Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.01.2014, Az. 1 StR 389/13

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 8685

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Gegenstand

Körperverletzung mit Todesfolge: Tatherrschaft des Arztes bei Missbrauch des verschriebenen Fetanyl-Schmerzpflasters durch den suchtgefährdeten Patienten


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. Februar 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer des [X.] verwiesen.

Gründe

I.

1

Das [X.] hat den Angeklagten, einen auf die Substitutionsbehandlung Rauschgiftsüchtiger spezialisierten Arzt, wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Körperverletzung mit Todesfolge, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln, sowie wegen weiterer 673 tatmehrheitlicher Fälle der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und zugleich ein Berufsverbot für die Dauer von vier Jahren sowie den Verfall von [X.] in Höhe von 11.600 Euro angeordnet.

2

Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.

3

1. Nach den Feststellungen des [X.]s führte der Angeklagte seit vielen Jahren Substitutionsbehandlungen bei opiat-, vor allem heroinabhängigen Patienten durch. Ihm war bekannt, dass solche Patienten häufig unter Vortäuschung schwerer Schmerzzustände versuchen, sich in den Besitz von [X.] auf Basis des Opiats [X.] zu bringen, um den darin enthaltenen Wirkstoff auszukochen und ihn sich zur Befriedigung ihrer Sucht intravenös zu injizieren. Ihm war auch bekannt, dass [X.] stark atemdepressiv wirkt, weshalb beim Einsatz solcher Pflaster ohne strenge ärztliche Kontrolle Lebensgefahr besteht.

4

a) Seit November 2005 führte der Angeklagte bei dem heroinabhängigen Geschädigten     S.     eine Substitutionsbehandlung durch. Im Januar 2008 brach dieser die Behandlung unvermittelt ab. Durch die Übersendung mehrerer ihm als "Hausarzt" übersandter Arztberichte erfuhr der Angeklagte jedoch in der Folgezeit davon, dass      S.     im ersten Halbjahr 2010 dreimal, zuletzt am 31. Mai 2010, erfolglos wegen seiner Heroinabhängigkeit stationär behandelt worden war.

5

Am 28. September 2010 sprach      S.     erstmals wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein aufgeklebtes [X.]-Schmerzpflaster und bat unter Hinweis auf eine bei ihm bestehende schwere Hüftgelenksverletzung um weitere Pflaster. Obwohl der Angeklagte erkannte, dass aufgrund der fortbestehenden Abhängigkeit die Abgabe von [X.] zur unkontrollierten Schmerzbehandlung kontraindiziert und     S.     infolge der Abhängigkeit als Hochrisikopatient im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch einzustufen war, verordnete er ihm zehn [X.]-Pflaster mit einem Wirkstoffgehalt von je 100 Mikrogramm [X.] zum Eigengebrauch und stellte ihm auch bei drei weiteren Vorstellungen am 3. November 2010, am 1. Dezember 2010 und am 10. Januar 2011 jeweils [X.] in gleichem Umfang aus. Eine eingehende Untersuchung des Patienten, insbesondere eine solche auf Drogenfreiheit, nahm er vor den Verschreibungen nicht vor.

6

Am Abend des 10. Januar 2011 kochte      S.     gemeinsam mit den Zeugen M.    , [X.]und [X.]in seiner Wohnung die vom Angeklagten rezeptierten [X.]-Pflaster aus und injizierte sich den Wirkstoff. Dabei verabreichte er sich, was der Angeklagte nach den Feststellungen der [X.] für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, versehentlich eine Überdosis und verstarb, für den Angeklagten als spezifische Folge seiner Verschreibung vorhersehbar und vermeidbar, unmittelbar an deren Folgen.

7

b) Seit November 1999 betreute der Angeklagte den langjährig heroinabhängigen Geschädigten      [X.].

