Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.03.2011, Az. VII R 48/10

7. Senat | REWIS RS 2011, 8288

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist durch die Behörde - Anforderungen an die Postausgangskontrolle


Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) meldete bei dem [X.]eklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt --[X.]--) "Spargeltabletten (unlackiert), 14,8 % Stärke, keine Saccharose, kein Milchfett, keine Milchproteine enth., nicht in [X.]ufmachung für den Einzelverkauf" zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr der [X.] unter der Unterpos. 2106 90 98 der Kombinierten Nomenklatur ([X.]) --zollfrei-- an. [X.]ufgrund eines Einreihungsgutachtens der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt setzte das [X.] die Einfuhrabgaben nach Maßgabe der Unterpos. 2005 60 00 [X.] (17,6 % Zoll) fest. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos.

2

Das Finanzgericht ([X.]) gab der gegen diese Entscheidung erhobenen Klage statt. Es urteilte, die Spargeltabletten seien der Unterpos. 2106 90 98 [X.] zuzuordnen, da es sich um eine Lebensmittelzubereitung handele, die anderweitig weder genannt noch inbegriffen sei, insbesondere nicht in den Positionen 0712 [X.] und 2005 [X.].

3

Der [X.] ([X.]) ließ die Revision gegen dieses Urteil mit [X.]eschluss vom 11. [X.]ugust 2010, dem [X.] zugestellt am 23. [X.]ugust 2010, zu. [X.]m 24. September 2010 ging die Revisionsbegründung des [X.] mit dem [X.]ntrag, das Urteil des [X.] aufzuheben, per Fax beim [X.] ein. [X.]uf entsprechenden Hinweis der Geschäftsstelle des [X.]. Senats des [X.] beantragte das [X.] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) wegen des verspäteten Eingangs der Revisionsbegründung. Zur [X.]egründung reichte es eidesstattliche Versicherungen seiner Prozessvertreterin ([X.]) sowie eines weiteren [X.]eamten ([X.]) ein. [X.] erklärte, sie habe die [X.]kte mit der unterschriebenen Revisionsbegründung über eine Mitarbeiterin ihres Sachgebiets dem [X.]eamten [X.] persönlich aushändigen lassen und erwartet, dass dieser die Revision an den [X.] senden werde. Da das persönliche Überbringen ein besonderer Vorgang sei, sei sie davon ausgegangen, dass [X.] auch ohne entsprechenden ausdrücklichen Hinweis erkennen werde, dass in dem Vorgang etwas, nämlich die Versendung des Schriftstücks, zu veranlassen sei, zumal auch bei der [X.]egründung der Nichtzulassungsbeschwerde in diesem Verfahren so vorgegangen worden sei. Der [X.]eamte [X.] erklärte, er sei bei Übergabe des Vorgangs davon ausgegangen, dass die Revisionsbegründung entsprechend dem sonst üblichen Geschäftsgang bereits der [X.]stelle des [X.] zur [X.]ufgabe bei der [X.] übergeben worden sei. Er habe dies allerdings nicht nachgeprüft. Erst als er am 24. September 2010 den Vorgang habe weiter bearbeiten wollen, habe er bemerkt, dass die Revisionsbegründung noch gar nicht der [X.]stelle zugeleitet worden sei.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist unzulässig und durch [X.]eschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO).

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1. Das [X.] hat die Frist für die [X.]egründung der Revision versäumt. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des [X.]eschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Diese Frist lief im Streitfall am 23. September 2010 ab. Die Revisionsbegründung des [X.] ist jedoch erst am 24. September 2010 beim [X.] eingegangen.

6

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann nicht gewährt werden.

7

a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.[X.]. [X.] vom 24. Juni 2008 [X.]/07, [X.], 1517, und vom 11. Mai 2010 [X.], [X.], 1834, m.w.N.).

