Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.05.2020, Az. 5 StR 35/20

5. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1782

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Gegenstand

Ausbeutung der Arbeitskraft: Konkurrenzverhältnis zum Tatbestand des Menschenhandels


Tenor

1. Dem Angeklagten [X.]        wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 25. Juni 2019 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil werden mit der - auch auf die nichtrevidierende Mitangeklagte [X.]       zu erstreckenden - Maßgabe als unbegründet verworfen, dass im Fall 5 der Urteilsgründe die tateinheitliche Verurteilung wegen Ausbeutung der Arbeitskraft entfällt.

3. Die Angeklagten [X.]       und [X.]        haben jeweils die Kosten ihres Rechtsmittels und die den [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten [X.]       die Kosten seines Rechtsmittels aufzuerlegen; er hat jedoch die hierdurch der Nebenklägerin [X.]  entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]        wegen Diebstahls (Fall 1), versuchten Diebstahls in zwei Fällen (Fälle 2 und 4) sowie wegen Menschenhandels in Tateinheit mit Ausbeutung der Arbeitskraft, Zwangsprostitution, [X.] in vier Fällen und mit gefährlicher Körperverletzung (Fall 5) unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten [X.]       hat es wegen Vergewaltigung in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fälle 7 und 8), wegen Menschenhandels in Tateinheit mit Ausbeutung der Arbeitskraft, Zwangsprostitution, [X.] in drei Fällen und mit gefährlicher Körperverletzung (Fall 5) sowie wegen [X.] von falschen amtlichen Ausweisen (Fall 10) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Den Angeklagten [X.]     hat es wegen versuchten Diebstahls in zwei Fällen (Fälle 3 und 4), wegen Vergewaltigung in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (Fälle 7 und 8), wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (Fall 6), wegen Menschenhandels in Tateinheit mit Ausbeutung der Arbeitskraft, Zwangsprostitution, Freiheitsberaubung, [X.] in drei Fällen, gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen und mit vorsätzlicher Körperverletzung (Fall 5) sowie wegen [X.] von falschen amtlichen Ausweisen (Fall 9) zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es [X.] getroffen. Ferner hat das [X.] die nichtrevidierende Mitangeklagte [X.]        wegen Menschenhandels in Tateinheit mit Ausbeutung der Arbeitskraft, Zwangsprostitution, Freiheitsberaubung, [X.] und mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (Fall 5) sowie wegen Beleidigung (Fall 6) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, drei Monaten und zwei Wochen verurteilt.

2

Die Angeklagten wenden sich gegen das Urteil mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Der Angeklagte [X.]       beanstandet zudem das Verfahren. Die Rechtsmittel der Angeklagten haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg, der gemäß § 357 StPO auf die Nichtrevidentin S.     A.       zu erstrecken war; im Übrigen sind die Revisionen aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

1. Die tateinheitliche Verurteilung wegen Ausbeutung der Arbeitskraft gemäß § 233 Abs. 1 Nr. 3 StGB im Fall 5 hat keinen Bestand.

4

a) Nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen brachten die drei Angeklagten in der Nacht zum 25. Juli 2018 fünf [X.] Obdachlose, die kein Wort [X.] oder [X.] sprachen und ihre Ausweispapiere einem der Angeklagten übergaben, unter dem Vorwand nach [X.], dort für sie legale Arbeitsplätze beschaffen zu können. Tatsächlich sollten sich die Geschädigten für die Angeklagten an der Durchführung von Diebstählen beteiligen. Die in den [X.] eingeweihte Mitangeklagte [X.]       besorgte der Gruppe eine Wohnung. Dort hielten die Angeklagten die Geschädigten bis zum 7. August 2018 fest und veranlassten sie mehrfach dazu, für sie zu stehlen und ihnen die gesamte [X.] zu überlassen. Ab dem 27. Juli 2018 verlangten die Angeklagten zudem von zwei der Geschädigten, dass diese sich prostituieren.

5

b) Die vom [X.] rechtlich als Ausbeutung der Arbeitskraft gemäß § 233 Abs. 1 Nr. 3 StGB bewertete Ausnutzung der Geschädigten zur Begehung von Diebstählen tritt hier hinter dem in der Variante des § 232 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1d StGB verwirklichten Tatbestand des Menschenhandels zurück. Denn die Angeklagten beförderten die Geschädigten nach [X.] und beherbergten sie unter ihrer Aufsicht dort, um deren Arbeitskraft bei ihren [X.] auszubeuten. Insoweit wird der Unrechtsgehalt der Tat nach § 233 Abs. 1 StGB von dem mit einem deutlich höheren Strafrahmen versehenen Tatbestand des § 232 Abs. 1 StGB miterfasst (vgl. [X.]/Schröder-Eisele, StGB 30. Aufl., § 233 StGB Rn. 16).

6

2. Der [X.] ändert den Schuldspruch entsprechend ab (§ 354 Abs. 1 StPO analog). § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich die Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.

7

Gemäß § 357 StPO ist die Änderung des Schuldspruchs auch auf die Mitangeklagte [X.]      als Mittäterin der Angeklagten zu erstrecken.

8

3. Die gegen die Angeklagten [X.]       und [X.]        erkannten Strafaussprüche im Fall 5 und der Ausspruch über die Jugendstrafe gegen den Angeklagten [X.]       können jeweils bestehen bleiben. Das [X.] hat bei der Strafbemessung zwar darauf abgestellt, dass die Angeklagten mit ihrem kumulativen Angriff auf verschiedene Rechtsgüter „mehrere Delikte verwirklicht“ haben; dies trifft jedoch weiterhin zu. Ohnehin wird der Unrechts- und Schuldgehalt einer Tat durch eine bloße Änderung der Konkurrenzen nicht berührt. Der [X.] kann daher ausschließen, dass die Strafaussprüche auf der abweichenden konkurrenzrechtlichen Bewertung des [X.]s beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO).

9

4. Im Hinblick auf den geringen Teilerfolg der Revisionen ist es nicht unbillig, die Angeklagten [X.]       und [X.]        mit den gesamten Kosten ihrer Rechtsmittel zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

Cirener     

        

Berger     

        

[X.]

        

Köhler     

        

Resch     

        

Meta

5 StR 35/20

27.05.2020

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 25. Juni 2019, Az: 513 KLs 38/18

§ 232 Abs 1 Nr 1d StGB, § 233 Abs 1 Nr 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.05.2020, Az. 5 StR 35/20 (REWIS RS 2020, 1782)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1782

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2 StR 87/22

5 StR 35/20

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