8

Nachdem er diesem Patienten am 28. Januar 2009 zunächst ein Hausverbot in der Praxis erteilt hatte, stellte sich        [X.]        am 7. Dezember 2009 wegen eines vorgeblichen [X.] überraschend wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein [X.]-Pflaster und bat um weitere gleichartige Verordnungen. Der Angeklagte rezeptierte ihm, ohne ihn zu untersuchen, zehn [X.]-Pflaster á 75 Mikrogramm zum Eigengebrauch, überwies ihn an einen Orthopäden und erbat von dort eine Bestätigung der Erforderlichkeit der [X.]-Behandlung. Ohne weitere Untersuchung und ohne Rücksprache mit dem Orthopäden rezeptierte er dem Geschädigten auch am 21. Dezember 2009 fünf, am 26. April 2010 zehn und am 23. Dezember 2010 nochmals fünf [X.]-Pflaster mit jeweils 75 Mikrogramm [X.]-Wirkstoff zum Eigengebrauch.

9

Wegen des ihm bekannten, langjährigen [X.] waren dem Angeklagten die fortbestehende Abhängigkeit des Geschädigten [X.]       und die damit verbundene Gefahr eines Missbrauchs von Heilmitteln bewusst.

          [X.]         injizierte sich, wie vom Angeklagten für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, am 26. Dezember 2010 unter nicht näher aufklärbaren Umständen den ausgekochten [X.]-Wirkstoff intravenös. Für den Angeklagten als Folge seines Handelns vorhersehbar und vermeidbar, verabreichte er sich dabei eine Überdosis [X.] und verstarb unmittelbar an deren Folgen.

2. Seit 1999 war der Angeklagte behandelnder Arzt des opiatabhängigen Patienten       [X.]        . Der zu 100 % schwerbehinderte, an den Rollstuhl gefesselte Patient konsumierte, was dem Angeklagten bekannt war, seit 1999 abwechselnd [X.] und Methadon.

In den Jahren 2010, 2011 und bis zu seiner Verhaftung am 18. Januar 2012 stellte der Angeklagte dem Patienten insgesamt 599 Privatrezepte im Umfang wöchentlicher Gesamtmengen jeweils 1%igen Methadonhydrochlorids von 105 ml (488 Rezepte), 210 ml (3 Rezepte) oder 308 ml (108 Rezepte) zum Eigengebrauch aus. Für - nicht näher verifizierte - Zeiträume, in denen der Geschädigte sich "auf Reisen" befand, verordnete ihm der Angeklagte in 68 Fällen jeweils 75 [X.] mit einem Wirkstoffgehalt von je 40 mg Methadonhydrochlorid.

Eine umfassende Untersuchung des Patienten nahm der Angeklagte dabei zu keinem Zeitpunkt vor. Die jeweiligen [X.] innerhalb des vorgenannten Zeitraums wählte er willkürlich. Mit Ausnahme von Urlaubszeiten stellte er dem Patienten wöchentlich fünf bis sechs Rezepte zum Preis von jeweils 30 Euro aus, die [X.]        durch Mitarbeiterinnen des Angeklagten jeweils an der Hauseingangstür der Praxis übergeben wurden. Das Methadon verkaufte [X.]        , soweit er es nicht selbst konsumierte, an Unbekannte weiter.

Der Angeklagte handelte in der Absicht, sich eine Erwerbsquelle von erheblichem Umfang und Dauer zu verschaffen. Durch die Rezeptverkäufe erzielte er einen Gesamterlös vor Steuern in Höhe von 20.010 Euro.

II.

Die Revision des Angeklagten ist bereits mit der Sachrüge begründet; auf die erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht mehr an.

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des Geschädigten S.    hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.

Bereits die Ausführungen des [X.]s zum objektiven Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Im Ansatz zutreffend, hat die [X.] geprüft, ob der Angeklagte Beteiligter der zum Tode des Geschädigten S.     führenden Körperverletzung sein konnte, obwohl sich dieser das [X.] ohne Mitwirkung des Angeklagten eigenhändig injizierte.

