Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.02.2011, Az. VI R 69/10

6. Senat | REWIS RS 2011, 9449

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Gegenstand

Keine Wiedereinsetzung für FA, wenn die OFD eine Revisionsbegründung schuldhaft zu spät an den BFH weiterleitet


Leitsatz

1. NV: Versäumt das FA die Revisionsbegründungsfrist wegen des Verschuldens eines Beamten der OFD beim Weiterleiten des Schriftsatzes an den BFH, so handelt es sich grundsätzlich um eigenes Organisationsverschulden des FA .

2. NV: Wird ein Revisionsschriftsatz des FA durch einen dafür zuständigen und zum Richteramt befähigten Beamten der OFD geprüft, so ist dessen Verschulden an der Fristversäumung, wozu auch ein Organisationsverschulden gehört, dem FA zuzurechnen .

Tatbestand

1

I. [X.]ie Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. [X.]er Kläger, der als Soldat Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt, wurde im Streitjahr (2006) von seinem Heimatstandort [X.] zu zwei Lehrgängen abkommandiert. Vom 4. April bis zum 30. Juni musste er nach [X.] und vom 25. Juli bis zum 20. [X.]ezember nach M. Während der Lehrgänge nahm der Kläger an der Gemeinschaftsverpflegung teil. [X.]ür diese Verpflegung hatte der Kläger ein Entgelt in Höhe des Sachbezugswertes (6,76 € für einen ganzen Tag) zu entrichten. Er hatte gegen seinen [X.]ienstherrn einen Anspruch auf [X.]. [X.]iese Tagegelder wurden in den ersten 14 Tagen der Reise wegen der gewährten Gemeinschaftsverpflegung vom [X.]ienstherrn vollständig und ab dem 15. Tag teilweise einbehalten.

2

In seiner Einkommensteuererklärung machte der Kläger beim Beklagten und Revisionskläger ([X.]inanzamt --[X.]A--) für die o.g. Lehrgänge Verpflegungsmehraufwendungen und [X.]ahrtkosten als Werbungskosten geltend. [X.]as [X.]A berücksichtigte die beantragten Verpflegungspauschalen in den ersten 14 Tagen gar nicht und ab dem 15. Tag der [X.]ienstreise in reduzierter Höhe. [X.]er hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

3

[X.]as [X.]inanzgericht gab der Klage mit den in Entscheidungen der [X.]inanzgerichte 2011, 30 veröffentlichten Gründen statt.

4

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.]A ließ der Senat mit Beschluss vom 16. September 2010 die Revision zu. [X.]ieser Beschluss wurde dem [X.]A am 4. Oktober 2010 zugestellt.

5

[X.]ie Begründung der Revision ging am 5. November 2010 ein. Nach Hinweis auf die [X.]ristversäumung durch den Senat, zugestellt am 10. November 2010, beantragte das [X.]A mit Schriftsatz vom 15. November 2010, beim [X.] (B[X.]H) eingegangen am 19. November 2010, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 der [X.]inanzgerichtsordnung ([X.]GO) mit der Begründung, dass das [X.]A kein Verschulden an dem um einen Tag verspäteten Eingang der Revisionsbegründung treffe. [X.]ie [X.] (O[X.][X.]) habe nach interner Prüfung die Revisionsbegründung am 3. November 2010 in die [X.] gelegt. [X.]er Hausbote habe diese Post am Vormittag des 3. November 2010 sowohl abgeholt als auch der Absendestelle der O[X.][X.] übergeben. [X.]er Zeitpunkt der Übergabe an das Postunternehmen werde mit dem [X.]atum im Absendevermerk dokumentiert. [X.]as Tagesdatum erhielten nur Sendungen, die noch vor 15:00 Uhr an das Postunternehmen übergeben worden seien. [X.]as [X.]A habe darauf vertrauen dürfen, dass die Revisionsbegründung am nächsten Werktag, also dem 4. November 2010, und damit rechtzeitig vor [X.]ristende dem B[X.]H zugestellt werde. Einen verzögerten Postlauf habe das [X.]A nicht zu vertreten.

6

Zur Glaubhaftmachung legte das [X.]A einen Schriftsatz der O[X.][X.] vor, der an das [X.]A adressiert war. [X.]er Autor teilte dem [X.]A darin mit, dass er die [X.] an den B[X.]H weitergeleitet habe. [X.]ieser Schriftsatz ist mit einem Stempel mit dem Aufdruck "abgesandt am 03. Nov. 2010" versehen. [X.]er Aufdruck ist unterschrieben.

7

Mit der Revision rügt das [X.]A die Verletzung materiellen Rechts.

8

[X.]as [X.]A beantragt,

das angefochtene Urteil vom 5. [X.]ebruar 2010  1 K 2623/08 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

[X.]ie Kläger haben keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unzulässig (§ 124 Abs. 1 Satz 2 FGO) und deshalb nach § 126 Abs. 1 FGO zu verwerfen. Das [X.] hat es versäumt, die Revision innerhalb der nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO zu beachtenden Frist zu begründen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen unverschuldeter Versäumung der [X.] kommt im Streitfall nicht in Betracht.

1. Die Frist zur Begründung der Revision ist versäumt worden. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO beträgt die Frist zur Begründung einer Revision, die aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde vom [X.] zugelassen worden ist, einen Monat. Der Fristlauf beginnt nach § 116 Abs. 7 Satz 2 FGO mit der Zustellung der Entscheidung über die Zulassung.

