Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.02.2023, Az. VI R 13/21

6. Senat | REWIS RS 2023, 1987

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Gegenstand

Keine inzidente Anfechtung einer Lohnsteuer-Anmeldung durch Anfechtung eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids


Leitsatz

Durch die Anfechtung eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids werden nicht zugleich (inzident) auch die Lohnsteuer-Anmeldungen oder ein Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung der Lohnsteuer-Anmeldungen für die Anmeldungszeiträume angefochten, in denen der Haftungstatbestand verwirklicht wurde.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 19.01.2021 - 6 K 3341/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Für den Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde für den Streitzeitraum zu viel Lohnsteuer angemeldet und abgeführt.

2

Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung auch für den Streitzeitraum traf der Prüfer verschiedene Feststellungen im Hinblick auf Verpflegungsmehraufwendungen, die mehreren Arbeitnehmern zu Unrecht als Reisekosten steuerfrei erstattet worden waren. Der Prüfer war deshalb der Auffassung, dass bestimmte Beträge nachzuversteuern seien.

3

Das [X.] folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ in Bezug auf die steuerfrei an zwei Arbeitnehmer ausgezahlten Reisekostenerstattungen einen Haftungsbescheid mit [X.] In diesem Sammelbescheid hob es zugleich den Vorbehalt der Nachprüfung für die [X.] des Prüfungszeitraums auf.

4

Ebenfalls unter dem 31.10.2012 erließ das [X.] einen Haftungsbescheid ohne Leistungsgebot wegen der Reisekostenerstattungen an sieben weitere Arbeitnehmer, die vorrangig in Anspruch genommen wurden.

5

Der Kläger legte gegen den Haftungsbescheid mit Leistungsgebot mit Schreiben vom 22.11.2012 und gegen den Haftungsbescheid ohne Leistungsgebot mit Schreiben vom 05.12.2012 Einspruch ein und begründete die Einsprüche.

6

Das [X.] half dem Einspruch gegen den Haftungsbescheid mit Leistungsgebot durch Änderungsbescheid vom 07.08.2013 teilweise ab. Im Übrigen wies es diesen Einspruch als unbegründet zurück.

7

Nachdem der Kläger die aus anderen Gründen zu viel erfolgte Anmeldung und Abführung der [X.] und [X.] für den Streitzeitraum bemerkt hatte, beantragte er mit Schreiben vom ... die Änderung der entsprechenden [X.]. Mit Schreiben vom ... erweiterte er seinen Einspruch gegen den Haftungsbescheid ohne Leistungsgebot und begehrte auch im Rahmen dieses [X.] die Korrektur der [X.] für den Streitzeitraum wegen der zu viel angemeldeten und abgeführten Lohnsteuern und [X.].

8

Mit Einspruchsentscheidung vom ... widerrief das [X.] den Haftungsbescheid ohne Leistungsgebot gemäß § 131 der Abgabenordnung ([X.]) und wies den Einspruch im Übrigen zurück. Die Änderung der [X.] sei wegen der eingetretenen Festsetzungs- und Zahlungsverjährung auch im Rahmen einer Erweiterung des [X.] nicht mehr möglich.

9

Das Finanzgericht ([X.]) wies die hiergegen erhobene Klage ab. Die [X.] seien bestandskräftig geworden, da sie innerhalb der einmonatigen Einspruchsfrist nicht mit dem Einspruch angefochten worden seien. Die mit Schreiben vom 22.11.2012 und vom 05.12.2012 erhobenen Einsprüche des [X.] hätten sich allein gegen die [X.] vom 31.10.2012 und nicht (auch) gegen den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung gerichtet.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Er beantragt,

das Urteil des [X.], die Einspruchsentscheidung vom ... sowie den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung vom 31.10.2012 aufzuheben und die Anmeldungen der Lohnsteuer für den Streitzeitraum dahingehend abzuändern, dass die Summen der Lohnsteuern sowie der [X.] und der Kirchensteuern um insgesamt ... € ... nach näherer Maßgabe der Anlage 1 der Revisionsbegründung herabgesetzt werden;

hilfsweise,

das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache mit der Maßgabe an das [X.] zurückzuverweisen, das Klageverfahren gemäß § 46 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) bis zu einer Nachholung der Einspruchsentscheidung über den Einspruch gegen den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung vom 31.10.2012 auszusetzen.