Wer eine fremde Selbstverletzung oder -gefährdung veranlasst, macht sich nicht wegen Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten strafbar, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Verletzung oder Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, kann daher nicht wegen eines [X.] oder Tötungsdelikts verurteilt werden, denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches - soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht - kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist ([X.], Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 [X.]; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, [X.]St 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 [X.], [X.]St 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, [X.]St 32, 262).

Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und einer - grundsätzlich tatbestandsmäßigen - Fremdgefährdung eines anderen ist die Trennungslinie zwischen [X.]chaft und Teilnahme. Entscheidend ist damit die Eigen- bzw. Freiverantwortlichkeit des Entschlusses des Rechtsgutsinhabers, sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit selbst zu gefährden. Eine [X.]chaft des die Selbstgefährdung [X.] kommt daher nur in Betracht, wenn er infolge eines bei dem sich selbst Gefährdenden bestehenden Mangels der Eigenverantwortlichkeit Tat- bzw. [X.] über das Geschehen erlangt.

b) Die [X.] hat - im Ansatz zutreffend - eine solche [X.] des Angeklagten wegen dessen überlegenen Wissens bejaht, aber nicht rechtsfehlerfrei begründet.

aa) Hierzu hat sie ausgeführt, als "erfahrener Drogenarzt" habe der Angeklagte im "Wissen um das Risiko eines Missbrauchs durch Patienten mit problematischem [X.]" das "weitere Geschehen aus der Hand" gegeben, indem er dem Patienten "unkontrolliert [X.] in großen Mengen überlassen" habe. Nicht "in Rechnung" zu stellen, dass Drogenabhängige "im Entzug jede Kontrolle über sich verlieren oder ein ihnen überlassenes Suchtmittel entgegen ärztlicher Anordnung intravenös injizieren und dabei auch eine Überdosis anwenden" können, schaffe geradezu einen „Anreiz zur Selbstgefährdung, der als täterschaftliche Schaffung einer gefahrträchtigen Lage zu werten“ sei.

bb) Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

(1) Allerdings kann nach der Rechtsprechung des [X.] überlegenes Sachwissen des die Selbstgefährdung bzw. -verletzung [X.] dessen [X.] begründen (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 [X.]; [X.], Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, [X.]St 53, 288, 290 f.; vom 11. April 2000 - 1 [X.], [X.], 205).

Die [X.] hat jedoch den rechtlichen Maßstab für die Prüfung überlegenen Wissens verkannt. Denn sie hat ausschließlich an den besonderen Kenntnissen des Angeklagten Maß genommen, dabei aber den Wissensstand des Geschädigten völlig unberücksichtigt gelassen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St [X.]). Die Beurteilung der Überlegenheit des Sachwissens setzt jedoch Feststellungen zum Wissensstand sowohl des die Selbstgefährdung [X.] als auch des sich selbst Gefährdenden zwingend voraus (zum Prüfungsmaßstab vgl. [X.], Urteil vom 11. April 2000 - 1 [X.], [X.], 205 [X.]).

(2) Durch diesen verkürzten Maßstab hat sich die [X.] im Weiteren den Blick auf Umstände verstellt, die hinreichend adäquates Sachwissen auch des Geschädigten in Bezug auf das rechtsgutsbezogene Risiko seines Verhaltens nahelegten und daher der Erörterung bedurft hätten:

So verfügte der Geschädigte über eine lange Suchtkarriere und kannte die grundlegenden Risiken des Drogenkonsums einschließlich des Risikos einer Überdosierung (vgl. auch [X.], Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, [X.]St 53, 288 ff.; BayObLG, Beschlüsse vom 11. Dezember 2001 - 5St [X.], vom 14. Februar 1997 - 4St [X.], [X.], 341, 342, und - zu einem insoweit anders gelagerten Fall - vom 28. August 2002 - 5St [X.], NJW 2003, 371). Auch hinsichtlich des von ihm konkret praktizierten [X.]-Missbrauchs legten die von der [X.] als glaubhaft erachteten Aussagen der Zeugen M.    , [X.] und [X.]es nahe, dass der Geschädigte sich der Risiken seines Handelns, insbesondere der Gefahr einer Überdosis aufgrund der Injektion, bewusst war.

