Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.03.2018, Az. AnwZ (Brfg) 70/17

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2018, 12076

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft: Verschweigen strafgerichtlicher Verurteilungen


Tenor

Auf Antrag des [X.] wird die Berufung gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 25. Oktober 2017 an [X.] statt zugestellte Urteil des 2. Senats des [X.] Anwaltsgerichtshofs zugelassen.

Gründe

I.

1

Der am 26. November 1948 geborene Kläger wurde 1978 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Urteil vom 7. Dezember 1992 wurde er vom [X.]wegen im Zeitraum von April 1987 bis 17. Februar 1989 begangener Straftaten der Untreue in acht Fällen sowie des [X.]etruges und der Gebührenüberhebung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Daraufhin wurde er mit Urteil vom 16. April 1994 des Ehrengerichts für den [X.]ezirk der Rechtsanwaltskammer K.    aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen.

2

Der Kläger gab in einem Verfahren vor dem [X.]          am 9. Juni 2011 eine strafbewehrte Erklärung dahingehend ab, es künftig zu unterlassen, in fremden Angelegenheiten selbständig entgeltlich außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Das [X.]            verurteilte den Kläger mit rechtskräftigem Urteil vom 7. August 2015 wegen mehrfachen Verstoßes gegen die vorgenannte Unterlassungserklärung zu einer Vertragsstrafe von 20.000,04 €.

3

Der Kläger beantragte am 19. Mai 2015 bei der [X.] die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. In dem zugehörigen Fragebogen verneinte er die Frage nach strafgerichtlichen Verurteilungen (§§ 4-8 [X.]ZRG) und gegen ihn ergangenen Entscheidungen von Verwaltungsbehörden oder Gerichten gemäß § 10 [X.]ZRG. Die Frage wird in dem Fragebogen dahingehend erläutert, dass die Rechtsanwaltskammer nach § 36 Abs. 1 und 2 [X.] ein Recht auf uneingeschränkte Auskunft aus dem [X.]undeszentralregister gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 11 [X.]ZRG zu § 7 Nr. 1 bis 5 [X.] habe, so dass ihr gegenüber keine Rechte aus § 53 Abs. 1 Nr. 1 [X.]ZRG hergeleitet werden könnten (§ 53 Abs. 2 [X.]ZRG).

4

Nachdem die [X.]eklagte in dem Zulassungsverfahren mit Schreiben vom 7. August 2015 dem Kläger gegen ihn gerichtete wettbewerbsrechtliche Verfahren wegen Verstößen gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz vorgehalten hatte, ließ sich der Kläger mit Schreiben vom 2. September 2015 dahingehend ein, es sei unstreitig, dass er nicht gegen Strafgesetze verstoßen habe. [X.]ei dem gegen ihn eigeleiteten Verfahren gehe es lediglich um zivilrechtliche Ansprüche auf Vertragsstrafe aufgrund von Wettbewerbsverstößen.

5

Nach weiterem Schriftwechsel zwischen den Parteien erhob der Kläger gegen die [X.]eklagte vor dem [X.] eine Untätigkeitsklage. Die [X.]eklagte wies nunmehr den Antrag des [X.] auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mit [X.]escheid vom 11. November 2016 zurück, da ein Versagungsgrund nach § 7 Nr. 5 [X.] vorliege. Daraufhin hat der Kläger seine Klage erweitert. Er hat beantragt, den [X.]escheid der [X.] vom 11. November 2016 aufzuheben und ihn als Rechtsanwalt zuzulassen. Der [X.] hat die Klage abgewiesen.

6

Der Kläger beantragt die Zulassung der [X.]erufung gegen das Urteil des [X.]s.

II.

