Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.09.2020, Az. VI R 34/18

6. Senat | REWIS RS 2020, 3625

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Gegenstand

(Keine allgemeine Änderungssperre durch § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG)


Leitsatz

1. § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG ist erstmals auf den laufenden Arbeitslohn anzuwenden, der für einen nach dem 31.12.2013 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt wird. Eine Anwendung auf alle Änderungsanträge, über die nach dem 31.12.2013 zu entscheiden ist, unabhängig davon, ob sie Lohnsteuer-Anmeldungen für Veranlagungszeiträume vor 2014 betreffen, kommt nicht in Betracht.

2. Steht eine Lohnsteuer-Anmeldung nicht mehr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, hindert § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG eine Änderung der Lohnsteuer-Anmeldung nach den allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO nicht.

3. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO ist auch erfüllt, wenn ein Dritter den Arbeitgeber bei Abgabe einer Lohnsteuer-Anmeldung arglistig täuscht.

4. Auch wenn die Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO erfüllt sind, ist eine Änderung nicht zwingend, sondern liegt im Ermessen des FA. Eine Ermessensreduzierung auf Null kommt nicht in Betracht.

Tenor

Auf die Revision des Finanzamts werden das Urteil des [X.] vom 08.06.2018 - 1 K 1085/17 L und jeweils betreffend die [X.] Januar 2012 bis Juni 2014 die Einspruchsentscheidung des Finanzamts vom 30.03.2017 sowie der Ablehnungsbescheid des Finanzamts vom 16.03.2016 aufgehoben.

Das Finanzamt wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 11.03.2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts betreffend die [X.] Januar 2012 bis Juni 2014 neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Klägerin und das Finanzamt jeweils zur Hälfte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Gemeinschaftspraxis, bestehend aus den Gesellschaftern Dr. 1, Dr. 2 ([X.]) und Dr. 3. [X.]eit dem [X.] war [X.] auf Grundlage eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses für die Klägerin tätig und überwiegend mit Buchhaltungsaufgaben betraut. Das nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsentgelt, das die Klägerin bis einschließlich Juni 2010 mit 2 % pauschal versteuerte, belief sich auf 400 € monatlich. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug zehn [X.]tunden, die an zwei Tagen zu erbringen waren.

2

Im Juni 2010 legte [X.] dem Gesellschafter [X.] den Text für einen weiteren Arbeitsvertrag zwischen ihr als Arbeitnehmerin und der Klägerin als Arbeitgeberin vor. Nach diesem Vertragstext sollten die regelmäßige Arbeitszeit von [X.] nunmehr 38,5 [X.]tunden wöchentlich und das Bruttomonatsgehalt 1.700 € [X.] einer der Höhe nach nicht bezifferten jährlichen Weihnachtsgratifikation betragen. Der Arbeitsvertrag wurde von [X.] sowie [X.] unterzeichnet. Das Arbeitsverhältnis sollte am 01.07.2010 beginnen.

3

Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass [X.] den Arbeitsvertrag in Unkenntnis seines Inhalts und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen durch [X.] unterzeichnet hat.

4

In der Folgezeit veranlasste [X.] die Überweisung der nachfolgend dargestellten Jahresbruttoarbeitslöhne und die Abführung der hierauf entfallenden Lohn- und Annexsteuern an den Beklagten und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--):

Zeitraum

Bruttoarbeitslohn

Lohnsteuer

     [X.]olidaritätszuschlag

     Kirchensteuer

01.07. bis 31.12.2010     

10.162,60 €

2.093,47 €

115,09 €

188,37 €

01.01. bis 31.12.2011

21.933,68 €

4.668,31 €

256,72 €

420,11 €

01.01. bis 31.12.2012

22.140,00 €

4.722,00 €

259,68 €

424,92 €

01.01. bis 31.12.2013

23.940,00 €

5.277,96 €

290,28 €

474,96 €

01.01. bis 31.12.2014

29.340,00 €

6.961,92 €

382,80 €

626,52 €

01.01. bis 31.12.2015

 30.540,00 €

 7.341,43 €

   403,72 €

   660,63 €

[X.]ummen

138.056,28 €

       31.065,09 €

1.708,29 €

2.795,51 €

5

Die Beteiligten sind sich einig, dass [X.] auf die vorstehenden Beträge keinen Anspruch hatte. Die Auszahlung der überhöhten Arbeitsentgelte und die hiermit im Zusammenhang stehenden [X.] erfolgten ohne den Willen der Klägerin und wurden von dieser zunächst auch nicht bemerkt.