Eines darüber hinaus gehenden Verständnisses der exakten medizinischen Wirkzusammenhänge zwischen der Einnahme des als bei Überdosierung als lebensgefährlich bekannten Opiats und den möglichen Auswirkungen auf das eigene Leben und die eigene körperliche Unversehrtheit bedurfte es demgegenüber nicht.

c) Auch unter dem Aspekt eines etwaigen Ausschlusses der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Entscheidung belegen die Ausführungen der [X.] keine Tatherrschaft des Angeklagten.

Auch hier hat die [X.] bereits den rechtlichen Maßstab verfehlt.

Ihre - für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffene - Feststellung der Opiatabhängigkeit des Geschädigten führt nicht automatisch zum Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit (vgl. auch [X.], Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, [X.], 71; Urteile vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10, und vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, [X.], 410, 411 m. Anm. [X.]; sehr weitgehend demgegenüber noch [X.], Urteil vom 18. Juli 1978 - 1 [X.], [X.] 1979, 429; [X.], StGB, 61. Aufl., § 21 Rn. 13 [X.]; ebenso für "Erfahrungen im Umgang mit Drogen" [X.], Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 [X.]; Urteil vom 11. April 2000 - 1 [X.], [X.]R StGB § 222 Zurechenbarkeit 2). Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Betäubungsmittelkonsumenten zu eigenverantwortlicher Entscheidung nicht fähig sind, besteht nicht (s.a. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St [X.]). Vielmehr bedarf es der Feststellung konkreter die Eigenverantwortlichkeit einschränkender Umstände, etwa einer akuten Intoxikation (vgl. [X.], Urteil vom 28. Oktober 1982 - 1 [X.], [X.], 72), unter Umständen auch eines entzugsbedingten akuten Suchtdrucks, verbunden mit der Angst vor körperlichen Entzugserscheinungen (zu §§ 20, 21 StGB vgl. [X.], Urteile vom 2. November 2005 - 2 StR 389/05, [X.], 151; vom 6. Juni 1989 - 5 [X.], [X.]R StGB § 21 BtM-Auswirkungen 5; Beschluss vom 10. April 1990 - 4 [X.], [X.]R StGB § 21 BtM-Auswirkungen 7 jew. [X.]) oder konsumbedingter schwerer Persönlichkeitsveränderungen, die zum Verlust der Eigenverantwortlichkeit führen können (zu §§ 20, 21 StGB vgl. [X.], Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, [X.], 282; Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10).

Solche Feststellungen hat die [X.] jedoch nicht getroffen.

d) Soweit dem Urteil des Senats vom 18. Juli 1978 (1 [X.], [X.] 1979, 429) über die Besonderheiten des dortigen konkreten Falles hinaus allgemein die Rechtsauffassung entnommen werden könnte, die aus der Behandlung eines opiatabhängigen Patienten resultierende Garantenpflicht des behandelnden Substitutionsarztes begründe eine "besondere Sorgfaltspflicht" des Arztes, Schaden von seinem Patienten abzuwenden, und führe - unabhängig von der Freiverantwortlichkeit des Patienten - stets zu einer [X.]chaft begründenden Herrschaft des Arztes über das selbstschädigende Verhalten des Patienten, wäre daran nicht festzuhalten.

2. Aus denselben Gründen hält auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des Geschädigten [X.]        revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

3. Schließlich begegnet auch die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in den auf den Tatkomplex [X.]      entfallenden 667 Fällen durchgreifenden Bedenken.

a) Die Annahme der [X.], ungeachtet der - wie festgestellt - gemeinsamen Ausstellung mehrerer Rezepte liege hinsichtlich jedes einzelnen Rezepts eine gesonderte Straftat vor, ist rechtsfehlerhaft.