Das [X.] beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Das [X.] hat zutreffend entschieden, dass eine Änderung der [X.] für den Streitzeitraum nicht in Betracht kommt.

1. Die [X.] (§ 167 [X.]) für den Streitzeitraum standen gemäß § 168 Satz 1 [X.] einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Damit werden unmittelbar an die Steuererklärung die Rechtsfolgen einer Steuerfestsetzung geknüpft. Das Steueranmeldungs-Verfahren ist ein abgekürztes Festsetzungsverfahren. Die Steueranmeldung kann gemäß § 164 Abs. 2 [X.] geändert sowie durch Einspruch und Klage angefochten und dementsprechend ebenfalls geändert werden; nach § 164 Abs. 3 [X.] kann der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben werden ([X.]surteil vom 07.07.2004 - VI R 171/00, [X.], 562, [X.], 1087).

2. Das [X.] hat im [X.] an die [X.] den Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich der [X.] für den Prüfungszeitraum und damit auch für den Streitzeitraum mit Bescheid vom 31.10.2012 aufgehoben. Die Aufhebung des [X.] steht gemäß § 164 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 [X.] einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich.

3. Der Kläger hat gegen diesen Bescheid keinen Einspruch eingelegt, wie das [X.] zu Recht entschieden hat.

a) Gemäß § 357 Abs. 3 Satz 1 [X.] soll bei der Einlegung des Rechtsbehelfs der Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den der Einspruch gerichtet ist. Danach ist die Rechtswirksamkeit des eingelegten Rechtsbehelfs nicht von einer genauen Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts abhängig. Es ist jedoch erforderlich, dass sich die Zielrichtung des Begehrens aus der [X.] in der Weise ergibt, dass sich der angefochtene Verwaltungsakt entweder aus dem Inhalt der [X.] selbst ermitteln lässt oder dass Zweifel oder Unklarheiten hinsichtlich des Gewollten beseitigt werden können. Fehlt es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des Gewollten, ist der wirkliche Wille des Steuerpflichtigen durch Auslegung seiner Erklärungen zu ermitteln. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muss, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen (Grundsatz der meistbegünstigenden Auslegung, s. Urteil des [X.] --BFH-- vom 29.10.2019 - IX R 4/19, [X.], 126, [X.], 368, Rz 12, m.w.N.). Dies gilt grundsätzlich auch für Erklärungen rechtskundiger Personen (BFH-Urteile vom 28.11.2001 - I R 93/00, [X.] 2002, 613; vom 11.02.2009 - X R 51/06, [X.], 1, [X.], 892, unter [X.]; vom 19.08.2013 - X R 44/11, [X.], 304, [X.], 234, Rz 16, und vom 14.06.2016 - IX R 11/15, Rz 22; [X.]surteil vom 08.05.2008 - VI R 12/05, [X.], 196, [X.], 116, unter [X.]).

Sowohl außerprozessuale als auch prozessuale Rechtsbehelfe sind in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen. Danach ist nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei dürfen auch außerhalb der Erklärung liegende Umstände berücksichtigt werden. Die Auslegung darf jedoch nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte finden lassen. Eine derartige Korrektur der Erklärung kann auch mit dem Grundsatz der rechtsschutzgewährenden Auslegung nicht gerechtfertigt werden (BFH-Urteile in [X.], 304, [X.], 234, Rz 19; vom 28.11.2018 - I R 61/16, Rz 24, und in [X.], 126, [X.], 368, Rz 13).