6

[X.] wurde in den Jahren 2010 bis 2015 mit ihrem Ehemann zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Dabei legte das [X.] bei [X.] u.a. die vorstehend dargestellten Bruttoarbeitslöhne der Besteuerung zugrunde und rechnete die hierfür angemeldeten und abgeführten Lohn- und Annexsteuern an.

7

Im April 2014 führte das [X.] eine Lohnsteuer-Außenprüfung bei der Klägerin durch, die im Wesentlichen von [X.] begleitet wurde. Die Prüfung führte zu keinen Beanstandungen. Infolgedessen hob das [X.] Ende Juli 2014 den Vorbehalt der Nachprüfung für die von der Klägerin abgegebenen [X.] für den Zeitraum Januar 2012 bis Juni 2014 auf.

8

Im Dezember 2015 bemerkte die Klägerin die von [X.] veranlassten überhöhten Lohnzahlungen. Ferner wurde festgestellt, dass [X.] weitere erhebliche finanzielle [X.]ittel durch diverse Überweisungen veruntreut hatte.

9

Ende Januar 2016 vereinbarte die Klägerin mit dem Ehemann der im Dezember 2015 verstorbenen [X.], dass der Ehemann als Erbe der [X.] zur [X.]chadenskompensation einen Betrag in Höhe von … € aus dem Nachlass der Verstorbenen und seinem Privatvermögen zahlte.

[X.]it [X.]chreiben vom 11.03.2016 beantragte die Klägerin eine Änderung der [X.] für die Anmeldezeiträume Juli 2010 bis Dezember 2015, da es sich bei den von [X.] an sich selbst veranlassten Zahlungen nicht um Arbeitslohn i.[X.]. des § 19 des Einkommensteuergesetzes (E[X.]tG) gehandelt habe und die hierfür angemeldeten und abgeführten [X.] daher zu erstatten seien.

Das [X.] lehnte diesen Antrag ab, da keine Änderungsmöglichkeit bestehe.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Im Nachgang zu einer Besprechung an Amtsstelle erließ das [X.] am 22.06.2016 einen Teilabhilfebescheid und änderte die [X.] für die Anmeldezeiträume Dezember 2011 und Juli 2014 bis Dezember 2015 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung ([X.]) dahingehend, dass die für diese Zeiträume für [X.] angemeldeten Lohn- und [X.] aus den Anmeldungen herausgenommen wurden. Im Übrigen wies es den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück.

[X.]it der daraufhin erhobenen Klage begehrte die Klägerin zuletzt noch eine Herabsetzung der für die [X.]onate Januar 2012 bis Juni 2014 angemeldeten Lohn- und [X.] um insgesamt 15.435,42 €.

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2018, 1482 veröffentlichten Gründen statt. Das [X.] sei jedenfalls nach § 172 Abs. 1 [X.]atz 1 Nr. 2 Buchst. c [X.] verpflichtet, die [X.] zu ändern. Die Regelung des § 41c Abs. 3 [X.]atz 4 E[X.]tG schließe eine Änderung der [X.] nicht aus.

[X.]it der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, der Einspruchsentscheidung sowie des Ablehnungsbescheids des [X.] vom 16.03.2016 --jeweils betreffend die [X.] Januar 2012 bis Juni 2014-- und zur Verpflichtung des [X.], über den Antrag der Klägerin vom 11.03.2016 betreffend die Änderung der [X.] Januar 2012 bis Juni 2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats neu zu entscheiden (§§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 101 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Soweit die Klägerin beantragt, das [X.] (i.S. von § 101 Satz 1 [X.]O) zum Erlass entsprechender Änderungsbescheide zu verpflichten, ist die Klage abzuweisen.