8

b) Nach der Rechtsprechung des [X.] gelten die Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für das [X.] in gleicher Weise wie für einen Steuerpflichtigen (vgl. [X.]-[X.]eschluss in [X.], 1834, m.w.N.). Auch die [X.]eurteilung, ob eine [X.]ehörde eine gesetzliche Frist schuldhaft versäumt hat, richtet sich nach den von der Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden [X.]erufe entwickelten Maßstäben ([X.]-[X.]eschluss vom 25. November 2008 [X.]/06, [X.]/NV 2009, 407). Das bedeutet, dass das [X.] das Verschulden eines mit dem [X.]versand einer [X.] betrauten Mitarbeiters nur dann nicht gegen sich gelten lassen muss, wenn eine wirksame Ausgangskontrolle besteht oder der Mitarbeiter zumindest auf die [X.]edeutung und Eilbedürftigkeit des Schriftstücks ausdrücklich hingewiesen wurde (vgl. [X.]-[X.]eschluss in [X.]/NV 2009, 407, m.w.N.). Auch eine [X.]ehörde ist zu einer wirksamen [X.]ausgangskontrolle verpflichtet. Eine wirksame [X.]ausgangskontrolle setzt voraus, dass die Absendung des fristwahrenden Schriftsatzes, d.h. die Übergabe des Schriftstücks an die [X.], durch eine Person kontrolliert wird, die den gesamten [X.]earbeitungsvorgang überwachen kann. Die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks reicht selbst an eine amtsinterne [X.] nicht aus; umso weniger reicht ein bloßer Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an diese [X.] weiterleitet, weil dadurch noch nicht ausreichend sichergestellt ist, dass das Schriftstück auch tatsächlich unmittelbar zur Weiterbeförderung an die [X.] gelangt ([X.]-[X.]eschluss in [X.]/NV 2009, 407). Entsprechendes gilt, wenn ein Schriftstück zur Weiterleitung per Fax bestimmt ist. Das [X.] muss u.a. vortragen, welche Maßnahmen zur Überwachung der Einhaltung der Fristen im [X.] getroffen sind ([X.]-[X.]eschluss in [X.], 1517).

9

c) Unter [X.]eachtung dieser Maßstäbe rechtfertigt das Vorbringen des [X.] keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.], denn bei Würdigung aller vom [X.] vorgetragenen und in den eidesstattlichen Versicherungen bekräftigten Umstände ist ein Organisationsverschulden des [X.] nicht auszuschließen.

Es fehlt bereits an der schlüssigen Darlegung, dass die [X.] des [X.] sicher davon ausgehen durfte, der [X.]eamte [X.] werde wegen der persönlichen Überbringung der Akte mit der unterzeichneten Revisionsbegründung erkennen, dass ihm die Aufgabe übertragen war, die Revisionsbegründung zur [X.] aufzugeben. Mit ihrer Erklärung, sie habe erwartet und erwarten können, dass [X.] allein aufgrund der besonderen Überbringungsweise diese ihm übertragene Aufgabe erkennen werde, macht die A vielmehr gerade deutlich, dass es sich nicht um einen geordneten und überwachten [X.]earbeitungsvorgang, sondern um ein atypisches Geschehen handelte, das, um Fehler auszuschließen, zumindest einer ausdrücklichen Anweisung bedurft hätte. Die dazu von [X.] abgegebene Erklärung, er sei davon ausgegangen, dass die Revisionsbegründung entsprechend dem sonst üblichen Geschäftsgang bereits der [X.]stelle des [X.] zur Aufgabe bei der [X.] übergeben worden sei, macht aber gerade deutlich, dass ihm die mit der "besonderen Überbringungsweise" vermeintlich verbundene Übertragung der Aufgabe des [X.]versandes gar nicht bekannt war.

Der gesamte Geschäftsvorgang zeigt, dass ihm kein geordneter Organisationsablauf zugrunde lag, geschweige denn, dass die nach der Rechtsprechung erforderlichen Maßnahmen zur Überwachung des fristgerechten [X.]versands fristwahrender Schriftsätze --wie im Streitfall der [X.] angeordnet und vollzogen worden sind.

Ein entschuldbares Versehen eines Mitarbeiters des [X.], das eine Wiedereinsetzung in die [X.] rechtfertigen könnte, liegt nicht vor.

Meta

VII R 48/10

24.03.2011

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 17. November 2009, Az: 11 K 121/06, Urteil

§ 120 Abs 2 S 1 FGO, § 56 Abs 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24.03.2011, Az. VII R 48/10 (REWIS RS 2011, 8288)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8288

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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