Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 24.07.2014, Az. 4 B 37/13

4. Senat | REWIS RS 2014, 3765

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Gegenstand

Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Fluglärmschutzverordnung Düsseldorf; unstatthaftes Rechtsmittel


Tenor

Beschluss des [X.] für das [X.] vom 19. Juli 2013 wird verworfen.

Gründe

1

1. Die sofortige Beschwerde ist bereits unzulässig.

2

Mit Beschluss vom 19. Juli 2013 hat das Oberverwaltungsgericht seine „[X.] Zuständigkeit" für das vorliegende Verfahren festgestellt, weil hier ein Fall des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO vorliege. Gleichzeitig hat es die Beschwerde zum [X.] zugelassen. Das war indessen unzulässig.

3

Wie § 46 VwGO (ebenso § 49 VwGO) zeigt, meint die „[X.] Zuständigkeit" nur die Zuständigkeit zur Entscheidung über ein Rechtsmittel. Die in § 47 VwGO und speziell in § 48 VwGO geregelten (erstinstanzlichen) Zuständigkeiten der Oberverwaltungsgerichte betreffen dagegen die sogenannte sachliche Zuständigkeit [X.], in: [X.], VwGO, 13. Aufl. 2010, § 83 Rn. 2). Für diese gelten gemäß § 83 Satz 1 VwGO die §§ 17 bis 17b des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG - entsprechend. Nach § 83 Satz 2 VwGO sind jedoch Beschlüsse entsprechend § 17a Abs. 2, Abs. 3 GVG unanfechtbar (das gilt im Übrigen auch für Entscheidungen über die [X.] Zuständigkeit; nach h.M. ist § 83 VwGO insoweit analog anzuwenden; grundlegend: Beschluss vom 13. Februar 1964 - [X.] 8 [X.] 383.63 - [X.]E 18, 53 <58> m.w.N., für [X.] Unzuständigkeit des [X.]s und Verweisung an das Berufungsgericht; vgl. auch Beschluss vom 17. April 2002 - [X.] 3 [X.] - BayVBl 2003, 157 <158> = juris Rn. 14; [X.], a.a.[X.] § 83 Rn. 2).

4

Da das Oberverwaltungsgericht seine Zuständigkeit gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO bejaht hat, ist sein Beschluss nach § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG i.V.m. § 83 Satz 2 VwGO folglich unanfechtbar. Die Zulassung der Beschwerde durch das Oberverwaltungsgericht geht damit ins Leere. Ein von der Prozessordnung nicht vorgesehenes Rechtsmittel wird nicht dadurch statthaft, dass es von der Vorinstanz zugelassen wird (vgl. [X.], Urteile vom 8. März 1994 - IX R 58.93 - NVwZ 1996, 519 = juris Rn. 13 und vom 8. Januar 1991 - [X.]/90 - [X.]/NV 1991, 547 = juris Rn. 7 m.w.N.; siehe auch [X.], Urteil vom 27. Juni 1968 - [X.] 8 [X.] 52.68 - [X.]E 30, 91 <98>; [X.], in [X.], a.a.[X.] § 132 Rn. 6).

5

2. Unabhängig davon teilt der Senat die Auffassung des [X.], dass es gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO für die von den Klägern begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verordnung über die Festsetzung des [X.] für den [X.] ([X.] - [X.]) der Landesregierung [X.] vom 25. Oktober 2011 ([X.]. S. 501) sachlich zuständig ist.

6

a) Nach dieser Vorschrift entscheidet das Oberverwaltungsgericht im ersten Rechtszug „über sämtliche Streitigkeiten, die ... den Betrieb von Verkehrsflughäfen" betreffen. Diese Voraussetzung wurde in der Rechtsprechung des [X.]s (Urteil vom 28. Juni 2000 - [X.] 11 [X.] 13.99 - [X.]E 111, 276 <277>) näher dahin konkretisiert, dass ein enger räumlicher und betrieblicher Zusammenhang mit dem Betrieb eines [X.] bestehen muss. Einen solchen Zusammenhang zwischen der Festsetzung des [X.] des Flughafens durch Verordnung der Landesregierung und dem Betrieb des Flughafens hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen.