Aus dem Umstand, dass der Angeklagte jedes der ihm vorgelegten Rezepte überprüfte, ehe er es unterzeichnete, ergibt sich kein gesonderter Tatentschluss. Der Angeklagte handelte vielmehr ersichtlich mit der Absicht, alle ihm vorgelegten Rezepte, sofern diese formal ordnungsgemäß ausgestellt waren, innerhalb eines einheitlichen Prüfungsvorganges zu unterzeichnen, damit sie dem Patienten gemeinsam übergeben werden konnten.

b) Eine abschließende Beurteilung der Anzahl der [X.] ist dem Senat nicht möglich, weil das Urteil insoweit keine widerspruchsfreien Feststellungen enthält.

Die [X.] legt als Tatzeitraum den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zur Verhaftung des Angeklagten am 18. Januar 2012, also "ca. 107 Kalenderwochen" zugrunde. Sie führt hierzu jedoch aus, [X.]       habe die Rezepte lediglich "in der Regel", nämlich außerhalb von "Urlaubszeiten", wöchentlich abgeholt. Diese "Urlaubszeiten" - bei denen unklar bleibt, ob damit die "Reisezeiten" des Patienten gemeint sind - sind jedoch nicht näher verifiziert; es liegt nahe, dass sich die Anzahl der [X.] unter Anrechnung dieser Zeiten verringert.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Die in Fällen eigenverantwortlicher Selbstverletzung oder -gefährdung für eine [X.]chaft wegen vorsätzlicher Körperverletzung aufgestellten Maßstäbe gelten entsprechend, sofern eine Bestrafung des die Selbstgefährdung [X.] nur wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung in Betracht kommt. Daher bedarf es auch insoweit einer [X.] aufgrund überlegenen Sachwissens oder aufgrund erkennbarer Mängel der Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung bei dem sich selbst Gefährdenden (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 [X.]; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, [X.]St 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 [X.], [X.]St 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, [X.]St 32, 262).

2. Für den Fall, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung hinreichende Feststellungen zur Annahme von Tat- bzw. [X.] des Angeklagten ergeben, wird der neue Tatrichter auch die subjektive Tatseite erneut eingehend zu prüfen haben:

Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit handelt der Täter vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein; bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten ([X.], Urteil vom 4. November 1988 - 1 [X.], [X.]St 36, 1, 9 f.).

Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden ([X.] aaO, vgl. auch Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, [X.]St 56, 277 ff.). Insbesondere die Würdigung zum voluntativen Vorsatzelement, also zur billigenden Inkaufnahme des Erfolges, muss sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des [X.] auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen (vergleiche [X.], Urteil vom 4. November 1988 - 1 [X.], [X.]St 36, 1, 10, und vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, [X.], 175). Der Tatrichter darf nicht ohne Weiteres aus der Erkenntnisfähigkeit eines [X.] oder seiner vorhandenen Erkenntnis auf die billigende Inkaufnahme des Erfolgs schließen (vgl. [X.], Urteil vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, [X.], 175).

Bei der Körperverletzung im Arzt-Patienten-Verhältnis ist zu berücksichtigen, dass die Annahme, die Art und Weise der Behandlung eines Patienten durch einen Arzt sei nicht am Wohl des Patienten orientiert, auch bei medizinisch grob fehlerhaftem Verhalten des Arztes häufig fernliegt (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 [X.], [X.], 35 f.). Selbst erhebliche Sorgfaltspflichtverstöße schließen eine Verurteilung wegen nur fahrlässiger Tat nicht von vornherein aus (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 28. August 2002 - 5St [X.], NJW 2003, 371, 372).

Raum                         Wahl                           Graf

                [X.]

Meta

1 StR 389/13

16.01.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Augsburg, 7. Februar 2013, Az: 8 Ks 200 Js 105371/11

§ 227 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.01.2014, Az. 1 StR 389/13 (REWIS RS 2014, 8685)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8685

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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