1. Das [X.] ist zunächst zu Recht davon ausgegangen, dass die streitigen Überzahlungen nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn der [X.] gehörten.

a) Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ESt[X.] alle Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Leistung besteht oder nicht (Senatsurteil vom 05.07.1996 - VI R 10/96, [X.], 441, [X.] 1996, 545). Unerheblich ist auch, ob Zahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer bei diesem verbleiben können (Urteil des [X.] --BFH-- vom 22.05.2002 - VIII R 74/99, [X.] 2002, 1430). Zum Arbeitslohn gehören daher auch versehentliche Überweisungen des Arbeitgebers, die dieser zurückfordern kann. Die Rückzahlung ist in diesem Fall erst im [X.]punkt des tatsächlichen Abflusses einkünftemindernd zu berücksichtigen (Senatsurteil vom 04.05.2006 - VI R 17/03, [X.], 383, [X.] 2006, 830). Nicht zum Arbeitslohn i.S. des § 19 ESt[X.] gehören dagegen dem Arbeitnehmer nicht zustehende Beträge, die er unter eigenmächtiger Überschreitung seiner Befugnisse auf sein Konto überweist (Senatsurteil vom 13.11.2012 - VI R 38/11, [X.], 403, [X.] 2013, 929).

b) Dementsprechend hat das [X.] zu Recht entschieden, dass die vorliegenden Überzahlungen keinen Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ESt[X.] darstellen. Es fehlt bereits an dem [X.]erkmal der "[X.]ewährung" von Vorteilen (s. Senatsurteil in [X.], 403, [X.] 2013, 929, Rz 15). [X.] wurden die streitigen Beträge nicht "gewährt"; vielmehr hat sie sich die entsprechenden Beträge eigenmächtig unter Überschreitung ihrer Befugnisse zugeteilt.

2. a) Ob nach Abgabe einer [X.] durch den Arbeitgeber deren Änderung im Wege einer Steuerfestsetzung nach den §§ 155, 167 Abs. 1 Satz 1 [X.] zulässig ist, richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Korrekturvorschriften. Eine solche Änderung ist insbesondere zulässig, solange noch ein Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 [X.]) besteht (Senatsurteile vom 30.10.2008 - VI R 10/05, [X.], 202, [X.] 2009, 354, und in [X.], 403, [X.] 2013, 929, Rz 17). Nach § 168 Satz 1 [X.] steht nämlich die Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Damit werden die Rechtsfolgen einer Steuerfestsetzung unmittelbar an die Steuererklärung geknüpft.

b) § 41c Abs. 3 ESt[X.] stand einer Änderung der Steuerfestsetzung nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats bislang nicht entgegen (Senatsurteile in [X.], 202, [X.] 2009, 354, und in [X.], 403, [X.] 2013, 929, Rz 16). Zwar ist nach § 41c Abs. 3 Satz 1 ESt[X.] die Änderung des [X.] nur bis zur Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zulässig. Nach der Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung kann der Arbeitnehmer eine Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung nicht mehr verlangen; denn diese ist ein Beweispapier über den Lohnsteuerabzug, so wie er tatsächlich stattgefunden hat (s. Senatsurteile vom 13.12.2007 - VI R 57/04, [X.], 124, [X.] 2008, 434, und in [X.], 202, [X.] 2009, 354). Nach Ansicht des Senats ist der tatsächliche Lohnsteuerabzug im Zusammenhang mit der Änderung einer [X.] oder eines an deren Stelle tretenden [X.] indes nicht von Bedeutung, weil es sich bei der darin festgesetzten, mit der Zahlung des Arbeitslohns entstehenden Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers um einen gesetzlich bestimmten "Sollbetrag" und nicht um einen durch den tatsächlichen Lohnsteuerabzug bestimmten "Istbetrag" handelt (s. Senatsurteile in [X.], 202, [X.] 2009, 354, und in [X.], 403, [X.] 2013, 929, Rz 16).

c) [X.]it Art. 2 des [X.]esetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt [X.] zur [X.] und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 --[X.]-- ([X.], 1266) hat der [X.]esetzgeber § 41c Abs. 3 ESt[X.] um einen Satz 4 ergänzt, wonach eine [X.]inderung der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ESt[X.]) gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 [X.] nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann zulässig ist, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft hat, für die Lohnsteuer einbehalten wurde. [X.]emäß § 52 Abs. 1 Satz 2 ESt[X.] i.d.F. des [X.] ist die Vorschrift erstmals auf den laufenden Arbeitslohn anzuwenden, der für einen nach dem 31.12.2013 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt wird.