Die Auslegung des Einspruchs als vorprozessualer Rechtsbehelf ist Gegenstand der vom [X.] zu treffenden tatsächlichen Feststellungen, an die das Revisionsgericht grundsätzlich gebunden ist, soweit im Revisionsverfahren keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben werden (§ 118 Abs. 2 [X.]O). Das Revisionsgericht kann die Auslegung nur daraufhin überprüfen, ob das [X.] die anerkannten Auslegungsregeln beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat (BFH-Urteile in [X.], 196, [X.], 116, unter [X.], und vom 28.11.2018 - I R 61/16, Rz 22). Allerdings ist revisionsrechtlich in vollem Umfang nachprüfbar, ob der Einspruch überhaupt auslegungsbedürftig ist. Hieran fehlt es, wenn die Erklärung nach Wortlaut und Zweck einen eindeutigen Inhalt hat (BFH-Urteile in [X.], 196, [X.], 116, unter [X.], und in [X.], 126, [X.], 368, Rz 18).

b) Die vom [X.] vorgenommene Auslegung der Einspruchsschreiben des [X.] vom 22.11.2012 und vom 05.12.2012 hält nach diesen Maßstäben einer revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

Die Vorinstanz ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit seinem Schreiben vom 22.11.2012 Einspruch nur gegen den Haftungsbescheid mit [X.] eingelegt hat, nicht aber auch gegen die mit diesem Bescheid verbundene Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung. Das [X.] hat sich insoweit zu Recht auf den Wortlaut des Einspruchsschreibens gestützt, in dem nur der Haftungsbescheid, nicht aber der Bescheid über die Aufhebung des [X.] angesprochen ist. Das [X.] hat --jedenfalls hilfsweise-- auch die weiteren Umstände in den Blick genommen, die nach der Einlegung des Einspruchs zutage getreten sind. Es hat dabei ohne Rechtsfehler berücksichtigt, dass sich der Kläger auch mit der in dem weiteren Einspruchsschreiben vom 05.12.2012 enthaltenen Einspruchsbegründung zum Einspruch vom 22.11.2012 ausschließlich gegen seine Inanspruchnahme als [X.] gewandt hat, nicht aber (auch) gegen die Aufhebung des [X.].

Soweit der Kläger in seinem Schreiben vom 05.12.2012 neben der Einspruchsbegründung zu seinem Einspruch vom 22.11.2012 auch Einspruch gegen den "Leistungsbescheid ohne [X.]" eingelegt hat, hat das [X.] diesen Einspruch ohne Rechtsfehler als einen solchen gegen den "Haftungsbescheid" ohne [X.] ausgelegt. Es hat in der Wahl des Wortes "Leistungsbescheid" anstelle des Wortes "Haftungsbescheid" lediglich ein Schreibversehen erblickt und keinen Anhaltspunkt dafür gesehen, dass mit der Formulierung "Leistungsbescheid ohne [X.]" auch der Bescheid über die Aufhebung des [X.] gemeint sei. Diese Auslegung des [X.] ist nicht nur möglich, sondern naheliegend und daher für den [X.] revisionsrechtlich ebenfalls bindend.

Letztlich hat das [X.] auch untersucht, ob sich aufgrund der Schreiben des [X.] vom ... und vom ... ein anderes Auslegungsergebnis ergibt. Dies hat das [X.] im Hinblick auf den erheblichen Zeitablauf verneint und daraus ohne Rechtsfehler geschlossen, dass der Kläger den Willen zur Anfechtung des Bescheids über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung vom 31.10.2012 erst nach Ablauf der Einspruchsfrist gebildet hat. Dies ist unter den im Streitfall gegebenen Umständen ebenfalls naheliegend. Denn dem Kläger waren die Gründe, die seine [X.] für den Streitzeitraum als zu seinen Lasten rechtsfehlerhaft erscheinen und die Anfechtung daher geboten sein ließen, bis zum Ablauf der Einspruchsfrist noch nicht bekannt. Diese Kenntnis erlangte der Kläger vielmehr erst wesentlich später.

4. Entgegen der Ansicht des [X.] ist mit der Anfechtung des [X.] nicht auch automatisch oder --wie der Kläger formuliert-- "umgekehrt inzident" die Anfechtung des Bescheids über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung verbunden.

a) Zwar hat das [X.] den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung (und damit die [X.]) mit dem [X.] mit [X.] in einem Sammelbescheid verbunden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass beide --in dem Sammelbescheid nur der äußeren Form nach verbundene-- Verwaltungsakte ihre rechtliche Selbständigkeit behielten. Denn Steuern --wie die Lohnsteuer als besondere Erhebungsform der Einkommensteuer (§ 38 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--)-- werden nach § 155 Abs. 1 Satz 1 [X.] durch Steuerbescheid festgesetzt; wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet ([X.]), kann gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 [X.] durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden ([X.]surteil vom 08.03.2022 - VI R 33/19, [X.], 493, [X.] 2023, 98, Rz 20).