7

Der nach § 112e Satz 2 [X.], § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag des [X.] auf Zulassung der [X.]erufung hat Erfolg. Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

8

1. Die mit der Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 7 Nr. 5 [X.] verbundene Einschränkung der freien [X.]erufswahl ist nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter [X.]eachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft ([X.], NJW 2017, 3704 Rn. 25; Senat, Urteil vom 10. Oktober 2011 - [X.] ([X.]) 10/10, juris Rn. 13 ff.; [X.]eschluss vom 10. Februar 2015 - [X.] ([X.]) 55/14, juris Rn. 5). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der [X.]ewerber ein Verhalten gezeigt hat, dass ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände - wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung - nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt (vgl. [X.] aaO; Senat, [X.]eschluss vom 10. Februar 2015, aaO). Dabei sind das berechtigte Interesse des [X.]ewerbers nach beruflicher und [X.] Eingliederung und das durch das [X.]erufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden an der Integrität des [X.], das in der Regel nur im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege von [X.]elang sein kann, einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen ([X.] aaO).

9

Im Rahmen der Prognoseentscheidung, die im Hinblick auf die [X.]eeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit zu erstellen ist (vgl. [X.], aaO Rn. 27, 29), ist von [X.]edeutung, wie viele Jahre zwischen einer Verfehlung, die seinerzeit die Unwürdigkeit begründete, und dem Zeitpunkt der ([X.] liegen. Auch eine durch ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten begründete Unwürdigkeit kann durch Zeitablauf und Wohlverhalten des [X.]ewerbers derart an [X.]edeutung verloren haben, dass sie der Zulassung des [X.]ewerbers nicht mehr im Wege steht. [X.]ei gravierenden Straftaten mit [X.]ezug zur beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts hält der Senat in ständiger Rechtsprechung einen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des [X.]ewerbers und dessen Wiederzulassung von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich (Senat, [X.]eschlüsse vom 10. Februar 2015 aaO und vom 18. November 1996 - [X.] ([X.]) 11/96, juris Rn. 13; vgl. auch [X.] in [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., § 7 Rn. 41). [X.]indende feste Fristen gibt es jedoch nicht. Vielmehr sind alle für und gegen den jeweiligen [X.]ewerber sprechenden Umstände einzelfallbezogen zu gewichten (Senat, Urteil vom 10. Oktober 2011; [X.]eschluss vom 10. Februar 2015; jeweils aaO). Wurde die Unwürdigkeit durch die [X.]egehung von Straftaten seitens des Rechtsanwalts begründet, ist neben der seit der [X.]egehung der letzten Straftat vergangenen Zeitspanne zu berücksichtigen, wie der [X.]ewerber in der Zwischenzeit mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat (Senat, [X.]eschlüsse vom 10. Februar 2015, aaO Rn. 6, und vom 4. April 2005 - [X.] ([X.]) 21/04, juris Rn. 9).

2. [X.]ei Anwendung dieser Grundsätze bestehen ernstliche Zweifel, ob noch von einer die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft begründenden Unwürdigkeit des [X.] im Sinne von § 7 Nr. 5 [X.] auszugehen ist.

Zwar sind die von ihm bis Februar 1989 begangenen Straftaten als gravierend und berufsbezogen im Sinne der Senatsrechtsprechung einzustufen (vgl. Senat, [X.]eschluss vom 10. Februar 2015 aaO). Seit ihrer [X.]egehung sind indes mittlerweile 29 Jahre vergangen. Angesichts dieser sehr langen Zeitspanne haben die Straftaten für die Frage der ([X.] des [X.] inzwischen erheblich an [X.]edeutung verloren.

