Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.12.2010, Az. IV R 5/10

4. Senat | REWIS RS 2010, 325

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung durch das Finanzamt - Anforderungen an die Postausgangskontrolle


Leitsatz

1. NV: Die Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelten für das Finanzamt in gleicher Weise wie für den Steuerpflichtigen und die Angehörigen der rechtsberatenden und steuerberatenden Berufe, insbes. ist auch eine Behörde zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet .

2. NV: Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist durch das Finanzamt scheidet aus, wenn ein Organisationsverschulden des Finanzamts hinsichtlich der verspäteten Übermittlung eines schon am Vortag bearbeiteten und zum Versand per Fax vorbereiteten Schreibens nicht auszuschließen ist .

Tatbestand

1

I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) hat nach Zulassung durch das Finanzgericht ([X.]) am 11. Januar 2010 Revision gegen das am 15. Dezember 2009 zugestellte [X.]-Urteil eingelegt. Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2010 hat das [X.] auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Mit Schreiben vom 15. Februar 2010 (Eingang per Fax am 16. Februar 2010) hat das [X.] beantragt, die Begründungsfrist "wegen Erkrankung" bis zum 31. März 2010 zu verlängern. Nach gerichtlichem Hinweis auf die Versäumung der [X.] und den verspäteten Eingang des [X.] hat das [X.] mit Schriftsatz vom 19. Februar 2010 (Eingang am 25. Februar 2010) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der am 15. Februar 2010 abgelaufenen [X.] beantragt. Wegen schuldloser Verhinderung des Vorstehers des [X.] sei die Revisionsbegründung verspätet eingereicht worden. Der Vorsteher habe die Bearbeitung der Revision persönlich übernommen und nicht an einen Sachbearbeiter der [X.] delegiert. Er habe das Schreiben mit dem Verzicht auf mündliche Verhandlung erstellt. Am 8. Februar 2010 sei bei ihm nach Dienstschluss eine schwere Lungenentzündung diagnostiziert worden, weshalb er seine Dienstgeschäfte nicht mehr habe wahrnehmen können. Am Morgen des 16. Februar 2010 habe der Vorsteher einen Vertreter bestellt. Dieser habe dann sofort per Fax um 11.16 Uhr Fristverlängerung für die Revisionsbegründung beantragt.

Entscheidungsgründe

2

II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

3

1. Das [X.] hat die Frist für die Begründung der Revision versäumt. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Diese Frist lief im Streitfall am Montag, dem 15. Februar 2010, ab. Die Revisionsbegründung des [X.] ist jedoch erst am 16. Februar 2010 beim [X.] ([X.]) eingegangen.

4

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann nicht gewährt werden.

5

a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Beschlüsse vom 24. Juni 2008 [X.]/07, [X.]/NV 2008, 1517, und vom 11. Mai 2010 [X.], [X.]/NV 2010, 1834, m.w.N.).

6

b) Nach der Rechtsprechung des [X.] gelten die Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für das [X.] in gleicher Weise wie für einen Steuerpflichtigen (vgl. [X.]-Beschluss  in [X.]/NV 2010, 1834, m.w.N.). Bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat ([X.]-Beschluss vom 25. November 2008 [X.]/06, [X.]/NV 2009, 407). Soweit der Umgang mit [X.] delegiert wird, ist dem [X.] --ebenso wie einem [X.] ein Versehen eines mit [X.] betrauten Beschäftigten dann nicht als eigenes Verschulden zuzurechnen, wenn alle Vorkehrungen getroffen worden sind, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und wenn durch regelmäßige Belehrung und Überwachung der mit [X.] befassten Beschäftigten Sorge für die Einhaltung der getroffenen Anordnungen getragen ist (vgl. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2010, 1834, m.w.N.). Das Verschulden eines Mitarbeiters in der [X.] muss das [X.] nicht gegen sich gelten lassen, wenn eine wirksame Ausgangskontrolle besteht oder der Mitarbeiter zumindest auf die Bedeutung und Eilbedürftigkeit des Schriftstücks ausdrücklich hingewiesen wurde ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 2009, 407, m.w.N.). Daher ist auch eine Behörde zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet. Eine wirksame Postausgangskontrolle setzt voraus, dass die Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes, d.h. die Übergabe des Schriftstücks an die Post, durch eine Person kontrolliert wird, die den gesamten Bearbeitungsvorgang überwachen kann. Die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die amtsinterne [X.] reichen hierfür ebenso wenig aus wie ein bloßer Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an diese [X.] weiterleitet, weil dadurch noch nicht ausreichend sichergestellt ist, dass das Schriftstück auch tatsächlich unmittelbar zur Weiterbeförderung an die Post gelangt ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 2009, 407). Entsprechendes gilt, wenn ein Schriftstück zur Weiterleitung per Fax bestimmt ist. Das [X.] muss u.a. vortragen, welche Maßnahmen zur Überwachung der Einhaltung der Fristen im [X.] getroffen sind ([X.]-Beschluss in [X.]/NV 2008, 1517).

7

c) Unter Beachtung dieser Maßstäbe rechtfertigt das Vorbringen des [X.] keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.], denn bei Würdigung aller vom [X.] vorgetragenen und nach Aktenlage ersichtlichen Umstände ist ein Organisationsverschulden des [X.] nicht auszuschließen.

8

Nicht schlüssig ist bereits der Vortrag, dass der Vorsteher des [X.] am Morgen des 16. Februar 2010 einen Vertreter mit der Bearbeitung des Antrags auf Verlängerung der [X.] beauftragt habe. Denn sowohl das Schreiben des [X.] mit dem Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist als auch das zugehörige Faxdeckblatt tragen das Datum vom 15. Februar 2010, dem [X.] [X.]. Insoweit kommt es auf die vom [X.] vorgetragenen krankheitsbedingten Umstände der verzögerten Bearbeitung des Falles im [X.] nicht mehr an. Erheblich sind vielmehr die Gründe dafür, dass ein nach Aktenlage bereits am 15. Februar 2010 bearbeitetes und zum Versand per Fax vorbereitetes Schreiben tatsächlich erst am folgenden Tag um 11.16 Uhr per Fax versandt worden ist. Das [X.] hat jedoch nichts dazu vorgetragen, weshalb das Schriftstück nicht schon am 15. Februar 2010 an den [X.] weitergeleitet worden ist. Insbesondere fehlen jegliche Angaben zu Tatsachen, nach denen ein Organisationsverschulden des [X.] im Bereich der Sachbearbeitung des Schreibens vom 15. Februar 2010 und/oder auf der [X.] des [X.] als Ursache für die Fristversäumung ausgeschlossen werden kann. So besteht z.B. die Möglichkeit, dass der Sachbearbeiter sein Schreiben nicht unmittelbar --also noch am gleichen Tag-- an die [X.] zur Weiterleitung per Fax an den [X.] übermittelt hat und es deshalb zu einer verzögerten Versendung des Schriftstücks gekommen ist. Insoweit vermag der erkennende Senat nicht von einem entschuldbaren Versehen eines Mitarbeiters des [X.] auszugehen.

Meta

IV R 5/10

15.12.2010

Bundesfinanzhof 4. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 5. November 2009, Az: 13 K 83/06, Urteil

§ 56 Abs 1 FGO, § 56 Abs 2 S 1 Halbs 2 FGO, § 120 Abs 2 S 1 Halbs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 15.12.2010, Az. IV R 5/10 (REWIS RS 2010, 325)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 325

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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