3. Bei Anwendung dieser [X.]rundsätze ist das [X.] im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass § 41c Abs. 3 Satz 4 ESt[X.] einer Änderung der [X.] Januar 2012 bis Juni 2014 nach [X.]aßgabe der allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. [X.] im Streitfall nicht entgegensteht (unter a). Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 [X.] kommt jedoch nicht in Betracht (unter b). Eine Verpflichtung des [X.] zur Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c [X.] hat das [X.] zu Unrecht bejaht (unter c).

a) aa) Einer Änderung der [X.] Januar 2012 bis Dezember 2013 nach [X.]aßgabe der allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. [X.] steht § 41c Abs. 3 Satz 4 ESt[X.] schon deshalb nicht entgegen, weil die Vorschrift erstmals auf laufenden Arbeitslohn anzuwenden ist, der für einen nach dem 31.12.2013 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt wird.

Der Senat folgt insbesondere nicht einer in der Literatur vertretenen Ansicht, wonach § 41c Abs. 3 Satz 4 ESt[X.] auf alle Änderungsanträge anzuwenden ist, über die nach dem 31.12.2013 zu entscheiden ist, unabhängig davon, ob sie [X.] für Veranlagungszeiträume vor 2014 betreffen (so [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 41c ESt[X.] Rz 18; a.A. auch [X.] Düsseldorf, Urteil vom 08.06.2016 - 2 K 2541/15 [X.], E[X.] 2016, 1791, Rz 51; [X.] Baden-Württemberg, Urteil vom 06.11.2017 - 3 K 2347/14, Rz 48; Schreiben des [X.] vom 07.11.2013 - IV C 5-S 2378/0-07, [X.], 1474; [X.] in Korn, § 41c ESt[X.] Rz 23). Denn nach § 52 Abs. 1 Satz 2 ESt[X.] i.d.F. des [X.] kommt es auf die Zahlung des Arbeitslohns an.

bb) Aber auch einer Änderung der [X.] Januar 2014 bis Juni 2014 nach [X.]aßgabe der allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. [X.] steht § 41c Abs. 3 Satz 4 ESt[X.] --wie vom [X.] zutreffend entschieden-- nicht entgegen.

(1) § 41c Abs. 3 Satz 4 ESt[X.] regelt seinem Wortlaut nach nur den Fall einer nachträglichen Änderung der [X.] nach § 164 Abs. 2 Satz 1 [X.]. Diese ist nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann zulässig, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft hat, für die Lohnsteuer einbehalten wurde. Damit ist zwar eine Änderung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 [X.] in allen anderen von § 41c Abs. 3 Satz 4 ESt[X.] nicht erfassten Fällen ausgeschlossen, nicht dagegen eine Änderung nach [X.]aßgabe der übrigen Korrekturvorschriften. Der Wortlaut des [X.]esetzes ist insoweit eindeutig. Eine Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut zulasten des Steuerpflichtigen kommt nicht in Betracht.

(2) Soweit der [X.]esetzgeber mit der Regelung --wie vom [X.] geltend gemacht-- eine darüber hinausgehende, allgemeine [X.] bezweckt haben sollte --worauf die Entstehungsgeschichte [X.], hat dieser Wille keinen Niederschlag in der Norm gefunden. Der Wille des [X.]esetzgebers bzw. der am [X.]esetzgebungsverfahren Beteiligten kann bei der [X.]esetzesauslegung nur insoweit berücksichtigt werden, als er auch im Text Niederschlag gefunden hat (Urteil des [X.] vom 16.02.1983 - 2 [X.] u.a., [X.] 62, 1, unter [X.], und Senatsurteil vom 04.04.2019 - VI R 18/17, [X.], 6, [X.] 2019, 449, Rz 25, m.w.N.). Die [X.]esetzesmaterialien dürfen nicht dazu verleiten, die subjektiven Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven [X.]esetzesinhalt gleichzusetzen (BVerf[X.]-Urteil in [X.] 62, 1, unter [X.]).

b) Das [X.] hat offengelassen, ob die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 [X.] erfüllt sind. Dies ist indes zu verneinen. Denn im Streitfall steht einer Änderung der [X.] Januar 2012 bis Juni 2014 die [X.] des § 173 Abs. 2 [X.] entgegen. Nach dieser Vorschrift kommt Steuerbescheiden, soweit sie aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, eine erhöhte Bestandskraft zu. Steuerbescheide in diesem Sinne sind auch [X.], bei denen --wie im [X.] im [X.] an eine Lohnsteuer-Außenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung für die den Prüfungszeitraum betreffenden Anmeldungen aufgehoben worden ist (z.B. Senatsurteile vom 07.02.2008 - VI R 83/04, [X.], 220, [X.] 2009, 703, und vom 15.05.1992 - VI R 106/88, [X.], 532, [X.] 1993, 840).