Der [X.] hält dem Kläger zu Unrecht einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Wahrheitspflicht vor, weil er in dem Fragebogen zum Antrag auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft die Frage nach strafgerichtlichen Verurteilungen verneint hat. Der Kläger durfte sich gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 2 [X.]ZRG als unbestraft bezeichnen, weil die strafgerichtliche Verurteilung durch das [X.]vom 7. Dezember 1992 zu tilgen war (vgl. Senat, [X.]eschluss vom 3. November 2008 - [X.] ([X.]) 1/08, juris Rn. 16; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl., § 7 Rn. 53; [X.], [X.], 4. Aufl., § 7 Rn. 47). Die Tilgungsfrist lief gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 4, § 47 Abs. 1 [X.]. § 36 Satz 1 [X.]ZRG - unter [X.]erücksichtigung der Dauer der Freiheitsstrafe (§ 46 Abs. 3 [X.]ZRG) - am 7. Juni 2011 und damit weit vor dem Antrag des [X.] auf Wiederzulassung vom 19. Mai 2015 ab. Der Hinweis der [X.] in dem Fragebogen zum Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft auf § 53 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 [X.]ZRG ist vorliegend nicht einschlägig. Danach dürfen sich Verurteilte, deren Verurteilung nicht in das Führungszeugnis aufzunehmen ist (vgl. §§ 33, 34 [X.]ZRG), gegenüber der nach § 36 Abs. 1, 2 [X.] [X.]. § 41 Abs. 1 Nr. 11 [X.]ZRG auskunftsberechtigten Rechtsanwaltskammer nicht als unbestraft bezeichnen, falls sie - wie vorliegend geschehen - hierüber belehrt werden. Hiervon nicht betroffen ist das Recht des Verurteilten, sich gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 2 [X.]ZRG als unbestraft bezeichnen zu dürfen, wenn die Verurteilung zu tilgen ist. Letzteres ist hier der Fall.

Da sich der Kläger als unbestraft bezeichnen durfte, gereicht es ihm - entgegen der Auffassung des [X.]s - auch nicht zum Nachteil, dass er in seinem an die [X.]eklagte gerichteten Schreiben vom 2. September 2015 die Auffassung vertreten hat, er habe nicht gegen Strafgesetze verstoßen. Zudem handelte es sich um eine Stellungnahme zu dem vorangegangenen Schreiben der [X.] vom 7. August 2015. Dort werden dem Kläger Verstöße gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz vorgehalten. Die Ausführungen des [X.] vom 2. September 2015, er habe nicht gegen Strafgesetze verstoßen, beziehen sich ausschließlich auf diese Vorwürfe. Ihnen kann keine weitergehende Aussage dahingehend beigemessen werden, er sei niemals straffällig geworden.

Ob allein die dem Kläger von der [X.] zur Last gelegten Verstöße gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz - im Rahmen der erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung und Prognose (s.o. zu 1.) - eine weiterhin bestehende Unwürdigkeit im Sinne von § 7 Nr. 5 [X.] zu begründen vermögen, bedarf der Klärung im [X.]erufungsverfahren.

Offen bleiben kann, ob die Zulassung der [X.]erufung auch aufgrund der weiteren vom Kläger geltend gemachten Gründe angezeigt ist.

III.

Das Verfahren wird als [X.]erufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer [X.]erufung bedarf es nicht (§ 112e Satz 2 [X.], § 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).

[X.]     

      

[X.]     

      

[X.]

      

Lauer     

      

Merk     

      

Meta

AnwZ (Brfg) 70/17

20.03.2018

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof Saarbrücken, 25. Oktober 2017, Az: AGH 7/16

§ 7 Nr 5 BRAO, § 53 Abs 1 Nr 2 BZRG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.03.2018, Az. AnwZ (Brfg) 70/17 (REWIS RS 2018, 12076)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 12076

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

AnwZ (Brfg) 70/17 (Bundesgerichtshof)

Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft: Zeitlicher Abstand zwischen den gravierenden und berufsbezogenen Straftaten des Bewerbers und dessen …


AnwZ (Brfg) 70/17 (Bundesgerichtshof)


AnwZ (Brfg) 27/20 (Bundesgerichtshof)

Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft: Notwendige Wohlverhaltenszeit nach Zulassungswiderruf wegen Vermögensverfalls und Strafverurteilung wegen Veruntreuung von Mandantengeld …


AnwZ (Brfg) 2/21 (Bundesgerichtshof)

Versagung der Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft: Berufsunwürdigkeit des Bewerbers bei Strafverurteilungen wegen gravierende Straftaten mit Bezug …


AnwZ (Brfg) 55/14 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.