Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.06.2011, Az. III ZR 203/10

3. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5889

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Gegenstand

Dienstvertrag über die Erbringung von Pflegeleistungen: Inhaltskontrolle einer formularmäßig vereinbarten Kündigungsfrist von 14 Tagen


Leitsatz

1. Bei einem Vertrag über ambulante pflegerische Leistungen, die als Sachleistungen gegenüber der Pflegeversicherung abgerechnet werden, ist die Vergütung nicht im Sinne des § 621 BGB nach Zeitabschnitten bemessen .

2. Der Vertrag eines nach den Bestimmungen des Elften Buches Sozialgesetzbuch Pflegebedürftigen mit einer zugelassenen ambulanten Pflegeeinrichtung über ambulante pflegerische Leistungen ist ein Vertrag über Dienste höherer Art .

3. § 120 Abs. 2 Satz 2 SGB XI regelt die Kündigung eines Vertrags über ambulante pflegerische Leistungen innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach dem ersten Pflegeeinsatz, ohne im Übrigen in die bestehenden Kündigungsregelungen des Dienstvertragsrechts einzugreifen .

4. Die von einem ambulanten Pflegedienst gestellte Geschäftsbedingung in einem Vertrag über ambulante pflegerische Leistungen, der Kunde könne den Pflegevertrag mit einer Frist von 14 Tagen ordentlich kündigen, benachteiligt den Pflegebedürftigen unangemessen und ist unwirksam .

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des [X.] vom 10. August 2010 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des [X.] zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigungsklausel in einem von der Klägerin vorformulierten Vertrag über ambulante pflegerische Leistungen.

2

Die Klägerin ist Trägerin einer zugelassenen ambulanten Pflegeeinrichtung im Sinne des § 71 Abs. 1, § 72 [X.]. Sie ist aufgrund eines Vertrags nach § 132a Abs. 2 SGB V auch befugt, Leistungen der häuslichen Krankenpflege mit den Krankenkassen abzurechnen. Dementsprechend erbringt sie für ihre Kunden Leistungen der Pflegeversicherung und/oder Leistungen der Krankenversicherung sowie frei vereinbarte Leistungen

3

Mit der während des Rechtsstreits verstorbenen früheren Beklagten, die der [X.] (Schwerstpflegebedürftige) zugeordnet war (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.]), bestand ein Pflegevertrag vom 25. Juli 2007. Nach einem Krankenhausaufenthalt vom 20. bis 26. November 2008 kündigte diese den Pflegevertrag am 28. November 2008. Sie nahm angebotene Leistungen der Klägerin nicht mehr entgegen, sondern beauftragte einen anderen [X.]. Die Klägerin, die der Auffassung ist, das Vertragsverhältnis habe im Hinblick auf eine Kündigungsfrist von 14 Tagen erst zum 12. Dezember 2008 sein Ende gefunden, berechnete der früheren Beklagten für die [X.] vom 27. November bis 12. Dezember 2008 die Leistungen, die üblicherweise zu erbringen gewesen wären, ohne Ansatz von Fahrtkosten.

4

Zur Beendigung des Vertrags heißt es in dessen Nummer 6:

Der Vertrag endet mit Kündigung oder Tod des Kunden. Bei vorübergehendem stationären Aufenthalt ([X.], Krankenhaus, Rehabilitationseinrichtung etc.) ruht der Vertrag.

Der Kunde kann diesen Vertrag in den ersten zwei Wochen ab Aushändigung eines schriftlichen Exemplars hinsichtlich der Pflegeversicherungsleistungen jederzeit ohne Angabe von Gründen fristlos kündigen. Danach bzw. ansonsten kann der Kunde den Pflegevertrag mit einer Frist von 14 Tagen ordentlich kündigen. Hinsichtlich vereinbarter Leistungen der Krankenpflege (§ 37 SGB V) gilt, dass der Kunde den Vertrag jederzeit gem. § 627 BGB kündigen kann.

Der [X.] kann den Vertrag mit einer Frist von 4 Wochen kündigen. Die Kündigung bedarf der Schriftform. Die Rechte des Kunden bzw. des [X.]es auf Kündigung aus wichtigem Grund bleiben unberührt.

5

Die - unter Berücksichtigung nicht weiter streitiger Positionen - auf Zahlung von 449,67 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Anwaltskosten gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klage weiter.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision ist nicht begründet.

I.

