auf das zu den Auswirkungen des § 35 Abs. 2 [X.] ergangene Urteil des [X.] vom 9. Februar 2012 -
IX
ZR 75/11, BG[X.]Z 192, 322).
c) Der Senat entscheidet die von ihm bisher offen gelassene Frage (vgl. Senatsurteil vom 9. Mai 2012 -
VIII
ZR 327/11, [X.], 2270
Rn.
32) [X.] im letztgenannten Sinn.
Zwar geht die Erklärung des Treuhänders nach dem Wortlaut des §
109 Abs.
1 Satz 2 [X.]
lediglich dahin, dass die Masse für künftige Verbindlichkei-ten aus dem Mietverhältnis nicht mehr hafte. Daraus, dass die Erklärung nach §
109 Abs.
1 Satz 2 [X.] an die Stelle der Kündigung tritt, ergibt sich indes, dass die Zuständigkeit des
Verwalters für die weitere Vertragsdurchführung ab diesem [X.]punkt wieder dem Mieter zufällt, dieser also die Verfügungs-
und Verwaltungsbefugnis
zurückerhält.
Für eine derartige
Wirkung der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 [X.] spricht außerdem, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat,
die [X.]. Danach dient die Regelung dem Schutz des [X.], der seine Wohnung nicht verlieren soll, wenn der Treuhänder das Mietver-hältnis nicht fortsetzen will; das Mietverhältnis
soll vielmehr
nach Ablauf der Kündigungsfrist mit dem Mieter fortgesetzt werden (vgl. BT-Drucks. 14/5680, S.
27). Eine Fortdauer der Verwaltungs-
und Verfügungsbefugnis des [X.] über den [X.]punkt des Wirksamwerdens der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz
2 [X.] hinaus wäre im Übrigen für die Parteien des [X.] um-13
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ständlich und wenig praktikabel und für den Treuhänder
mit einem
Verwal-tungsaufwand verbunden, der sich für die Masse nachteilig auswirken könnte. Denn sämtliche Erklärungen des Vermieters
(Abmahnung, Kündigung, Mieter-höhung, Betriebskostenabrechnung) müssten zunächst dem Treuhänder
ge-genüber erklärt und von diesem
an den Mieter weitergeleitet werden. Auch ein Rechtsstreit, etwa eine Klage des Vermieters
auf Zustimmung zu einer Mieter-höhung,
müsste
gegen den Treuhänder geführt werden, obwohl dieser Prozess allein für die ursprünglichen [X.]en von Interesse ist, nicht aber für den Treuhänder oder die Masse.
Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus dem Umstand, dass
der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die
Mietkaution
(bezie-hungsweise der bedingte [X.]) in die Masse fällt, keine [X.] Beurteilung. Ein tragfähiger Rückschluss, dass aus diesem Grund von einer
fortbestehenden Verfügungsbefugnis des Treuhänders auszugehen sei, ergibt sich daraus nicht.
Denn dem Gesetzgeber ging es nicht
vorrangig
darum, dass die Kaution der Masse zur Verfügung steht.
Vielmehr
sollte der Mieter
davor bewahrt werden, dass der Treuhänder den Mietvertrag kündigt, um die
Kaution verwerten zu können (vgl. BT-Drucks. 14/5680, [X.]). Die Frage, ob mit einem Übergang der Verfügungs-
und Verwaltungsbefugnis auch ein (bedingter)
[X.] auf den Mieter zurückfällt (bejahend FK-[X.]/[X.], 7.
Aufl., § 109
Rn.
16; [X.], aaO; a.A. [X.]ain,
Z[X.] 2007, 192, 197; [X.],
aaO S.
411),
bedarf hier deshalb keiner abschließenden Entschei-dung.
2. Dem Berufungsgericht ist auch darin beizupflichten, dass die Vorlage einer gefälschten oder "frei erfundenen"
Vorvermieterbescheinigung eine erheb-liche Verletzung (vor)vertraglicher Pflichten darstellt, die eine Vertragsfortset-16
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zung für den Vermieter unzumutbar machen und die fristlose Kündigung
des Mietverhältnisses
rechtfertigen kann.
Entgegen der Auffassung der Revision entfällt eine Pflichtverletzung nicht deswegen, weil die in dem Formular über das vorangegangene Mietver-hältnis gestellten Fragen unzulässig gewesen wären und es dem Beklagten deshalb freigestanden hätte, insoweit unwahre Angaben zu machen. Fragen nach der Person und Anschrift des [X.], der Dauer des vorangegan-genen Mietverhältnisses und der Erfüllung der mietvertraglichen Pflichten sind -
ebenso wie Fragen nach den Einkommens-
und Vermögensverhältnissen
-
grundsätzlich geeignet, sich über die Bonität und Zuverlässigkeit des [X.] ein gewisses Bild zu machen; es handelt sich auch nicht um [X.], die den persönlichen oder intimen Lebensbereich des Mieters betreffen und aus diesem Grund unzulässig sein könnten.

Zwar hat
der Mieter nach der Rechtsprechung des Senats
(vgl. [X.] vom 30. September 2009 -
VIII
ZR 238/08, [X.], 1135 Rn. 18 ff.) kei-nen Anspruch gegen seinen bisherigen Vermieter auf Ausstellung einer Miet-schuldenfreiheitsbescheinigung. Dies
führt entgegen der
Auffassung der Revi-sion aber nicht dazu, dass der neue Vermieter vor Abschluss eines Mietvertra-ges
eine diesbezügliche Bescheinigung vom Mietinteressenten nicht erbitten und dieser eine solche Bescheinigung fälschen dürfte.
3. Mit Erfolg rügt die Revision indes, dass das Berufungsgericht das un-ter Beweis gestellte Vorbringen des [X.], den Beklagten sei bereits im Jahr 2007 bekannt geworden, dass die vom Kläger vorgelegte Bescheinigung des
[X.]
gefälscht war, nicht berücksichtigt hat. Dieses
Vorbringen ist er-heblich, weil in diesem Fall die am 16. September 2010 -
also drei Jahre spä-ter-
ausgesprochene Kündigung möglicherweise nicht mehr innerhalb einer an-18
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gemessenen Frist erfolgt wäre und sie deshalb mit Rücksicht auf Treu und Glauben oder nach § 314 Abs. 3 BGB (vgl. Senatsbeschluss
vom 13. April 2010
-
VIII ZR 206/09, [X.], 32 Rn. 5) unwirksam sein könnte.

III.
Das Urteil des Berufungsgerichts kann mithin keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Die nicht entscheidungsreife Sache ist an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
[X.]
Dr. Milger
Dr. Achilles

Dr. Schneider
Kosziol

Vorinstanzen:
AG [X.]amburg-[X.]arburg, Entscheidung vom 20.04.2012 -
645 [X.] -

LG [X.]amburg, Entscheidung vom 28.03.2013 -
307 [X.]/12 -

21

Meta

VIII ZR 107/13

09.04.2014

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.04.2014, Az. VIII ZR 107/13 (REWIS RS 2014, 6400)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6400

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VIII ZR 107/13

VIII ZR 206/09

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