7

Bis zur Neufassung des [X.] (i.d.[X.]. vom 31. Oktober 2007, [X.]) fiel die gerichtliche Geltendmachung von Erstattungsansprüchen für Maßnahmen des passiven Fluglärmschutzes sowie von Entschädigungsansprüchen nach einhelliger Auffassung (vgl. z.B. [X.], Urteil vom 13. Juni 2007 - 11 A 2061/06 - NVwZ-RR 2008, 88 = juris Rn. 26 m.w.N.) in die sachliche Zuständigkeit des [X.] gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO. Zur Begründung wurde zutreffend darauf verwiesen, dass angemessener Schallschutz bei Flughäfen regelmäßig nur durch eine Kombination aus aktiven und passiven Schallschutzmaßnahmen erreicht werden kann. Erstattungsansprüche für Maßnahmen des passiven [X.] standen deshalb ebenso wie Entschädigungsleistungen in einem engen rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang mit Betriebsbeschränkungen für den Flughafen; Streitigkeiten hierüber „betrafen" den Betrieb des Flughafens im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO ([X.] a.a.[X.]). Das galt nach bisheriger Rechtslage umso mehr, als die Anordnung von passiven Schallschutzmaßnahmen auf der Grundlage des § 9 Abs. 2 [X.] und von Entschädigungsleistungen dem Planfeststellungsbeschluss vorbehalten war (vgl. z.B. Urteil vom 16. März 2006 - [X.] 4 A 1075.04 - [X.]E 125, 116, Rn. 292 ff.), mit dem gemäß § 8 Abs. 4 [X.] auch betriebliche Regelungen als Maßnahmen des aktiven [X.] getroffen werden können.

8

An diesem engen rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang zwischen Erstattungs- und Entschädigungsansprüchen für [X.] einerseits und dem Betrieb des Flughafens andererseits hat sich durch die Neufassung des [X.] nichts geändert. Seit dem Inkrafttreten der Neufassung am 7. Juni 2007 sind Ansprüche auf Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen (§ 9 Abs. 1 bis 4 [X.]) und auf Entschädigung für Beeinträchtigungen des Außenwohnbereichs (§ 9 Abs. 5 [X.]) nunmehr zwar grundsätzlich, d.h. soweit im Fluglärmschutzgesetz geregelt, nach den verfahrens- und materiell-rechtlichen Vorgaben des [X.] zu gewähren (Urteil vom 4. April 2012 - [X.] 4 [X.] 8.09 u.a. - [X.]E 142, 234, Rn. 175 ff.). In verfahrensrechtlicher Hinsicht bestimmt dabei § 10 [X.], dass die nach Landesrecht zuständige Behörde nach Anhörung der Beteiligten durch schriftlichen Bescheid festsetzt, in welcher Höhe die Aufwendungen für passiven Schallschutz erstattungsfähig sind. Über Erstattungsansprüche ist deshalb grundsätzlich nicht mehr im Planfeststellungsbeschluss, sondern in einem gesonderten Festsetzungsverfahren zu entscheiden. Entsprechendes gilt für Entschädigungsansprüche. Materiell-rechtlich sind Erstattungs- und Entschädigungsansprüche gemäß § 9 Abs. 1, 2 und 5 [X.] an die Belegenheit des Grundstücks im [X.] (Tag- oder [X.]) geknüpft, die die Landesregierung gemäß § 4 Abs. 2 [X.] anhand der in § 2 Abs. 2 Satz 1 [X.] geregelten [X.] durch Rechtsverordnung festsetzt. Das Fluglärmschutzgesetz ist insoweit ein Spezialgesetz zu § 9 Abs. 2 [X.].

9

In § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] hat der Gesetzgeber allerdings ausdrücklich klargestellt, dass das Fluglärmschutzgesetz die Erstattung von Aufwendungen für bauliche Schallschutzmaßnahmen (einschließlich der zugrunde liegenden [X.]) sowie die Entschädigung für Beeinträchtigungen des Außenwohnbereichs mit Wirkung auch für die Genehmigungs- und Planfeststellungsverfahren nach §§ 6 und 8 [X.] regelt. Umgekehrt bestimmt § 8 Abs. 1 Satz 3 [X.], dass zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Fluglärm die jeweils anwendbaren Werte des § 2 Abs. 2 [X.] zu beachten sind. Mit der im Fluglärmschutzgesetz getroffenen Neuregelung des § 13 [X.] i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 3 [X.] wollte der Gesetzgeber die Planfeststellungsbehörde „im Interesse der Verbesserung der Rechtssicherheit und der Verfahrensbeschleunigung" mithin zwar von der Notwendigkeit befreien, im luftrechtlichen Zulassungsverfahren über Erstattungs- und Entschädigungsansprüche auf der Grundlage „lärmmedizinischer Gutachten, die sehr oft einen hohen Grad von Allgemeingültigkeit aufweisen", selbst abschließend entscheiden zu müssen (vgl. BTDrucks 16/3813 S. 11 f. und [X.]). Diese Zielsetzung ändert aber nichts daran, dass die sich aus §§ 8, 9 i.V.m. § 12 [X.] ergebenden Erstattungs- und Entschädigungspflichten des Flughafenbetreibers - wie das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen hat - materiell Teil der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des Betriebs sind. Den engen rechtlichen und tatsächlichen Zusammenhang zwischen der Festlegung des [X.] und dem Betrieb des Flughafens hat der Gesetzgeber inhaltlich nicht gelockert. Erst recht fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass die gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO beim Oberverwaltungsgericht konzentrierte Zuständigkeit für „sämtliche Streitigkeiten, die ... den Betrieb von Verkehrsflughäfen" betreffen, mit der Neuregelung abgelöst werden sollte. Die Annahme der Beigeladenen, dass die Lärmschutzverordnung keine betriebsbezogene Regelung sei, sondern lediglich auf einer [X.] die Folgen des Flughafenbetriebs regle, steht deshalb mit den gesetzlichen Vorgaben nicht im Einklang.

b) Eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO, die die Beigeladene in den Vordergrund rückt, rechtfertigt keine andere Sichtweise.