Ausgehend hiervon gibt es keine Rechtsgrundlage für die Annahme, die Anfechtung des Haftungsbescheids umfasse automatisch bzw. "umgekehrt inzident" auch die Anfechtung des Bescheids über die Aufhebung des [X.]. Die von der Revision geforderte ("umgekehrt inzidente") Anfechtung von [X.] bzw. eines Bescheids, durch den der Vorbehalt der Nachprüfung von [X.] aufgehoben wird, aufgrund der Anfechtung eines [X.] kennen weder die [X.] noch das EStG.

b) Der [X.] kann im Streitfall offenlassen, ob und ggf. in welchem Umfang er sich den ausführlichen Darlegungen des [X.] sowie des vorgelegten Rechtsgutachtens zum Verhältnis der [X.] zur [X.] und zu den weiteren Formen der [X.] anschließen könnte.

Denn in verfahrensrechtlicher Hinsicht können die verschiedenen, vom Kläger so bezeichneten Verschränkungen zwischen [X.] und [X.] nicht darüber hinweghelfen, dass ein [X.] und ein Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung der [X.] unterschiedliche Verwaltungsakte sind, die jeweils mit dem Einspruch und der Klage angefochten werden können und damit auch angefochten werden müssen, um den Eintritt der (formellen) Bestandskraft des jeweiligen Bescheids zu verhindern (s.a. [X.] Baden-Württemberg, Urteil vom 31.05.1989 - XII K 50/85, Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 1989, 598, zu einem [X.]; Niedersächsisches [X.], Urteil vom 31.05.2012 - 11 K 507/10, E[X.] 2012, 2015; v. Bornhaupt, Steuerliche Vierteljahresschrift 1991, 345, 355).

Etwaige Abhängigkeiten oder "Verschränkungen" materieller und verfahrensrechtlicher Regelungen, die unterschiedliche Verwaltungsakte betreffen, können ohne eine --im Streitfall nicht vorhandene-- gesetzliche Grundlage nicht dazu führen, das Erfordernis der Anfechtung des jeweiligen Verwaltungsakts zu suspendieren. Es trifft deshalb nicht zu, dass durch den Einspruch gegen einen [X.] die Überprüfbarkeit der [X.] wieder eröffnet wird, wie der Kläger meint. Unabhängig von ihrem materiellen Regelungsgehalt sind Haftungsbescheid und [X.] bzw. Aufhebungsbescheid unterschiedliche Verwaltungsakte, die --wie dargelegt-- jeweils in (formeller) Bestandskraft erwachsen, sofern sie nicht durch Einspruch und Klage angefochten werden.

c) Dementsprechend ist auch der erkennende [X.] in ständiger Rechtsprechung wie selbstverständlich --ohne dies ausdrücklich zu betonen-- davon ausgegangen, dass mit der Anfechtung eines [X.] nicht automatisch oder --wie der Kläger formuliert-- "umgekehrt inzident" auch die entsprechenden [X.] angefochten werden. Vielmehr hat der [X.] in ständiger Rechtsprechung den Streitgegenstand im Falle der Anfechtung eines [X.] auf diesen Bescheid beschränkt und nicht auch über die [X.] der Anmeldungszeiträume entschieden, in denen der [X.] verwirklicht wurde.

