Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.02.2018, Az. 2 StR 163/17

2. Strafsenat | REWIS RS 2018, 14451

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BEWEISVERWERTUNGSVERBOT PFLICHTVERTEIDIGUNG BESCHULDIGTENVERNEHMUNG

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Gegenstand

Beweisverwertungsverbot im Strafverfahren: Unterbliebene Belehrung über die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung bei der Beschuldigtenvernehmung


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 2. Juni 2016 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, von der [X.] und sechs Monate als vollstreckt gelten. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten bleibt aus den vom [X.] in seiner Antragsschrift genannten Gründen ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

Der näheren Erörterung bedarf nur die Rüge des Angeklagten, seine Angaben und diejenigen der Mitangeklagten [X.]und [X.]seien unverwertbar, weil sie entgegen § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 [X.] (jetzt: § 136 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StPO) im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmungen nicht darüber belehrt worden seien, dass ihnen unter den Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 und 2 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt werden könnte. Sie greift im Ergebnis nicht durch.

3

Tatsächlich sind zwar die notwendigen Belehrungen nach § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 [X.] nicht erfolgt. Daraus aber folgt – entgegen der Ansicht der Revision – kein Verwertungsverbot.

4

Die Frage, ob das Unterbleiben des gesetzlich vorgeschriebenen Hinweises auf die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung zu einem Beweisverwertungsverbot führt, hat der [X.] bisher nicht entschieden; er hat allerdings bereits vor der gesetzlichen Einführung dieser [X.] auch ohne gesetzliche Vorgabe im Einzelfall eine Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer unentgeltlichen Verteidigung bejaht und bei einem Verstoß hiergegen ein grundsätzliches Beweisverwertungsverbot abgelehnt ([X.], 236, 237). Dies hat er im Wesentlichen damit begründet, dass nur gravierende Verfahrensverstöße zu einem Beweisverwertungsverbot führen könnten und die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung nicht annähernd einer Verletzung der Pflicht zur Belehrung über die Möglichkeit einer [X.] gleich komme, die grundsätzlich ein Verwertungsverbot nach sich ziehe.

5

Der Senat hält auch nach der Einfügung der [X.] in § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 [X.] die Annahme eines absoluten [X.] nicht für geboten (ebenso: [X.]/[X.], 60. Aufl., § 136 Rn. 21). Weder dem Gesetz, das Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2012/13/[X.] des [X.] und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren umsetzt, noch den Gesetzgebungsmaterialien oder auch der genannten Richtlinie lässt sich entnehmen, dass die Neuregelung das Ziel verfolgt, die Verletzung der [X.] hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen den von der Rechtsprechung für Verstöße gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO entwickelten Grundsätzen gleichzustellen. Dies gilt auch, wenn davon auszugehen ist, dass die neu eingefügte Regelung der Sache nach eine Erweiterung der Pflicht zur Belehrung über die [X.] nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO darstellt (so im Ergebnis auch Schuhr, in: [X.] Kommentar zur StPO, § 136, Rn. 38). Hieraus folgt nicht, dass auch hinsichtlich der Rechtsfolgen an diese Regelung anzuknüpfen wäre (a.A. aber Schuhr, aaO). Wie der [X.] in seinen Entscheidungen zur alten Rechtslage ausgeführt hat, bleibt die Verletzung der Pflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 [X.] in ihrer Bedeutung hinter derjenigen nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zurück, die die grundsätzliche Zugangsmöglichkeit zu einem Verteidiger als solchen betrifft. Es handelt sich insoweit um eine für die Rechtsstellung des Beschuldigten als Verfahrenssubjekt konstitutive Bestimmung, deren Verletzung in aller Regel zur Annahme eines [X.] führen muss (vgl. dazu [X.], [X.], 552, 554). Damit sind die Regelungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers, die nicht absolut gelten und vom Vorliegen der in § 140 Abs. 1 und 2 StPO genannten Voraussetzungen abhängig sind, nicht vergleichbar. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte im Ermittlungsverfahren kein eigenes Antragsrecht auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat, sondern lediglich anregen kann, dass die Staatsanwaltschaft von ihrem Antragsrecht Gebrauch macht. Hieran sollte im Übrigen – wie die Gesetzesbegründung klarstellt – die Ergänzung der Vorschrift nichts ändern (vgl. BT-Drucks. 17/12578, 16).

6

Die nach § 136 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 [X.] bzw. § 136 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 StPO n.F. unterbliebene Belehrung des Angeklagten begründet deshalb kein absolutes Verwertungsverbot. Aber auch die Annahme eines relativen, im Rahmen einer einzelfallbezogenen Abwägung festzustellendes Verwertungsverbot kommt hier nicht in Betracht. Das [X.] hat in seinem den Widerspruch gegen die Verwertung zurückweisenden Kammerbeschluss zutreffend in den Blick genommen, dass das staatliche Verfolgungs- und Aufklärungsinteresse – wie hier – bei einem Tötungsdelikt besonders hoch ist, die Belehrung nicht bewusst oder willkürlich, sondern aus Unkenntnis der Vernehmungsbeamten über die Neuregelung unterblieben ist und damit der festgestellte Verstoß von geringerem Gewicht ist. Zudem fehlen – worauf der [X.] zutreffend hingewiesen hat – jegliche Anhaltspunkte für die Annahme, die Angeklagten hätten im Rahmen ihrer ersten Vernehmung Angaben zur Sache gemacht, weil sie mangels wirtschaftlicher Mittel keine Möglichkeit gesehen hätten, sich eines Verteidigers zu bedienen. Auch die Revision hat hierzu nichts vorgetragen.

Schäfer     

      

Krehl     

      

Bartel

      

Grube     

      

Schmidt     

      

Meta

2 StR 163/17

06.02.2018

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 6. Februar 2018, Az: 2 StR 163/17, Beschluss

§ 136 Abs 1 S 2 StPO, § 136 Abs 1 S 3 Halbs 2 StPO vom 17.07.2015, § 136 Abs 1 S 5 Halbs 2 StPO vom 27.08.2017, § 140 Abs 1 StPO, § 140 Abs 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.02.2018, Az. 2 StR 163/17 (REWIS RS 2018, 14451)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 14451


Verfahrensgang

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Az. 2 StR 163/17

Bundesgerichtshof, 2 StR 163/17, 06.02.2018.

Bundesgerichtshof, 2 StR 163/17, 06.02.2018.


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