7

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass die in dem von der Klägerin gestellten Vertrag vereinbarte 14-tägige Kündigungsfrist der Inhaltskontrolle nach § 307 [X.] nicht standhält. Ohne diese Vereinbarung wäre der Vertrag nach § 621 Nr. 5 [X.] jederzeit kündbar, da die Vergütung nicht nach Zeitabschnitten bemessen sei und das Dienstverhältnis die Erwerbstätigkeit der Klägerin nicht vollständig oder hauptsächlich in Anspruch nehme. Eine andere Kündigungsfrist sei auch nicht der Bestimmung des § 120 Abs. 2 [X.] zu entnehmen, die ein besonderes Kündigungsrecht während einer Probezeit vorsehe.

8

Zwar sei § 621 Nr. 5 [X.] abdingbar, aber bei allgemeinen Geschäftsbedingungen sei § 307 [X.] zu berücksichtigen. Die vereinbarte 14-tägige Kündigungsfrist stelle eine erhebliche Abweichung von der gesetzlichen Regelung dar, die auch Nachteile von einigem Gewicht für den Pflegebedürftigen begründe. Er könne ein besonderes Interesse an der sofortigen Kündigungsmöglichkeit haben. Die von der (früheren) [X.] in Anspruch genommenen Pflegeleistungen hätten ihre Intimsphäre und ihren persönlichen Bereich betroffen, ohne dass sie sich eine bestimmte Pflegeperson habe aussuchen können. Es sei zu [X.] gekommen. Auch wenn zwischen den Parteien streitig sei, wer diese Mängel zu vertreten habe, und entsprechende Unstimmigkeiten - auch wegen möglicher Beweisschwierigkeiten - nicht ohne weiteres ein Kündigungsrecht nach § 626 [X.] begründeten, müsse ein Pflegebedürftiger sich fristlos von dem Vertrag lösen können, weil er sich anderenfalls von einem [X.], zu dem er das Vertrauen verloren habe, pflegen lassen oder für diesen Zeitraum einen zusätzlichen [X.] bezahlen müsse.

9

Demgegenüber sei der [X.] weniger schutzwürdig. Er müsse ohnehin, etwa in Fällen eines Krankenhausaufenthaltes oder des Todes des Pflegebedürftigen, flexibel sein. Auch dass die Klägerin im Interesse des Pflegebedürftigen auf ein jederzeitiges Kündigungsrecht verzichte, mache wegen der unterschiedlichen Interessenlage beider Vertragsparteien die [X.] für den Pflegebedürftigen nicht angemessen.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

1. Rechtsfehlerfrei ist die Überlegung des Berufungsgerichts, dass beim Fehlen einer vertraglichen Kündigungsregelung das hier eingegangene Dienstverhältnis jederzeit gekündigt werden konnte, weil die Vergütung nicht im Sinne des § 621 [X.] nach Zeitabschnitten bemessen ist. Die Klägerin erhält für ihre Tätigkeit, die sie nach dem Vertrag monatlich abrechnet, keinen Monatslohn im Sinne des § 621 Nr. 3 [X.]. Ihre Tätigkeit wird vielmehr, wie auch die von ihr vorgelegten Abrechnungen vom 1. Dezember 2008 über im Monat November 2008 erbrachte Leistungen der Pflegeversicherung und Krankenversicherung zeigen, nach bestimmten Leistungen und Leistungskomplexen vergütet, die sie für die Pflegebedürftige - soweit es um Leistungen der Pflegeversicherung geht - auf der Grundlage einer Vergütungsvereinbarung nach § 89 [X.] erbracht hat. Auch wenn sich die Vergütung monatlich in einer weitgehend identischen Größenordnung bewegen wird - vorausgesetzt, die zur Pflege erforderlichen Maßnahmen werden regelmäßig abgerufen -, ist ihr Maß nicht an einen Zeitfaktor gebunden, sondern hängt von der Erbringung bestimmter, gegenständlich beschriebener Leistungen ab.