Eine auf die Besonderheiten des Sachverhalts gestützte Ausnahme von § 173 Abs. 2 [X.] kommt aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift entgegen der Ansicht der Klägerin nicht in Betracht.

c) Das [X.] hat aber zu Recht eine Änderungsmöglichkeit nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c [X.] bejaht. Nach dieser Vorschrift darf ein Steuerbescheid geändert werden, soweit er durch unlautere [X.]ittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist.

aa) Unter einer arglistigen Täuschung in diesem Sinne ist eine bewusste und vorsätzliche Irreführung zu verstehen, durch die die Willensbildung der Behörde unzulässig beeinflusst wird. Es genügt bereits das Bewusstsein, wahrheitswidrige Angaben zu machen (BFH-Urteil vom 14.12.1994 - XI R 80/92, [X.], 308, [X.] 1995, 293, unter II.2.). Ob das [X.] die Unrichtigkeit hätte erkennen können, ist unbeachtlich (Senatsurteil vom 08.07.2015 - VI R 51/14, [X.], 322, [X.] 2017, 13, Rz 19).

bb) Das [X.] hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c [X.] dem [X.]runde nach zutreffend bejaht. Denn [X.] hatte als Dritte (s. hierzu BFH-Urteil in [X.], 308, [X.] 1995, 293) die [X.] durch bewusst unrichtige Angaben und damit durch unlautere [X.]ittel erwirkt. Dies steht zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit.

Zwar setzt die Vorschrift im Regelfall eine Täuschung des [X.] voraus. Im Streitfall besteht jedoch die Besonderheit, dass es sich um [X.] eines Arbeitgebers handelt, die gemäß § 168 Satz 1 [X.] einer Festsetzung der Lohnsteuer unter Vorbehalt der Nachprüfung durch das [X.] gleichstehen. Die [X.] hat [X.] gegenüber der Klägerin durch arglistige Täuschung bewirkt.

§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c [X.] lässt dabei sowohl eine Änderung zugunsten wie zulasten des [X.] zu (s. auch [X.] [X.]ünster, Urteil vom 29.05.2000 - 9 K 7673/97 [X.], E[X.] 2000, 908; [X.] in Tipke/[X.], § 172 [X.] Rz 44; von [X.] in [X.]osch, [X.] § 172 Rz 199). Auch steht § 173 Abs. 2 [X.] einer Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c [X.] nicht entgegen (z.B. BFH-Urteil vom 18.08.2009 - X R 8/09, [X.] 2010, 161, unter [X.]; [X.] vom 02.12.2013 - III B 71/13, Rz 28).

cc) Die Änderung eines Steuerbescheids gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c [X.] steht jedoch im Ermessen der Finanzbehörde (BFH-Urteil vom 28.04.1998 - IX R 49/96, [X.], 370, [X.] 1998, 458, unter II.3. und m.w.N.). Eine solche Ermessensentscheidung ist vom [X.]ericht nur daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen [X.]renzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise [X.]ebrauch gemacht ist (§ 102 Satz 1 [X.]O).

Die [X.]erichte sind gemäß § 102 [X.]O nicht befugt, ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens zu setzen. Da das [X.] vorliegend --aus seiner Sicht zu [X.] keine Ermessensentscheidung getroffen hat, setzt die Stattgabe der Klage voraus, dass das Ermessen derart reduziert ist, dass nur die von der Klägerin begehrte Änderung der [X.] für Januar 2012 bis Juni 2014 das einzig mögliche Ergebnis der Ermessensausübung sein konnte. Eine solche Ermessensreduzierung auf Null kann im vorliegenden Fall aber nicht angenommen werden. Entgegen der Ansicht des [X.] kann nicht allein aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen einer Änderungsnorm eine Verpflichtung des [X.] bejaht werden, einen Steuerbescheid zugunsten der materiellen Richtigkeit zu ändern.