Die [X.]sschuld des Arbeitgebers, die durch Erlass eines Haftungsbescheids nach § 42d EStG i.V.m. § 191 [X.] festgesetzt wird, und die [X.] bzw. Entrichtungsschuld des Arbeitgebers, die durch die [X.] (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 167 [X.]) oder durch von der Finanzbehörde erlassene Steuerbescheide (§ 155 [X.]) --auch in der Form eines Bescheids über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung (§ 168, § 164 Abs. 3 [X.])-- verwirklicht wird, sind voneinander zu unterscheiden und stehen nicht in einem Konkurrenzverhältnis ([X.]surteil in [X.], 562, [X.], 1087, unter II.2.c). Die unterschiedlichen Regelungsbereiche eines [X.] (Festsetzung einer Haftungsschuld) und einer [X.] oder eines an deren Stelle erlassenen Steuerbescheids (Festsetzung der Lohnsteuer-Entrichtungsschuld) stehen der Annahme einer "umgekehrt inzidenten" Anfechtung des Steuerbescheids im Falle der Anfechtung des Haftungsbescheids entgegen.

d) Aus den vom Kläger angeführten [X.] vom 15.05.1992 - VI R 106/88 ([X.], 532, [X.] 1993, 840) und vom 17.02.1995 - VI R 52/94 ([X.], 253, [X.] 1995, 555) folgt für den Streitfall nichts Abweichendes. Der [X.] hat dort entschieden, dass dem späteren Erlass eines [X.] die [X.] des § 173 Abs. 2 Satz 1 [X.] entgegensteht, wenn das [X.] aufgrund einer [X.] den Vorbehalt der Nachprüfung bei den in den [X.] des [X.] liegenden Steuerfestsetzungen aufhebt, da der [X.] inzidenter die in den [X.] liegenden Steuerbescheide in der Gestalt des Aufhebungsbescheids ändere (zum Lohnsteuer-Pauschalierungsbescheid ebenso z.B. [X.]surteil vom 15.05.1992 - VI R 183/88, [X.], 505, [X.] 1993, 829).

Die vorgenannten Entscheidungen betreffen damit die Anwendbarkeit der [X.] des § 173 Abs. 2 [X.], nicht aber die Frage, ob ein Haftungsanspruch einem Steueranspruch gleichzusetzen ist (s. [X.]sbeschluss vom 23.08.2012 - VI B 53/12, Rz 6). Erst recht betreffen sie nicht die im Streitfall zu entscheidende Frage nach der Reichweite eines Einspruchs gegen einen [X.] und dessen Erstreckung auf die [X.].

Der erkennende [X.] kann deshalb dahinstehen lassen, ob er an der Annahme einer inzidenten Änderung einer [X.] durch einen [X.] festhalten könnte. Denn für eine solche inzidente Änderung dürfte es an einer hinreichenden Rechtsgrundlage fehlen. Die vom [X.] weiterhin als zutreffend erachteten Ergebnisse der vorgenannten Entscheidungen ließen sich vielmehr auch durch sachgerechte Auslegung der [X.] in § 173 Abs. 2 [X.] erzielen.

Der [X.] ist zudem bereits in den vorgenannten Urteilen erkennbar davon ausgegangen, dass Haftungsbescheid, [X.] und Aufhebungsbescheid unterschiedliche Verwaltungsakte bleiben, die damit ungeachtet der dort (noch) angenommenen [X.] ihre verfahrensrechtliche Selbständigkeit nicht verlieren und die folglich selbständig anfechtbar sind. Der [X.] hat auch in jenen Urteilen in der Anfechtung des [X.] gerade keine ("umgekehrt inzidente") Anfechtung der [X.] bzw. des Bescheids über die Aufhebung des [X.] erblickt.

Für den Streitfall ist es ferner nicht von Bedeutung, dass der [X.] in ständiger Rechtsprechung [X.] grundsätzlich als sachverhaltsbezogene Verwaltungsakte beurteilt (s. z.B. [X.]surteil vom 11.12.2008 - VI R 20/05, [X.] 2009, 904), während er [X.] als zeitraumbezogene Steuerbescheide ansieht, deren Regelungsinhalt die [X.] ist (s. z.B. [X.]surteil vom 07.02.2008 - VI R 83/04, [X.], 220, [X.], 703). Denn der Sachverhalts- oder Zeitraumbezug der verschiedenen Verwaltungsakte ist für die hier zu beurteilende verfahrensrechtliche Frage, ob durch den Einspruch gegen einen [X.] inzident auch Einspruch gegen die [X.] bzw. den Bescheid über die Aufhebung des [X.] eingelegt wird, nicht entscheidungserheblich.

e) In dem vom Kläger angeführten [X.]surteil vom 31.08.1990 - VI R 78/86 ([X.], 539, [X.] 1991, 537) hatte der [X.] nur zu untersuchen, welche Wirkung eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 [X.] im Rahmen des § 173 Abs. 2 Satz 2 [X.] entfaltet. Für den vorliegenden Fall lässt sich aus jener Entscheidung daher ebenfalls nichts Entscheidungserhebliches ableiten.