Die Beigeladene macht geltend, mit der auf Großvorhaben beschränkten Erweiterung der erstinstanzlichen Zuständigkeit des [X.] sollte vor allem eine Beschleunigung der Verfahren erreicht werden, um bedeutende Infrastrukturvorhaben schneller verwirklichen zu können. Vorliegend bestehe indes - objektiv - kein Anlass, das Verfahren durch Beschränkung auf eine Tatsacheninstanz zu verkürzen, weil es weder um die Änderung oder Erweiterung des [X.] noch um etwaige (flug-)betriebliche Regelungen gehe, und die Lärmschutzverordnung auch keine sonstigen unmittelbaren Auswirkungen auf den Betrieb des [X.] habe. Da der Betrieb des Flughafens von dem Rechtsstreit somit nicht tangiert werde, ein reibungsloser Ablauf also während des gesamten Gerichtsverfahrens - gegebenenfalls über mehrere Instanzen - gewährleistet werde, sei auch kein Grund für eine „Beschleunigung" des Verfahrens ersichtlich und eine Verkürzung des Instanzenzugs nicht zu rechtfertigen.

Diese Überlegungen gehen bereits deshalb fehl, weil die Gewährleistung passiven [X.] - wie dargelegt - materiell Teil der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des Flughafenbetriebes ist. Überdies hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Neufassung des [X.] (Urteil vom 4. April 2012 a.a.[X.] Rn. 165) betont, dass passiver Schallschutz auch „rechtzeitig" wirksam werden muss. Dieses Erfordernis hat der Senat durch die Regelungen des [X.] in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise als erfüllt angesehen: Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 3 [X.] „soll" die Festsetzung des [X.], die durch Rechtsverordnung der Landesregierung erfolgt (§ 4 Abs. 2 Satz 1 [X.]), vorgenommen werden, sobald die Genehmigung, die Planfeststellung oder die Plangenehmigung für die Anlegung oder Erweiterung des Flugplatzes erteilt ist. Für den Regelfall, der keine atypischen Besonderheiten aufweist, besteht daher die Verpflichtung, die [X.]e alsbald nach Erlass der genannten Zulassungsentscheidungen festzusetzen. Aus der Festlegung der entsprechenden [X.]e ergeben sich dann nach Maßgabe der §§ 8 und 9 [X.] Ansprüche auf Erstattung von Aufwendungen für baulichen Schallschutz bzw. Entschädigungsansprüche. Für den Fall, dass die rechtzeitige Festsetzung des [X.] unterbleibt oder das ausgewiesene Gebiet zu klein ist, können die potentiell Begünstigten auf Erlass oder Erweiterung der Schutzbereichsverordnung klagen. Damit hat der Gesetzgeber ausreichend dafür Sorge getragen, dass Grundeigentümer, die durch Fluglärm in unzumutbarer Weise betroffen werden, im Regelfall spätestens mit der Inbetriebnahme des Flugplatzes oder seiner Erweiterung Erstattung ihrer Aufwendungen für den baulichen Schallschutz beanspruchen können, wenn auch diesbezüglich noch das Verfahren nach § 10 [X.] durchzuführen ist. Vor diesem Hintergrund dürfen Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 VwGO nicht einseitig dahingehend interpretiert werden, dass ein beschleunigtes Verfahren durch Konzentration der sachlichen Zuständigkeit bei den Oberverwaltungsgerichten nur mit Blick auf den Betrieb oder die alsbaldige Inbetriebnahme eines Flughafens geboten wäre. Beschleunigung ist auch geboten, wenn es darum geht, Ansprüche auf Erstattung von Aufwendungen für baulichen Schallschutz so rechtzeitig durchzusetzen, dass unzumutbare Lärmbelastungen durch den Betrieb des Flughafens vermieden werden.

Meta

4 B 37/13

24.07.2014

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 19. Juli 2013, Az: 20 D 96/11.AK, Beschluss

§ 48 Abs 1 S 1 Nr 6 VwGO, § 83 S 1 VwGO, § 83 S 2 VwGO, FluLärmDüsseldV, § 9 Abs 1 FluLärmG, § 9 Abs 2 FluLärmG, § 9 Abs 3 FluLärmG, § 9 Abs 4 FluLärmG, § 9 Abs 5 FluLärmG, § 9 Abs 2 LuftVG, § 8 Abs 4 LuftVG, § 6 LuftVG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 24.07.2014, Az. 4 B 37/13 (REWIS RS 2014, 3765)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3765

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Referenzen
Wird zitiert von

8 A 16.40043

8 AS 16.40044

8 A 16.40045

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