Die Unterscheidung zwischen gebundenen Änderungsvorschriften (wie z.B. nach § 173 [X.]) und solchen aufgrund einer Ermessensentscheidung (wie z.B. nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c [X.]) wäre dann letztlich überflüssig. Vielmehr ist auf die einzelne Änderungsnorm und ihre spezifischen Voraussetzungen abzustellen. Wie bei § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [X.] kann deshalb insoweit durchaus ein sogenanntes intendiertes Ermessen vorliegen (z.B. BFH-Urteil vom 11.10.2017 - IX R 2/17, Rz 15). Dies ist aber keineswegs zwingend und im Streitfall nicht angebracht. Das [X.] hätte das [X.] deshalb nicht entsprechend dem Klageantrag der Klägerin zur Änderung der [X.] Januar 2012 bis Juni 2014 verpflichten dürfen, sondern gemäß § 101 Satz 2 i.V.m. § 102 [X.]O lediglich zu einer erneuten Bescheidung der Klägerin.

Die Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der Einspruchsentscheidung ermöglicht dem [X.] insoweit die erneute Entscheidung über den Änderungsantrag der Klägerin. Bei seiner Ermessensentscheidung wird das [X.] insbesondere folgende [X.]esichtspunkte zu berücksichtigen haben:

Wird ein Steuerbescheid, durch den die Steuer aufgrund unlauterer [X.]ittel zu niedrig festgesetzt wurde, von einem Dritten erwirkt, ist bei der Ermessensentscheidung zu beachten, ob der Steuerpflichtige die Fehlerhaftigkeit des Bescheids weder kannte noch erkennen konnte (s. BFH-Urteil in [X.], 370, [X.] 1998, 458).

Nichts anderes gilt für die Situation des Streitfalls, in der die Steuer aufgrund unlauterer [X.]ittel zu hoch festgesetzt wurde. Bei der Ermessensentscheidung ist daher insbesondere zu berücksichtigen, ob die Klägerin die von der [X.] über mehr als fünf Jahre falsch übermittelten Lohnsteuerdaten nicht von Anfang an oder jedenfalls im Laufe der [X.] hätte erkennen können oder sogar müssen. Ebenso ist in die Ermessensprüfung einzubeziehen, dass der Ehemann der [X.] und die Klägerin sich im Vergleichswege auf eine Schadenskompensation durch Zahlung eines Betrags in Höhe von … € geeinigt haben. Ferner wird das [X.] zu berücksichtigen haben, ob und in welchem Umfang die Versteuerung der "Arbeitslöhne" und die Anrechnung der einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer im Rahmen der Einkommensbesteuerung der Eheleute rückgängig gemacht wurde.

4. [X.] beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 [X.]O. Einerseits hat die Klägerin mit ihrem Verpflichtungsbegehren i.S. des § 101 Satz 1 [X.]O keinen Erfolg, da nur ein Bescheidungsurteil gemäß § 101 Satz 2 [X.]O ergeht. Andererseits ist auch das [X.] mit seinem Begehren, die Ablehnung der Änderung der streitigen [X.] zu bestätigen, nicht durchgedrungen. Es ist daher angemessen, die gesamten Kosten des Verfahrens der Klägerin und dem [X.] jeweils zur Hälfte aufzuerlegen (s. BFH-Urteile vom [X.], [X.] 1988, 695, unter 6., und vom 31.03.1976 - I R 51/74, [X.], 537, [X.] 1976, 499, unter 3.).

Meta

VI R 34/18

30.09.2020

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 8. Juni 2018, Az: 1 K 1085/17 L, Urteil

§ 19 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009, § 41c Abs 3 S 1 EStG 2009, § 41a Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009, § 41c Abs 3 S 4 EStG 2009 vom 25.07.2014, § 155 AO, § 164 Abs 2 S 1 AO, § 167 Abs 1 S 1 AO, § 168 S 1 AO, § 172 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst c AO, § 173 Abs 1 Nr 2 AO, § 173 Abs 2 AO, § 101 S 1 FGO, § 101 S 2 FGO, § 102 S 1 FGO, § 136 Abs 1 S 1 FGO, EStG VZ 2012, EStG VZ 2013, EStG VZ 2014, § 2 LStDV, § 52 Abs 1 S 2 EStG 2009 vom 25.07.2014, § 5 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 30.09.2020, Az. VI R 34/18 (REWIS RS 2020, 3625)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3625

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