2. Nicht zu beanstanden ist weiter die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die in § 621 [X.] geregelten Kündigungsfristen, auch die jederzeitige Kündigungsmöglichkeit des § 621 Nr. 5 [X.], dispositiv sind und durch eine Vereinbarung der Parteien abbedungen werden können. Geschieht dies - wie hier - durch vorformulierte Vertragsbedingungen, die die Klägerin der Pflegebedürftigen gestellt hat, unterliegen diese der Inhaltskontrolle nach § 307 [X.].

a) Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Nach § 307 Abs. 2 [X.] ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

b) Zutreffend sieht das Berufungsgericht in der 14-tägigen Kündigungsfrist eine erhebliche Abweichung von der jederzeitigen Kündigungsmöglichkeit nach § 621 Nr. 5 [X.], die in Bezug auf das hier in Rede stehende Vertragsverhältnis zu einer [X.] mit Nachteilen verbunden ist, die ein erhebliches Gewicht haben. Aus der Sicht des Pflegebedürftigen handelt es sich um ein Vertragsverhältnis, das in besonderer Weise - siehe nur die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 Nr. 1 [X.] aufgeführten gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege - die Intimsphäre des Betroffenen berührt und mit einer großen persönlichen Nähe zu der die Pflege gewährenden Person verbunden ist. Auch wenn man berücksichtigt, dass der Pflegebedürftige auf diese Pflegeverrichtungen ständig angewiesen ist, handelt es sich doch in den Bereichen der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität um Dienste, die - ähnlich wie in § 627 Abs. 1 [X.] vorausgesetzt - aufgrund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Das ist nicht etwa deshalb anders, weil der Pflegebedürftige keinen Einfluss darauf hat, welcher Mitarbeiter des [X.]es ihn zu unterstützen hat. Entscheidend ist insoweit vielmehr, dass der Pflegebedürftige, der sich nach Maßgabe des § 37 [X.] mit Hilfe von Pflegegeld die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung selbst beschaffen könnte, sich einer zugelassenen Pflegeeinrichtung anvertraut, die ihre pflegerischen Leistungen nach § 71 Abs. 1 [X.] unter der ständigen Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft zu erbringen hat. Diese Pflegefachkraft musste - zum Zeitpunkt des hier maßgebenden Vertragsschlusses - neben dem Abschluss einer Ausbildung als Krankenschwester oder Krankenpfleger, als Kinderkrankenschwester oder Kinderkrankenpfleger oder als Altenpflegerin oder als Altenpfleger eine in § 71 Abs. 3 [X.] näher beschriebene praktische Berufserfahrung im erlernten Pflegeberuf erworben haben (nach der derzeit gültigen Fassung heißt es statt "Krankenschwester oder Krankenpfleger" jetzt "Gesundheits- und Krankenpflegerin oder Gesundheits- und Krankenpfleger").

c) Ob die vertragliche Kündigungsregelung auch von der Norm des § 627 Abs. 1 [X.] abweicht, was die Vorinstanzen nicht geprüft haben, hängt davon ab, ob die von der Klägerin übernommenen Verrichtungen als Dienste höherer Art im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind. Das [X.] ([X.], 125, 126), das in einer Kündigungsfrist von einer Woche eine nach § 9 [X.] unwirksame Abweichung von § 621 Nr. 5 [X.] gesehen hat, hat diese Frage verneint (ähnlich [X.], Urteil vom 9. Juli 2009 - 7 [X.]/09, juris Rn. 16), weil Berufstätigkeiten wie die ambulante Kranken-, Alten- und Behindertenpflege mit den Vertrauensberufen der Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Ärzte nicht zu vergleichen seien und häufig von nur angelernten Personen erbracht werden könnten. Sie erforderten zwar persönliche Einsatzbereitschaft und Zuverlässigkeit; dies seien aber keine gerade den Inhalt des hier strittigen Dienstvertrags prägenden Merkmale wie die Pflicht zur Verschwiegenheit beim Anwaltsvertrag. Demgegenüber hat das [X.] (Sozialrecht aktuell 2010, 228, 230 f) die Leistungen ambulanter [X.]e als Dienste höherer Art eingeordnet.

Der Senat hält die Auffassung des [X.] für vorzugswürdig.