Nachdem der Revisionszulassungsbeschluss vom 16. September 2010 dem [X.] am 4. Oktober 2010 zugestellt worden war, lief die Frist zur Begründung der Revision bis zum 4. November 2010. Die am 5. November 2010 eingegangene Begründung wahrte die Begründungsfrist nicht.

2. Dem [X.] ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 FGO liegen nicht vor. Nach dieser Norm ist demjenigen Wiedereinsetzung in eine gesetzliche Frist zu gewähren, der ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war, den Wiedereinsetzungsantrag innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnisnahme von der Fristversäumnis gestellt und die zur Begründung des Antrags vorgetragenen Tatsachen glaubhaft gemacht hat (§ 56 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO). Vorliegend war das [X.] nicht unverschuldet verhindert, die Frist zur Begründung der Revision einzuhalten.

a) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten nach der Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie von der Rechtsprechung für das Wiedereinsetzungsgesuch eines Steuerpflichtigen entwickelt worden sind (vgl. [X.]-Entscheidungen vom 1. Oktober 1981 IV R 100/80, [X.]E 134, 220, [X.] 1982, 131; vom 8. September 1998 [X.], [X.]/NV 1999, 73, m.w.[X.]). Danach ist auch eine Behörde zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet ([X.]-Beschluss vom 7. Dezember 1982 [X.], [X.]E 137, 221, [X.] 1983, 229). Dabei muss die Kontrolle der Erledigung und tatsächlichen Absendung, d.h. der tatsächlichen Übergabe des Schriftstücks an die Post durch Jemanden erfolgen, der den gesamten Bearbeitungsvorgang überwachen kann ([X.]-Beschlüsse vom 26. August 1997 [X.], [X.]/NV 1998, 70, und vom 6. November 1997 [X.]/97, [X.]/NV 1998, 709, m.w.[X.]). Die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die amtsinterne [X.] reichen hierfür ebenso wenig aus wie ein bloßer Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an diese [X.] weiterleitet, weil dadurch noch nicht ausreichend sichergestellt ist, dass das Schriftstück auch tatsächlich unmittelbar zur Weiterbeförderung an die Post gelangt ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 1999, 73, m.w.[X.]). Vielmehr ist erforderlich, dass die ordnungsgemäße Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes durch einen Absendevermerk der Poststelle in den Akten festgehalten wird ([X.]-Beschluss vom 16. Januar 2007 [X.], [X.]/NV 2007, 1508). Bereits einfache Fahrlässigkeit schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus ([X.]-Urteil vom 12. Mai 1992 [X.]/91, [X.]/NV 1993, 6). Das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Bevollmächtigten steht dem eigenen Verschulden des [X.] gleich ([X.]-Urteil in [X.]/NV 1993, 6). Wird ein [X.] durch einen zum Richteramt befähigten Beamten der [X.] vertreten, ist dessen schuldhaftes Handeln dem [X.] als eigenes zuzurechnen ([X.]-Beschluss vom 11. Oktober 1991 [X.], [X.]/NV 1994, 553).

b) Nach diesen Grundsätzen hat das [X.] nicht glaubhaft gemacht, dass es die [X.] schuldlos versäumt hat. Das Versäumen der Frist ist auf schuldhaftes Verhalten der Beamten der [X.] zurückzuführen. Denn das [X.] konnte nicht anhand einer wirksamen Postausgangskontrolle bei der [X.] belegen, dass der Schriftsatz des [X.] über die [X.] tatsächlich am 3. November 2010 an die [X.] übergeben worden ist. Das vom [X.] beigebrachte Schriftstück der [X.] mag einen Absendevermerk der Poststelle vom 3. November 2010 haben. Jedoch ist dieser Schriftsatz an das [X.] gerichtet. Einen Absende- oder Übergabevermerk der Poststelle der [X.] für die Revisionsbegründung hat das [X.] nicht vorgelegt. Der Vermerk des Verfassers des eingereichten Schriftsatzes, nach welchem die Revisionsbegründung an den [X.] weitergeleitet wurde, genügt für einen Nachweis der Übergabe des Schriftsatzes an die Post nicht. Dieses schuldhafte Handeln der Bediensteten der [X.] ist eigenes Verschulden des [X.] in Form des [X.]. Umstände, die zu einer Exkulpation des [X.] führen, sind nicht vorgetragen.

Dem steht nicht entgegen, dass der [X.] nicht nachvollziehen kann, welche Personen aufgrund welcher Zuständigkeit auf Seiten der [X.] tätig geworden sind. Denn selbst wenn ein zum Richteramt befähigter Beamter, in dessen Zuständigkeit die Prüfung von [X.] fallen würde, tätig geworden sein sollte, wäre dessen Verschulden, wozu auch dessen Organisationsverschulden bezüglich der in seinem Referat tätigen Bediensteten gehört, dem [X.] zuzurechnen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).

Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist nicht erforderlich. Eine Entlastung seitens des [X.] ist nicht mehr möglich, da sämtliche Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, innerhalb der Antragsfrist des § 56 Abs. 2 FGO vorzutragen sind. Ein Nachschieben von Sachvortrag oder Begründungen ist ausgeschlossen ([X.]surteil vom 30. Juli 2009 [X.]/08, [X.]/NV 2009, 1996).

Meta

VI R 69/10

15.02.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 5. Februar 2010, Az: 1 K 2623/08, Urteil

§ 56 FGO, § 120 FGO, § 155 FGO, § 85 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.02.2011, Az. VI R 69/10 (REWIS RS 2011, 9449)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9449

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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