5. Eine andere Beurteilung des [X.] ergibt sich schließlich nicht aus dem auch im Steuerrecht geltenden Grundsatz von [X.] und Glauben. Dessen Voraussetzungen liegen nicht vor.

Selbst wenn der Kläger die rechtliche Bedeutung der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in dem Sammelbescheid vom 31.10.2012 nicht vollständig überblickt haben und rechtsirrig davon ausgegangen sein sollte, die Einlegung des Einspruchs gegen diesen Bescheid sei nicht erforderlich bzw. der Einspruch gegen diesen Bescheid sei ("umgekehrt inzident") bereits durch den Einspruch gegen den Haftungsbescheid erhoben worden, so beruhte dies jedenfalls nicht auf einem Verhalten des [X.]. Zu einem über die Rechtsbehelfsbelehrung hinausgehenden Hinweis auf das Erfordernis einer Anfechtung des Bescheids über die Aufhebung des [X.] oder zu einer Belehrung über die Bedeutung dieses Bescheids und seiner verfahrensrechtlichen Selbständigkeit in Bezug auf den Haftungsbescheid war das [X.] im Streitfall gegenüber dem Kläger auch nach [X.] und Glauben zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes selbst unter Berücksichtigung der vom Kläger dargestellten lohnsteuerlichen "Verschränkungen" und "Unklarheiten" nicht verpflichtet.

6. Da der Kläger den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung innerhalb der Einspruchsfrist nicht angefochten hat, ist er mit Ablauf der Einspruchsfrist in Bestandskraft erwachsen. Die mit Schreiben vom ... beantragte Änderung der [X.] für den Streitzeitraum kommt nach Aufhebung des [X.] gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht mehr in Betracht. Die Voraussetzungen einer anderen Änderungsnorm sind im Streitfall ebenfalls nicht gegeben. Soweit das vorgenannte Schreiben oder das weitere Schreiben des [X.] vom ... (auch) als Einspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 31.10.2012 auszulegen sein sollten, wäre der Einspruch jedenfalls verfristet. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheidet bereits nach § 110 Abs. 3 [X.] aus.

7. Der Hilfsantrag des [X.] hat ebenfalls keinen Erfolg. Denn das [X.] hat jedenfalls mit der Einspruchsentscheidung vom ... bereits über den Einspruch des [X.] gegen den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung vom 31.10.2012 entschieden und darauf erkannt, dass der Kläger innerhalb der Einspruchsfrist gegen diesen Bescheid keinen Einspruch eingelegt habe und die nach Ablauf der Einspruchsfrist erklärte Erweiterung des Einspruchs gegen den Haftungsbescheid ohne [X.] auf den Bescheid über die Aufhebung des [X.] nicht zu einer Änderung der [X.] für den Streitzeitraum führen könne.

8. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 13/21

15.02.2023

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 19. Januar 2021, Az: 6 K 3341/18, Urteil

§ 110 Abs 3 AO, § 155 Abs 1 S 1 AO, § 164 Abs 2 S 1 AO, § 164 Abs 3 S 2 AO, § 167 AO, § 168 S 1 AO, § 357 Abs 3 S 1 AO, § 38 Abs 1 S 1 EStG 2002, § 41a Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002, § 42d Abs 1 Nr 1 EStG 2002, § 133 BGB, § 191 Abs 1 S 1 AO, § 38 Abs 1 S 1 EStG 2009, § 41a Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009, § 42d Abs 1 Nr 1 EStG 2009, EStG VZ 2008, EStG VZ 2009, EStG VZ 2010, EStG VZ 2011, § 173 Abs 2 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.02.2023, Az. VI R 13/21 (REWIS RS 2023, 1987)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1987

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