aa) Dass bei Leistungen der häuslichen Krankenpflege im Sinne des § 37 SGB V ein Kündigungsrecht des Dienstberechtigten nach § 627 Abs. 1 [X.] in Betracht kommt, sieht die Klägerin in den von ihr gestellten Vertragsbedingungen selbst so. Hintergrund für diese Auffassung ist, dass für die häusliche Krankenpflege sowohl zur Vermeidung oder Verkürzung einer ansonsten vorzunehmenden stationären Behandlung (§ 37 Abs. 1 SGB V) als auch zur Behandlungssicherungspflege (§ 37 Abs. 2 SGB V), wie sie hier im November 2008 vor der Aufnahme der früheren [X.] in stationäre Krankenhausbehandlung stattgefunden hat, therapeutische Leistungen in Rede stehen, um bei einem erkrankten Patienten das Ziel einer ambulanten ärztlichen Behandlung zu sichern. Es liegt nahe, dass solche Tätigkeiten, die die ärztliche Behandlung im Haushalt des (kranken) Pflegebedürftigen ergänzen und sichern sollen, deren Charakter als Dienste höherer Art teilen. Die besondere Vertrauensstellung des [X.], wie sie für die Anwendung des § 627 [X.] typisch ist, wird [X.] dadurch bestätigt, dass auch der Krankenpfleger als Angehöriger eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, einer Schweigepflicht unterliegt, deren Verletzung nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB und - für die berufsmäßig tätigen Gehilfen - in Verbindung mit § 203 Abs. 3 Satz 2 StGB mit Strafe bedroht ist (vgl. [X.]/[X.] in: [X.]/[X.], StGB, 28. Aufl., § 203 Rn. 35; [X.]/[X.], § 203 Rn. 31). Ebenso wenig wie beim Arzt ist es für die Qualifizierung einer Leistung als Dienst höherer Art von Bedeutung, ob der Berufsträger sie selbst vornimmt oder ob er sie - im Rahmen seiner Berufspflichten - durch einen Helfer unter seiner Verantwortung vornehmen lässt.

bb) Der Senat tritt der Auffassung des [X.] bei, dass es bei der allgemeinen Pflege, die nicht Krankenpflege ist, keine ins Gewicht fallenden Unterschiede gibt, die eine andere rechtliche Einordnung rechtfertigen würden. Natürlich sind Hilfen in der hauswirtschaftlichen Versorgung für sich genommen keine Dienste höherer Art. Für die Beurteilung einer zugelassenen Pflegeeinrichtung ist der Hilfebedarf jedoch als Ganzes in Rechnung zu stellen, wobei die Hilfen im Bereich der Körperpflege besonders bedeutsam sind, um - etwa bei [X.] - [X.] zu vermeiden. Die bereits angeführten persönlichen Voraussetzungen für die verantwortliche Pflegefachkraft eines zugelassenen [X.]es verdeutlichen, dass den Berufen der Krankenschwester und des Krankenpflegers sowie denjenigen der Altenpflegerin und des Altenpflegers dieselbe Bedeutung beigemessen wird, wobei auch der Altenpfleger als Angehöriger eines Heilberufs, der im [X.] (i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. August 2003, [X.] I S. 1690) seine nähere Ausgestaltung gefunden hat, mit seinen Gehilfen der Norm des § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB unterliegt (vgl. [X.]/[X.] aaO). Der Senat stimmt dem [X.] (aaO S. 231) darin zu, dass der Umgang mit pflegebedürftigen Menschen, der neben Fachwissen auch den persönlichen Lebensbereich in einer vertraulichen bis intimen Form betrifft, nicht hinter der Betreuung durch einen Inkassobeauftragten (vgl. hierzu Senatsurteil vom 29. April 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 989), einen Partnerschaftsvermittler (vgl. [X.], Urteil vom 1. Februar 1989 - [X.], [X.]Z 106, 341, 345 f) oder Angehörige anderer Berufe im Gesundheitsbereich zurückbleibt (vgl. zum Krankengymnasten AG Andernach NJW-RR 1994, 121; zum Heilpraktiker [X.] NJW-RR 1999, 1281; vgl. im Einzelnen [X.][X.], 5. Aufl., § 627 Rn. 20; [X.]/Preis, [X.], Bearb. 2002, § 627 Rn. 19).

cc) Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht aus der Bestimmung des § 120 Abs. 2 Satz 2 [X.], nach der der Pflegebedürftige den Pflegevertrag innerhalb von zwei Wochen nach dem ersten Pflegeeinsatz ohne Angabe von Gründen und ohne Einhaltung einer Frist kündigen kann. Die Bestimmung wurde durch Art. 1 Nr. 23 des [X.] vom 9. September 2001 ([X.] I S. 2320) in das [X.] eingefügt. Mit ihr sollten - abgesehen vom Zivilrecht - erstmals Vorgaben zum Vertragsverhältnis zwischen dem Träger eines [X.]es und den von ihm betreuten Pflegebedürftigen eingeführt werden. Dabei stand das Bestreben im Vordergrund, neben den sich aus dem [X.] ergebenden Ansprüchen auf die Gewährung von Sachleistungen durch zugelassene Pflegeeinrichtungen auch die "individualrechtliche" Verpflichtung des [X.]es gegenüber dem Pflegebedürftigen zu verdeutlichen und ins Bewusstsein zu rücken, dass mit Abschluss eines schriftlich fixierten Pflegevertrags Transparenz geschaffen wird, indem die Pflegebedürftigen über ihre Rechte und Pflichten hinreichend informiert werden und eine ausreichende Rechtsklarheit auch im Rechtsverhältnis zu dem Träger des [X.]es besteht. Zur Kündigungsregelung in § 120 Abs. 2 [X.] wird ausgeführt, sie ermögliche zunächst eine probeweise Inanspruchnahme des [X.]es. Bei der Regelung handele es sich nicht um eine Kündigungsfrist, sondern um eine Frist, innerhalb derer das Recht zur fristlosen Kündigung wahrgenommen werden könne (vgl. BT-Drucks. 14/5395 S. 47).

Danach lässt § 120 Abs. 2 [X.] die allgemein geltenden Vorschriften des Dienstvertragsrechts, insbesondere § 621 Nr. 5 [X.], unberührt. Der Regelung kann auch nicht im Umkehrschluss entnommen werden, abgesehen von Fällen einer fristlosen Kündigung nach § 626 [X.] könne ein Pflegevertrag nach Ablauf von 14 Tagen nach dem ersten Pflegeeinsatz nur noch unter Inanspruchnahme einer bestimmen Frist und unter Angabe bestimmter Gründe gekündigt werden. Zwar mögen solche Vorstellungen im Gesetzgebungsverfahren bestanden haben, wofür sprechen könnte, dass die Vereinbarung einer Kündigungsfrist - auch durch einseitig gestellte Vertragsbedingungen - als nicht problematisch angesehen wurde. Es fehlt indes eine nähere, über die Dauer einer probeweisen Inanspruchnahme des [X.]es hinausreichende Begründung der Vorstellungen des Gesetzgebers, die den Schluss zuließen, er habe in die bestehenden Kündigungsregelungen des Dienstvertragsrechts eingreifen wollen.

d) Sind hiernach die Verrichtungen der Klägerin, auch soweit sie sich allein auf Sachleistungen der Pflegeversicherung beziehen, schwerpunktmäßig und typisierend als Dienste höherer Art zu qualifizieren, ist in der Abbedingung der jederzeitigen Kündigungsmöglichkeit für den Pflegebedürftigen, der - ob zu Recht oder Unrecht - sein Vertrauen in die Tätigkeit des [X.]es verloren hat, eine unangemessene Benachteiligung seiner Interessen zu sehen (vgl. Senatsurteile vom 19. Mai 2005 - [X.], NJW 2005, 2543; vom 9. Juni 2005 - [X.], [X.], 1667, 1669 jew. [X.]). Sie wird nicht dadurch aufgewogen, dass die Klägerin nach den von ihr gestellten Bedingungen eine Kündigungsfrist von vier Wochen zu beachten hat. Mit Recht weist das [X.] darauf hin, dass der Verzicht der Klägerin auf eine kürzere Kündigungsfrist für sie eine andere Bedeutung hat und - wie hinzuzufügen ist – die Situation des Pflegebedürftigen nicht im Sinne eines angemessenen Ausgleichs verbessert. Ohnehin wäre die Klägerin nach § 627 Abs. 2 [X.] bei Inanspruchnahme der Kündigungsberechtigung zur Rücksichtnahme verpflichtet, damit sich der Dienstberechtigte die notwendigen Dienste anderweit beschaffen kann.

3. Hat die frühere Beklagte daher den Pflegevertrag wirksam gekündigt, steht der Klägerin für die angebotenen, aber nicht mehr entgegengenommenen Leistungen keine Vergütung zu.

Schlick                                           Dörr                                         Herrmann

                         Seiters                                      Tombrink

Meta

III ZR 203/10

09.06.2011

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Koblenz, 10. August 2010, Az: 6 S 22/10, Urteil

§ 307 Abs 2 Nr 1 BGB, § 621 Nr 5 BGB, § 627 Abs 1 BGB, § 71 Abs 1 SGB 11, § 72 SGB 11, § 120 Abs 2 S 2 SGB 11

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.06.2011, Az. III ZR 203/10 (REWIS RS 2011, 5889)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5889

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